Freitag, 24. September 2021

The Philanthropic Trap

In the current liberal discussion we hear the argument that our public services and political system is dysfunctional and broken. It should be replaced by something else, maybe more market-leaning. In this context also philanthropy is mentioned on occasion as example that wealth is not really an issue because many rich people donate their money for »good causes«. In doing so they perform certainly better than our public institutions do. 

I think this is a misguided idea and a good example for how philanthropy often goes wrong is described in the article by Peter Savodnik on Mackenzie Scotts donations against racism:

»It’s not hard for a billionaire like Scott — in her effort to fight inequity or build a brand or out-give other billionaires — to wreak havoc on the itsy-bitsy organizations she showers with her largesse.«

Just being rich (and famous), does not give you any special insight into the human condition or the fate of the world. We also know, that many rich people are not necessarily intellectuals (as seen here) and their donations most likely will do more harm than good.

Even if we assume that the philanthropist is very intelligent, say, like Bill Gates, who also has reasonable ideas about the world and on top of that consults experts to guide his foundation, the question remains: who gave him the right to decide which problems of the world or a country deserve focus and which don't? 

As soon as we allow individuals such a leverage over public health, public goods or the environment, the foundations of our open society is out the window. Philanthropy quickly becomes a form of patronising leadership or turns into oligarchy altogether. The best hope then remains, that these philanthropists/oligarchs are intelligent and well-meaning. Let's look forward to that, or, just to places where oligarchs have a say for a longer time, how that tends to work out ...

Thus the more likely outcome in the long run, are a bunch of incoherent ideas, from well-meaning ones like from the Bill Gates foundation to outright idiotic ones like colonising Mars or the universe or "uploading" our mind into a computer instead of fixing our planet.

***

This is — as a side remark — also an example of the flawed idea of many "progressives", believing, that just because they think they found and understood a problem (which they usually at best have partly) already gives them a clear pathway how to "solve" it. This is misguided. For good reason, some experts avoid the term problem altogether (in complex contexts) and use dilemma instead. Using the term problem leads people to believe there is a single solution (see e.g. Thomas Chermack, Scenario Planning in Organisations, and references there). The term dilemma on the other hand makes it clear, that there is usually no solution to such »problems« but just a meandering between different pathways where each one has potential benefits for some, harms for others and complex risks. A difficult navigation that should not be done by individuals but based on wide societal acceptance.

For my German audience, I made three podcast episodes to exactly that topic:



Mittwoch, 4. August 2021

Materialismus ohne Materie — die Cheshire Cat

 Was ist diese Materie von der wir immer sprechen.  Je mehr wir uns nähern desto mehr löst sie sich ins Abstrakte auf. 

The Cheshire Cat (Alice in Wonderland) as
Illustrator John Tenniel depicted it in 1865.

Die Materie verdunstet je genauer man hinsieht.

Verfolgen wir immer noch eine antiken, historischen Geist, den es seit mindestens einhundert Jahren nicht mehr gibt?

Was bedeutet dann Materialismus? Wie unterscheidet er sich vom Idealismus, wenn der Materie die Substanz abhanden gekommen ist?

Dienstag, 4. Mai 2021

Mutlos

Eine Gesellschaft, die nicht mehr aktiv darüber nachdenkt, wie sie in der Zukunft leben möchte, hat den Mut verloren. 

Sie überlegt nur mehr, wie sie an Bestehendem festhalten kann.

Eine mut- und kraftlose Gesellschaft feiert dann Dinge wie das Elektroauto.



Freitag, 30. April 2021

Verwirrte Gedanken in Krisenzeiten

In den letzten Jahrzehnten habe ich mich recht intensiv mit Irrationalität, ja Verrücktheiten aller Art beschäftigt. Die skeptische Bewegung macht im Kern nichts anderes, als nach den wirrsten Ideen, die die Gesellschaft befallen, zu suchen und diese aufzuklären. Oder jedenfalls den Versuch der Aufklärung zu unternehmen. (Die Schattenseite dieser Bewegung ist allerdings, und das bemerken viele Menschen intuitiv, dass der Status Quo und die etablierten Strukturen in viel zu positivem Licht dargestellt werden.)

Ich vermute, jeder kritische Mensch reibt sich die Augen, wie es im 21. Jahrhundert möglich sein kann, dass Menschen Homöopathie, Astrologie oder Flat-Earth Ideen ernst nehmen können; Impfungen ablehnen oder behaupten, Corona oder HIV wären ein »Hoax«, ein Betrug. Es gibt sogar zahlreiche Nobelpreisträger, die in die Kategorie »Querdenker und Wirrkopf« einzureihen sind. Kary Mullis etwa, der einerseits eine der wesentlichsten biochemischen Methoden des 20. Jahrhunderts (PCR) entwickelt hat, andererseits der Ansicht war, FCKWs wären nicht für das Ozonloch verantwortlich, Menschen nicht für den Klimawandel und HIV würde AIDS nicht verursachen. Und alle »mainstream« Wissenschafter wären korrupt (— nun, letzten Punkt sollte man vielleicht am ehesten eine Chance geben).

Kary Mullis (Wikipedia)

Kurz gesagt, für lange Zeit habe ich mir die Frage gestellt, wie es in einer relativ aufgekärten und gut gebildeten Gesellschaft (und teilweise auch unter gut hochgebildeten Menschen, denken wir an Impfleugner oder Homöopathie-Fans) solche Verrücktheiten geben kann.

In der letzten Zeit hat sich mein Blick etwas verändert, und interessanterweise gibt Kary Mullis einen guten Anhaltspunkt dafür. Meine Vermutung geht systemisch in folgende Richtung: In komplexen und krisenreichen Zeiten ist es kollektiv gedacht sinnvoll, auch extreme Optionen auszuloten. Steckt man im Konventionellen fest, wiederholt nur der Narr immer dasselbe, obwohl er scheitert (so wie wir es aktuell mit unserem Wirtschafts- und Finanzsystem machen — dies scheint zu festgefahren, als dass alternative Ideen irgendeine Chance hätten). 

Was also tun?

Die Strategie von exploitation auf exploration ändern, von immer besserer Anwendung etablierter Ideen auf den Versuch auch schräge neue Ideen auszuprobieren. In der Biologie scheint dies eine Strategie zu sein: in Zeiten ökologischen Drucks dürfte die Mutationsrate steigen, um mehr Varianten im Genpool zu erzeugen. In »ruhigeren« Zeiten, geht die Mutationsrate wieder zurück.

Was bedeutet dies für gesellschaftliche Abweichler? Wenn meine These systemisch korrekt ist, müssten also abweichende Ideen in Zeiten der Krise häufiger sein als in normalen, weniger bedrohlichen Situationen. Genau dies beobachten wir auch aktuell.

Der Punkt mit abweichenden Ideen ist aber: wenn ich — metaphorisch gesprochen — die Mutationsrate von Ideen in einer Gesellschaft erhöhe, dann erhöhe ich einerseits die Chance etwas ungewöhnliches und spektakulär Kluges zu entdecken, das abseits des Mainstreams übersehen wurde. Das ist aber nur die eine Seite der Münze. Die andere Seite ist, dass in diesen abweichenden Ideen auch jede Menge an spektakulärem Unsinn zu finden ist. So eben die Ideen, dass HIV nicht AIDS verursacht oder dass der Mensch nicht für den Klimawandel verantwortlich ist, oder dass Covid-Impfungen nur Chips von Bill Gates verteilen sollen.

Manche Abweichung ist auch nur graduell übertrieben, etwa, wenn gegen Corona-Maßnahmen protestiert wird. Diese Proteste sind oft von bemerkenswerter Einfalt, aber grundsätzlich ist es richtig, politische Maßnahmen kritisch zu reflektieren, die tief in die individuellen Rechte eingreifen. Gäbe es gar keinen Gegenwind, wäre die Verlockung für autoritär eingestellte Politiker (wie wir sie auch in Europa in zahlreichen Regierungen finden) groß, Maßnahmen zu etablieren, die weit über das vernünftige Maß hinausgehen.

Zurück zu Kary Mullis, der, wie gesagt, ein sehr interessantes Beispiel abgibt: liest man seine Biographie, so war er offenbar eine recht unangenehme und unangepasste, aber auch obsessive Person. Seine Ideen, die zur PCR geführt haben, wurden vom Mainstream der Wissenschaft nicht geteilt, ja sogar abgelehnt. Noch dazu war er wohl eher ein Außenseiter in diesem speziellen Forschungsbereich. Dennoch hat sich seine Idee als spektakulärer Erfolg dargestellt. Ähnliches trifft übrigens auch auf Watson und Crick und die Beschreibung der Doppel-Helix zu. Bei manchen wissenschaftlichen Durchbrüchen ist es also offenbar sehr hilfreich, wenn man nicht fach-/betriebsblind ist. James Watson sagt über sich selbst:

»Linus [Pauling] war ein zu bedeutender Mann, um seine Zeit mit dem Unterrichten eines mathematisch unterbelichteten Biologen zu verschwenden.«

Um damit auf den größeren Gedanken zurückzukehren: in einigen Fällen ist es also augenscheinlich sehr hilfreich, wenn extreme Ideen exploriert und getestet werden. Dies ist auch der Grund, warum ich Corona-Leugner, Homöopathen und andere Wirrköpfe im Augenblick wesentlich gelassener sehe als noch vor wenigen Jahren: Eine Gesellschaft benötigt die Abweichung von der Norm um Fortschritt zu machen, weil eben diese Abweichung in seltenen Fällen zu bemerkenswerten Erkenntnissen führt.

Die Betonung liegt hier auf in seltenen Fällen. Die überwiegende Zahl an abweichenden Ideen ist schlicht falsch, oft auch grotesk blödsinnig, so wie auch der von Abweichlern oft genannte Verweis auf die seltenen Genies, die ebenso wie sie selbst Abweichler waren. Das ist zwar im Prinzip richtig, missversteht aber eine wesentliche Asymmetrie: die meisten Abweichler liegen grundfalsch in ihren Ideen, nur ganz wenige sind spektakulär erfolgreich.

Ganz wenige. Aus gesellschaftlicher Sicht in einer Krise bin ich gewillt mit einer gewissen Menge an Spinnern zu leben, mit dem höheren Rauschen am Rand, um den seltenen Treffer zu erlauben. (Es wäre allerdings eine gute Idee, würden wir diesen Spinnern nicht allzuviel Raum in unseren Medien widmen.)

Now, Andy did you hear about this one?

Samstag, 10. April 2021

The Closing Window auf Mediated Authenticity

We are arguably experiencing the closing of a window in time that was defining the 20th century: a window that I would call mediated authenticity.

Since approximately mid of the 19th century technical inventions allowed the recording, copying, transport or transmission of aspects of our reality in the form of photography, film and sound recordings. This type of mapping of reality to technical media had interesting properties: 

  1. it was reasonable fast and accurate
  2. people quickly understood how to interpret these artefacts
  3. over time it became so cheap that already mid of the 20th century many people could afford photography, but also film equipment
  4. reproduction and dissemination was relatively easy and accessible

But there was also one important constraining factor: manipulation of these types of analogue media was possible but relatively difficult. The most common form of manipulation was changing the context or selecting a specific aspect of the situation (photo). Film allowed for manipulation by cutting, narration and underlying music and sound effects.

However, with enough reproduction devices in the field (i.e. enough people taking photos or recording films, sound) the individual manipulation did not play a dominating role. There was enough media witness of important events to get a reasonable accurate mediated impression of the distant situation. Overall, this window of time, essentially the 20th century, was a time of unprecedented access to mediated (unaltered) reality.

This was not the case before the 20th century because these tools did not exist and will, arguably, not be any more in the future. Alteration and even worse: fabrication of media is becoming so simple that the unauthentic will flood the authentic. But let's illustrate that by taking a brief look into history – the case of military reporting – and then a peek into the future:

The time before 1850

Before 1850, reports from distant places were stories or in some cases written documents. Visual representations were rare and expensive, such as paintings from battles:

Charles LeBrun: Le Passage du Granique (334 b.c.), painted in the 17th century)

Adam Frans von der Meulen, Cavalry in Battle (1657)

For instance Adam Frans von der Meulen painted war pictures for Louis XIV. However, he often visited the places after the battle(s) to take some notes and sketches and actually made the painting in Paris later. War artists and war paintings were important means of propaganda and as such did not depict reality.

20th century

In the 20th century photography (and later film) become the dominating media in reporting from wars, although even today there are still war artists, for instance:

Tom Lea, 2000 Yard Stare (1945)

Or Operation Just CauseCruising the Panama Canal (1989) and Landing Zone from the Vietnam war:

John Wehrle, Landing Zone (1966)

But clearly, photography and film are the dominating media formats:

First World War: Ypern (1917)

Desert Storm (1991)

Manipulation?

Since the inception of photographic reporting, there is certainly manipulation and propaganda:

Ulysses S. Grant (ca. 1902): combination of three photos

Stalin was well known to first kill or remove people from office then remove them from photos. Very well known is also the photo from the Spanish civil war:

Robert Capa, Death of a Loyalist Soldier (1936) (Wikimedia)

This photo allegedly shows a loyalist soldier in the moment of his death, being shot by the enemy. However, as Philipp Blom points out [Philipp Blom, Die zerrissenen Jahre]:

  • Robert Capa was actually Endre Ernö Friedmann (and on occasion his wife Gerda Taro)
  • This photo was most likely taken by Gerda Taro
  • It was not shot on the claimed location and not at a time of fight. Hence the photo either shows a soldier stumbling and falling or is staged for effect.
Also print media is on occasion using photo manipulation for propagandistic purposes, or simply for shoddy journalism – to render a story more dramatic.

Quantity and Authenticity

Even though there was forgery of photos and film, staged photos, photos taken or cropped out of context, still: analogue photography (and digital photography in the early years) makes credible manipulation relatively difficult and time consuming for expert. Hence the pay-off must be significant to go for that effort. But even more importantly, the large amount of cameras in the hand of ordinary people provided an overwhelmingly authentic representation of distant locations.

Deep Fakes – the End of Mediated Authenticity?

However, this window of mediated authenticity is closing, and it is closing fast. Stalin had his experts to doctor his photos for propagandistic purposes as photo manipulation was not accessible for average photographers in the analogue age.

Today, many run of the mill smartphones manipulate pictures without interaction of users, e.g. smoothing skin, changing ratios of facial elements and the like.

And advanced tools are becoming increasingly accessible to everyone, providing the opportunity to easily manipulate photos and videos or even create videos from scratch that look entirely realistic. These new manipulations are often called Deep Fakes. We already see videos of presidents who say things they never actually said, revenge pornography and other sorts of unsavoury material. 

Fighting this trend is inherently difficult [Bobby Chesney, Daniell Citron, Deep Fakes: A Looming Challenge for Privacy, Democracy and National Security]. We currently witness a weapons race that will be won by the forging tools: there are tools to detect fake photos, videos and audio, but with every detection tool the forging tools become more powerful.

Already today we see apps in smartphone app stores to create deep fakes and the (technical) quality of these tools and the produces artefacts is increasing quickly.

Arguably, we had a window from ca. 1850 to 2020, where media like photo, video and audio was to a large extent authentic and was received as such by the audience. Soon we might face the situation that  the majority of media distributed in social networks, on blogs and online articles are either significantly manipulated or entirely fake. 

With this tsunami of deep fakes, mediated authenticity will become a romantic idea of the past.

Will we loose trust in (nearly) all media soon? Or will we be able to establish new forms or trust networks? The challenges for society, democracy and security are certainly dramatic.

Freitag, 26. März 2021

Die Pandemie unserer Zeit ist nicht Covid-19 sondern Angst vor Verantwortung

Der Standard berichtet, dass »Computer Scoring« System über Intensivbetten entscheiden soll. Das ist eine richtig schlechte Idee. Das Problem hat aber mindestens zwei Dimensionen:

(1) Wir leben in einer Gesellschaft, wo Verantwortliche (Manager, Ärzte, Politiker) Angst haben ihre Verantwortung anzunehmen und zu entscheiden. Davon leben ganze Management-Beratungsunternehmen mit Milliardenumsätzen. Hier versteckt man sich hinter pseudo-neutraler Technik. 

Die Pandemie der heutigen Zeit, vor der wir uns wirklich fürchten sollten, ist also nicht Covid-19, sondern die Tatsache, dass die meisten Machtpositionen in unserer Gesellschaft von Feiglingen besetzt sind, die Angst haben Entscheidungen zu treffen und diese danach rechtfertigen zu müssen. Dies ist gepaart mit einer Gesellschaft, die dem Mythos der Transparenz verfallen ist und nicht begreifen kann, dass in komplexen Situationen Entscheidungen nicht leicht zu treffen und die Folgen schwer abzuschätzen sind.

Strafen wir (als hysterische Medien oder Bürger) Manager und Politiker dafür ab (ehrliche) »Fehler« gemacht zu haben, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir heute in wesentlichen Machtpositionen Menschen sitzen haben, die eines verinnerlicht haben: wie man Entscheidungen verschiebt und Verantwortung auf andere abwälzt.

Ein großer Teil des Corona-Management-Versagens in Österreich und Deutschland ist darauf zurückzuführen. Aus Angst eine falsche oder nicht perfekte Entscheidung zu treffen, Geld zu »verschwenden« entscheidet man nicht, oder braucht viel zu lange, bis dann der Schaden maximiert ist. Wenn eine Entscheidung getroffen wurde, die nicht das gewünschte Ergebnis gebracht hat, hat niemand den Mut das schlicht sachlich festzustellen und die Handlungsweise anzupassen. 

(2) Gepaart damit liegt eine falsche Idee vor, wie Technik, Computer, Machine-Learning funktionieren. Die spiegelt sich in dem dummen Begriff der »künstlichen Intelligenz« wider. Wir sind unfähig selbst zu denken und zu entscheiden, Verantwortung zu übernehmen, und glauben an Heilsversprechen irgendwelcher Nerds oder Unternehmen, die IT als Lösung für alles verkaufen – von der »Corona-App« über das »selbstfahrende« Auto, Smart-Grids oder jetzt vielleicht eine Triage-App

Da hätten wir doch gleich einen peppigen Name für den App-Store – Kunden, die die Corona-App gekauft haben, mögen auch die Intensivbett-Triage-App – empfiel sie auch deinen Freunden weiter!!

»[…] the way people talk about technology is out of sync with what digital technology actually can do. […] Our collective enthusiasm for applying computer technology to every aspect of life has resulted in a tremendous amount of poorly designed technology.«, Meredith Broussard, Artificial Unintelligence

Pointiert karikiert hat das Thema »Dr. Philoponus« auf Twitter:

"Alexa, wer muss heute sterben?"

Montag, 18. Januar 2021

Erwachsenwerden in der Krise

Wir leben in einer Zeit, die von dem Mantra geprägt ist, jedes Problem hätte eine Lösung – und wahrscheinlich sogar eine technische. 

Die Realität sieht anders aus. In fast allen für uns relevanten und existentiellen Herausforderungen haben wir es mit komplexen Problemen zu tun.  Dann ist es weder möglich den aktuellen Zustand hinreichend zu beschreiben (mehr dazu in der Zukunft Denken Episode über Wicked Problems), noch den gewünschten Zielzustand. Es ist weiters nicht möglich die Effekte von Eingriffen (langfristig) vorherzusagen. Wir leben in diesen Situationen häufig eine Planungsillusion, die aber außer hohen Kosten und verlorener Zeit nichts bringt. Letztlich bleibt zumeist nur ein Fahren auf Sicht.

Wir hören auch eine andere Sache ungern: es gibt Probleme, die wir nicht, oder nicht mehr (vollständig) lösen können. Die Klimakrise gehört wohl dazu. Im Jahr 2017 ist ein bemerkenswert offener Artikel im Guardian erschienen, der ausnahmsweise nicht die übliche Machbarkeitsillusion vorgetragen hat: ‘A cat in hell’s chance’ – why we’re losing the battle to keep global warming below 2°C (Keine Chance – warum wir den Kampf die Klimaerwärmung unter 2°C zu halten verlieren.) Ein gutes Dutzend anerkannter Wissenschafter, Klimaforscher, Ökologen usw. kommen zu dem (leider recht offensichlichen) Schluss, dass wir bereits zu sehr in die Erd-System eingegriffen haben und die 2°C Schwelle nur mehr theoretisch halten können. 

Theoretisch auch darum, weil so große Änderungen an unserer Lebenswelt in so kurzer Zeit notwendig wären, die in keinem politischen System realistisch umsetzbar und vermutlich auch instabil sind. D.h. die Medizin wäre vermutlich ebenso schlimm wie die Krankheit. In den letzten vier Jahren ist zudem nichts nennenswertes geschehen um die Emissionen zu bremsen und nach der Corona-Krise ist keine Revolution zu erwarten. Was also vor vier Jahren gegolten hat, gilt heute umso mehr.

Der Philosoph Wolfram Eilenberger sagt:

»Schon vor 30 Jahren war die Erkenntnislage wie heute.« 
»Wenn man sagt, es ist ein Wettlauf mit der Zeit (‘wir haben noch diese drei Jahre...'), dann werden wir diesen Wettlauf verlieren.« 

Wir haben also bei der Klimakrise keine nennenswerte Erkenntnis- sondern eine Handlungslücke von ca. 30 Jahren; sowie, wie ich ergänzen möchte, den vielfachen Versuch diese Handlungslücke zu erklären und durch andere Öffentlichkeits- und Politik-Maßnahmen zu verbessern. Nichts davon hat bisher zu den wissenschaftlich notwendig erklärten Schritte geführt.

Ich denke, es ist Zeit, eine erwachsene Diskussion zu führen und das Wunschdenken loszulassen. Das Verbessern oder besser, der Umgang mit realen Problemen ist ein langfristiger Transformationsprozess. Auch wenn wir es gerne hätten:  Revolutionen scheitern in der Regel und führen eher in die Katastrophe. Wir haben idealistische Ideen, wie die Welt besser sein soll, aber ein revolutionäres Neu-Design muss an der Komplexität, den Wechselwirkungen und der mangelnden Vorhersagefähigkeit scheitern. 

Ich weiß auch nicht genau, was die gesellschaftliche Folge dieses Erwachsenwerdens wäre, bin aber überzeugt davon, dass eine Gesellschaft, die nur in zwei Polen lebt – auf der einen Seite der Negierung auf der anderen Seite des Wunschdenkens – keine Zukunft hat.

Ein solcher Transformationsprozess benötigt leider Zeit. Die Folge wird sein, dass wir wesentliche Klimaziele nicht erreichen werden – mit allen daraus folgenden negativen, ja katastrophalen Konsequenzen. Woraus eine weitere Erkenntnis folgt: ein Vorbereiten auf das Scheitern wird neben allen anderen Maßnahmen notwendig sein. 

“Die rettende Idee besteht schlicht darin, dafür zu sorgen, dass die menschlichen und Berechnungsfehler beschränkt bleiben, und zu verhindern, dass sie sich im System ausbreiten”, Nassim Taleb

Samstag, 9. Januar 2021

How to waste ~1.5 Billion € in research – and get bad research and stagnation as a result

David Graeber (2015)

Quotations by the late David Graeber, Bullshit Jobs:

»If a grant agency funds only 10 percent of all applications, that means that 90 percent of the work that went into preparing applications was just as pointless as the work that went into making the promo video for Apollonia’s doomed reality TV show Too Fat to Fuck. (Even more so, really, since one can rarely make such an amusing anecdote out of it afterward.) This is an extraordinary squandering of human creative energy.«
»European universities spend roughly 1.4 billion euros a year on failed grant applications—money that, obviously, might otherwise have been available to fund research.«
»I have suggested that one of the main reasons for technological stagnation over the last several decades is that scientists, too, have to spend so much of their time vying with one another to convince potential donors they already know what they are going to discover.«
In fact, I believe, David Graeber underestimated the problem – it is actually worse: these scientists know what they will discover, because they have already done most of the research or the proposal is so timidly  written that research will never fail. If you express risk in the propopsal, chance for success is often minute. 

From »research« with minimum risk follows stagnation.

Abraham Flexner writes in his famous article The Usefulness of Useless Knowledge 1937
»most of the really great discoveries which had ultimately proved to be beneficial to mankind had been made by men and women who were driven, not by the desire to be useful, but merely by the desire to satisfy their curosity.«
To my knowledge, he writes nothing about about men and women who where particularly skilled in proposal bureaucracy. Instead he writes about how to treat scientists:
»Let them alone.«
I am convinced that the actually great scientists of the first half of the 20th century and before would be appalled by how we perverted science and universities.

For my German readers, I strongly recommend my conversation with Prof. Jochen Hörisch on this topic.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)