Donnerstag, 28. Februar 2008

Klimawandel-"Body Count"

In den letzten Tagen ist die Idee des "Body Count" in Bezug auf den Klimawandel durch die Medien (oder jedenfalls durch das Netz) gegeistert: Z.B. gibt es eine Stanford Studie die sagt, dass CO2 Emissionen 1000 Tote alleine in den USA pro Jahr pro Grad an Erwärmung verursachen würde (der New Scientist berichtet), natürlich noch viel mehr in Entwicklungsländern, die einerseits nicht die medizinische Infrastruktur haben und andererseits auch durch die geographische Lage viel stärker betroffen sein können. Kalifornien klagt nun die Environmental Protection Agency (EPA), weil sie dies nicht anerkennen möchte. Auch der Guardian berichtet über ein ähnliches Thema in Bezug auf eine Gerichtsverhandlung in Großbritannien.

Tatsächlich ist es ja so, dass wir jeden zweiten Tag Statistiken lesen, wieviele Tote diese und jene Verhaltensweisen kosten würden; am bekanntesten sind natürlich die Aussagen zum Rauchen aber auch zu Alkoholkonsum.

Nun muss man natürlich zwei Dinge ganz fundamental unterscheiden: einerseits können neue Technologien oder auch Verhaltensweisen direkt zu einer Krankheit oder gar zum Tod führen oder zumindest unmittelbar darauf zurückgeführt werden. Als Beispiel könnte man einen Alkoholiker nennen, der an Leberversagen stirbt. Hier ist vermutlich der Bezug zumeist recht klar herzustellen. Nicht mehr ganz so klar ist es vermutlich bei Lungenkrebs und erhöhten Umweltbelastungen, z.B. einer Person die als Industriearbeiter erhöhten Schadstoffen wie Asbest ausgesetzt ist oder einer Person die im Einfamilienhaus durch hohe Radon Konzentrationen belastet wird. Hier ist eher eine indirekte oder epidemiologische Analyse notwendig.

Ganz deutlich kann man den Unterschied bei anderen Technologien die wir einsetzen zeigen, z.B. dem Auto: hier gibt es jedes Jahr eine bestimmte Anzahl an Verkehrsopfern, Tote und Verletze, durch direkte Einwirkung, d.h. durch Verkehrsunfälle. Dann gibt es aber auch eine bestimmte Anzahl von Opfern durch die Tatsache, dass Autos, Tankstellen, Strassenbau usw. Schadstoffe emittieren. Dieser Bezug ist wieder nicht ganz einfach herzustellen. Gleichwohl werden derartige Rechnungen angestellt.

Ich bin jetzt ein wenig gespalten was diese "body count" Ansätze betrifft. Einerseits kann es sicherlich hilfreich in der politischen Argumentation sein, wenn man sich die Dimension des Problemes anhand von konkreten Zahlen veranschaulicht. Andererseits fürchte ich, dass dies ebenso ein Schauplatz für Ablenkungsmanöver werden kann. Denn gerade diese indirekten Konsequenzen, die epidemiologisch oder durch irgendwelche Modellrechnungen ermittelt werden sind nun mal keine sehr harten Zahlen. Damit öffnet man sich klarerweise eine Flanke die den konservativen ewig gestrigen eine Möglichkeit geben diese Zahlen (vielleicht sogar mit einer gewissen Berechtigung) zu kritisieren und damit gleich die Tatsache des Klimawandels an sich vom Tisch zu wischen.

Diese Gefahr besteht besonders auch deshalb, weil meiner Beobachtung nach derartige Statistiken (weil sie sich sensationell verkaufen lassen: "100 Mio Tote pro Jahr durch Klimawandel...") gerne publiziert werden: die Konsequenz ist, dass sich Wissenschafter aus der zweiten oder dritten Liga, die ein wenig an Aufmerksamkeitsdefizit leiden, in solchen Kontexten gerne wichtig machen. Seriöse Studien wären wichtig, aber ich fürchte, wir werden in der nächsten Zeit mit Unsinn aller Art aus unseriösen Quellen belästigt werden, und dieses Rauschen wird die tatsächlich ernsthafte Analyse der Bedrohung wieder einmal überdecken.

Dazu kommt noch ein weiterer Punkt: Die Anzahl der Opfer die eine bestimmte Technologie oder Lebensweise bringt ist für sich genommen (ganz offensichtlich) kein Kriterium diese Technologie abzuschaffen. Ich erinnere mich an eine Interessante Diskussion, die ich zu Zeiten meines Studiums mit einem Professor der Atomphysik hatte: Er meinte zu Recht, dass wir heute zwar heftig über die Opfer der Kernenergie diskutieren, aber uns an die tausenden Verkehrstoten gewöhnt haben und diese akzeptieren (und sogar alle Massnahmen wie Geschwindigkeitsbeschränkungen sehr gerne angreifen!). Er meinte: gäbe es heute keine Autos und jemand würde das Auto erfinden und sagen, es wäre zwar eine spannende Technologie, wir müssten aber mit etwa tausend zusätzlichen Toten pro Jahr (alleine in Österreich!) rechnen (rein an "Primäropfern" dazu kommen dann noch die Auswirkungen durch die Umweltverschmutzung und die Eingriffe in die Landschaft durch Strassen usw.), das Auto würde wohl kaum zugelassen werden.

D.h. in diesen Zahlen steckt einerseits eine wichtige Informationsquelle die uns die Konsequenzen unseres Tuns deutlicher machen kann, andererseits sind sie zu einem gewissen Maße auch irrelevant, weil fast alle Technologien zu Risken führen, sogar zu vielen Toten (Autos, Sport, Rauchen, Alkohol, Reisen, ...), die wir ganz offensichtlich als Gesellschaft gerne hinnehmen. Somit könnte man sogar zynisch leicht wie folgt argumentieren:
1000 Tote pro Jahr in Amerika sind eigentlich gar nicht so viele und im Prinzip ganz ok, wenn man dafür unseren luxuriösen und verschwenderischen Lebensstil behalten können, v.a. in Bezug auf die anderen genannten Risken modernen Lebens.
Und genau hier liegen wir einfach wieder sehr falsch, weil es eben kaum um 1000 Tote pro 1 Grad Erwärmung geht, sondern um die nicht-linearen, systemischen Effekte die damit verbunden sind. Das zweite Grad hat dann keine 1000 Toten mehr, sondern vielleicht viel mehr und beim dritten Grad mehr bricht vielleicht (eher wahrscheinlich) die Weltwirtschaft zusammen, wegen der Vielzahl an Auswirkungen, die durch diese simplen Zahlen nicht gesehen werden.

Freitag, 22. Februar 2008

Richard Dawkins: "The four Horseman"

Bin gestern darüber gestossen: sehr zu empfehlen ist die Diskussion, die Richard Dawkins zu zwei einstündigen Videos gerade von der Webseite der Richard Dawkins Foundation anbietet. "The Four Horseman" ist eine Diskussion zwischen Richard Dawkins, Daniel Dennett, Sam Harris und Christopher Hitchens, natürlich über Religion und Atheismus. Alle vier Autoren haben ja in der letzten Zeit sehr heftig diskutierte Bücher zum Thema geschrieben, Dawkins "The God Delusion" und Dennetts "Breaking the Spell" habe ich gelesen und kann ich nur sehr weiterempfehlen. Die beiden anderen Autoren muss ich selbst erst nachschlagen.

Jedenfalls ein sehr inspirierendes Gespräch, das ich wirklich empfehlen kann!

Donnerstag, 21. Februar 2008

Die Gaia Hypothese und der Reduktionismus

Das ist jetzt vielleicht vordergründig nicht das aktuellste Thema, denn James Lovelock hat seine Gaia Hypothese schon in den 70er Jahren vorgestellt. Ich bin auf diese These Mitte der 90 Jahre gestossen, weil ich von meinem damaligen Professor Lovelocks Buch "Das Gaia Prinzip, Die Biographie unseres Planeten" bekommen habe. Leider wird dieses Buch, wie aus meiner Sicht viele andere wichtige Bücher nicht mehr aufgelegt. In der Biographie von Lovelock werden die Kern-Ideen wie folgt zusammengefasst:
"Die Erde, so schlägt James Lovelock vor, verhält sich wie ein Superorganismus, gebildet aus ihrer belebten und unbelebten Materie. Als er erstmals seine brillante Gaia-Theorie um 1970 skizzierte, begeisterte sie die Menschen weltweit und innerhalb kurzer Zeit avancierte Gaia von einem wissenschaftlichen Nebengebiet zu einem zentralen Forschungszweig

James Lovelock argumentiert das Phänomene wie der Sauerstoffgehalt, Wolkenbildung und der Salzgehalt der Ozeane durch sich gegenseitig beeinflussende physikalische, chemische und biologische Prozesse gesteuert werden. Er glaubt, daß die Selbstregulation des Klimas und die Selbstregulation der chemischen Zusammensetzung der Erde einen Prozeß darstellt, der sich aus der korrekt verknüpften Evolution von Gestein, Luft und Wasser zusammen mit der Evolution des irdischen Lebens ergibt. Eine solch in sich abgeschlossene Selbstregulation, obwohl niemals optimal (man betrachte nur die kalten und heißen Plätze der Erde, die nassen und die trockenen) erhält nichtsdestotrotz die Erde als einen Flecken 'Fit fürs Leben'. "
Warum komme ich jetzt wieder auf dieses Thema? Vordergründig einfach deshalb, weil mir das Buch gerade wieder in die Hände gefallen ist. Wichtiger aber, weil ich den Eindruck habe, das Lovelock eine sehr wichtige Idee gehabt hat, die in der Detailkritik gerne untergeht. Die Gaia Idee wurde vielfach (und auch zurecht) krisitiert: Das Konzept der Evolution würde auf die Erde angewandt nicht funktionieren; Lovelock würde mit dem Begriff des "Lebens" zu locker umgehen, denn die Erde könne sich nicht, wie alle lebenden Organismen, reproduzieren usw.

All diese Kritikpunkte und viele andere sind vermutlich zutreffend; ich würde das Buch von Lovelock heute auch weniger als "wissenschaftlichen" Text lesen, als mehr als einen Text die Bilder zeichnet um unser Denkschema herauszufordern. Um nun auf den mir wichigen Punkt zu kommen: Ich denke, die wesentliche Leistung der Lovelocks ist es, den systemischen Effekt der Organismen unterliegen aufzuzeigen, und nicht nur in dem Sinne wie Organismen (in einem auf die Biologie reduzierte Sicht) untereinander wechselwirken, sondern die Verknüpfungen mit Geologie, Klima, Atmosphärenchemie, dem System der Ozeane usw. Insofern ist die Idee die Erde als "Lebewesen" zu beschreiben auf dieser Ebene aus meiner Sicht schon zutreffend.

Ich glaube, wir haben zu lange Zeit, bedingt durch unsere beschränkte menschliche Auffassungsgabe gedacht, dass eine reduktionistischer Beschreibung der Welt ausreichend sei. Das es reicht kleine Systeme zu verstehen und diese dann auch gerne beliebig manipuliert werden können, weil man sie ja ohnedies verstanden hat. Nun ist das Programm des Reduktionismus eine der wesentlichen Säulen moderner Wissenschaft und ich möchte betonen, eine fundamentale und unverzichtbare Säule (ich möchte wirklich nicht irgendwelchen esotherischen Ideen Vorschub leisten). Aber wir sind in unseren wissenschaftlichen Programmen oft bei diesem ersten wichtigen Schritt stehengeblieben.

So wichtig es ist, wenn man ein noch unbekanntes komplexes System vor sich hat, dieses zunächst einmal in seine Teile zu spalten und diese zu untersuchen, weil die Komplexität eine Untersuchung als Ganzes zunächst nicht zulässt, so ist dann doch immer wieder der Schritt zurück zu machen: Ich habe nun verstanden, wie dieses oder jenes Detail funktioniert, aber was bedeutet das für die nächst höhere Ebene?

Ich glaube, dass wir diesen zweiten wichtigen Schritt nicht konsequent genug gegangen sind. Ich sehe diese Vorgehensweise ähnlich der Hermeneutik, aber über Stufen der Abstraktion, also eine wechselseitige Erhellung vom Großen zum Kleinen und zurück.

Und genau das habe ich aus Lovelocks Buch herausgelesen: das wir in einem oft auch zu technokratischen Ansatz und Subsystem verstanden haben (oder zu haben glauben), und dann sofort der Ansicht sind, dieses Verständnis wäre ausreichend um dieses System manipulieren zu können. Dabei wurde und wird oft der systemische Zusammenhang mit vielen anderen Systemen vergessen, was zu entsprechenden Katastrophen führt.

Das letzte passende, von mir schon zitierte Beispiel ist die Idee aus Lebensmitteln Treibstoff (Biodiesel...) usw. zu erzeugen. Betrachtet man nur einen ganz kleinen Aspekt so sieht dies wie eine gute Idee aus; weitet man seinen Blick nur ein wenig, so stellt man plötzlich fest, dass sich auf einmal viele Menschen keinen Mais mehr leisten können, dass die CO2 Ausstoss auf den ganzen Prozess bezogen praktisch gleich hoch ist, wie wenn man gleich Öl verbrennt usw. Oder der Fokus auf "Hybridautos", wo übersehen wird, dass vermutlich der Energieverbrauch eines Autos (wenn Herstellung, Resourcengewinnung, ...) miteinberechnet wird dramatisch über dem des Verbrauchs im Betrieb liegt. Wo könnte man wohl besser einsparen?

Ein anderes Beispiel: warum wird die sogenannte "Schulmedizin" heute so gerne kritisiert? Der Grund ist in Wahrheit nicht, dass die Erkenntnisse der Schulmedizin falsch wären, oder dass etwa pseudowissenschaftliche Systeme wie Homöopathie der Schulmedizin überlegen wären, das ist natürlich nicht der Fall, der Grund liegt darin, dass sich viele Ärzte in den Details ihrer speziellen Disziplin verlieren und nicht mehr in der Lage sind, den Menschen als Ganzes zu sehen.

Genug der Beispiele an dieser Stelle; ich denke, dass Lovelocks Gaia Hypothese einen zweiten Blick wert ist, auch wenn viele Details einer kritischen Prüfung nicht standhalten und dass wir gut daran tun unseren auf Detailprobleme gerichteten Blick öfter zu weiten und zu versuchen, die Bedeutung der jeweiligen Detail-Erkenntnis im Bezug auf das größere System zu überprüfen.

(Vielleicht stellen wir dann auch fallweise fest, dass unser Detailproblem gar nicht so wichtig ist, wie wir ursprünglich angenommen haben, vielleicht aber auch das Gegenteil...)

Mittwoch, 20. Februar 2008

Wird Dummheit durch Viren verursacht?

Ich entwickle gerade eine neue und revolutionäre Theorie die in etwa wie folgt lautet: Es gibt einen bisher noch nicht entdeckten und identifizierten Virus, der infizierte Personen verdummen lässt. Dies lässt sich sehr klar aus der Beobachtung belegen, dass sich dumme Menschen häufig in Gruppen Gleichgesinnter zu finden sind. Die Logik ist offensichtlich: Der Virus verbreiten sich durch den gegenseitigen Kontakt in Gruppen, daher verbreitet sich Dummheit entsprechend dieser Pfade.

Wer Belege für meine revolutionäre Theorie möchte, dem empfehle ich einen aktuellen Bericht: CNN online schreibt, dass alle drei republikanischen Kandidaten im Interview die Ansicht vertreten, dass die Evolutionstheorie falsch sei. Sind mehr Belege für meine Theorie notwendig? Man könnte sich auch in religiösen Gruppen umsehen, oder bei Esotherik Fans oder... Aber die ganze Debatte um die Evolutionstheorie ist leider die Krönung der um sich greifenden gesellschaftlichen Dummheit. Manchmal hat man wirklich das Gefühl, als würden Jahrzehnte/hunderte an kleinen und mühsamen Schritten folgend der modernen Wissenschaft und der Aufklärung nun in wenigen Jahren durch unfassbare Borniertheit und, ja Dummheit von Politikern, religiösen Führern und durch (bewusst) mangelnde Ausbildung vernichtet werden.

Sorry, aber diesen Frust musste ich wirklich loswerden.

Dienstag, 19. Februar 2008

Giesskannen und Sumpfpflanzen

Ich denke, ich bin einigermassen unverdächtig was meine grundsätzliche Einstellung zur Wissenschaft betrifft. Ich bin der Ansicht, dass die Menschheit, die Welt vor dramatischen Problemen steht, vermutlich wesentlich dramatischer als sich die meisten zur Zeit vorstellen können. Eine der wenigen Möglichkeiten, die uns vermutlich bleibt ist massive Investition in Wissenschaft, Wissen, Bildung. Also kaum ein Zweifel von meiner Seite dass jeder Euro, Dollar etc. der in diesen Bereichen investiert ist, eine gute Investition darstellt.

Aber in welchen Bereichen soll nun genau investiert werden?!

Wie ich schon in einem der letzten Postings geschrieben habe: Geld und Resourcen lassen sich nicht beliebig vermehren. Sicher, heute wird eine Menge Geld verschwendet (z.B. für militärische Ausgaben), die man natürlich besser in Forschung und Bildung stecken sollte (ohne militärischen Hintergrund). Aber dann bleibt immer noch die Frage, wie man das Kapital am effizientesten einsetzen sollte.

Auf der einen Seite scheint Steuerung in der Wissenschaft (und ganz besonders in der Finanzierung) nur sehr bedingt zu funktionieren; nur weil Millionen in eine bestimmte Forschungsrichtung investiert werden, bedeutet das noch lange nicht dass (1) diese Forschungsrichtung wirklich wesentlich ist (vielleicht war die wissenschaftliche Lobby einfach die lauteste) und (2) dass auch entsprechende Ergebnisse zu verzeichnen sind. Aus dem Gefühl heraus würde ich persönlich dafür plädieren, die Mittel durchaus breit zu streuen. Also vielleicht gewisse Schwerpunkte setzen, z.B. erneuerbare Energien, nachhaltige Technologien, aber eine substantielle Menge an Kapital für eine breite Basis an verschiedenen Disziplinen, und das schließt ganz besonders auch die Geisteswissenschaften ein. Im Endeffekt weiß man nie genau, welcher Acker die größten Erdäpfel liefert, besser man hat nicht alles auf eine Karte gesetzt.

Es wird ja gerne (in jeder zweiten politischen Sonntagsrede wird das ausgebreitet) gegen sogenannte "Gießkannenförderung" polemisiert. Warum eigentlich? Noch dazu mit einem so dummen Vergleich? Wie würde ein Garten aussehen, wenn wir keine Gießkanne verwenden, sondern unsere Lieblingsblumen mit allem verfügbaren Wasser beglückten? 90 % des Gartens wären eine Wüste und 10% ein Sumpf. Ist das der Garten, den wir uns vorstellen? Was genau spricht eigentlich gegen die Gießkanne?

Dazu kommt, und das ist, meine ich, ein ebenso wichtiger Gedanke: manche Forschungsrichtungen verschlingen geradezu Unsummen an Kapital. Man denke an Large-Hadron-Collider, Weltraumprogramme usw. Übrigens findet sich gerade ein sehr schöner Artikel zum Thema im "Zeit Weblog": Grundlagenforschung, ein teurer Spaß?

Ich möchte nun wirklich nicht gegen diese beiden (nur beispielhaft erwähnten Bereiche) wettern. Ich glaube aber schon, dass eine Diskussion angemessen ist. So sehr es auch für mich spannend ist zu beobachten, ob nun bestimmte Elementarteilchen gefunden werden oder nicht, ob die kosmologischen Theorien richtig sind oder nicht: die eingesetzten Summen sind enorm und fordern eine fundamentale Diskussion!

Da fällt es mir wirklich schwer gute Argumente für die Bedeutung der Forschung in bestimmten Bereichen der Teilchenphysik zu finden, wenn auf der anderen Seite gerade unser Planet zugrunde geht. Das hört sich vielleicht etwas melodramatisch an, aber ich denke, es muß erlaubt sein, diese Frage klar und deutlich zu stellen. Wenn wir schon Schwerpunkte setzen, warum dann nicht in den wirklich vitalen Fragen der Menschheit?

Andererseits bin ich mir schon im klaren darüber, dass ich mir in gewisser Weise selbst widerspreche: vielleicht ergeben sich aus diesen sehr teuren Grundlagenforschungen genau die neuen Ideen, die wir für die Lösung einiger unserer Probleme so dringend benötigen. Dennoch: der Kapitaleinsatz ist schon massiv verglichen mit den Mitteln die Forschung zu bspw. erneuerbaren Energien oder Biologen die sich mit Biodiversität beschäftigen zur Verfügung stehen.

Oder anders gesagt: die wichtigen Innovationen in der Geschichte der Wissenschaft sind keineswegs immer oder auch nur meistens dort entstanden, wo der Staat am meisten investiert hat; und es rechtfertig nicht, das Austrocken ganzer Wissenschaftslandstriche! Das torpediert vermutlich mehr Innovation als massive Schwerpunktforschung zu schaffen hofft.

Sind nun die wissenschaftlichen Großprojekte unserer Zeit den Problemen denen wir konfrontiert sind angemessen? Ich weiß es nicht.

Montag, 21. Januar 2008

Kapitalistische Interessenskonflikte

Eine Diskussion zwischen Klaus Küng und dem Novartis Vorstandsvorsitzenden über ethische Aspekte in der Wirtschaft im allgemeinen und natürlich im besonderen im Bereich der Pharmazie (Novartis) hat mich motiviert einen kurzen Artikel zu verfassen. Das Gespräch war prinzipiell interessant aber letztlich zu "zahm" geführt. Denn aus meiner Sicht gibt es etliche sehr problematische Entwicklungen in den letzten Jahren, die kaum thematisiert wurden. In kurzen Worten gibt es meiner Ansicht nach eine immer stärker werdende Kluft - einen Antagonismus zwischen den ursprünglichen Motiven die der Pharmaforschung und -industrie zugrundeliegen und dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell. Dieser prinzipielle Aspekt kam in der Diskussion doch viel zu kurz.

Wenn Systeme, die eigentlich ursprünglich eine "gemeinnützige" Motivation hatten in den freien (kapitalistischen) Markt getragen werden, kommt es sehr schnell zu nicht auflösbaren Konfliken, denen sich z.B. das Management kaum entziehen kann. Das Problem wird weiters durch die Trennung der Pharmaindustrie vom "allgemeinen" Gesundheitssystem, das in vielen Fällen noch staatlich getragen wird, verschärft. Dieses sollte wohl an der Gesundheit der Bevölkerung gemessen werden, wie es mit dem Einzelnen umgeht, sowie ob es kostensensitiv vorgeht (siehe auch mein Artikel über "Geld"). Um dieses Ziel zu erreichen ist sicherlich eine Maximierung des Medikamenteneinsatzes wenig hilfreich, auch im Sinne einer Optimierung der Kosten/Nutzen Rechnung.

Diesem Anspruch steht eine "losgelöste" Pharmaindustrie gegenüber, die aus Zwängen des kapitalistischen Systems heraus gar nicht anders kann, als eine Maximierung des Pharmaeinsatzes anzustreben (auch wenn sie das natürlich aus Marketing- und Image Gründen strikt bestreiten würden): dies kann nun entweder durch Erhöhung der Quantität erfolgen, also mehr vom selben zu verkaufen oder dadurch dass man versucht an sich wirkungsvolle und günstige Medikamente durch immer teurere zu ersetzen; auch wenn diese gar nicht wesentlich bessere Resultate bringen, vielleicht sogar das Gegenteil.

Für beide Mechanismen lassen sich etliche Beispiele finden. In Science Friday wurde z.B. kürzlich "Overtreatment" diskutiert, also die Tatsache, dass "Amerika" trotz immer höherer Kosten des Gesundheitssystems und besonders auch der Medikationen nicht gesünder wird. Ein "Medikamentenskandal" um die Medikamente Avastin und Lucentis hat kürzlich Schlagzeilen gemacht und zeigt den Trend billige durch nicht bessere aber teurere Medikamente zu ersetzen, aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung:
"Die einfache Variante der Geschichte geht so: Durch Zufall entdeckte ein amerikanischer Augenarzt im Jahr 2000, dass die bewährte Krebsarznei Avastin nicht nur gegen Tumore, sondern auch gegen ein häufiges Augenleiden hilft. Das Mittel, das ursprünglich zur Therapie von Darmkrebs entwickelt wurde, bekamen deshalb - in niedrigerer Dosis - auch Augenkranke verabreicht. Das Medikament half, Patienten waren zufrieden, Ärzte auch.

In Windeseile sprach sich die neue Behandlungsform herum, sodass mittlerweile mindestens 100.000 Menschen weltweit Avastin ins Auge gespritzt bekommen haben. Etwa 25 Euro kostet eine Behandlung. Eine Zulassung als Augenheilmittel beantragte der Hersteller allerdings nicht - und das sollte sich im Wortsinn später auszahlen. [...] Die Herstellerfirma von Avastin, nennen wir sie zunächst Novartis, veränderte die Chemie des Wirkstoffs minimal. Das reichte, um das Mittel fortan Lucentis zu nennen. Da niemand in Deutschland vorschreiben kann, wie teuer Medikamente sein dürfen, setzte die Firma den Preis des neuen Mittels, das eigentlich das alte ist, auf 1500 Euro fest - für eine Einzeldosis. Zehn Injektionen, so die Einschätzung von Augenärzten, sind nötig, um das Leiden zu stoppen oder sogar besseres Sehen zu ermöglichen."
Ein weiterer guter Artikel zum Thema findet sich auf den 3SAT Webseiten.

Ein entsprechend massiver finanzieller Hintergrund für das notwendige Marketing und Lobbying ist inzwischen natürlich auch vorhanden und wird immer unverblühmter verwendet um auf Ärzte und andere Vertreter des Gesundheitssystems sowie auf die potentiellen Konsumenten Druck auszuüben:

In PLoS Medicine wurde bspw. gerade ein Artikel veröffentlicht, indem die Autoren versuchen Werbe-Budget mit Forschungsbudgets in der Pharmaindustrie in den USA zu vergleichen: das Ergebnis spricht eine klare (und mit meinen Bedenken konstistente) Sprache: Es scheint, dass die US Pharmafirmen doppelt soviel Geld für Werbung als für Forschung und Entwicklung ausgeben. Und das ist meiner Argumentationslinie folgend eine völlig einleuchtende und notwendige Entwicklung. Ob sie auch für uns und unsere Gesundheit wünschenswert ist, sei dahingestellt.

Ergänzung: Ein weiteres nettes Beispiel. Am 27.1. hat Telepolis auf zwei wissenschaftliche Studien verwiesen, die nahelegen, dass der oft zitierte Zusammenhang zwischen Serotoninmangel und Depression eher aus der Feder der Pharma-Industrie-Werbung und weniger aus wissenschaftlicher Erkenntnis entspringen dürfte. Möglicherweise ja wieder Medikamente, die man gut und teuer verkaufen kann!

Damit ergibt sich auch ein weiterer wirklich problematischer Aspekt der Geschichte: die Zukunft der Pharmaforschung. Diese muss sich logischerweise mehr und mehr diesen Kapitaloptimierungszielen unterordnen. Es kann also z.B. nicht von großem Interesse sein, wichtige und wirksame Medikamente billig und für jeden verfügbar zu machen (z.B. auch für die dritte Welt), sondern möglichst immer teurere (scheinbar, jedenfalls für das Marketing) bessere Medikamente auf einen großen Markt zu bringen, und diesen glauben zu machen, daß diese zu einer wesentliche Verbesserung der Lebensqualität beitragen; selbst wenn dies nicht der Fall ist. Siehe auch den Fokus auf de facto wenig nutzbringende life-style Medikamente (Homöopathie, Schlankheitsmittel, Vitaminpräparate, Cremen usw.).

Das Problem ergibt sich also offenbar aus einer Fragmentierung des Gesamtsystems in kleine Teilbereiche, die dann teils fragwürdigen Partikularinteressen folgen. Hätte man tatsächlich die "Volksgesundheit" im Auge, so muß man die Frage stellen dürfen, ob die Milliarden die Menschen in life-style Medikamente investieren, sowie die Summen die in übertriebene oder gar falsche Medikation durch Ärzte aufgewandt werden (bzw. durch oft bei weitem übertriebene diagnostische Massnahmen, aber das ist ein eigenes Thema) nicht wesentlich effektiver eingesetzt werden könnten und damit tatsächlich die Gesellschaft gesunder werden würde. Und das vermutlich bei einer gleichzeitigen Reduzierung der Kosten.

Freitag, 18. Januar 2008

Tractatus Online

Der Tractatus von Wittgenstein gehört zu meinen absoluten Lieblingsbüchern, für mich quasi die "Bibel der Philosophie" ;-)

Aber ernsthaft: mich fasziniert der Tractatus nicht nur wegen des "philosophischen Gehaltes", ich finde, dass es auch aus rein "literarischer" Perspektive ein fantastisches Buch ist. Das Buch ist hierarchisch strukturiert, verästelt sich geradezu mathematisch in immer feinere Definitionen, und spannt gleichzeitig einen Bogen der ganz am Ende nahezu ins Gegenteil gekehrt wird. Für mich hat dieses Werk einen ästhetischen Reiz wie Zeichnungen von M.C. Escher.

Nun bin ich grundsätzlich nicht so ein großer Fan von E-Books, aber gerade in diesem Fall möchte ich das Online Projekt von Christoph Hochholzer empfehlen: tractatus.hochholzer.info. Auf dieser Webseite ist nicht nur das Werk als Text online, sondern kann hierarchisch durchsucht werden. In diesem konkreten Fall wirklich ein Mehrwert, wie ich finde.

Update 12.2.08: Ein Leser hat mich in meiner Begeisterung etwas gedämpft, und einige wichtige Kritikpunkte eingebracht. Ein sehr wichtiger Punkt ist, dass der Ersteller der Webseite nicht angibt, aus welcher Ausgabe der Text stammt. Es scheint hier leicht divergierende Übersetzungen zu geben. Besonders unangenehm ist auch (das ist mir bei meinen Tests nicht aufgefallen), dass die Suchmaschine offenbar mit Umlauten nicht umgehen kann, was natürlich nicht optimal ist. Schade; Dennoch, ein interessantes Projekt, ganz besonders mit dem Tractatus, leider aber mit teilweise mangelnder Qualitätssicherung wie es scheint.

Der Leser hat mich auch auf ein zweites Projekt hingewiesen, das eine deutsch/englische Übersetzung in ähnlicher Weise anbietet. Allerdings gäbe es auch hier problematische Übersetzungen. Das kann ich persönlich nicht verifizieren. Es scheint jedoch wohl so zu sein, dass der Umgang mit älteren Texten und deren Übersetzungen nicht immer ganz einfach ist.

Mittwoch, 26. Dezember 2007

Unsere Zukunft im "Leapfrogging"?

Ich habe ja hier schon einen Artikel über die Idee des Leapfrogging geschrieben und dort meine Skepsis zum Ausdruck gebracht. Kürzlich verbrachte ich einen Monat in Asien: in Hong Kong und v.a. in Indonesien (Java, Bali, Sumatra) und da verliert man eher die Visionen über die Entwicklung Asiens und damit enger verbunden als den meisten von uns klar ist, der Welt: Über Hong Kong braucht man kaum sprechen, dort wird, wie offensichtlich in den meisten großen asiatischen Städten, Strom verschwendet als gäbe es kein morgen (Stichwort: Geschäftslokale auf Kühlschrank-Temperaturen klimatisiert und dies bei offener Tür). Obwohl, um wieder einmal abzuschweifen, auch wir in Europa tendentiell in vielerlei Hinsicht sicher nicht effizienter sondern ineffizienter werden. Im Oktober in Wien bspw. konnte ich meinen Augen nicht trauen als ich Eisgeschäfte gesehen habe, die ihren ganzen Schanigarten mit Gas-Heizgeräten gewärmt haben um länger im Freien Eis verkaufen zu können. Ähnliches soll sich in Großbritannien im Herbst und Winter vor Pubs abspielen um den Rauchern den Aufenthalt im Freien angenehmer zu machen. Auch in privaten Gärten erleben die Gasheizer einen Boom. Es ist eines einen Wohnraum zu heizen, aber wie zurückgeblieben sind wir, dass wir große Mengen an Erdgas verbrennen um es im Freien in einem ganz engen Radius etwas wärmer zu haben?!
Zurück nach Asien: noch nachdenklicher hat mich natürlich Indonesien sowie ein Artikel gemacht, der auf eine neue Auto-Produktion in China hinweist, Tata Cars: diese Firma möchte PKWs für unter 3000 $ herstellen um eine große Menge an Menschen in Indien, China usw. zu versorgen. (Tata Cars, Worldwatch.org: Indian cars for under 3000 $)

Auf der einen Seite ist es ein klar, dass Inder und Chinesen dasselbe Recht auf Mobilität haben wie wir Europäer und Amerikaner, auf der anderen Seite bedarf es keiner großen Phantasie, dass (derartige) Autos in großer Zahl eine Katastrophe für jede Bemühung darstellen den Treibhausgas-Ausstoss zu verringern um den Klimawandel etwas weniger katastrophal zu halten. Was ebenso wichtig ist, es torpediert natürlich auch jedes Konzept der Planung vernünftiger und nachhaltiger öffentlicher Transportinfrastruktur (Leapfrogging im Bereich der Stadtplanung) , wie man ganz leicht in Städten wie Jakarta, Teheran oder Medan sehen kann. Der ungebremste und ungesund billige Autoverkehr dupliziert die Fehler die v.a. in den USA auf großem Massstab vorlgelebt wurden. Es ist weiters auch klar, dass diese Autos bei diesem Preis kaum über modernes Motormanagement verfügen werden bzw. auf besondere Effizienz hin entwickelt werden.

Welche Plätze auch immer ich in diesen Ländern besucht habe, es war der massive Drang nach mehr Kommunikationsmitteln (Mobiltelefonie, Internet) sowie Mobilität zu spüren. Auf Sumatra, ebenfalls einer großteils recht unterentwickelten Region in Indonesien boomen wie fast überall die Motorräder. Auch diese sind sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss was Effizienz und Umweltbelastung betrifft, und der Trend ist klar: jeder der heute ein Moped besitzt möchte in den nächsten Jahren ein Auto fahren, und zwar ein möglichst großes.

Folgt man der Idee des Leapfrogging, so müssten gerade diese Regionen mit den modernsten Technologien aufrüsten, also z.B. Elektroautos mit Strom der aus Solaranlagen gewonnen wird. Tatsächlich ist (s.o.) genau das Gegenteil der Fall. Es werden die Fahrzeuge dort gebaut und verkauft, die in Europa und Amerika sicher keinen Abnehmer mehr finden würden, und die Energieversorgung geht ganz konventionelle Wege, sprich baut auf fossilen Energieträgern. Ein paar Beispiele:

Der Campus den ich auf Indonesien besucht hatte verfügt natürlich über Warmwasser-Aufbereitung (z.B. für Duschen). Nun liegt Sumatra nahe dem Äquator und der Leapfrogging Idee zu Folge würde es Sinn machen das Warmwasser über Sonnenkollektoren zu produzieren. Tatsächlich findet man elektrische Boiler, die noch dazu von einem lokalen Dieselaggregat mit Energie versorgt werden, weil das Stromnetz derartig überlastet und unzuverlässig ist, dass eine durchgehende Stromversorgung kaum garantiert ist. Nun muss man bedenken, dass eben dieser Campus aber zu den fortschrittlichsten Punkten in der Region zählt, und der Direktor ein wirklicher Visionär im positiven Sinne ist. Er hatte bspw. die Idee der Solarthermie schon angedacht aber sie war mangels Verfügbarkeit der Materialien und wegen mangelnden Wissens der lokalen Arbeiter und Techniker bis jetzt nicht umsetzbar.
Dies scheint auch eine wichtige Lehre zu sein: Es ist eine ehrewerte Idee Entwicklungsländer mit modernen und effizienten Technologien versorgen zu wollen, nur kann dies nur dann funktionieren, wenn die entsprechenden Anreize vor Ort gegeben sind, sich mit diesen Technologien auch entsprechend vertraut zu machen und diese selbst warten zu können. Andernfalls führt dies zu einer für diese Gegenden nicht zu bezahlenden Abhängigkeit zu den Lieferanten. Dazu kommt: wenn jedes Ersatzteil inklusive Techniker aus Jakarta eingeflogen werden muss, ist es mit der Energieeffizienz auch nicht mehr weit her.

Weiters beginnt man scheinbar in Indonesien nun ebenfalls die reichlich vorhandenen Kohle-Vorkommen wiederzuentdecken. Der massiv steigende Energiebedarf und die Tatsache, dass weit entfernte Regionen zu versorgen sind legt dies ökonomisch betrachtet auch nahe. Eine "klare" und nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten logische Strategie wie man an China erkennen kann; meines Wissens nach wird zur Zeit eben in China etwa alle 10 Tage ein neues Kohlekraftwerk gebaut. Derselbe Trend könnte sich in Indonesien abzeichnen. Von einem Land mit massiver Wasserkraft hin zu Kohlekraftwerken.

Wie so häufig in einer verkehrten Wirtschaftswelt: ökonomisch betrachtet kurzfristig sinnvoll,für die Menschen, die Gesellschaft, die Umwelt und natürlich auf für die Wirtschaft langfristig betrachtend aller Voraussicht nach verheerend. Und wichtig zu ergänzen: nicht nur für Menschen, Umwelt und Wirschaft in Indonesien, sondern in einer "flachen" Welt natürlich für die ganze Welt.

Samstag, 15. Dezember 2007

Ewige Wahrheiten, eine Weihnachtsgeschichte

"Truth, in matters of religion, is simply the opinion that has survived", Oscar Wilde
Sollte man nicht erwarten, dass heilige Bücher wie z.B. die Bibel, die ja, glaubt man den Vertretern der jeweiligen Religion, "direkt" von Gott stammen, wenn sie auch durch menschliche Interpreter niedergeschrieben wurden in einer Weise "ewige" Wahrheit sein sollten? Nun gibt es auch heute noch orthodoxe Gläubige, z.B. solche die die Bibel wörtlich auslegen: Über das, was hier zustande kommt, braucht man einem einigermassen aufgeklärten Publikum wohl kaum zu berichten (man denke an die Erschaffung des Menschen, der Erde, die hier angenommenen bzw. aus der Bibel "ausgelesenen" Zeiträume, sowie die Ablehnung der Evolution usw.), hier haben wir es dann ganz offensichtlich mit ewigen Dummheiten und nicht Wahrheiten zu tun.

Im westlichen (ausgenommen amerikanischen) aufgeklärten Kontext ist dies ohnedies eine relativ bedeutungslose Minderheit. "Wir" in Westeurope sind hingegen häufig stolz darauf (also ich weniger, aber anscheinend große Teile der Gesellschaft), dass die meisten Gläubigen hier die Bibel zeitgemäß interpretieren. Die Religionsführer (Pfarrer, Bischöfe, ...) werden dann entweder elegant links liegen gelassen oder sind auf diesen Trend eingeschwenkt.

Nun, das mag aus meinem Mund eigenartig klingen, aber dieser Trend zur Neuinterpretation ist zwar eine sehr menschliche Vorgehensweise, in Wahrheit aber eine Bankrotterklärung die mit Wahrheit nichts zu tun hat. Die Schritte die man erkennen kann sind etwa folgende: Man stellt zunächst fest, dass die Inhalte die bspw. durch die Bibel sowie durch die Religionsgemeinschaften über Jahrhunderte verbreitet wurden "beim besten Willen" nicht mehr tragbar sind. Sie sind jedem intelligenten Menschen nicht mehr zumutbar. Nun tritt das psychologisch interessante Phänomen ein: Die Gläubigen haben nicht den Mut, die klaren Konsequenzen zu ziehen, den fragwürdig gewordenen Glauben zu bezweifeln und bessere Wege zu suchen. Dies ist natürlicherweise für viele schwierig, weil hier erhebliche "Investitionen" gemacht wurden. Immerhin hat man (man erlaube mir den Kalauer) vor Gott und der Welt über lange Zeit behauptet, dass man eben hinter diesem Glauben und den jeweils dazugehörigen heiligen Schriften steht. Nun stellt man aber fest, dass dies beim besten Willen nicht mehr haltbar ist, was also ist die Lösung:

Die zeitgemäße Interpretation.

Und fort ist die ewige Wahrheit, und niemandem ist es aufgefallen, dass diese auf dem Weg der Interpretation hinten runter gefallen ist. Fällt es uns wirklich so schwer, die richtigen Konsequenzen zu ziehen?

Machen wir ein Gedankenexperiment mit ein paar zugegeben unwahrscheinlichen aber notwendigen Annahmen: (1) Es gibt einen Gott (2) dieser hatte einen Sohn der (3) auf die Welt gekommen ist um uns (4) göttliche Wahrheiten zu offenbaren die es (5) in eine "heilige" Schrift geschafft haben, die (6) die Basis für Millionen Gläubige ist.

Nun stellen wir heute (zurecht!!) fest, dass dieser Text und die darauf aufbauenden Kirchen über weite Strecken schlicht und ergreifend unakzeptabel geworden ist. Was lernen wir nun daraus? Nicht etwa, dass die obigen Annahmen vielleicht falsche waren, und wir die entsprechenden Konsequenzen ziehen müssen. Nein! Wir schließen daraus, dass diese fragwürdigen Annahmen unbedingt (warum eigentlich??) gehalten werden müssen und stellen damit fest, dass Gott nicht in der Lage war sich in seinen heiligen Texten klar auszudrücken (bzw. seine Propheten nicht unter Kontrolle hatte dies zu tun), und es folglich unserer Weisheit bedarf seine fragwürdigen Aussagen interpretativ gerade zu ziehen.

Das ist doch eigenartig, oder nicht? In diesem Sinne sind doch wohl die bibeltreuen und sonstigen orthodoxen Gruppen die ernsthafteren und auf eine ganz eigenartige Weise die ernst zu nehmenderen Gläubigen. So furchtbar natürlich deren Lebenspraxis und Glaube häufig ist; er ist immerhin konsistent! Auch wenn sie die Realität vollständig auszublenden müssen um eine Schrift und deren angenommene Wahrheit zu verteidigen.

Sie zeigen uns damit unbewusst die volle Absurdität der "überlieferten" Wahrheit! Warum wollen wir das nicht erkennen und endlich die richtigen Schlüsse ziehen: nämlich dass man sich von bestimmten lieb gewordenen Angewohnheiten einfach auch mal trennen können muss, wenn deren Absurdität so offensichtlich geworden ist.
"[...] the evidence of history makes it clear that, as time has passed, people's moral sense about what is permissible and what is heinous has shifted, and along with it their convictions about what God loves and hates.", Daniel C. Dennett, Breaking the Spell, Penguin (2006)
Erkennen wird doch endlich, dass es keine metaphysischen Eingebungen und vor allem keine ewigen Wahrheiten gibt. Was sich z.B.in der Bibel manifestiert sind nichts anderes als Vorstellungen die von Menschen der Zeit eingebracht wurden, die zum Teil auf alte historische Quellen und Traditionen wurzeln. Dies ist der Grund, warum die Bibel heute nicht mehr relevanter ist als viele andere Texte der Zeit ist (und in einem solchen historischen Kontext durchaus studiert werden kann, Seite an Seite mit Platos Gesellschaftsvorstellungen und Aristoteles' Ethik.) und warum es keine einzige historische Gottesvorstellung gibt, die die Zeit überdauert hätte. Ein wahrer Gott hätte das nicht verdient, lernen wir daraus!
"[...] modern theists might acknowledge that, when it comes to Baal and the Golden Calf, Thor and Wotan, Poseidon and Apollo, Mithras and Ammon Ra, they are actually atheists. We are all atheists about most of the gods that humanity has ever believed in. Some of us just go one god further.", Richard Dawkins quoted in Daniel C. Dennett, Breaking the Spell, Penguin (2006)

Donnerstag, 29. November 2007

Es ist ja "nur Geld"?

In öffentlichkeitswirksamen Diskussionen wird fallweise das "Killerargument" eingeworfen, es ginge ja "nur um Geld", und man könnte doch ein Menschenleben nicht wegen einer bestimmten Summe riskieren. Z.B. in Diskussionen wo mit diesen Argumenten besonders teure Behandlungsformen gerechtfertigt werden sollen, und auf der anderen Seite z.B. die Vertreter von Krankenkassen sitzen. Die Rollenverteilung ist dann doch recht klar: Die Vertreter der Krankenkassen sind böse, die "nur Geld" Argumentierer sind die guten Humanisten.

Dies ist nur ein Beispiel, denn dieses Muster findet man in verschiedenen Kontexten wieder. "Es kann doch nicht sein dass nur wegen (beliebige Summe einsetzten) dies und jenes nicht verwirklicht werden kann". "Am Geld darf doch dies und jenes nicht scheitern (mehr Lehrer, Pensionserhöhung)."

Geld ist für uns immer noch ein abstrakter Begriff, und wir vergessen in diesen Diskussionen leider, dass es eben nicht "nur" um Geld in einem abstrakten Sinne geht, sondern dass eben dieses Geld tatsächlich für Möglichkeiten steht. Das Geld repräsentiert Optionen, Resourcen und wie wir diese nutzen ist gut abzuwägen. Investieren wir 100.000 Euro in die Behandlung einer einzelnen Person (um ein Beispiel zu nennen), so bedeutet dies, dass diese 100.000 Euro für viele andere Dinge nicht mehr zur Verfügung stehen: z.B. für Forschung und Wissenschaft, für Kinderbetreuung, für den Strassenbau, für Präventivmassnahmen im medizinischen Bereich, die eventuell tausenden zu gute kommen oder für Dienstwägen von Politikern.

Allgemeiner gesagt, Resourcen sind immer ein begrenztes Gut und insofern muss es uns klar sein, dass wir eine "Ausgabe" eine "Verwendung" auf der einen Seite mit einem Entzug oder jedenfalls einem Nicht-Einsatz an einer anderen Stelle erkaufen.

Das soll natürlich nicht bedeuten, dass es nicht gute Gründe geben kann in einzelne Personen 100.000 Euro für medizinische Behandlungen zu investieren. Wir können und sollen dies vermutlich tun, es muss uns nur klar sein, was mir mit solchen Entscheidungen tatsächlich bewirken. Kaufen wir statt dieser 100.000 Euro einen Dienstwagen weniger ist dies vermutlich eine gute Entscheidung. Investieren wir deswegen 100.000 Euro weniger in medizinische Forschung muss dies gut durchdacht werden.

Um den Einwand gleich vorwegzunehmen: sicherlich können Resourcen zu einem gewissen Maße vermehrt , effizienter eingesetzt werden usw. Aber auch dies bedeutet wiederrum Resourceneinsatz der vorher notwendig ist, z.B. in effizienzsteigernde Maßnahmen oder in Forschung usw. Geld übrigens, dass selten von denjenigen kommt, die es so leichtfertig als Argument gebrauchen. Und das Geld anderer, die Resourcen "der Gesellschaft" (wieder ein abstrakter Begriff) lässt sich natürlich immer leicht ausgeben.

Es ist also eigentlich niemals "nur Geld", es ist tatsächlich immer eine Abwägung welchem Problem wir welche Aufmerksamkeit und welche Beachtung, und damit auch welchen Resourceneinsatz widmen. Dies wird über den Faktor Geld ausgedrückt. Und damit haben wir eine Diskussion auf einer ganz anderen Ebene! Und die Diskussionen sollten dann auch tatsächlich auf der richtigen Ebene geführt werden also z.B.:
  • Wie wollen wir begrenzte Mittel möglichst gerecht verteilen
  • Wie wollen wir begrenzte Mittel und Resourcen effizienter einsetzen
  • Wie wollen wir die vorhandenen Mittel vermehren (z.B. durch gerechte Beiträge zu Krankenkassen und gerechte Steuersysteme)
  • Was bedeuetet eigentlich "gerecht", "ethisch" usw. im jeweiligen Kontext
Nehmen wir also einerseits "Geld" ernster und lösen wir uns damit auch gleichzeitig davon indem wir die Diskussion auf das tatsächliche Thema zurückführen!

Samstag, 24. November 2007

Über die Unfähigkeit in Systemen zu denken

Gerade habe ich eine eindrucksvolle "Aula" von Prof. Friedrich Schmidt-Bleek zum Thema Ungebremster Raubbau an der Natur gehört. Er hat mich (leider) wieder in meinem Glauben bestätigt, dass wir als Menschen im allgemeinen und ganz besonders als Gesellschaft kaum in der Lage sind systemische Probleme als solche zu betrachten und zu versuchen einer Lösung zuzuführen.

Was typischerweise passiert ist, dass wir irgendeines Symptoms gewahr werden, z.B. dem Zuwachs and CO2 in der Atmosphäre und den entsprechend beunruhigenden Konsequenzen, dass wir aber nicht in der Lage sind einen Schritt zurück zu machen und versuchen das System im Ganzen zu betrachten. Wir fokussieren und nun in geradezu manischer Blindheit darauf, wie wir z.B. den CO2 Ausstoss von Autos oder gar Flugzeugen verringern können. Vielleicht gelingt es Autos zu bauen, die statt 8 Litern mit 5 Litern auskommen?! Oder Flugzeuge die etwas ökonomischer Fliegen, oder LKWs, die etwas weniger Russ-Partikel auswerfen.

Schmidt-Bleek versucht nun das System als ganzes wieder in den Blickwinkel zu bringen; er zeigt z.B. dass die Herstellung eines goldenen Ringes von wenigen Gramm, wie wir ihn am Finger tragen mit etwa 2 Tonnen an Materialumsatz bei Abbau und Produktion verbunden ist, ebenso die Produktion von vielen Industriegütern wie Autos: Betrachtet man die Lebensdauer eines Autos (200-250.000 km) so macht der Benzinverbrauch laut Schmidt-Bleek nur etwa 15-20 Prozent des Gesamtenergieverbrauches (!) aus. D.h. des Energieverbrauches, der durch Produktion, Transport usw. des Fahrzeuges angefallen ist. Wir diskutieren nun, wie man diesen verhältnismässig kleinen Anteil um wenige Prozenz zu verringern, anstatt das ganze Bild zu betrachten. Die notwendige Infrastruktur um das Auto zu betreiben (Strassen, Tankstellen, etc) brauchen nochmals einen Faktor 10 mehr an Energie.

Er bringt neben vielen anderen ein weiteres sehr bedenkenswertes Beispiel: Im Ruhrgebiet, wo massiv Kohle abgebaut wurde/wird, und dies offensichtlich für lange Zeit kommerziell sehr erträglich, gibt es nun große Gebiete (von etws 70-25.000 ha Größe) wo die Oberfläche im Schnitt um 6 m abgesunken ist. Diese Gebiete die heute großteils bewohnt sind, würden nun zu einem erheblichen Teil mit Wasser vollaufen: d.h. es muss das Wasser abgepumpt werden. Für diese Pumpen (Produktion und Betrieb) muss natürlich Energie aufgebracht werden. Es wird also ein Zeitpunkt in der Zukunft kommen, wo der Energieverbrauch der durch den Abbauvorgang, den Pumpvorgang etc. dem entspricht, der durch die Kohle vorher gewonnen wurde.

Gerade dieses Beispiel zeigt sehr schön, dass viele der Aktivitäten, die wir heute unternehmen nichts anderes als ein Kredit an der Zukunft ist. Nun ist gegen einen Kredit im Einzelfall vielleicht nichts einzuwenden. Wenn wir aber wieder versuchen das System, die Gesellschaft als ganzen zu betrachten, muss die Frage erlaubt sein, ob es sehr sinnvoll ist einen solchen Energie-Kredit aufzunehmen, um damit Energiverschwendung wie sie in heutigen westlichen Lebensstilen üblich ist, zu finanzieren.

Schmidt-Bleek stellt die meines Erachtens nach sehr wichtige Forderung auf, den "Rucksack" der mit jedem Produkt das wir kaufen oder verwenden verbunden ist, also der Material und Energieumsatz der für Produktion und Transport erforderlich ist, transparent zu machen und diesen als Basis für die Preisgestaltung von Produkten heranzuziehen.

Ich würde gerne ergänzen, dass auch andere gesellschaftliche und politische Kosten hier hinzuzufügen wären: Leider spiegeln sich ja die realen Kosten bei vielen Resourcen keineswegs mehr in den Preisen wieder. Ich habe kürzlich über Benzin- und Ölpreise diskutiert. Ehrlicherweise müssten in diese Preise ja auch (um nur einen Aspekt zu zitieren) auch Militärkosten eingerechnet werden. Wenn die USA eine massive (und wohl massiv überdimensionierte) Armee betreibt, so tut sie dies ja zu einem wesentlichen Anteil auch zur Resourcen-Sicherung. Dies kann dadurch geschehen, dass Kriegsschiffe auf Routen patroullieren, die von Tankern befahren werden, dass man andere Länder bedroht oder dadurch dass man in den Irak einmaschiert. Diese Kosten aber werden nicht ehrlicherweise auf den Ölpreis geschlagen, sondern durch allgemeine Steuermittel kaschiert. Dasselbe trifft zu, wenn wir Kosten im Gesundheitssystem haben, der bspw. von Feinstaub verursacht wird, der wiederrum von Industrie, Hausbrand und Verkehr emittiert wurde. usw.

Natürlich wird man das nicht leicht alles quer-verrechnen können, die systemischen Abhängigkeiten sind sicherlich äußerst komplex aber es wäre hoch an der Zeit sich Strategien zu überlegen, wie man zu einer gerechten Bepreisung von Gütern und Dienstleistungen kommen könnte.

Ich möchte diesen Artikel gerne noch mit einem Zitat von Rupert Riedl aus "Neugier und Staunen" abschliessen:
"Unser Ursachenkonzept simplifiziert die Welt in dreifacher Weise: Wir stellen uns lineare Zusammenhänge vor, reden von Ursache und Wirkung, als ob, wie im selbst gebastelten Experiment, ein erster Anfang einem folgenlosen Ende gegenüberstünde, und wir scheuen die Vorstellung rekursiver Kausalität, dass es im Grunde keine Wirkung gibt, die nicht letztlich auf die eigene Ursache zurückwirkt. [...] Tatsächlich haben alle Industrien über ein Jahrhundert Ursachenketten gerade gerichtet, Materialien ein- und Produkte ausgeworfen und nicht beachtet, wie das, was herauskommt, auf das wirkt, was hineingesteckt wird.

Und zuletzt ist auch unser Konzept von der Hierarchie der Zwecke in der komplexen Welt unangepasst, anthropozentrisch verdreht. Fragen wir einen, warum er Ziegel in ein Wäldchen karrt, wird er's auf sein Bauen, das nächste Obersystem zurückführen, den Zweck des Bauens auf seine Bedürfnisse, seinen eigenen Zweck noch bestenfalls auf Wertschöpfung; fragt man aber weiter nach den Zwecken seiner Gesellschaft und der Biosphäre, wird sich die Zweckvorstellung umkehren. Er wird annehmen, dass die Gesellschaft für seine Zwecke, die Biosphäre zum Zweck der Gesellschaft da wäre; wo er doch ganz offenbar, selbst ein Teil seiner Gesellschaft und der Biosphäre, für deren Erhaltungsbedingungen beizutragen hat. Ein Gutteil der Umweltproblematik geht auf solche Anthropozentrik zurück."

Sonntag, 18. November 2007

Menschenwürde und Klonen

Seit kurzem gibt es ja sowohl von "Gehirn und Geist" als auch vom "Spektrum der Wissenschaft" Blogs: wissenslogs und brainlogs. Mir gefallen diese neuen Blogs sehr gut, weil sie neben den Heft-Artikeln eine direktere Interaktion und Diskussion mit Autoren und Redakteuren erlauben.

Heute ist mir da auch gleich ein Beitrag ins Auge gestochen: "Send in the Clones". In diesem Beitrag setzt sich der Autor kritisch mit der seiner Ansicht nach übertriebenen Interpretation der Menschenwürde in Hinsicht auf das Klonen von Menschen auseinander:
"Doch was haben diese unmenschlichen Greuel mit dem reproduktiven Klonen gemein? Inwieweit würde ein Kind, das durch einen Zellkerntransfer entstanden ist, in seiner Würde verletzt? Ist es demütigend, mit einem Genotyp zur Welt zu kommen, der schon existiert? Eineiige Zwillinge scheinen dies nicht so zu empfinden! Kann mir also bitte irgendjemand ein Licht aufstecken?"

Ich teile durchaus die Ansicht, dass der Begriff der "Menschenwürde" einer (neuen) gründlichen Diskussion bedarf. Allerdings meine ich auch, dass in diesem Blog Artikel ein wenig zu schnell geschossen wird, respektive, ein zu schneller, nicht wirklich durchdachter Schluss gezogen wird: Denn der Vergleich zu Zwillingen hinkt aus zwei wesentlichen Gründen:

(1) Die Anzahl der (möglichen) Zwillinge oder allgemeiner Mehrlinge ist durch die Natur doch sehr eng begrenzt. Mir ist es medizinisch nicht wirklich klar wieviele eineiige Zwillinge maximal geboren werden können, aber nehmen wir einfach mal die Anzahl der Mehrlinge an: und dies sind sicherlich maximal 4-5.

Anders gesagt: jeder Zwilling kann naturgemäß nur sehr wenige genetisch gleichartige Brüder/Schwestern haben. Eine derartige Einschränkung ist grundsätzlich gedacht, beim Klonen natürlich nicht gegeben; theoretisch können beliebig viele genetisch identischer Klone von einer "Quelle" erzeugt werden. Und in diesem Fall meine ich, macht diese "Quantität" wohl einen Unterschied in der Betrachtung!

(2) Natürliche Zwillinge sind zwangsläufig immer gleich alt. D.h. die Entwicklung der Geschwister läuft parallel ab. Klone können völlig unterschiedlichen Alterns sein, und dies könnte natürlich bisher ganz unbekannte psychologische Effekte haben! Man denke sich ein Szenario, wo ein Klon weiß, dass ein anderer Klon, bspw. 25 Jahre älter, ein höchst erfolgreicher Wissenschafter, Musiker etc. ist. Dies könnte den jüngeren Klon einem Druck aussetzen, der bisher nicht bekannt ist: denn der ältere Klon hat ja nunmal dieselben Anlagen, warum ist dann bspw. der jüngere nicht so erfolgreich usw. Auch das Gegenteil könnte passieren: Ein jüngerer Klon könnte psychologisch unter Druck geraten, wenn ältere Klone systematisch unter bestimmten Krankheiten leidet, kriminell ist o.ä.

Kurz gesagt: ich glaube, dass die Forderung, den Begriff der Menschenwürde neu zu diskutieren gut und richtig ist, die Argumentationslinie in Bezug auf das Klonen halte ich aber in dieser kurzen Form für eher oberflächlich und nicht ganz durchdacht.

Donnerstag, 1. November 2007

Reisen

Ich denke in den letzten Wochen auch sehr viel über das Reisen an sich nach, wie wir heute hektisch von einer Destination zur nächsten jetten. Einerseits glaube ich schon, dass das Reisen auf dieser breiten Basis wie es heute unternommen wird positive Wirkungen hat. Ich denke, dass diejenigen, die Reisen durch die Vielzahl der Eindrücke auch mehr Respekt und Verständnis gewinnen; andererseits führt die Globalisierung auch zu einer Vereinheitlichung, Nivellierung (und dies nicht immer nach unten). Wie ich schon in einem der ersten Postings geschrieben habe: wird man an irgendeinem Flughafen der Welt ausgesetzt fällt es auf Anhieb kaum leicht zu erkennen wo man gestrandet ist; überall dieselben Geschäfte, Restaurant-Ketten, Bekleidung.

Gerade Bandung, wo ich mich zur Zeit aufhalte, vermittelt mir hier zwiespältige Erinnerungen; bei einem meiner ersten Besuche hier, wurde ich zu einer indonesischen Musikveranstaltung eingeladen wo mit traditionellen Instrumenten (Anklungs unter anderem) gespielt wurde. An sich eine potentiell sehr interessante Erfahrung, weil Anklungs sehr schöne Instrumente sind, mit einer ganz anderen Musiktradition im Hintergrund als bei uns bekannt. Nun war dies aber eine Touristenveranstaltung schlimmster Sorte (und das in Bandung, wo man ohnedies kaum westliche Touristen trifft): Das an sich gute Orchester hat nicht etwa indonesische Musikstücke gespielt, was ich erwartet und erhofft hatte, sondern unter anderem Mist wie "Tulpen aus Amsterdam".

Man stelle sich das lebhaft vor: man ist Mitten in Indonesien und auf traditionellen indonesischen Instrumenten wird europäischer Mist gespielt. Das alleine wäre schlimm genug gewesen; was mir dann allerdings tatsächlich den Glauben an die Menschen angekratzt hat war die Beobachtung der anderen Touristen. Ich hätte erwartet, dass sich eine gewisse peinliche Stimmung ausbreiten würde. Tatsächlich haben meine europäischen Kontinentsleute aber fröhlich mitgeschunkelt und mitgesungen. Was darf man sich dabei denken?


Was überwiegt nun, die positiven oder die negativen Effekte? Ich persönlich bedaure zwar einerseits, dass wir es mit einer Amerikanisierung sondergleichen zu tun haben (auch hier in Bandung an jedem Eck ein McDonalds, Circle K, Kentucky Fried Chicken, Dunkin Donuts, Starbuck, Burger King usw.), andererseits entfernen internationalen Einflüsse aber auch Borniertheiten aller Art schneller als es alle anderen Aktivitäten zu tun in der Lage waren. Nicht ohne Grund verlieren bspw. Religionen oder radikale politische Strömungen dort am schnellsten und am stärksten an Einfluss wo es den meisten internationalen Einfluss gibt. (Dies alleine spricht gegen Ausgrenzungen aller Art!) Natürlich würde man das vor Ort kaum zugeben (und vereinzelte Spinner die leider wie in Indonesien Bomben zünden oder andere Dummheiten ausbrüten verzerren das mediale Bild dramatisch), aber de facto werden viele dieser kulturellen Eigenarten einfach auf folkloristische Attrappen reduziert und das ist nicht immer ein Fehler. D.h. mich persönlich stört weniger, dass wir immer stärker einer Art der globalisierten Identität zustreben, das wäre für mich wenig erschreckend; was mich stört ist die Art der Identität die wir anstreben.

Es ist eben weniger eine von (humanistischen) Idealen geprägte Identität sondern leider oft eine der geradezu brutalen Ökonomisierung und des rauschhaften Konsums.


Ich habe über die Art des Reisens und die entsprechenden Einflüsse auch darum nachgedacht, weil ich mich gerade ein wenig mit Demokrit beschäftigt habe. Dieser war einer der reisefreudigsten Philosophen des antiken Griechenlands. Man sagt er hätte sich in Griechenland, Ägypten dem alten Persien von den jeweils ansässigen Gelehrten ausbilden lassen und wäre bis nach Indien vorgedrungen (und hat dabei das Vermögen seines Vaters durchgebracht, das nur am Rande).

Wenn man versucht sich diese Art der Reise, die sich zweifellos über Jahre gezogen hat vorzustellen. Es gab wohl kaum eine touristische Infrastruktur die wir heute automatisch überall erwarten; ich kann mir auch nur schwer vorstellen, wie die sprachlichen Barrieren überwunden wurden. Immerhin hat er sich ja offenbar nicht nur die Pyramiden angesehen, sondern in all diesen Ländern auch "studiert"! Man denke an die Strapazen und Gefahren einer solchen Reise bis nach Indien, und die unwahrscheinlichen Unwägbarkeiten. Es gab ja auch keine Landkarten, Reiseführer sowie keine einheitlichen Kalender oder Währungen und dergleichen.

Wenn man dies weiterdenkt stelle ich mir wirklich die Frage ob wir wieder an einem Punkt angelangt sind (wie ich kürzlich in einem anderen Posting über die Quantentheorie geschrieben habe), wo wir eigentlich semantische Verwirrung stiften, wenn wir für die heutigen Aktivitäten sowie die damalige dasselbe Wort nämlich "Reisen" verwenden. Natürlich, in beiden Fällen fährt man von einem Ort weg um zu einem anderen zu gelangen, aber alles weitere muss sich so dramatisch unterscheiden, dass wir mit diesem Work kaum dieselbe Aktivität beschreiben können.

Aber um zum Reisen zurückzukommen: Die Reisenden dieser Zeit haben sicherlich auch nicht unerheblich zum kulturellen Wandel beigetragen, aber einerseits auf längeren Zeitskalen, andererseits geprägt von Reisen gebildeter Menschen die neue Ideen verbreitet haben. Da wir zum Glück mehr und mehr in Demokratien leben, ist es vermutlich schon der richtige Weg einer breiteren Basis von Menschen die Möglichkeit des Reisens zu geben.

Es wäre nur schön, wenn wir alle diese Möglichkeit auch konstruktiver nutzen würden und unseren Begriff des Reisens wie wir in heute verstehen wieder ein wenig hinterfragen würden: Vielleicht wieder hin zu der Idee eine Reise als einen länger dauernden Prozess zu verstehen, dem auch genug Zeit eingeräumt wird um bestimmte Dinge besser zu erkennen und verarbeiten zu können; auch abseits vom hermetisch abgeschlossenen Ferienghetto westlicher Prägung.

Donnerstag, 25. Oktober 2007

Systeme und Strukturen

In den letzten Tagen habe ich wieder intensiver über Systeme nachgedacht und dabei ist mir der Gedanke gekommen, dass man vermutlich besser zwischen Systemen und Strukturen unterscheiden sollte. Beide wechselwirken in einer intensiven Art und Weise miteinander, bedingen einander, das ist klar. Die Struktur übt aber eine überaschend bestimmenden und auch Hemmenden Einfluss auf die Möglichkeiten und Freiheitsgrade, die ein System hat aus (und das ist vielleicht der überraschendere Teil der Überlegung):

Ich denke, die meisten sind sich über die systemische Natur unserer Umwelt im weitesten Sinne bewusst, denken aber, das diese prinzipiell recht flexibel und modifizierbar sind. Also bspw. das politische System eines Landes, die Struktur eines Unternehmens, Lebensstil, oder die Art und Weise wie Wissenschaft gemacht wird. In diesem Sinne sind die systemischen Eigenschaften eher die dynamischen, auf Interaktion bezogene Eigenschaften also z.B. die direkt an den Menschen gekoppelt sind, also eben das Verhalten der Menschen selbst, die Kommunikation im allgemeinen (wer kommuniziert mit wem, wann, wie...), die getroffenen Aussagen im besonderen, die Mobilität (z.B. Reisen), Finanzflüsse etc. Die strukturellen Eigenschaften wären dann eher Artefakte, statische Dinge wie Gebäude, Kommunikationsnetze, Strassen, Flughäfen, aber auch Bibilotheken, Bücher, Filme (nicht der Inhalt derselben, sondern die "Hardware", also die Formate, Art und Weise wie diese produziert werden).

Die Strukturen sind also, in der ersten Betrachtung, ein Produkt der Systeme. Um ein Beispiel vom letzten Posting aufzugreifen: wenn ich ein Auto erfinde, und dieses sich systemisch/konzeptionell beginnt durchzusetzen so benötigt dies weitere Änderungen die sich aber nun strukturell niederschlagen: Tankstellen, ein Tanstellenversorgungssystem, Ölindustrie, Tanker, Strassen usw. dies ist eine Mischung aus neuen Systemen die entstehen (also z.B. petrochemische Betriebe) aber auch Strukturen die geschaffen werden (z.B. die Tankstellen, der Strassenbau), zunächst nur der Unterstützung eines neuen Systemes (dem Autoverkehr) dienen.

Beharrende Effekte von Strukturen

Dies ist aber eben nur die erste Betrachtung, und vielleicht sollte in dieser Hinsicht mein voriger Artikel etwas erweitert werden. Systeme sind in sich schon häufig äußerst resistent gegenüber Veränderungen (bzw. werden in ihrere Komplexität und Vernetzung dramatisch unterschätzt und Änderungen an Parametern haben ganz andere Auswirkungen als geplant). Bleiben wir aber zunächst beim Auto-Beispiel: Selbst wenn die Auto Industrie bessere (weniger umweltschädliche) Autos herstellen könnte, bspw. basierend auf alternativen Energieformen so müsste sie starke innere systemischen Widerstände beseitigen um diese auf den Markt bringen zu können. Bspw. ist das Marketing auf klassische Autos geschult, ebenso die Verkäufer und Mechaniker. Weiters ist die "Fachpresse" also Automagazine, Fernsehshows, Film, Unterhaltung sowie das "Mindset" des Konsumenten auf eben diesen bekannten Typ von Fahrzeug geprägt, so lächerlich das bei neutraler Betrachtung auch erscheinen mag. Daß dies ganz unwahrscheinliche Dimensionen annehmen kann kann man an verschiedenen Beispielen sehen:

Mercedes brachte in den 80er oder 90er Jahren Modelle auf den Markt wo man von den 8 Zylindern einige abschalten konnte um ökonomischer fahren zu können. Ein Fehlschlag, der Köufer wollte das nicht, das war nicht das "Fahrerlebnis" das er gewohnt war. Egal wie viel Benzin wir unnötig verbrauchen weil die Leistung nicht benötigt wird, wir wollen 8 Zylinder hören... Elektroautos kämpfen scheinbar mit Akzeptanzproblemen, weil Fahrer an die Dynamik von Benzinmotoren gewohnt sind, und Elektromotoren nunmal ein etwas anderes Fahrverhalten zeigen. Oder man denke an die unglaublich bornierte Diskussion die in Europa über Jahrzehnte gelaufen ist, wo sich die Automatikschaltung lange nicht durchsetzen konnte. Nicht etwa aus rationalen Motiven (bspw. weil diese etwas mehr Benzin verbrauchte, was natürlich ein wichtiges Argument gewesen wäre!) sondern weil die Fahrer ihr Stangerl hin und her schieben wollten, und sich davon nicht lösen wollten. Die Industrie hat diesen Fahrern dann de facto Automatikautos verkauft wo sie dann doch noch ein wenig mit dem Schaltknüppel rumrudern konnten wenn ihnen danach war.

Dies sind alles systemische Eigenschaften und Probleme, und noch dazu unglaublich banale, ja geradezu dumme möchte man sagen. Nun scheitert(e) so manche Innovation schon an solchen lächerlichen systemischen Problemen. Hinzu kommen aber, und das ist nun der oben angeführte Gedanke, zusätzlich noch strukturelle Probleme. Ich bleibe beim Auto Beispiel: es werden sich bestimmte Antriebe auf lange Zeit nicht durchsetzen weil die vom vorigen System (flüssige Kohlenwasserstoffe) geschaffenen Strukturen noch viel persistenter sind als die systemischen Eigenschaften wie z.B. das Tankstellensystem. Für Wasserstoffautos bräuchte man ganz andere Tanksysteme, ebenso für innovative neue Ansätze wo Metallhydrate in Pellet-Form "getankt" werden usw. Dies wird auf massive strukturelle Widerstände stossen.

Die innovativste :-) aller Strukturen: Die Wissenschaft

Ein anderes Beispiel aus der Wissenschaft. Wir sind an die Art und Weise gewohnt, wie Wissenschaft sich austauscht: Konferenzen, Publikationen in Zeitschriften und Büchern. Dies hat systemische Aspekte (in unseren Köpfen) aber auch strukturelle: z.B. Konferenztourismus, Verlagshäuser mit Publikationstradition, Verankerung dieser Traditionen in universitären Strukturen.

Nun könnte man, meine ich, mit großer Berechtigung die Frage stellen, ob der oft geradezu mit Langeweile durchgeführte Prozess einer wissenschaftlichen Konferenz wirklich noch die Struktur hat, die für heutige Wissensvermittlung erforderlich ist? Wir erfahren heute viel über das Internet, natürlich auch noch Bücher (die immer mehr zu lebendige elektronische Formen werden, siehe Strategien wie O'Reilly Safari Books), Foren, Podcasts, Videos, Interviews etc. wir haben digitale Bibliotheken wo wir bei Bedarf in Publikationen suchen können. Ist die traditionelle Form der Konferenz überhaupt noch sinnvoll, oder eigentlich nur mehr ein strukturelles Vehikel, damit Wissenschafter die geforderten Publikationen irgendwo abliefern können?

Natürlich gibt es "Leuchttürme" in der Konferenzlandschaft, aber auch dort ist doch eigentlich meist das interessanteste die eingeladenen "Keynote" Speaker sowie selektierte Vorträge und natürlich der soziale Aspekt Kollegen treffen zu können und Erfahrungen auszutauschen (und dieser Aspekt ist sicherlich nicht zu unterschätzen!).

Warum haben wir also nicht den Mut zu sagen: Hören wir doch auf mit diesem dummen "Session" Modell, wo in n-parallel Sessions jeder Teilnehmer seine Powerpoint Folien vorliest, die Zuhörer zu 1/3 zuhören, zu 1/3 schlafen und zu 1/3 im WLAN surfen, Mails schreiben und andere Arbeiten erledigen. Dann irgendwann am Nachmittag gehen wir noch gelangweilt bei den ausgestellten Postern vorbei. Was soll das? Dieses Modell ist strukturell aus dem letzten Jahrhundert und fühlt sich genauso an. Diese Strukturen sind systemisch und strukturell geprägt von der Art und Weise wie es "immer" (zumindest in den letzten hundert Jahren) gemacht wurde, wie Hotels und Unis konstruiert sind, wie Verlage und wissenschaftliche Reputationsgewinnung funktioniert. Haben wir nicht den Mut festzustellen, dass das Vorlesen irgendwelcher Folien heute einfach keinen Platz mehr hat? Warum fokussieren wir uns nicht z.B. mehr auf den kommunikativen Aspekt? Auf konkrete Diskussions-Sessions beispielsweise wo ein bestimmtes Thema im Vordergrund steht und nicht eine Reihe von Präsentationen, wo die Vertreter der entsprechenden Publikationen mit anderen über ihre Erkenntnisse diskutieren, anstatt diese vorzutragen. Nur um eine Idee zu bringen. Es gibt auch andere Ansätze z.B. Barcamps. Alles wäre einen Versuch wert.

Wissenschaft ist doch Diskussion und Konfrontation von Ideen und nicht ein Vorlese- und Vortragswettbewerb, wo 20 Minuten vorgetragen und 5 Minuten kurz Fragen gestellt werden können. Was soll das? Es ist doch erbärmlich dass gerade die Community, die von sich selbst behauptet die innovativste zu sein, in Strukturen des vorigen Jahrhunderts verharrt! Aber eben auch hier haben wir Strukturen geschaffen die wir kaum mehr los werden und die uns gegen alle Vernunft treiben in relativ sinnentlehrten Strukturen weiterzumachen. Um eine alternativen Vorschlag zu machen: muss wirklich jeder seine Arbeit präsentieren? Warum selektiert man nicht eine kleine Anzahl an repräsentativen Arbeiten, die tatsächlich vorgetragen werden, die restlichen werden inhaltlich gruppiert von Session Chairs kurz zusammengefasst und dann unter Teilnahme der Autoren diskutiert und die Autoren auch tatsächlich gefordert ihre Ideen zu verteidigen und nicht nur gelangweilt zu präsentieren "weil es sich halt so gehört".

Vielleicht bin ich aber auch schon zu sehr am System verhaftet und es gibt noch viel bessere Ideen.

Vorschläge?

Jedenfalls, um die Beispiele zu verlassen und zum konkreten Thema zurückzukehren: Strukturen sind einerseits zunächst das Ergebniss von Systemveränderungen und von neuen Systemen, andererseits sind sie wie das Skelett von Lebewesen: einmal evolutionär entstanden gibt es kaum mehr einen Weg zurück, kaum mehr Änderungen und sie üben wiederrum eine massive strukturierende Wirkung auf die Systeme aus, die sich (schon entgegen inneren Widerständen) versuchen zu verändern. Dies ist der Grund, warum viele Reformen ein Gezänk an der Oberfläche bleiben, warum bestehende wirtschafts- und Finanzstrukturen auch wenn sie nachweisbar negative Effekte haben kaum zu ändern sind.

Strukturen und die Imitation des Menschen

Allerdings, und dies ist der letzte Punkt den ich einbringen möchte: Strukturen sind auch der Beweis dafür, dass systemische Ideen funktionieren. Ein Hochhaus übt also einen strukturellen Druck auf die Gesellschaft aus, zeigt aber zum gleichen Zeitpunkt auch, dass die Idee des Hochhauses (der Statik, Logistik, ...) funktioniert. Dasselbe gilt für Finanz- und Wirtschaftsstrukturen. Haben sich solche Strukturen (vielleicht sogar global) gebildet beweist dies zwar keinesfalls, dass diese die bestmöglichen sind, aber immerhin, dass die Systeme die darauf aufbauen in sich in in Bezug auf andere funktionieren (jedenfalls in einem bestimmten Kontext). Wir Menschen sind nun ganz massive "Nachahmungstäter", d.h. von Kindheit an (das ist jedem klar) bis zum Tod (das ist den wenigsten klar) ahmen wir nach, was wir um uns herum sehen, wir werden geprägt und strukturiert davon, was um uns herum geschieht. Systeme üben schon eine anziehende Wirkung aus, massive Strukturen aber sind für uns fast unwiderstehlich: Wir können uns dann kaum vorstellen, dass es anders auch gehen könnte; wenn es alle auf eine bestimmte Art und Weise machen (und dies durch die entsprechenden Strukturen wiedergespiegelt wird) so wird es schon das Richtige sein und es gibt uns Sicherheit weil wir das nicht weiter hinterfragen müssen: wie man wohnt, wie und ob man reist, wie man kommuniziert, was man liest, wie man Sex hat, wie man sich kleidet, was man richtig und falsch findet.

Sicher, manche sind manchmal in der Lage einzelnde Dinge zu hinterfragen, aber dann doch zumeist wieder innerhalb der möglichen Strukturen. Erlauben es die Strukturen nicht, so gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten: (1) Das Denken und kritische Hinterfragen bleiben lassen und sich auf das zurückziehen, was die Strukturen erlauben (2) Man versucht die Strukturen zu ändern und neue zu schaffen (3) Man sucht sich andere Strukturen.

Etwas konkreter zu Punkt (1) dies ist offensichtlich die Strategie die die meisten Menschen fast immer und praktischalle Menschen meistens anwenden; (2) ist manchmal eine Möglichkeit: in einem Land, wo Zensur herrscht könnte man versuchen Untergrundmedien zu gründen, oder sich in anderer Weise zu vernetzen; man könnte auch Umweltaktivist sein, und mit dem Auto(bus) zur Demonstration gegen die Klimaerwärmung fahren; jedenfalls ist es typischerweise ein langfristiger Prozess und zu (3) man könnte bspw. Auswandern. Dies war beispielsweise der klassische Weg mancher Dissidenten zu Zeiten des Ostblocks. Allerdings dürfen wir eines nicht vergessen: wir leben tatsächlich in einer immer stärker globalisierten Welt wo gleichartige Strukturen sich gnadenlos und gleichmässig über die ganze Welt verteilen (unter anderem auch, weil gleichartige Strukturen weltweit natürlich effizienter sind, als Systembrüche, das wurde noch gar nicht erwähnt. Auch dann, wenn individuelle Strukturen lokal besser sein könnten).

Ich schreibe diesen Artikel gerade in Hong Kong. Hong Kong ist China und China eines der letzten (pseudo-)kommunistischen Länder. Wenn ich hier aus dem Fenster blicke bin ich von mehr westlich orientierten Wirtschaftsstrukturen umgeben als in jedem anderen europäischen Land, das ich kenne. Die 7-Eleven Dichte pro Quadratmeter ist vermutlich sogar höher als in New York. Ist der 7-Eleven und McDonalds und Nokia Samen mal gefallen so pflanzt er sich also scheinbar in einer immer massiveren Sogwirkung globaler Strukturen auch weiter fort.

Fazit

Die Lehre ist also vermutlich, dass deutliche Systemänderungen in der heutigen Zeit ebenso massive Strukturänderungen zur Folge haben müssen, dass man also gegen zwei massiv Widerstand leistende Effekte ankämpfen muss, und dass neue Systeme meist eben auch neuer Strukturen bedürfen. Je globaler und persistenter diese Strukturen nun sind, desto drängender müssen die Probleme und Motivationen sein, die in der Lage sind diese Widerstände zu überwinden.

Dies ist auch genau einer der Gründe, warum es in der Geschichte der Menschen so gut wie niemals weiter vorausschauende Politik gegeben hat, weil eben die Motivationen, die Probleme die ein bestimmtes momentanes System in der Zukunft auslösen kann/könnte (1) nie so sicher waren, dass man es nicht verdrängen konnte und (2) eben weil die Effekte deutlich in der Zukunft liegen der Leidensdruck im Jetzt nicht groß genug war. Heute ist der erste Punkt aber bei manchen Problemen nicht mehr gegeben, weil die Wissenschaft in manchen Prognosen ziemlich sicher sein kann (z.B. Klimaprognosen); der zweite Punkt ist aber leider nach wie vor gültig.

Und dies ist einer der Gründe warum es so schwierig ist eine globale Klimapolitik zu machen, bevor Hamburg und New York unter Wasser stehen. Dasselbe gilt für eine Wirtschaftspolitik die nicht nur die (im Augenblick! mächtigen) Gewinner im Auge hat.

Sonntag, 14. Oktober 2007

Im System gefangen

Systemisches Denken

Rupert Riedl beschreibt ein "Umweltquiz", das er in einer seiner Vorlesungen mit Studenten durchgeführt hat (Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985) S 184)

"Angenommen wurde: eine Papierindustrie hätte die Mur ruiniert, und die Schuldfrage sollte gelöst werden. Folgende Liste der Verschulden wurden geboten:
  1. Der Schleusenwärter der Firma - er hat den Wasserhochstand nicht abgewartet. (Nun stieg ich in der Stufenleiter der Verantwortlichkeiten)
  2. Der Abteilungsleiter - seine Direktiven waren zu wenig eindeutig.
  3. Der Direktor - er setzte diePriorität des Baus der Kläranlage nicht durch.
  4. Die Besitzer der Anteilspapiere - sie beeinflussen die Prioritätenliste.
  5. Die Gewerkschaft der Firma - sie setzen Vollbeschäftigung vor Kläranlagen.
  6. Die Nachbarindustrie - sie macht das gleiche Papier billiger.
  7. Die deutsche Papierindustrie - sie exportiert Papier noch billiger.
  8. Die Konsumenten - sie kaufen bei gleicher Qualität das billigere Papier.
  9. Die Werbung - sie empfielt stets bessere Qualität.
  10. Das Handelsministerium - es errichtet keine Schutzzölle.
  11. Die EG - sie nimmt uns bei Schutzzöllen Landwirtschaftsprodukte nicht ab. (Nun stieg ich wieder ab)
  12. Das Bautenministerium - es soll statt Straßen Umweltanalagen fördern.
  13. Die Gewerkschaften - sie drängen auf Straßenbau (wegen der Pendler)
  14. Der Schleusenwärter - er unterstützt die Gewerkschaft."

Es geht hier nun keinesfalls um eine detailierter Analyse dieses Beispiels, sondern um die grundlegende Idee. Man könnte eine ganze Reihe ählicher Beispiele konstruieren: z.B. wer ist verantwortlich für Entlassungswellen in florierenden Unternehmen? Der CEO? Er arbeitet aber doch nur unter dem Druck der Aktionäre, also die Aktionäre; diese reagieren doch nur auf den Druck des Gesamtsystems und der Banken. Also die Banken: aber diese müssen doch hohe Renditen fordern, weil sie damit u.a. die hohen Zinsforderungen der Pensionsfonds und Sparguthaben der Bürger decken wollen. Also am Ende der Entlassene selbst, weil ihm ein Pensionsfond für die Zukunft sowie jedes Jahr ein neuer Fernseher wichtig ist. Oder doch die Politik die...

Wir sollten also eigentlich leicht erkennen wie vernetzt die heutigen Entscheidungsstrukturen sind, und wie systemisch getrieben viele Entwicklungen passieren, und doch können oder wollen wir das nicht wahrhaben und suchen lieber nach "dem Schuldigen". Wieder Riedl (ebenda, etwas später):

"Unsere 'faule Vernunft' wie Kant gesagt hätte, verhält sich so, als ob Ursachen von einem einzigen Kettenglied ausgingen. Zerschießen beispielsweise zwei Fußballmannschaften eine Fensterscheibe des Nachbarn, dann gilt jener Junge als Gesamtursache, von dessen Fuß der Ball zuletzt abgesprungen ist. Ruiniert eine Industrie einen Fluß,so will man die Ursache bei einem einzigen Direktor, Gesetzgeber oder Gewerkschaftler finden. Die aus Fortschritt, Konkurrenz, Ansprüchen und Volksdichte bestehenden komplexen Hintergründe bleiben unbeklagtes Panorama. "

Es ist also nicht nur so, dass wir offenbar prinzipielle Schwierigkeiten haben, systemische Zusammenhänge zu erkennen und im System zu denken, sondern wir sind uns dieses Schwäche nichtmal bewußt, sondern glauben, dass wir Probleme, die systemisch zu denken und zu lösen wären (falls überhaupt) durch konkrete Schuldzuweisungen an einzelne Beteiligte oder durch "Verstellen" singulärer Parameter verändern können. Leider oftmals ein fataler Irrtum, der sich in vielen Krisen der modernen Welt zeigt. (Dasselbe gilt auch für exponentielle Entwicklungen, für die unser "Erkenntnisapparat" nicht ausgestattet ist, weil wir versuchen alles zu Linarisieren. Dumm nur, dass viele moderne Entwicklungen sowohl systemischer als auch exponentieller Natur sind).

Als Beispiel könnte man das oftmalige Versagen der modernen Medizin nennen: und dies liegt nicht an mangeldern Kenntnis einzelner Beteiligter, vielleicht sogar im Gegenteil. Hier stellt sich heraus, dass die Systeme zwar immer teuerer werden (ebenso die Pharmaka), aber die Qualität der Behandlung deswegen keinesfalls steigen muss (siehe dazu die letzte Science Friday Episode). Es wird verstärkt mit immer stärkerem Spezialistentum an Einzeleffekten (im wahrsten Sinne des Wortes) herumzudoktern und nicht das System Mensch (wissenschaftlich, nicht esoterisch!!) systemisch gedacht. Man denke weiter an die Probleme die durch die Globalisierung der Märkte auf dem Arbeitsmarkt auftreten: Gewerkschaften die kleinkariert die letzten Besitzstände ihrer lokalen Clientelen zu verteidigen versuchen, anstatt zu erkennen, dass die Probleme in einem größeren Maßstab gemeinsam anzugehen sind. Oder Politiker, die glauben, sie könnten Demokratie herbeibomben und nicht verstehen, dass Demokratie eine Qualität ist, die nur aus bestimmten gewachsenen Systemen mit der notwendigen Zeit entstehen kann.

Aus Optionen werden Zwänge

Eine weitere systemische Eigenschaft die mir erst kürzlich richtig bewusst geworden ist möchte ich noch kurz ansprechen. Ich stelle fest, dass es häufig zu beobachten ist, dass neue Qualitäten in einem System sich zunächst als interessante Optionen darstellen. Dies trifft solange zu, solange nur wenige Teile des Systems sich dieser neuen Qualitäten bedienen. Daher kommen sie typischerweise auch "harmlos" daher und es werden zunächst von der Mehrheit ignoriert und kaum deren negativen Aspekte betrachtet (weil es ja eine Option und kein Zwang ist!). Die erfolgreicheren jedoch durchdringen aber schrittweise das komplette System und ebenso schrittweise mutieren diese vorherigen Optionen zu Zwängen. Nicht etwa weil sie sich in der individuellen Qualität geändert haben, sondern weil sie von einer individuellen Option zu einer systemischen Eigenschaft geworden sind.

Konkrete Beispiele: das Auto war zu Beginn in dem vorherrschenden gesellschaftlichen System eine "drollige" Spielerei einzelner Technik-verliebter. Später vielleicht eine Option: Mit dem Auto fahren statt mit dem Zug oder Fahrrad. Also keinesfalls etwas, das bestehende Strukturen gefärdet hätte. Mit der Zeit aber nimmt die Zahl der Autos zu (all das geschieht graduell und zunächst nicht explosiv), und so passen sich ebenso graduell bestehende Systeme an: es werden Strassen gebaut, Tankstellen, Parkplätze. Und es geht weiter: lokale Versorgung (Greißler, Handwerker...) werden zunehmend überflüssig weil man ja leicht zum größeren Shopping Center fahren kann. Und plötzlich stellen wir fest: es ist keine Option mehr! Was vorher gerade noch eine nette Alternative war, eine Erleichterung, wird unversehens zum Zwang. Wir kommen kaum mehr zum Einkaufen ohne Auto, und die Pendlerpauschale (ein Paradebeispiel für dümmste Politik, die jedes Verständnis für Systeme vermissen lässt) hat nicht nur dafür gesorgt, dass die bisherigen Pendler sich das Auto leisten können, sondern natürlich auch dafür, dass nun viel mehr Bürger (die bisher in der Nähre ihres Betriebes gewohnt haben) es sich leisten können Kilometer entfernt vom Arbeitsplatz wohnen zu können. Und wiederum: plötzlich wird die Erleichterung, die Option: das Auto zur Notwendigkeit, zum Zwang, die Pendlerpauschale zur Überlebensnotwendigkeit der Systemblinden.

Das kann man weiterdenken zu den billigen Transporten, wo es nichts mehr kostet Wein aus Australien nach Europa zu verschiffen oder Kartoffeln von Süditalien zum Nordkap und zurück: eine wunderbare neue Option, zunächst: plötzlich aber bauen darauf Systeme von Händlern und Transporteuren auf, lokale Strukturen werden verdrängt und was zunächst eine schöne Alternative war, wird zum ökologischen und systemischen Desaster. Und wiedereinmal: keiner will es gewesen sein, jeder hat nur auf systemischen Zwang reagiert.

Man könnte leicht fortsetzen: Das Mobiltelefon; Erleichterung zunächst unterwegs mit Freunden und Familie oder geschäftlich Sprechen zu können wird zum Zwang: man erwartet von uns erreichbar zu sein; das Firmen-Mobiltelefon wird oftmals zum "Überwachungsinstrument". Das GPS im Auto mit Flottenmanagement verknüpft mit mobiler Datenübertragung...

Ich möchte wirklich nicht falsch verstanden werden: auch ich nutze gerne moderne Technologien (wie man an diesem Blog erkennen kann), aber ich finde es ist einen Gedanken wert sich zu überlegen, wie sehr wir manchmal in Systemen und Zwängen gefangen worden sind. Ein letzter Gedanke hierzu: Ich habe kürzlich ein wenig auf den Greenpeace Webseiten gestöbert: Greenpeace ist ja sicherlich eine Organisation die sich hehren Zielen verschrieben hat. Die also eigentlich auch gegen systemische Zwänge kämpfen müssten; und was sieht man? Sie nutzen das Internet so modern wie kaum jemand anderer (Webseiten, Video, Audio Podcasts, Streams, Blogs...), sie haben Schiffe, moderne Technologie wo man nur hinsieht.

Ist das nicht erstaunlich? Eigentlich nicht: Klar ist natürlich, dass man in der heutigen Welt nur mit zeitgemässen Mitteln "kämpfen" kann, gleichzeitig bedeutet dies aber natürlich auch die Aufgabe von Werten: Das Internet mit allen Computern, die Telekom Industrie, die Schiffs- und andere Hi-Tech Betriebe ist von kapitalistischen Strukturen abhängig, die sich wenig um Ökologie scheren, den Sondermüll nach China exportieren, daneben dort Arbeitskräfte ausbeuten und Energie im Übermass verschwenden. D.h. man muss sich paradoxerweise in dieses System einklinken - obwohl es all diese Fehler hat und all das macht, was man kritisieren möchte - um noch irgendeine Chance zu haben etwas ändern zu können.

Das ist die systemische Paradoxie der heutigen Zeit. Was als neue Freiheit beginnt (und so vermarktet wird) endet nicht oft als systemischer Zwang, dem man beim besten Willen nicht mehr entgehen kann.

"Ich war in den Vereinigten Staaten bei Rockkonzerten, wo viele Leute glauben, dass sie rebellieren. Stattdessen dürfen sie auf diesen Festivals nicht mehr als nur eine Biermarke kaufen und eine Art von Sandwich essen. Sie sind im Konsumsystem gefangen. Dasselbe denke ich, wenn ich die jungen Leute im Netz sehe.", Ted Nelson

Montag, 8. Oktober 2007

Kosten von Studienabbrechern

Um peinlichen Nachfragen von vornherein zu entgehen: Nein, ich lese diese "Zeitung" "Heute" nicht; allerdings fällt es leider schwer, wenn man in der U-Bahn unterwegs ist, von den Schlagzeilen nicht belästigt zu werden. Und die heutige war so aufdringlich dumm dass ich etwas entgegnen möchte.

Eine kleine Abschweifung möchte ich mir an dieser Stelle noch erlauben, die mir schon seit langem auf der Zunge liegt:

Ich finde es überraschend, dass Käufer(innen?) von Sex-Magazinen und dergleichen sich offensichtlich genieren und man diese in der Öffentlichkeit eigentlich niemals sieht (außer am Zeitungsstand), da die Käufer diese wohl sofort gut verstecken. Nun könnte man doch argumentieren, dass Käufer derartiger Magazine eigentlich nur einem menschlichen (und offenbar sehr starkem) Trieb folgen. Sie genieren sich also ihre Magazine auch nur offen zu tragen geschweige denn zu lesen (gut, "lesen" ist vielleicht nicht der richtige Begriff in diesem Zusammenhang).

Andererseits verspüren auch durchaus intelligente Menschen anscheinend keinerlei Scham sich mit Drucksorten wie "Kronen Zeitung" oder "Heute" in aller Öffentlichkeit zu zeigen.

Und dieser tatsächlich peinliche Befund ist bei näherer Betrachtung vielleicht wieder keine so weite Abschweifung vom Thema dieses Blog-Artikels wie ursprünglich angenommen: Hätten wir eine besser gebildete (nicht "ausgebildete") Bevölkerung, eine die auch im kritischen Denken besser geschult ist-und zwar egal ob sie ein Studium nun abgeschlossen oder nur begonnen hat-wir würden vielleicht in der Gesellschaft die Fronten wieder geraderücken:

Es würden sich dann vielleicht diejenigen zurecht genieren, die in der Öffentlichkeit mit Krone, Heute & Co unterwegs sind.

Aber zurück zum eigentlichen Thema:

"Uni-Abbrecher kosten Staat eine Milliarde Euro!"

lautet die Schlagzeile und gleich geht es schockierend weiter im Text:
"Diese Zahl schockt ganz Österreich: Laut Ministerium brechen bis zu 70 Prozent der 233.000 Studenten ihre Uni-Karriere vorzeitig ab. Der Campus-Hammer: Damit kosten die Hochschul-Deserteure den Staat knapp eine Milliarde Euro, insgesamt liegen die Kosten noch höher! Jetzt wird teuren 'Blindgängern' der Kampf angesagt."
Abgesehen von der zu erwartenden desolaten Sprache kann man solche Aussagen meiner Ansicht nach aus verschiedenen Gründen so nicht stehen lassen:

Zunächst sind Aussagen wie "bis zu..." mit großer Skepsis zu lesen. Was soll das bedeuten? Tatsächlich ist die Situation mit Sicherheit komplex und daher differenziert zu betrachten: Es gibt eine große Zahl verschiedener Studienrichtungen, Universitäten usw. und hier sind erhebliche Unterschiede zu beachten. Ich kann hauptsächlich aus eigener Erfahrung von Informatik und anderen technischen Studien berichten. In der Informatik z.B. gibt es sicherlich eine erkleckliche Anzahl an Abbrechern. Nun ist es aber gerade hier so, dass viele Studenten während ihres Studiums arbeiten und dann häufig in einen "Interessenskonflikt" geraten.

Die typische Biographie ist dann, dass zunächst während des Studiums ein wenig daneben gearbeitet wird; dann nimmt die berufliche Arbeit mehr und mehr Raum ein, und schliesslich wird das Studium fallengelassen. Dies ist oft eine unerfreuliche Situation, und es wäre vermutlich eher im Sinne des Studenten das Studium abzuschliessen, aber gesellschaftlich betrachtet ist dies kaum eine Katastrophe und zwar aus verschiedenen Gründen:

Nur weil jemand das Studium nicht abgeschlossen hat bedeutet das nicht, dass er nichts im Studium gelernt hat. Er/sie hat unter Umständen nur aus verschiedenen Gründen heraus nicht die Motivation gehabt einen Abschluss zu machen. Viele finden auch erst im Umfeld des Studiums ihren Beruf. Insoferne kann bei diesen Fällen kaum von großem gesellschaftlichen Schaden gesprochen werden.

Natürlich gibt es eine Vielzahl an anderen Gründen, warum Studien nicht beendet werden. Bspw. kann es sein, dass die initiale Studienwahl sich als unpassend herausgestellt hat. Ein "irren" muss erlaubt sein und ein Wechsel ist immer noch besser als der Abschluss des "falschen" Studiums. Zwar gibt es Studienberatungen und andere Aktivitäten zur Unterstützung für Schüler/beginnende Studenten aber dennoch ist es nunmal für viele schwer die tatsächlichen Inhalte einer bestimmten Studienrichtung richtig einzuschätzen.

Am anderen "Ende" gibt es sicherlich auch solche Studenten, die nie eine ernste Absicht verfolgen das gewählte Studium ernsthaft zu betreiben (vielleicht weil sie von den Eltern getrieben werden, oder aus welchen anderen Gründen auch immer). Und in diesen Fällen kann ich (als Universitätsangestellter) etwas zynisch nur sagen: "her damit", von denen brauchen wir viel mehr!!

Denn: diese Studenten kommen wenig bis gar nicht in die Vorlesungen und Übungen und machen üblicherweise auch kaum Prüfungen und verbrauchen daher auch fast keine Uni-Resourcen. Seit Einführung der Studiengebühren zahlen sie einen (wenn auch geringen) Studienbeitrag. Wo ist also der finanzielle/gesellschaftliche Schaden zu sehen? Es wäre vermutlich besser diese Personen dazu zu motivieren etwas konstruktiveres mit ihrem Leben zu anzufangen, aber Schaden für das Uni-System bereiten sie kaum.

"Deserteure und Blindgänger"

Ich finde es auch wirklich unpassend Studienabbrecher als "Deserteure" oder "Blindgänger" und sei es nur in Anführungszeichen, zu bezeichnen. Das ist eine völlig unakzeptable Verrohung und Verdummung der Sprache. Nur weil jemand ein Studium abbricht, macht ihn das noch lange nicht zum "Blindgänger".

Ich weiß, in einer Zeit wo sich alles an unmittelbaren und kurzfristigen (und oft eigenartigen) Metriken zu definieren hat sind "Bildungsideale" oder langfristige Überlegungen weniger gefragt (siehe auch eines meiner anderen Postings "Wissen ist Macht"). Aber ich bin der Ansicht, dass höhere Bildung niemandem Schaden wird, am wenigsten der Gesellschaft. Selbst wenn jemand ein Studium nicht beendet, so denke ich, dass der Kontakt mit eben diesem Studium in vielen Fällen positive Auswirkungen haben wird.

Einerseits sollte unsere Gesellschaft langsam verstehen, dass Lernen nicht immer ein "positiver" Weg ist (in dem Sinne das man etwas positiv/erfolgreich fertigstellt); manchmal scheitert man an etwas, bricht ab, aber gerade dieser Abbruch, dieses scheinbare Scheitern ist ein wichtiger (Lern-) Schritt im eigenen Leben.

Welcher Schaden ist angerichtet, wenn jemand nur wenige Semester Informatik, Philosophie, Sprachen, Chemie usw. studiert? Die Person hat damit etwas gelernt, vielleicht einen weiteren Horizont bekommen, und das letzte was wir in der heutigen globalen Situation brauchen können, sind engstirnige Menschen; auch wenn unser Bildungssystem diese in immer stärkeren Maße hervorbringt.

Man kann hinzufügen, dass gebildete Menschen bei manchen politischen Vertretern und auch bei Herausgebern z.B. der hier zitierten "Medien" wenig beliebt sind, zumal sie sich weniger leicht manipulieren lassen, öfter gewillt sind selbst zu denken, und nicht jeden Unsinn glauben wollen, den uns die Medienindustrie gerade veröffentlicht.

Zahlenspiele

Dankenswerterweise zitiert der Fachartikel in "Heute" auch noch konkrete Zahlen, diese sollen nicht verschwiegen werden:
"Damit werfen im Jahr schon Tausende Studiosi vorzeitig das Handtuch. Das Ministerium ist alarmiert, denn: 'Bei durchschnittlich 7000 Euro pro Student und Jahr für Infrastruktur, Förderung und Material hat der Staat immense Kosten zu tragen', sagt eine Sprecherin. Immens ist noch untertrieben: Denn laut Experten kommen die 'Blindgänger' mit einer Milliarde Euro teuer zu stehen!"
Nun, zum Glück haben das Experten ausgerechnet (was würden wir nur tun, wenn es keine Studienabbrecherkostenverursachungsexperten gäbe??), sonst würde ich das nicht glauben! Es sind wohl auch solch hochkarätige und gleichzeitig geheime Experten, dass man sie sicherheitshalber nicht nennen möchte.

Nun könnte man sich neben allen Argumenten, die ich oben gebracht habe, auch überlegen, ob der "Durchschnitt" ein geeignetes Maß ist, um den Schaden zu berechnen: Durchschnitt bedeutet, dass die Gesamtkosten durch die Anzahl aller inskribierten Studenten geteilt wird. Nun ist es aber eben so, dass gerade die Abbrecher nicht unbedingt diejenigen sein müssen die im System große Kosten verursachen; denn würden sie intensiv studieren so würden sie das Studium ja vermutlich auch beenden.

D.h. die Zahl durch die zu teilen ist, wird deutlich niedriger ausfallen, oder anders gesagt: der aktiv Studierende wird de facto mehr kosten als 7000 Euro (dies ist eine andere Diskussion, die man natürlich führe kann, ob dies zu teuer ist), der weniger aktive Student jedoch sicher deutlich weniger.

Oder anders gesagt ist es vermutlich eine einfache, wenig überraschende und triviale Wahrheit: Bildung kostet etwas, und diejenigen, die studieren konsumieren eben diese Leistungen. Diejenigen die intensiv studieren kosten folglich mehr, diejenigen die weniger intensiv studieren weniger.

Wer dann einen Abschluss macht ist wiederrum eine andere Frage, denn Bildung lässt sich nicht unbedingt direkt mit Abschlüssen messen und der Erfolg der Uni-Ausbildung lässt sich folglich ebenso nicht direkt in Abschlusszahlen ausdrücken.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)