Montag, 18. Januar 2021

Erwachsenwerden in der Krise

Wir leben in einer Zeit, die von dem Mantra geprägt ist, jedes Problem hätte eine Lösung – und wahrscheinlich sogar eine technische. 

Die Realität sieht anders aus. In fast allen für uns relevanten und existentiellen Herausforderungen haben wir es mit komplexen Problemen zu tun.  Dann ist es weder möglich den aktuellen Zustand hinreichend zu beschreiben (mehr dazu in der Zukunft Denken Episode über Wicked Problems), noch den gewünschten Zielzustand. Es ist weiters nicht möglich die Effekte von Eingriffen (langfristig) vorherzusagen. Wir leben in diesen Situationen häufig eine Planungsillusion, die aber außer hohen Kosten und verlorener Zeit nichts bringt. Letztlich bleibt zumeist nur ein Fahren auf Sicht.

Wir hören auch eine andere Sache ungern: es gibt Probleme, die wir nicht, oder nicht mehr (vollständig) lösen können. Die Klimakrise gehört wohl dazu. Im Jahr 2017 ist ein bemerkenswert offener Artikel im Guardian erschienen, der ausnahmsweise nicht die übliche Machbarkeitsillusion vorgetragen hat: ‘A cat in hell’s chance’ – why we’re losing the battle to keep global warming below 2°C (Keine Chance – warum wir den Kampf die Klimaerwärmung unter 2°C zu halten verlieren.) Ein gutes Dutzend anerkannter Wissenschafter, Klimaforscher, Ökologen usw. kommen zu dem (leider recht offensichlichen) Schluss, dass wir bereits zu sehr in die Erd-System eingegriffen haben und die 2°C Schwelle nur mehr theoretisch halten können. 

Theoretisch auch darum, weil so große Änderungen an unserer Lebenswelt in so kurzer Zeit notwendig wären, die in keinem politischen System realistisch umsetzbar und vermutlich auch instabil sind. D.h. die Medizin wäre vermutlich ebenso schlimm wie die Krankheit. In den letzten vier Jahren ist zudem nichts nennenswertes geschehen um die Emissionen zu bremsen und nach der Corona-Krise ist keine Revolution zu erwarten. Was also vor vier Jahren gegolten hat, gilt heute umso mehr.

Der Philosoph Wolfram Eilenberger sagt:

»Schon vor 30 Jahren war die Erkenntnislage wie heute.« 
»Wenn man sagt, es ist ein Wettlauf mit der Zeit (‘wir haben noch diese drei Jahre...'), dann werden wir diesen Wettlauf verlieren.« 

Wir haben also bei der Klimakrise keine nennenswerte Erkenntnis- sondern eine Handlungslücke von ca. 30 Jahren; sowie, wie ich ergänzen möchte, den vielfachen Versuch diese Handlungslücke zu erklären und durch andere Öffentlichkeits- und Politik-Maßnahmen zu verbessern. Nichts davon hat bisher zu den wissenschaftlich notwendig erklärten Schritte geführt.

Ich denke, es ist Zeit, eine erwachsene Diskussion zu führen und das Wunschdenken loszulassen. Das Verbessern oder besser, der Umgang mit realen Problemen ist ein langfristiger Transformationsprozess. Auch wenn wir es gerne hätten:  Revolutionen scheitern in der Regel und führen eher in die Katastrophe. Wir haben idealistische Ideen, wie die Welt besser sein soll, aber ein revolutionäres Neu-Design muss an der Komplexität, den Wechselwirkungen und der mangelnden Vorhersagefähigkeit scheitern. 

Ich weiß auch nicht genau, was die gesellschaftliche Folge dieses Erwachsenwerdens wäre, bin aber überzeugt davon, dass eine Gesellschaft, die nur in zwei Polen lebt – auf der einen Seite der Negierung auf der anderen Seite des Wunschdenkens – keine Zukunft hat.

Ein solcher Transformationsprozess benötigt leider Zeit. Die Folge wird sein, dass wir wesentliche Klimaziele nicht erreichen werden – mit allen daraus folgenden negativen, ja katastrophalen Konsequenzen. Woraus eine weitere Erkenntnis folgt: ein Vorbereiten auf das Scheitern wird neben allen anderen Maßnahmen notwendig sein. 

“Die rettende Idee besteht schlicht darin, dafür zu sorgen, dass die menschlichen und Berechnungsfehler beschränkt bleiben, und zu verhindern, dass sie sich im System ausbreiten”, Nassim Taleb

Samstag, 9. Januar 2021

How to waste ~1.5 Billion € in research – and get bad research and stagnation as a result

David Graeber (2015)

Quotations by the late David Graeber, Bullshit Jobs:

»If a grant agency funds only 10 percent of all applications, that means that 90 percent of the work that went into preparing applications was just as pointless as the work that went into making the promo video for Apollonia’s doomed reality TV show Too Fat to Fuck. (Even more so, really, since one can rarely make such an amusing anecdote out of it afterward.) This is an extraordinary squandering of human creative energy.«
»European universities spend roughly 1.4 billion euros a year on failed grant applications—money that, obviously, might otherwise have been available to fund research.«
»I have suggested that one of the main reasons for technological stagnation over the last several decades is that scientists, too, have to spend so much of their time vying with one another to convince potential donors they already know what they are going to discover.«
In fact, I believe, David Graeber underestimated the problem – it is actually worse: these scientists know what they will discover, because they have already done most of the research or the proposal is so timidly  written that research will never fail. If you express risk in the propopsal, chance for success is often minute. 

From »research« with minimum risk follows stagnation.

Abraham Flexner writes in his famous article The Usefulness of Useless Knowledge 1937
»most of the really great discoveries which had ultimately proved to be beneficial to mankind had been made by men and women who were driven, not by the desire to be useful, but merely by the desire to satisfy their curosity.«
To my knowledge, he writes nothing about about men and women who where particularly skilled in proposal bureaucracy. Instead he writes about how to treat scientists:
»Let them alone.«
I am convinced that the actually great scientists of the first half of the 20th century and before would be appalled by how we perverted science and universities.

For my German readers, I strongly recommend my conversation with Prof. Jochen Hörisch on this topic.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)