Mittwoch, 8. April 2020

Brian Arthur über Algorithmen und die Wandlung moderner Wissenschaft

Brian Arthur ist einer der Gründer des Santa Fe Institutes und beschäftigt sich in einem sehr interessanten aktuellen Artikel mit der Frage, wie Algorithmen die moderne Wissenschaft verändert haben. 

Eine kurze Zusammenfassung der Kern-Gedanken dieses Artikels:

Bis etwa ins Jahr 1600 war die dominierende Form »Wissenschaft« zu betreiben (der Begriff selbst ist schwierig, da er eigentlich erst später verwendet wird) die Geometrie. Für die Gelehrten des antiken Griechenland war Mathematik gleich Geometrie.

Ab ca. 1600 beginnt sich eine erste Transformation abzuzeichnen, von der Geometrie hin zur Algebra, wobei der persische Gelehrte Al Chwarizmi schon erste Formen algorithmischen Denkens beschreibt – daher geht das Wort Algorithmus auch auf seinen Namen zurück. 1591 führt der Mathematiker Francois Piète eine neue Form der symbolischen Beschreibung ein und wird in den 1630er Jahren von Fermat und Descartes aufgegriffen und weiter entwickelt. 

Algebra ist abstrakt geworden. 

Ab etwa den 1720er Jahren wird es üblich sich algebraisch auszudrücken und die Algebra wird die Sprache der Mathematik.

Im Jahr 1786 schreibt Immanuel Kant: »Das Kriterium der wahren Wissenschaft liegt im Bezug zur Mathematik« (er meint algebraische Mathematik).


Die Biologie allerdings, die sich immer schneller zu entwickeln beginnt, passt nicht recht in dieses algebraische Schema. Sie beschäftigt sich mit Fragen wie Evolution, Embryologie, Proteinen, Epigenetik; alles Aspekte, die sich getrieben sind von Ereignissen und als Prozesse zu verstehen sind.

So richtig hebt das Thema der Algorithmik dann ab den 1930er Jahren ab. Computer werden wichtiger – wobei man unter Computern in dieser Zeit zumeist Frauen verstanden hat, die händisch umfangreichere Berechnungen, oft in größeren Gruppen, durchgeführt haben. 

Wesentliche Namen dieser Entwicklung sind: John von Neumann, Alan Turing, Claude Shannon und viele andere.

Es gibt nun nach Arthur zwei Ausdrucksweisen oder Moden für Systeme, die sich über die Zeit entwickeln:

1. eine Gleichungs-basierte oder analytische, in diesem Fall ergibt sich der nächste Schritt nur von meiner aktuellen Position.
2. eine algorithmische: hier trifft zu was unter (1) gesagt wurde aber zusätzlich können größere Kontexte die Entwicklung beeinflussen.

An dieser Stelle wird auch ein Bezug zwischen Algorithmen und Intelligenz hergestellt, jedenfalls einer biologischen Definition von Intelligenz die darauf hinausläuft, dass darunter die Fähigkeit eines Organismus die eigene Situation zu erkennen und darauf zu reagieren zu verstehen sei. (Leider gibt es für diese Definition keine Referenz.)

Zusammengefasst stellt Arthur fest, dass die natürliche Sprache der Biologie die Algorithmik ist.

Ein zweiter wesentlicher Aspekt wird entwickelt: Die Art und Weise, wie wir Systeme beschreiben (also z.B. geometrisch, algebraisch, algorithmisch) beeinflusst unser Verständnis des Systems sowie auch auf welche spezifischen Aspekte des Systems wir uns fokussieren. 

Algebraischen Gleichungen verhandeln im wesentlichen Größen (Geschwindigkeit, Menge, Masse, usw.). Diese Quantitäten bilden Hauptworte. Daraus folgt nach Arthur, dass eine Wissenschaft die sich der Algebra bedient sich auf Hauptworte fokussiert. Als Beispiel nennt er die Ökonomie, und den daraus folgenden verzerrenden Effekt der verwendeten Mathematik: Wirtschaftswissenschaften sind seiner Ansicht nach hervorragend darin mit Fragen der Zuordnung umzugehen etwa Mengen, Preisen. Sie hat aber wenig zu Themen der Formation zu sagen, etwa: wie Wirtschaft überhaupt entsteht, wie es zu Innovation kommt, wie sich Strukturen bilden.

Algorithmische Systeme können ebenfalls mit Hauptworten umgehen aber ebenso mit Verben, also Prozessen oder Ereignissen. Er folgert daraus, dass wir Wissenschaften in »Hauptwort-basierte« (Physik des 19. Jahrhunderts, Chemie, Standard Ökonomie) und »Verb-basierte« (Biologie, Genetik, Informatik) einteilen können.

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)