Donnerstag, 21. Februar 2008

Die Gaia Hypothese und der Reduktionismus

Das ist jetzt vielleicht vordergründig nicht das aktuellste Thema, denn James Lovelock hat seine Gaia Hypothese schon in den 70er Jahren vorgestellt. Ich bin auf diese These Mitte der 90 Jahre gestossen, weil ich von meinem damaligen Professor Lovelocks Buch "Das Gaia Prinzip, Die Biographie unseres Planeten" bekommen habe. Leider wird dieses Buch, wie aus meiner Sicht viele andere wichtige Bücher nicht mehr aufgelegt. In der Biographie von Lovelock werden die Kern-Ideen wie folgt zusammengefasst:
"Die Erde, so schlägt James Lovelock vor, verhält sich wie ein Superorganismus, gebildet aus ihrer belebten und unbelebten Materie. Als er erstmals seine brillante Gaia-Theorie um 1970 skizzierte, begeisterte sie die Menschen weltweit und innerhalb kurzer Zeit avancierte Gaia von einem wissenschaftlichen Nebengebiet zu einem zentralen Forschungszweig

James Lovelock argumentiert das Phänomene wie der Sauerstoffgehalt, Wolkenbildung und der Salzgehalt der Ozeane durch sich gegenseitig beeinflussende physikalische, chemische und biologische Prozesse gesteuert werden. Er glaubt, daß die Selbstregulation des Klimas und die Selbstregulation der chemischen Zusammensetzung der Erde einen Prozeß darstellt, der sich aus der korrekt verknüpften Evolution von Gestein, Luft und Wasser zusammen mit der Evolution des irdischen Lebens ergibt. Eine solch in sich abgeschlossene Selbstregulation, obwohl niemals optimal (man betrachte nur die kalten und heißen Plätze der Erde, die nassen und die trockenen) erhält nichtsdestotrotz die Erde als einen Flecken 'Fit fürs Leben'. "
Warum komme ich jetzt wieder auf dieses Thema? Vordergründig einfach deshalb, weil mir das Buch gerade wieder in die Hände gefallen ist. Wichtiger aber, weil ich den Eindruck habe, das Lovelock eine sehr wichtige Idee gehabt hat, die in der Detailkritik gerne untergeht. Die Gaia Idee wurde vielfach (und auch zurecht) krisitiert: Das Konzept der Evolution würde auf die Erde angewandt nicht funktionieren; Lovelock würde mit dem Begriff des "Lebens" zu locker umgehen, denn die Erde könne sich nicht, wie alle lebenden Organismen, reproduzieren usw.

All diese Kritikpunkte und viele andere sind vermutlich zutreffend; ich würde das Buch von Lovelock heute auch weniger als "wissenschaftlichen" Text lesen, als mehr als einen Text die Bilder zeichnet um unser Denkschema herauszufordern. Um nun auf den mir wichigen Punkt zu kommen: Ich denke, die wesentliche Leistung der Lovelocks ist es, den systemischen Effekt der Organismen unterliegen aufzuzeigen, und nicht nur in dem Sinne wie Organismen (in einem auf die Biologie reduzierte Sicht) untereinander wechselwirken, sondern die Verknüpfungen mit Geologie, Klima, Atmosphärenchemie, dem System der Ozeane usw. Insofern ist die Idee die Erde als "Lebewesen" zu beschreiben auf dieser Ebene aus meiner Sicht schon zutreffend.

Ich glaube, wir haben zu lange Zeit, bedingt durch unsere beschränkte menschliche Auffassungsgabe gedacht, dass eine reduktionistischer Beschreibung der Welt ausreichend sei. Das es reicht kleine Systeme zu verstehen und diese dann auch gerne beliebig manipuliert werden können, weil man sie ja ohnedies verstanden hat. Nun ist das Programm des Reduktionismus eine der wesentlichen Säulen moderner Wissenschaft und ich möchte betonen, eine fundamentale und unverzichtbare Säule (ich möchte wirklich nicht irgendwelchen esotherischen Ideen Vorschub leisten). Aber wir sind in unseren wissenschaftlichen Programmen oft bei diesem ersten wichtigen Schritt stehengeblieben.

So wichtig es ist, wenn man ein noch unbekanntes komplexes System vor sich hat, dieses zunächst einmal in seine Teile zu spalten und diese zu untersuchen, weil die Komplexität eine Untersuchung als Ganzes zunächst nicht zulässt, so ist dann doch immer wieder der Schritt zurück zu machen: Ich habe nun verstanden, wie dieses oder jenes Detail funktioniert, aber was bedeutet das für die nächst höhere Ebene?

Ich glaube, dass wir diesen zweiten wichtigen Schritt nicht konsequent genug gegangen sind. Ich sehe diese Vorgehensweise ähnlich der Hermeneutik, aber über Stufen der Abstraktion, also eine wechselseitige Erhellung vom Großen zum Kleinen und zurück.

Und genau das habe ich aus Lovelocks Buch herausgelesen: das wir in einem oft auch zu technokratischen Ansatz und Subsystem verstanden haben (oder zu haben glauben), und dann sofort der Ansicht sind, dieses Verständnis wäre ausreichend um dieses System manipulieren zu können. Dabei wurde und wird oft der systemische Zusammenhang mit vielen anderen Systemen vergessen, was zu entsprechenden Katastrophen führt.

Das letzte passende, von mir schon zitierte Beispiel ist die Idee aus Lebensmitteln Treibstoff (Biodiesel...) usw. zu erzeugen. Betrachtet man nur einen ganz kleinen Aspekt so sieht dies wie eine gute Idee aus; weitet man seinen Blick nur ein wenig, so stellt man plötzlich fest, dass sich auf einmal viele Menschen keinen Mais mehr leisten können, dass die CO2 Ausstoss auf den ganzen Prozess bezogen praktisch gleich hoch ist, wie wenn man gleich Öl verbrennt usw. Oder der Fokus auf "Hybridautos", wo übersehen wird, dass vermutlich der Energieverbrauch eines Autos (wenn Herstellung, Resourcengewinnung, ...) miteinberechnet wird dramatisch über dem des Verbrauchs im Betrieb liegt. Wo könnte man wohl besser einsparen?

Ein anderes Beispiel: warum wird die sogenannte "Schulmedizin" heute so gerne kritisiert? Der Grund ist in Wahrheit nicht, dass die Erkenntnisse der Schulmedizin falsch wären, oder dass etwa pseudowissenschaftliche Systeme wie Homöopathie der Schulmedizin überlegen wären, das ist natürlich nicht der Fall, der Grund liegt darin, dass sich viele Ärzte in den Details ihrer speziellen Disziplin verlieren und nicht mehr in der Lage sind, den Menschen als Ganzes zu sehen.

Genug der Beispiele an dieser Stelle; ich denke, dass Lovelocks Gaia Hypothese einen zweiten Blick wert ist, auch wenn viele Details einer kritischen Prüfung nicht standhalten und dass wir gut daran tun unseren auf Detailprobleme gerichteten Blick öfter zu weiten und zu versuchen, die Bedeutung der jeweiligen Detail-Erkenntnis im Bezug auf das größere System zu überprüfen.

(Vielleicht stellen wir dann auch fallweise fest, dass unser Detailproblem gar nicht so wichtig ist, wie wir ursprünglich angenommen haben, vielleicht aber auch das Gegenteil...)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Jemand den man hier nicht unerwähnt lassen sollte ist Lynn Margulis, Carl Sagan's erste Frau. Sie hat Teile der Gaia-Hyphothese mitentwickelt ist aber eher auf der evolutionstechnsischen Seite geblieben. Ihre Bücher sind meist schon noch verfügbar...

Alexander Schatten hat gesagt…

Rupert, danke für den Hinweis. Nicht nur ist der Verweis auf Lynn Margulis natürlich wertvoll, es zeigt ausserdem, wie sehr wichtige Ideen des 20. und 21. Jahrhunderts fast immer auf den Schultern mehrerer wenn nicht gar vieler Personen ruhen. Wir neigen dazu (ich im konkreten Fall) eine bestimmte Person herauszuheben um einen "Leuchtturm" zu haben.

Menschliche Schwächen...

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)