Freitag, 7. Mai 2010

25 Jahre "Ozonloch": Ein Modell für den rationalen Umgang mit globalen Bedrohungen?

Ich bin im Rausch der Wissenschaftsjubiläen, diesmal: "25 Jahre Ozonloch". Eine Geschichte mit überraschend gutem Ausgang, die als Beispiel für den Umgang mit dem Klimawandel dienen könnte. Aber zurück an den Anfang: vor genau 25 Jahren wurde das Ozonloch zum ersten Mal in einer wissenschaftlichen Publikation beschrieben. Der Artikel wurde von drei Britischen Forschern des Antarktik-Dienstes in Nature veröffentlicht:
Large losses of total ozone in Antarctica reveal seasonal ClOx/NOx interaction, Nature Vol. 315, 16 May 1985 (PDF)
Dieser Artikel schockierte nicht nur die Forschergemeinschaft. Zwar gab es schon vorher Vermutungen, dass bestimmte industrielle Chemikalien zu einem Abbau von Ozon in der Atmosphäre führen können, aber kaum jemand hatte mit einem derartig starken Verlust der Ozonschicht gerechnet. Wie so oft bei großen wissenschaftlichen Entdeckungen, waren diese drei Forscher allerdings nicht einzigen die diese Beobachtung gemacht hatten. Beispielsweise analysierten auch Forscher der NASA Ozon-Messwerte eines NASA-Satelliten. Sie zögerten allerdings mit der Veröffentlichung der Daten da die Werte zu niedrig zu sein schienen. Da die Kalibrierung von Messgeräten in Satelliten nicht trivial ist, hatten sie zunächst den Verdacht, dass es sich bei diesen Werten um Messfehler handeln könnte. Nach dem Artikel in Nature wurde allerdings den NASA Wissenschaftern klar, dass die Messwerte des Satelliten Nimbus-7 korrekt sein dürften.

Das erste Paper in Nature war wesentlich um das Problem auf die Agenda der wissenschaftlichen Gemeinschaft zu bringen, es war inhaltlich aber nicht ohne Fehler. Vor allen Dingen die luftchemischen Reaktionen wurden erst in den nächsten Jahren von anderen Forscherteams korrekt aufgeklärt. In einem Deutschlandradio Bericht wird der NASA Forscher Rick Stolarski zitiert:
"Joe Farman erkannte als erster, welche Bedeutung die Abnahme des Ozons hat, die er über Jahre beobachtete. Und er brachte sie mit dem Chlor in Verbindung. Darin lag Farman auch richtig. Allerdings: Seine Theorie, wie der Ozonabbau genau abläuft, war alles andere als korrekt. Das haben andere Forscher erst später im Detail aufgeklärt."
Die Entdeckung des Ozonloches war nicht nur eine wissenschaftliche, sondern auch überraschenderweise eine politische Erfolgsgeschichte. Bereits im Jahr 1987 (!), also nur zwei Jahre nach der ersten Publikation in Nature, wurde das Montreal Protokoll unterzeichnet. In diesem Protokoll wurden klare internationale Vereinbarungen getroffen um die Produktion von ozonschädigenden Gasen (im wesentlichen Fluorchlorkohlenwasserstoffe – FCKWs) und deren Ausstoß in die Atmosphäre einzustellen. Diese schnelle Reaktion war darum wichtig, weil in die Atmosphäre eingebrachte Gase dort für lange Zeiträume verbleiben. Selbst ein sofortiger Emissionsstop führt nur zu einem sehr langsamen Abklingen des Ozonabbaus. Der Nobelpreisträger Paul Crutzen erklärt in dem Radiointerview:
"Wir müssen unseren britischen Kollegen sehr dankbar sein, dass die über diese vielen Jahre die Messungen in der Antarktis gemacht haben. Denn hätten die das nicht getan, und hätten wir das Ozonloch viel später entdeckt, hätten wir mit internationalen Maßnahmen noch zehn Jahre gezögert, bin ich ziemlich sicher, dass wir auch in Europa ein Ozonloch gehabt hätten."
Paul Crutzen selbst hat wesentliche Beiträge zur Aufklärung der Atmosphärenchemie geleistet und damit geholfen die Mechanismen die zum Abbau der Ozonschicht führen zu erklären. Für diese wissenschaftliche Leistung erhielt er 1995 gemeinsam mit Mario Molina und Sherwood Rowland den Chemienobelpreis.

Die maximale Ausdehnung des Ozonloches misst die NASA daher auch erst Jahre nach der ersten Entdeckung, nämlich im September 2006. Durch die relativ schnelle Reaktion der Staatengemeinschaft konnte das schlimmste (z.B. eine weitere Ausdehnung des Ozonloches über Europa) verhindert werden. Bis zur Normalisierung der Situation werden trotzdem noch Jahrzehnte vergehen.


Leider scheint sich das gesellschaftliche und politische Klima innerhalb von nur zwei Jahrzehnten gewandelt zu haben. Heute haben wir klare wissenschaftliche Fakten, die auf einen katastrophalen Klimawandel hindeuten. Einen Klimawandel der wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten keinen Stein auf dem anderen lassen wird. Die Reaktion der Politik aber schwankt zwischen Ignoranz, glatter Leugnung der Fakten und Verzweiflung (bei den wenigen die die Situation tatsächlich erfasst haben). Die Stimmung ist derartig irrational geworden, dass sich mittlerweile Forscher genötigt sehen im angesehenen Wissenschaftsmagazin Science in Form eines Briefes gegen diese Form der Ignoranz, die sogar in Angriffen auf Forscher gipfelt, anzukämpfen. 255 führende Forscher der amerikanischen Akademie der Wissenschaften unterzeichnen diesen Brief (gesamter Brief als PDF):
"We are deeply disturbed by the recent escalation of political assaults on scientists in general and on climate scientists in particular. All citizens should understand some basic scientific facts. There is always some uncertainty associated with scientific conclusions; science never absolutely proves anything. When someone says that society should wait until scientists are absolutely certain before taking any action, it is the same as saying society should never take action. For a problem as potentially catastrophic as climate change, taking no action poses a dangerous risk for our planet."
und weiter:
"Climate change now falls into this category: there is compelling, comprehensive, and consistent objective evidence that humans are changing the climate in ways that threaten our societies and the ecosystems on which we depend. [...]
Society has two choices: we can ignore the science and hide our heads in the sand and hope we are lucky, or we can act in the public interest to reduce the threat of global climate change quickly and substantively. The good news is that smart and effective actions are possible. But delay must not be an option."
Vielleicht wäre es eine gute Idee, 25 Jahre nach der Entdeckung des Ozonlochs, den Umgang mit diesem Problem als Beispiel nehmen wie Wissenschaft, Wirtschaft und Politik zusammenarbeiten können?!

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)