Der Weg nach Cambridge
Im zweiten Artikel dieser Serie steht der Kristallograph John Desmond Bernal im Mittelpunkt. Bernal, später von Kollegen und Freunden "Sage", "Der Weise" genannt, wurde am 10. Mai 1901 in Irland geboren. Seine Mutter war eine der ersten Studentinnen der Stanford Universität in Kalifornien. Bernal kam so früh in Kontakt mit Wissenschaft. Er las Ausschnitte der Vorlesungen von Faraday und kaufte von seinem Taschengeld ein Mikroskop. Auch in der Bedford School in Midlands, auf die er später geschickt wird, wurde auf Naturwissenschaft viel Wert gelegt. Seine Schulzeit aber war vom ersten Weltkrieg überschattet. Älteren Burschen ziehen in Krieg und viele fallen in Frankreich. Bernal erlebt beide Weltkriege. Den ersten als Schüler, den zweiten als Wissenschafter.
Emmanuel College, Cambridge |
Auf wissenschaftlicher Ebene interessierte er sich vor allem für für Kristallografie, Chemie, Physik und Mathematik. Und es waren gerade diese Naturwissenschaften, die in den 40er und 50er Jahren den Umbruch in der Biologie begründen. Wie Ernst Peter Fischer im Vorwort zu der Neuauflage Schrödingers Was ist Leben? schreibt:
"Die moderne Biologie ist nicht das Werk von Biologen. Sie ließen sich in den 40er Jahren das Heft ihrer Wissenschaft aus der Hand nehmen."
Aber greifen wir nicht zu weit vor: Bernal bekam ein Stipendium am Emmanuel College in Cambridge, das als Hochburg des Puritanismus gilt. Wie sich zeigen wird, hätte es Bernal möglicherweise gar nicht geschadet, hätte ein wenig davon abgefärbt. In Emmanuel studierte er zunächst Mathematik und wechselte erst später (aufgrund recht schwacher Leistungen in Mathematik und dem Rat seines Tutors folgend) zu den Naturwissenschaften. Er studierte Physik, Chemie, Geologie, später Mineralogie. Bernal fühlte sich aber am meisten zur Physik hingezogen denn:
"Chemie ist voll von Gerüchen, Geologie von Namen." ("Chemistry is too full of smells, Geology of names")
Die intensive Beschäftigung mit Physik und die Kenntnisse in Chemie und Mineralogie sind das Fundament für seine späteren wissenschaftlichen Arbeiten in der Röntgenstrukturaufklärung und Kristallographie.
Politik und Liebesleben
Die Erfahrungen der Weltkriege und der Nachkriegsjahre führten bei Bernal neben der Wissenschaft zu einem leidenschaftlichen Interesse an Politik. Sein "Erweckungserlebnis" lässt sich auf den 7. November 1919 datieren. In dieser Nacht führte er eine lange Diskussion mit einem Komilitonen, H. Douglas Dickinson, dessen Vater Kurator des Science Museums in London, sowie Experte der Geschichte der Industriellen Revolution war. Bernal schreibt in seinem Tagebuch:
"Dieser Sozialismus ist eine wunderbare Sache. Warum hat mir noch niemand zuvor davon erzählt? Und Dick weiß alles darüber und erklärt es mir in wenigen Stunden. Die Theorie des Marxismus, das große russische Experiment, was wir hier und jetzt tun könnten. Es war alles so klar und einleuchtend, so universell."
Später, während seiner Zeit in London, trat er mit seiner Frau der kommunistischen Partie bei. In dieser Zeit verlor er auch endgültig seinen Bezug zur Religion. Zahllose Diskussionen (viele politischer Natur) brachten ihm den Spitznamen "Sage" ("Der Weise") ein.
Auch seine Frau Eileen lernte er auf einer politischen Veranstaltung in Cambridge kennen. Die Ideen des Sozialismus sind nicht nur in elitären und universitären Zirkeln wie Cambridge heiß diskutiert, sondern griffen in Folge der Wirtschaftskrise nach dem Krieg auf die gesamte britische Insel über.
Apropos Eileen: Das Liebesleben Bernals böte genug Stoff für eine Verfilmung im Geiste der 60er Jahre mit Woody Allen in der Hauptrolle. Zwar hatte er mit Eileen zwei Söhne und die Beziehung zu seiner Frau blieb bis an sein Lebensende bestehen, aber beide Ehepartner nahmen es mit der Treue nicht so genau. Vor allem Bernal nahm sich eine Menge Freiheiten heraus. Liest man seine Biographie, so kann man den Eindruck gewinnen, dass er mit jeder zweiten Kollegin, die seinen Weg kreuzte, auch eine Affäre angefangen hatte. Zu seinen Beziehungen zählten Frauen wie Margaret Gardiner, mit der er einen Sohn hat, Margot Heinemann, eine Tochter und der späteren Nobelpreisträgerin Dorothy Crowfoot-Hodgkin. Besonders die Beziehung zu Crowfoot-Hodgkin erscheint problematisch, da sie zur Zeit ihrer Affaire auch seine Dissertantin war.
Bernals freizügige Einstellung zur Sexualität und wohl auch seine politischen Ansichten helfen ihm nicht gerade im eher konservativen Cambridge eine bessere Position zu erlangen.
Apropos Eileen: Das Liebesleben Bernals böte genug Stoff für eine Verfilmung im Geiste der 60er Jahre mit Woody Allen in der Hauptrolle. Zwar hatte er mit Eileen zwei Söhne und die Beziehung zu seiner Frau blieb bis an sein Lebensende bestehen, aber beide Ehepartner nahmen es mit der Treue nicht so genau. Vor allem Bernal nahm sich eine Menge Freiheiten heraus. Liest man seine Biographie, so kann man den Eindruck gewinnen, dass er mit jeder zweiten Kollegin, die seinen Weg kreuzte, auch eine Affäre angefangen hatte. Zu seinen Beziehungen zählten Frauen wie Margaret Gardiner, mit der er einen Sohn hat, Margot Heinemann, eine Tochter und der späteren Nobelpreisträgerin Dorothy Crowfoot-Hodgkin. Besonders die Beziehung zu Crowfoot-Hodgkin erscheint problematisch, da sie zur Zeit ihrer Affaire auch seine Dissertantin war.
Bernals freizügige Einstellung zur Sexualität und wohl auch seine politischen Ansichten helfen ihm nicht gerade im eher konservativen Cambridge eine bessere Position zu erlangen.
Zurück zur Wissenschaft
Sein Doktorat machte er unter William Bragg, dem Direktor der Royal Institution in London. In dieser Zeit leistete er wesentliche Beiträge zur Röntgenkristallographie komplexer Moleküle. Er kehrte nach Cambridge zurück und unterrichtete Kristallographie und Strukturaufklärung. Dabei arbeitete er gemeinsam mit Dorothy Hodgkin. Mit seiner Arbeit legte er die ersten Grundlagen der sogenannten molekularen Biologie. Er beschäftigte sich dabei unter anderem mit der Aufklärung der chemischen Struktur der Steroide. Zu seinen Schülern zählen Größen wie Max Perutz aber ebenso Rosalind Franklin. Mit beiden werden wir uns in späteren Artikeln noch beschäftigen. Bernal untersuchte zunehmend komplexere chemische Strukturen. Bereits 1934 machte er den nächsten großen Schritt und erstellte erste Aufnahmenen von Protein-Kristallen wie Pepsin. Andere Proteine und Viren folgten. Er identifizierte dabei den Typus der spirallförmigen Strukturen, die später zur Entschlüsselung der DNS-Struktur führen wird.
1931 waren Gene und Chromosome bekannt. Auch wurde vermutet, dass diese aus Proteinen aufgebaut sind, denn alleine die ungeheure Vielzahl an möglichen Proteinen erlaube die Variabilität die benötigt wird. Doch die meisten der heute allgemein bekannten Zusammenhänge liegen zu Beginn der 1930er Jahre noch weitgehend im Dunkel. Etwa wurde die Frage heiß diskutiert, an welcher Stelle die Erbinformation gespeichert würde, oder wie diese Information von Generation zu Generation weitergegeben wird. Bernal schrieb:
"Was wir nach J.B.S Haldane über Genetik wissen setzt voraus, dass individuelle Protein Moleküle in einem Chromosom exakt dupliziert werden. [...] Nur ein göttlicher Kopierer aber könnte ein komplexes dreidimensionales Molekül fehlerfrei kopieren. [...] Ziehen wir aber eine natürliche Lösung vor, so müssen wir uns vorstellen, dass dieses Molekül in zwei Dimensionen oder gar in einer Kette gestreckt wird. In dieser Form können sich gegengleiche Partner an diese Ebene oder Kette anpassen und chemisch gebunden werden."
Er schloss allerdings die zwei-dimensionale Version aus chemischen Gründen aus. Im Jahr 1931 war dies noch eine unbelegte, wenngleich enorm weitsichtige Vermutung. Erst 20 Jahre später wird es James Watson und Francis Crick mit Hilfe der Daten von Rosalind Franklin und Linus Pauling gelingen diesen Mechanismus darzustellen.
Im Jahr 1936 wurde ihm Max Perutz, der aus Wien kommt als Student vorgestellt. Beide bleiben für viele Jahre in Kontakt; zunächst als Student, später als wissenschaftlicher Kollege. Auch dazu später mehr.
Krieg und Wissenschaft – Wissenschaft für den Krieg
1937 wurde Bernal Fellow der Royal Society und 1938 als Professor am Birkbeck College in London nominiert. Aber nun kommt der zweite Weltkrieg dazwischen und er wurde zum wissenschaftlichen Berater im Ministerium für Homeland Security berufen. Seine kommunistische Gesinnung störte dabei nicht. Er wendet die wissenschaftliche Methode auf die strategische Kriegsführung an und beschäftigte sich unter anderem mit der Optimierung der Bombardierung durch Flugzeuge und riet vom Flächenbombardment deutscher Städte ab. Dies allerdings weniger aus humanitären Erwägungen, sondern vielmehr aus Gründen der Effizienz. Ein Bomberpiloten zu Bernal: "Wir schätzen uns schon glücklich, alter Junge, dass wir die Bomben ins richtige Land werfen."
Später im Krieg wude Bernal Louis Mountbatten's Team, das den "D-Day" plante, zugewiesen. Bernal kartographierte die Strände der Normandie. Der Krieg führte ihn an der Seite Mountbattens bis nach Südost-Asien, wo er Seite an Seite mit John Kendrew arbeitete. Kendrew erhielt später gemeinsam mit Max Perutz den Nobelpreis für die Arbeit an Hämoglobins. Auch an der Planung des sogenannten "Mulberry" Hafens, einem temporärer Hafen und dem eher obskuren Projekt Habbakuk, das eine Art von Flugzeugträger für die Invasion in der Normandie werden sollte war Bernal beteiligt. Auch der junge Max Perutz wurde eine zeitlang dem Projekt Habbakuk zugewiesen.
Bernal sah Wissenschaft aber immer mehr im Kontext der Auswirkungen auf die Gesellschaft. Sie sollte nach seiner Ansicht neben dem besseren Verständnis der Natur aber auch dem Wohlergehen der Menschen dienen. Im Jahr 1939 erschien sein einflussreiches Buch The Social Function of Science (Die soziale Funktion der Wissenschaft). Dieses Buch wird vielfach rezipiert. Auch der amerikanische Wissenschafter Linus Pauling äußerte sich sehr wohlwollen zu Bernals Ansichten und verwendete es als Literatur in Seminaren am California Institute of Technology in den USA.
Nach dem Krieg kehrt Bernal nach London zurück. Er war schockiert von der Vorstellung der Auswirkungen eines Atomkrieges. Gemeinsam mit Frédéric Joliot-Curie gründete er das Welt-Friedens Konzil, das allerdings zu einem Instrument russischer Propaganda wurde. Auch schrieb er weiterhin viel über die Rolle von Wissenschaft und Gesellschaft und brachte sich sehr einflussreich in Kampagnen für soziale Verantwortung der Wissenschaft ein. Aber auch die Unterstützung der Grundlagenforschung war ihm ein stetes Anliegen.
Wegbereiter der modernen molekularen Biologie
Bernals Team 1946. hinten: Sam Levene, G. Jeffrey, Hirsh, Pit, Helena Scouludi. vorne: Anita Rimel, Ehrenberg, John Desmond Bernal, Helen Megaw, Harry Carlisle. |
Bernal war nicht nur ein Pionier der Röntgenkristallographie (dazu mehr in einem kurzen eigenen Artikel), er erkannte gemeinsam mit Dorothy Hodgkin sehr früh die Möglichkeiten, die in Computern stecken. Röntgen-Kristallographie erzeugt Daten, die erst mit komplexen mathematischen Verfahren aufbereitet werden müssen um konkrete Aussagen über die Struktur der untersuchten Substanzen zu erlauben. Eine der komplexen mathematischen Methoden ist die sogenannte Fourier-Transformation. Da die verschiedenen Atome den Röntenstrahl in unterschiedlicher Weise beugen, kommt es zu einer darauffolgenden Überlagerung der gebeugten Wellen. Das Ergebnis, das gemessen wird, spiegelt daher die Summe dieser überlagerten Wellen wieder. Mithilfe der Fourier-Transformation kann man versuchen, die ursprünglichen Wellenformen wieder zu rekonstruieren. Eine komplexe und zeitaufwändige Arbeit, besonders wenn diese händisch erledigt werden muss!
Andrew Donald Booth (Foto von der International Union of Cristallographers) |
Hodgkin und Bernal experimentierten mit den Möglichkeiten, Computer für diese Fourier-Transformationen einzusetzen und erkannten, wie sehr Computer diese mühsamen Berechnungen beschleunigen können. 1950 wurde der dritte Computer Großbritanniens am Birkbeck College entwickelt um Bernals Kristallographie-Forschung zu unterstützen. Andrew Donald Booth, einer der frühen Computer-Pioniere, hat bereits in Birmingham Analog-Computer gebaut. 1946 ermöglichte ihm Bernal eine Reise in die USA, wo er die wichtigsten Computer-Center besuchte, darunter Harvard, MIT, Bell Labs. Am meisten begeisterte Booth allerdings von Neumann in Princeton. Booth arbeitete an Speichertechnologien, die man als Vorläufer der modernen Festplatte bezeichnen kann. Diese Technologie wurde in die ersten Computer verwendet, auch im APEX. Dieser Rechner wurde am Birkbeck College für kristallographische Berechnungen getestet. Obwohl Booth sich auch weiter mit Kristallographie beschäftigte, hatten die damaligen Computer letztlich noch nicht genügend Speicherplatz um für die Strukturaufklärung von Proteinen eingesetzt werden zu können.
1953 wurd die Doppel-Helix Struktur der DNS von Watson und Crick erfolgreich entschlüsselt. Dazu mehr in einem späteren Artikel. Diese Aufklärung der DNS-Struktur war nur durch den Einsatz der Röntgenstrukturaufklärung, die Bernal mitbegründet hatte, und das enorme experimentelle Geschickt in der Anwendung dieser Methodik durch Rosalind Franklin möglich. Der Strukturvorschlag von Watson und Crick fand international aber vor 1956 wenig Anerkennung. Bernal hingegen erkannte die Bedeutung sofort und nannte sie "die bedeutendste alleinstehende Entdeckung in der Biologie".
Weisheit bis zum Ende?
"Bernal betrieb [nach dem Krieg] zwar noch hier und da ein bißchen Protein-Kristallographie, kümmerte sich aber mehr um die Verbesserung der Beziehung zu den kommunistischen Staaten.", James Watson, Die DoppelhelixGerade in den letzten Jahrzehnten seines Lebens ist von der sprichwörtliche Weisheit Bernals manchmal wenig zu spüren. Seine politischen Aktivitäten, vor allem die mangelnde Abgrenzung von sowjetischer Propaganda, wirkten sich negativ auch auf seine Glaubwürdigkeit als Wissenschafter aus. Er war zunehmend isoliert. Bernal ließ sich – für viele seiner Kollegen unverständlich – in die russische Propaganda einspannen. So saß er bei einer russischen Friedenskonferenz neben Chruschtschow. Auch gelten seine Äußerungen über die Rolle Stalins als problematisch. Aus wissenschaftlicher Sicht besonders negativ aufgenommen wurden auch seine Stellungnahmen zum russischen "Wissenschafter" Lysenko.
Trofim Denisovich Lysenko war ein Bauernsohn, der über keine konventionelle Ausbildung in Biologie verfügte, der aber erste Experimente mit Saatgut im Dorf seines Vaters durchführte. Sein Ziel war es, die landwirtschaftliche Produktivität zu verbessern. Seine Experimente waren nie wirklich erfolgreich. Auch hat er sie nie gründlich genug durchgeführt und zumeist frühzeitig abgebrochen. Er war, kurz gesagt, ein schlechter Wissenschafter, gleichzeitig aber ein äußerst begabter Selbstvermarkter. Er bewarb sich und seine Ideen in den höchsten Tönen bis es ihm letztlich gelang bei Stalin Gehör zu finden. Seine Thesen sind und waren grundfalsch, passten aber hervorragend in das politische Gedankengut der Kommunisten der 1940er Jahren. So waren etwa Gregor Mendel und Thomas Morgan Feindbilder, vor allem die Idee, dass Erbinformation (vergleichsweise unveränderlich) in Chromosomen abgelegt ist. Lysenko behauptete, dass es keinen fixen Ort für die Erbinformation gäbe und dass man Eigenschaften in einem Individuum ändern und an die Nachfolgegeneration weitergeben kann. Er vertrat gewissermaßen eine Version des Lamarckismus. Dies passte gut in die Ideologie der Zeit, die zum Ziel hat die menschliche Natur zu verändern.
Trofim Denisovich Lysenko spricht im Kreml. Im Hintergrund Joseph Stalin. |
Falsche Ideen zu haben ist zunächst noch kein Problem, das passiert vielen Wissenschaftern. Lysenko war allerdings an ernsthafter Wissenschaft nicht interessiert und gewann dennoch zunehmend politischen Einfluss. Stalin sah die Bedeutung von Wissenschaft und Technologie und forcierte deren Anwendung auf die Gesellschaft, Industrie, Militär und Landwirtschaft. Stalin glaubte aber bereitwillig völlig falschen Behauptungen, wenn sie ideologisch in sein Weltbild passten. Mit Lysenko hatte er einen willigen Partner gefunden. Seine Behauptungen passten hervorragend in die ersten 5-Jahrespläne. So schlecht Lysenkos Wissenschaft war, so groß war sein Einfluss den er auch gegen Kollegen ausübte. Viele angesehene Wissenschafter litten unter Lysenko oder wurden gar (wie der bedeutende Biologe Nikolai Vavilov) verhaftet und zum Tode verurteilt. Dieser Terror führte natürlich dazu, dass Wissenschafter und Verantwortliche der Landwirtschaft eher logen und falsche Angaben machten als darzulegen, dass Lysenkos Methoden nicht funktionieren. Lysenkos Einfluss reichte noch nach Stalins Tod bis in die 60er Jahre. Selbst in den 50er Jahren war es in der Sowjetunion praktisch nicht möglich ernsthafte Forschung im Bereich der Genetik durchzuführen. Nicht nur die Biologie und Genetik Russlands wurde durch Lysenko für Jahrzehnte beschädigt, sondern auch deren Landwirtschaft. Erst nach den 50er Jahren werden langsam die falschen Praktiken durch moderne Methoden, wie sie in den USA praktiziert werden, ersetzt.
Unter diesen Gesichtspunkten erscheint es doch sehr unangebracht, dass gerade ein herausragender Wissenschafter und Intellektueller wie Bernal einen solchen Scharlatan in Schutz nahm. Bernal war es immerhin, der selbst die Grundlagen legte, auf deren Basis Wissenschafter wie James Watson und Francis Crick mit der Aufklärung der Struktur und Funktion der DNS den Ansichten Lysenkos ins Reich der Mythen verwies. Für seine Ansichten wurde Bernal auch von Julian Huxley, dem Direktor der UNESCO offen kritisiert. Bernals Faszination für Russland, den Kommunismus und die Planwirtschaft scheinen mit seinem Intellekt eigentlich nicht vereinbar zu sein. 1953 erhielt er gar den Stalin-Friedenspreis. Möglicherweise hatten die Ideale seiner Jugend ihn noch im späteren Leben geblendet. Selbst Max Perutz scherzte über Bernals Eintreten für die Planwirtschaft, denn Bernal "war ein Mann der niemals irgendetwas plante. Er war total unorganisiert."
Mag er auch auf dem linken Auge blind gewesen sein, so muss sein Eintreten für Frieden respektiert werden. Von 1959-1965 folgt er dem Chemienobelpreisträger Frédéric Joliot-Curie als Präsident des Weltfriedensrates nach.
Bernal war, wie wir auch noch bei Persönlichkeiten wie James Watson oder Linus Pauling sehen werden, nicht der einzige Wissenschafter, der Spitzenleistungen in seinem Fach leistet und gleichzeitig in anderen intellektuellen oder menschlichen Aspekten nicht denselben hohen Standards genügt. Daher sind auch Aussage von Nobelpreisträgern und anderen Spitzenforschern immer gründlich zu hinterfragen, ganz besonders wenn diese aus Bereichen stammen, die nicht der Kernkompetenz der jeweiligen Person entspricht.
John Desmond Bernal starb am 15. September 1971.
Liste aller Artikel dieser Serie
Weiterführende Literatur
- Artikel in Nature
- J. D. Bernal, The Sage of Science, Andrew Brown: Book, Article
- International Union of Crystallography
- A life in Science, Andrew D. Booth
- Andrew D Booth - Britain’s Other "Fourth Man", Roger G. Johnson
- Bernals X-Ray Diffraction Camera, Science Museum London
- Century of Endeavour, JD Bernal and the 'Science and Society' Theme, Roy Johnston
- Max Perutz and the Secret of Life, Georgina Ferry
- BBC In Our Time: Crystallography
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