Samstag, 28. Juni 2014

Die Zukunft der Menschen im Technium oder Makrogerät – Kevin Kelly vs. Günther Anders

Das mittlerweile einige Jahre alte Buch "What Technology Wants" von Kevin Kelly ist nach wie vor eine unbedingte Lese-Empfehlung. Ich teile die Schlussfolgerungen von Kevin Kelly nicht in jeder Hinsicht, aber es ist eine ungeheuer intelligente Analyse, wie wir Menschen, oder besser die Menschheit mit der Technik eins geworden sind oder vielmehr, wie Technik (oder "das Technium", wie es Kelly nennt) als eigene Kraft zu verstehen ist. Einige Zitate aus diesem Buch:
"Each new invention requires the viability of previous inventions to keep going."
"Technical arts enabled new tools, which launched new arts, which birthed new tools, ad infinitum. Artifacts were becoming so complex in their operation and so interconnected in their origins that they formed a new whole: technology."
"As a word, technium is akin to the German word Technik, which similarly encapsulates the grand totality of machines, methods, and engineering processes."
"... we do have three types of evidence strongly suggesting that the paths of technologies are inevitable: 1. In all times we find that most inventions and discoveries have been made independently by more than one person. 2. In ancient times we find independent timelines of technology on different continents converging upon a set order. 3. In modern times we find sequences of improvement that are difficult to stop, derail, or alter. […] when all the required conditions generated by previous technologies are in place, the next technology can arise."
Kurz gesagt, der Schluss, den Kelly in seiner Analyse zieht ist, dass die technische Entwicklung, die wir erleben, im Grunde unvermeidlich ist. Natürlich erkennt auch Kelly, dass jede neue Technologie Seiteneffekte hat, sowie systemisch mit anderen Technologien interagiert und wirft die offensichtliche Frage auf, ob wir Menschen auch weiterhin in der Lage sein werden, die Dinge, die wir geschaffen haben unter Kontrolle zu halten. Oder wird uns diese Entscheidung mittelfristig gar abgenommen? Wir kommen darauf zurück.

Bis zu diesem Punkt teile ich seine wirklich herausragende Analyse. Kelly verbreitet in seinem Buch letztlich eine optimistische und gelassene Grundhaltung. Zwar können wir die Entwicklung nicht wirklich aufhalten oder steuern, aber letztlich wird alles gut gehen. Jedenfalls lese ich seine Analyse so:   
"The technium spends only one quarter of its energy on human comfort, food, and travel needs; the rest of the energy is made by technology for technology."
Vielleicht kommt es letztendlich sogar dazu, dass die Entwicklung auch ohne uns weitergeht? (Dies ginge in die Richtung extremerer Interpretation der Singularisten, die ich nun wirklich für unseriös halte.) In konkret dieser Form drückt es Kelly nicht aus, aber seine Position ist recht deutlich und  passt zu dem häufig bei den Eliten in den USA vorzufindendem Techno-Optimismus. Sehr vereinfacht zusammengefasst: die Probleme mögen enorm sein, aber einerseits können wir den Fortschritt ohnedies nicht aufhalten und auf lange Sicht gesehen, werden wir die Probleme mit Hilfe des Techniums bewältigen.

Unnötig zu sagen, dass nicht jeder eine solch optimistische Stimmung mitbringt. Einen Aspekt, den Kelly meines Erachtens nach nicht hinreichend berücksichtigt ist die Tatsache, dass wir immer mehr auf Karten setzen, die mit den anderen Karten ein immer höheres und fragileres Kartenhaus formen. Ein Zusammenbruch einzelner Teile eines hochkomplexes Systems, das nicht geeignet entkoppelt ist (wie beispielsweise unser Wirtschafts- und Finanzsystem, oder das Wechselspiel unserer Wirtschaft mit den planetaren Systemen), kann in kurzer Zeit kollabieren. Dazu braucht es nicht einmal Atomwaffen, wenngleich diese ein gutes Symbol für die "binäre Macht" ist, die wir Menschen erreicht haben. Wir sind in der Lage mit unserer Technologie Nutzen für Viele zu stiften aber auf der anderen Seite in kurzer Zeit globalen Totalschaden anzurichten – und genau auf diesen Totalschaden steuern wir derzeit ohne erkennbare Kursänderung zu.



Mein Verweis auf die Atomwaffen war auch nicht ganz zufällig gewählt. Ich möchte damit auf einen anderen Autor und Philosphen verweisen. Günther Anders hat bemerkenswerterweise bereits in den 1950er Jahren sehr ähnliche Beobachtungen gemacht. In seinem ersten Teil der "Antiquiertheit des Menschen" schreibt er bereits sehr weitsichtig:
"Denn einzelne Geräte gibt es nicht. Das Ganze ist das Wahre. Jedes einzelne Gerät ist seinerseits nur ein Geräte-Teil, nur eine Schraube, nur ein Stück im System der Geräte; ein Stück, das teils die Bedürfnisse anderer Geräte befriedigt, teils durch sein eigenes Dasein anderen Geräten wiederum Bedürfnisse nach neuen Geräten aufzwingt. Von diesem System der Geräte, diesem Makrogerät, zu behaupten, es sein ein ‘Mittel’, est stehe uns also für freie Zwecksetzung zur Verfügung, wäre vollends sinnlos. Das Gerätesystem ist unsere ‘Welt’. Und ‘Welt’ ist etwas anderes als ‘Mittel’. Etwas kategorial anderes."
und etwas später:
“Die Geräte sind die ‘Begabten' von heute.”
Das "Makrogerät" ist natürlich dem Technium von Kevin Kelly sehr ähnlich. Liest man Anders, so erkennt man den bis heute zu beobachtenden, gegensätzlichen Zugang zum "Technium". Während die US-Eliten in der Regel in bekannt US-amerikanischer "can do" Mentalität auftreten, ist Anders ein Vertreter der kulturpessimistischeren Fraktion. Anders war einer der Ersten, der erkannt und beschrieben hat, dass die Welt nach der Atombombe eine in den Fundamenten andere ist als zuvor. Viele Jahre seines Lebens hat er sich mit diesem Thema beschäftigt; dabei hat er sich nicht nur als Philosoph, sondern vielmehr als Aktivist verstanden. 

Aber auch seine Technik-Kritik ist bis heute in vielen Punkten sehr lesenswert, wenngleich deutlich sperriger zu lesen als Kellys Buch. Der erste Teil der "Antiquiertheit des Menschen" erscheint in den 1950er Jahren, der zweite in den 1970er Jahren. Anders setzt sich intensiv mit verschiedenen Entwicklungen wie der Atombombe, aber auch mit dem Einfluss der Technik auf die Gesellschaft im allgemeinen auseinander. Anders stirbt 1992 im Alter von 90 Jahren. Die mehr oder weniger totale Veränderung der Ökosysteme, die wir mit unserem Lebensstil ausgelöst haben, war kaum Thema seiner Bücher. Allerdings bin ich überzeugt davon, dass er in der systemische Bedrohung durch Klimawandel, Umweltzerstörung und Ressourcenverschwendung eine ähnliche Gefahr gesehen hätte wie in der Atombombe.

Vielleicht ist es aber doch so, dass es wir Menschen sind, die zum "Saboteur der eigenen Produkte" geworden – und damit die eigentliche Belastung des Planeten sind. Vielleicht sollten wir den Produkten Platz machen und uns nicht so störrisch im Mittelpunkt sehen. Vielleicht ließe sich Günther Anders Sichtweise so zur Modeströmung der Singularisten verbiegen:
“Nicht weil das Flügelwachs versagt, stürzt heute Ikarus, sondern weil Ikarus selbst versagt. Könnte er sich selbst als Ballast abwerfen, seine Flügel könnten den Himmel erobern.", Günter Anders
(Zum Glück erlebt Anders meinen nicht ganz ernsthaften Versuch der Synthese nicht mehr.)

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)