Sonntag, 11. November 2018

Nerdfail – eine Polemik

Just do it!

Wir können es besser! Lassen wir doch die doofen alten verkorksten Ansätze beiseite und legen wir frisch los. So sind wir mit der Arroganz der Jugend (oder korrekter des gemeinen Nerds, der im wesentlichen aus dem IT-Umfeld kommt) an Politik und Gesellschaftsveränderung herangegangen. Und, wie sich heute zeigt, leider spektakulär, jenseits der negativsten Prognosen gescheitert.

Ein sehr schöner Artikel mit Beiträgen zahlreicher »Silicon Valley« Pioniere beschreibt den allgemeinen Kater, der viele im Augenblick zu Recht erfasst hat. Zu kurz kommt für mich die Hybris, die epische Selbstüberschätzung der „Elite“ der Nerds. Es wird im Artikel nahegelegt, viele Techniker wüssten welchen Schaden sie anrichten und täten es trotzdem. Diese Fälle wird es geben, v.a. auch bei den Entscheidungsträgern, vermute ich. Das für mich schlimmere Phänomen aber ist, dass der reine Fokus auf die Technik vielen reicht. Ich mache technisch etwas cooles und weil es cool ist und ich jung und modern, muss es auch gut für die Welt sein. 

Wir konnten und können dabei zwei Glaubenssätze beobachten, die gleichzeitig (auch ohne es zu nennen) politische Programme sind. Erstens: neue Technologie ist gleich Fortschritt und zweitens, wir brauchen keine Politik mehr, denn wir die Probleme der Zeit sind im wesentlichen technisch/organisatorische Probleme, die sich mit einem technisch/optimierenden Zugang leicht lösen lassen. Beziehungsweise eine Abwandlung der zweiten: Neue Technologie wird de facto eine neue und bessere Gesellschaft erstellen, die Politik im herkömmlichen Sinne nicht mehr braucht.

Die Folgen sehen wir mittlerweile an allen Ecken und Enden: da neue Technologie, v.a. Software unser Leben besser macht – also per definitionem Fortschritt ist–, brauchen wir  nicht viel nachdenken oder gar die Bevölkerung einbinden (die würden es ohnedies nicht verstehen), sondern können jede Neuigkeit gleich maximal breit ausrollen. Diejenigen, die sich Kritik erlauben, werden als Internetausdrucker oder ewig Gestrige, Fortschrittsverhinderer, Reaktionäre bezeichnet. Da sich alle Probleme der Welt, von Armut bis zum Klimawandel, mit neuen Techniken lösen lassen, lassen  wir uns von den alten Verhinderern mit ihrer langsamen Entscheidungsfindung nicht aufhalten. Handelsplattformen, Mikro-Kredit-Systeme, oder das Elektroauto sind schnell auf den Markt geworfen. Zwar wird heute kaum mehr etwas zu Ende gedacht oder -entwickelt, aber das ist egal, das Produkt reift beim Kunden. Mobilität müssen wir keinesfalls fundamentaler hinterfragen. Denn wenn erst jeder Bürger des Planeten ein Elektroauto fährt, wird die Luft rein, die Städte lebenswert und der Klimawandel Geschichte sein. So auch die Mission von Tesla:

»to accelerate the advent of sustainable transport by bringing compelling mass market electric cars to market as soon as possible«, Tesla Mission 

Alles wird gut. Vergessen haben wir dabei, dass Langsamkeit in der Entscheidungsfindung durchaus ein wohl-durchdachtes Feature kein Bug moderner Gesellschaften ist. Diese haben wird zerbrochen, und es stellt sich aber heraus: die Nerdkultur ist mindestens so fehlerbehaftet wie die der alten Scheißer. Es geht nur wesentliche schneller und oftmals in die völlig falsche Richtung. BitCoin, Facebook, das Internet der Konzerne, Werber und Überwacher.

Round Mountain Goldmine [Wikimedia Commons, PDTillman]

BitCoins sind ein schönes Beispiel: was für eine Innovation! Lasst uns frohen Mutes Zahlungssysteme entwickeln, die illegale Geldflüsse, dubiose Transaktionen und Spekulationen aller Art noch einfacher machen. Und das Beste: das Erzeugen von BitCoins belastet die Natur auch nur rund dreimal so stark wie der Abbau von Gold. Wenn das kein Innovation, kein Sieg über den alten Finanzkapitalismus ist!

Move fast and break things. Der Slogan von Mark Zuckerberg wird wörtlich genommen. Auch Uber, Facebook oder AirBnB scheren sich wenig um gesetzliche Rahmenbedingungen. Don’t be evil, der Google Slogan ist auch bei der ersten Feindberührung von der Wand gefallen. Jedes kleine Startup in Deutschland oder Österreich wäre auf der Stelle von den Behörden dem Erdboden gleichgemacht worden, hätte es sich so verhalten wie Uber oder AirBnB. Vor den US-Monopolisten aber gehen wir in die Knie. Hier zeigt sich, wo man hinkommt, wenn man staatliche Strukturen für wertlos hält. 

Auch wenn der Eindruck hauptsächlich von (US) Eliten geweckt wird: die zahlreichen anderen Probleme der Zeit, die unsere Gesellschaft im Kern bedrohen, wie der Klimawandel, außer Kontrolle geratene Finanz- und Wirtschaftspraktiken, politische Radikalisierung, Kollaps von Ökosystemen usw. werden durch mehr und bessere Technologie – alleine – mit Sicherheit nicht gelöst. Setzen wir die Umsetzung mit vergleichbarer Naivität wie in der Vergangenheit fort, so ist eher zu erwarten (denken wir an die politische Radikalisierung), dass die Technologie noch dramatischzur Verschärfung der Lage beitragen wird.

Damit kommen wir zum zweiten Punkt: der vermeintlichen a-politik der Nerds. Nerdkultur ist jedenfalls ideologisch bemerkenswert: an der Fassade ist sie liberal, mit der (durchaus ehrlichen gemeinten) Intention, vielen Menschen zu helfen und neue Möglichkeiten zu geben. Insofern könnte man sie sogar als klassisch links bezeichnen. Im Effekt ist sie aber brutal neoliberal. Im hässlichsten Sinne des Wortes. Sie zerstört in einer kaum zu begreifenden Geschwindigkeit etablierte Systeme. Das Ablösen alter Systeme wäre für sich genommen noch nicht unbedingt ein Fehler. Das Problem ist die Geschwindigkeit. Es bleibt weder Zeit nachzudenken, zu überlegen, was für die meisten Menschen eine positive Änderung wäre. Es wird vielmehr von einer (zumeist Finanz-) Elite definiert, wie die “gute” Gesellschaft auszusehen hat. Das ist sehr dünn durchdacht, aber umso schneller umgesetzt und dient dann, wer hätte das gedacht, vor allem wieder den ursprünglichen Investoren. 

Die Vordenker träumen die, wie Fred Turner das ausgedrückt hat: »Cyber Phantasy that technology can substitute for politics«. Den Investoren geht das am A… vorbei, solange sich die Investition rechnet und sie über diesen Weg an reale politische Macht gelangen, und die Nerds streiten sich darum, wer auf den Techno-Spielplätzen von Google, Amazon und Co arbeiten darf. Denn sie arbeite ja – vermeintlich – an einer besseren Zukunft. Don’t be evil. Hatten wir schon...

Die politische Dimension hat aber auch anderes Erstaunliches zu bieten. Erinnern wir uns an die Implosion der Piratenpartei. Eine Partie der Jungen, der Nerds, der Intellektuellen, die alles besser wussten, natürlich digital natives sind und alles digital besser machen wollten. Ist es nicht bemerkenswert, dass die Piraten nicht am Feind, am politischen Gegner gescheitert sind? Dazu ist es nicht ernsthaft gekommen. Sie haben sich schon zuvor durch spektakuläre Inkompetenz und innere Konflikte zerrieben. Das ist verheerend, denn wir bräuchten starke und auch junge politische Parteien.

Wir wollten die Systeme demokratischer werden lassen, mehr Mitsprache erlauben. Statt dessen werden sie radikal und oligarchisch. Sie unterstützen und ermöglichen Kriminalität in erheblichem Ausmaß, Menschen werden nicht empowered sondern zu Figuren von Monopolen. The winner takes it all, das geltende Prinzip im E-Commerce, führt zu einer Festigung bestehende Machtstrukturen oder sie durch andere Monopole ersetzt. Die Schwachen werden eher noch schwächer und die Schwächsten bleiben auf der Strecke. Die Menschen sind im Dauerfeuer der Informationskanäle und kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Statt Erholung erhöhen wir die Informationsdichte – IT auf Drogen.

Die realen Wirkungen ihres Tun wollen viele Protagonisten immer noch nicht wahrhaben. Sie sind, um Mephistopheles das Wort zu verdrehen: Ein Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft.

Was aber das wichtigste ist: die Idee, Technik könnte Politik ersetzen ist ein fataler Irrtum und führt zu einem von zwei wenig wünschenswerten Ergebnissen: entweder kapert die reaktionäre (etablierte) Politik diese Systeme mit überraschendem Geschick (Trump, AFD, chinesische Regierung etc.) oder es entstehen tatsächlich Parallelstrukturen, die zwar auf den ersten Blick nicht politische sind (Silicon Valley Kapitalismus, Elite-Schulen und -Universitäten), die aber, sozusagen über Bande, dann zu den politischen Treibern des 21. Jahrhunderts werden. Und dies mit globalem Einfluss ohne gesellschaftliche Legitimität vor Ort.

Ist IT als böse? Müssen wir zurück ins 19. Jahrhundert? Kaum. Aber die Zeit des wilden Westens und der kindlichen Naivität sollte vorbei sein. Schreiben wir die aktuellen »Innovationen« als Lehrgeld ab. Es trifft keine Armen. Denn wir haben eine Wahl. Und wir sind die Bürger, weder die Nerds noch die Investoren. die Die Zukunft ist nicht vorbestimmt und – entgegen anderslautender Behauptungen – nicht alternativlos. 

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)