Freitag, 24. Juni 2011

Wachstum in den Untergang (am Beispiel der Werbeindustrie)

Die Werbeindustrie ist für mich ein schönes Beispiel für eine Branche, die an und für sich gänzlich überflüssig ist. Sobald aber ein Unternehmen beginnt Werbung zu machen, ist der Startschuss für das Wettrüsten gefallen und alle anderen müssen mitziehen. Die Konsequenz: immer höhere Summen müssen ausgegeben werden, nur um auf gleicher Höhe zu bleiben. Man schreit sozusagen um die Wette und je lauter der allgemeine Lärmpegel, desto lauter muss der nächste schreien um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Eine Branche die Unsummen vergeudet, jedermann belästigt, und darauf auch noch stolz ist. Hut ab.

Nun ist aber die Belastbarkeit von Konsumenten begrenzt, und man sieht wie immer mehr die Möglichkeit suchen diese Belästigung zu reduzieren. Was mich betrifft, sehe ich beispielsweise seit Jahren nicht mehr fern (unter anderem wegen der Werbe-Belästigung), in den USA werden wohl TiVos gekauft um Fernsehen möglichst ohne Werbeunterbrechung sehen zu können. Ad-Blocker im Browser schaffen sich viele nicht wegen unaufdringlicher Werbung an, sondern wegen ekstatisch aufdringlichen Flash-Explosionen. Was ist die Konsequenz der immer intensiveren Werbung? Irgendwann platzt den Kunden der Kragen. Entweder werden bestimmte Webseiten gar nicht mehr angesurft oder es werden Ad-Blocker installiert. Ab dieser Installation aber, wird überhaupt keine Werbung mehr ausgeliefert. Zum Schaden der Seitenbetreiber. Eine positive Feedback-Schleife, die das System letztlich gegen die Wand fährt.

Altpapier (from Stéfan@flickr)
Ein sehr schönes Beispiel aus der "alten" Werbewelt konnte ich im letzten Jahr in meinem Wohnhaus beobachten. Seit Jahrzehnten bekommen alle Parteien Werbematerialien per Post und per "Sackerl" an die Wohnungstür geliefert. Die Menge war aber über lange Jahre erträglich. In den letzten Jahren hat die Zahl der Werbesendungen aber nach meiner Beobachtung stetig zugenommen. Zuletzt waren auch zwei Werbesendungen pro Tag an der Tür und Massen an Werbematerial im Postfach die Regel, nicht die Ausnahme. E-Mail Spam ist nichts dagegen. Die erste Konsequenz ist offensichtlich: früher habe ich noch einzelne Sendungen gelesen oder zumindest durchgesehen, zuletzt ist alles sofort ungelesen ins Altpapier gewandert. Hier fallen unfassbare Papiermengen pro Haushalt an und werden sofort, ohne irgendeinen Nutzen zu stiften, mit dem Müll entsorgt. Dies ist nicht nur eine offensichtliche ökonomische Verschwendung, sondern auch aus ökologischer Sicht unerträglich.

Mit diesem Mengen haben es die Werber dann offenbar zu weit getrieben: Ich war einer der ersten im Haus, der Aufkleber an Postfach und Tür angebracht hat, um diese Werbezusendungen abzustellen. Innerhalb eines Jahres haben nun von vorher 0 Parteien, 11 von 12 Hausparteien einen solchen Aufkleber angebracht. Mit anderen Worten: unser Haus ist de facto werbefrei. Verlust auf der ganzen Linie für die Werbebranche – und nicht nur ein temporärer Verlust! Denn wer kommt schon in den nächsten 10 Jahren auf die Idee, diese Pickerl wieder abzunehmen? Es wurde ein Lärmpegel überschritten, der letztlich dazu geführt hat, dass nun niemand mehr (auf dieser Werbeschiene) an den Konsumenten herankommt. Aus Sicht der Werbetreibenden also ein systemisches Versagen auf der ganzen Linie.

Nebenbei bemerkt ist es auch interessant, die Psychologie der Menschen zu beobachten. Offenbar ist bei allen der Leidensdruck über die Jahre gestiegen. Es mussten aber erste Vorreiter mit den "Pickerln" beginnen, und dann begann die Phase der Imitation, mit zunehmender Geschwindigkeit, bis letztlich alle die Seite gewechselt haben.


Dieses Beispiel zeigt aber auch ein fundamentalere Problematik menschlicher Gesellschaften: Systeme, die massive Kooperation benötigen, wo sich aber gleichzeitig von Einzelnen leicht einen Vorteil verschaffen lässt wenn sie nicht kooperieren, sind leider zum Scheitern verurteilt. Alle Werbetreibenden hätten dramatisch gewonnen, wenn sie die Werbelast auf 1-2 Sendungen pro Woche beschränkt hätten. Eine solche konzertierte Vorgehensweise scheint aber in der Praxis nicht zu funktionieren. Dieses prinzipielle Versagen ist leider auch bei wichtigeren Themen, z.B. im Klimaschutz zu beobachten. Ein Grund, warum ich der Ansicht bin, dass wir auf dieser Ebene auch nicht voran kommen werden. Leider. Kollektive Intelligenz ist in menschlichen Gesellschaften eben die Ausnahme, nicht die Regel. 

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)