Samstag, 15. Dezember 2007

Ewige Wahrheiten, eine Weihnachtsgeschichte

"Truth, in matters of religion, is simply the opinion that has survived", Oscar Wilde
Sollte man nicht erwarten, dass heilige Bücher wie z.B. die Bibel, die ja, glaubt man den Vertretern der jeweiligen Religion, "direkt" von Gott stammen, wenn sie auch durch menschliche Interpreter niedergeschrieben wurden in einer Weise "ewige" Wahrheit sein sollten? Nun gibt es auch heute noch orthodoxe Gläubige, z.B. solche die die Bibel wörtlich auslegen: Über das, was hier zustande kommt, braucht man einem einigermassen aufgeklärten Publikum wohl kaum zu berichten (man denke an die Erschaffung des Menschen, der Erde, die hier angenommenen bzw. aus der Bibel "ausgelesenen" Zeiträume, sowie die Ablehnung der Evolution usw.), hier haben wir es dann ganz offensichtlich mit ewigen Dummheiten und nicht Wahrheiten zu tun.

Im westlichen (ausgenommen amerikanischen) aufgeklärten Kontext ist dies ohnedies eine relativ bedeutungslose Minderheit. "Wir" in Westeurope sind hingegen häufig stolz darauf (also ich weniger, aber anscheinend große Teile der Gesellschaft), dass die meisten Gläubigen hier die Bibel zeitgemäß interpretieren. Die Religionsführer (Pfarrer, Bischöfe, ...) werden dann entweder elegant links liegen gelassen oder sind auf diesen Trend eingeschwenkt.

Nun, das mag aus meinem Mund eigenartig klingen, aber dieser Trend zur Neuinterpretation ist zwar eine sehr menschliche Vorgehensweise, in Wahrheit aber eine Bankrotterklärung die mit Wahrheit nichts zu tun hat. Die Schritte die man erkennen kann sind etwa folgende: Man stellt zunächst fest, dass die Inhalte die bspw. durch die Bibel sowie durch die Religionsgemeinschaften über Jahrhunderte verbreitet wurden "beim besten Willen" nicht mehr tragbar sind. Sie sind jedem intelligenten Menschen nicht mehr zumutbar. Nun tritt das psychologisch interessante Phänomen ein: Die Gläubigen haben nicht den Mut, die klaren Konsequenzen zu ziehen, den fragwürdig gewordenen Glauben zu bezweifeln und bessere Wege zu suchen. Dies ist natürlicherweise für viele schwierig, weil hier erhebliche "Investitionen" gemacht wurden. Immerhin hat man (man erlaube mir den Kalauer) vor Gott und der Welt über lange Zeit behauptet, dass man eben hinter diesem Glauben und den jeweils dazugehörigen heiligen Schriften steht. Nun stellt man aber fest, dass dies beim besten Willen nicht mehr haltbar ist, was also ist die Lösung:

Die zeitgemäße Interpretation.

Und fort ist die ewige Wahrheit, und niemandem ist es aufgefallen, dass diese auf dem Weg der Interpretation hinten runter gefallen ist. Fällt es uns wirklich so schwer, die richtigen Konsequenzen zu ziehen?

Machen wir ein Gedankenexperiment mit ein paar zugegeben unwahrscheinlichen aber notwendigen Annahmen: (1) Es gibt einen Gott (2) dieser hatte einen Sohn der (3) auf die Welt gekommen ist um uns (4) göttliche Wahrheiten zu offenbaren die es (5) in eine "heilige" Schrift geschafft haben, die (6) die Basis für Millionen Gläubige ist.

Nun stellen wir heute (zurecht!!) fest, dass dieser Text und die darauf aufbauenden Kirchen über weite Strecken schlicht und ergreifend unakzeptabel geworden ist. Was lernen wir nun daraus? Nicht etwa, dass die obigen Annahmen vielleicht falsche waren, und wir die entsprechenden Konsequenzen ziehen müssen. Nein! Wir schließen daraus, dass diese fragwürdigen Annahmen unbedingt (warum eigentlich??) gehalten werden müssen und stellen damit fest, dass Gott nicht in der Lage war sich in seinen heiligen Texten klar auszudrücken (bzw. seine Propheten nicht unter Kontrolle hatte dies zu tun), und es folglich unserer Weisheit bedarf seine fragwürdigen Aussagen interpretativ gerade zu ziehen.

Das ist doch eigenartig, oder nicht? In diesem Sinne sind doch wohl die bibeltreuen und sonstigen orthodoxen Gruppen die ernsthafteren und auf eine ganz eigenartige Weise die ernst zu nehmenderen Gläubigen. So furchtbar natürlich deren Lebenspraxis und Glaube häufig ist; er ist immerhin konsistent! Auch wenn sie die Realität vollständig auszublenden müssen um eine Schrift und deren angenommene Wahrheit zu verteidigen.

Sie zeigen uns damit unbewusst die volle Absurdität der "überlieferten" Wahrheit! Warum wollen wir das nicht erkennen und endlich die richtigen Schlüsse ziehen: nämlich dass man sich von bestimmten lieb gewordenen Angewohnheiten einfach auch mal trennen können muss, wenn deren Absurdität so offensichtlich geworden ist.
"[...] the evidence of history makes it clear that, as time has passed, people's moral sense about what is permissible and what is heinous has shifted, and along with it their convictions about what God loves and hates.", Daniel C. Dennett, Breaking the Spell, Penguin (2006)
Erkennen wird doch endlich, dass es keine metaphysischen Eingebungen und vor allem keine ewigen Wahrheiten gibt. Was sich z.B.in der Bibel manifestiert sind nichts anderes als Vorstellungen die von Menschen der Zeit eingebracht wurden, die zum Teil auf alte historische Quellen und Traditionen wurzeln. Dies ist der Grund, warum die Bibel heute nicht mehr relevanter ist als viele andere Texte der Zeit ist (und in einem solchen historischen Kontext durchaus studiert werden kann, Seite an Seite mit Platos Gesellschaftsvorstellungen und Aristoteles' Ethik.) und warum es keine einzige historische Gottesvorstellung gibt, die die Zeit überdauert hätte. Ein wahrer Gott hätte das nicht verdient, lernen wir daraus!
"[...] modern theists might acknowledge that, when it comes to Baal and the Golden Calf, Thor and Wotan, Poseidon and Apollo, Mithras and Ammon Ra, they are actually atheists. We are all atheists about most of the gods that humanity has ever believed in. Some of us just go one god further.", Richard Dawkins quoted in Daniel C. Dennett, Breaking the Spell, Penguin (2006)

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)