Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel zum Thema Quantentheorie und "philosophische" Deutungen geschrieben. In diesem Blog-Artikel habe ich mich unter anderem daran gestossen, wie die aus meiner Sicht schlampige Verwendung von Begriffen letztlich zu Verwirrungen in der Deutung von Phänomenen führen können (Welle/Teilchen).
Ich beschäftige mich gerade mit Ludwig Boltzmann, einem der faszinierendsten Wissenschafter des 19./20. Jahrhunderts. Boltzmann hat nicht nur die klassische Physik (Mechanik), von Newton begründet, mit seiner statistischen Mechanik (Thermodynamik) zu einem eindrucksvollen Höhepunkt gebracht. Er hat auch Jahrzehnte vor Plank mit gequantelten Energiemengen gerechnet und kann daher auch als Wegbereiter der Quantentheorie betrachtet werden. Dies sind nur kleine Ausschnitte seiner vielfältigen wissenschaftlichen Beiträgen; Bedeutung hat er aber auch aufgrund seiner offenbar enormen Begabung als akademischer Lehrer erlangt. Zu seinen Schülern zählten unter anderem spätere Kapazitäten wie Svante Arrhenius (Schweden), Walter Nernst (Deutschland) sowie Paul Ehrenfest und Fritz Hasenöhrl (der selbst Lehrer Erwin Schrödingers war). Natürlich ist Boltzmann mit allen Größen der Zeit von Sommerfeld über Mach, Planck, Loschmidt, Helmholtz, Ostwald bis Einstein und vielen anderen in Kontakt gestanden.
Boltzmann setzt sich, und nun komme ich zum eigentlichen Thema, in seinen Schriften aber auch mit dem Begriff des Atoms auseinander. Er gilt ja als eine der treibenden Kräfte der aufkommenden Atomtheorie im ausgehenden 19. Jahrhundert. Dies zu einer Zeit, wo wesentliche "Wortführer" wie etwa Ernst Mach die Atomtheorie noch als bestenfalls für die Chemiker geeignet hielten, nicht aber tauglich für eine ernstzunehmende physikalische Theorie. Ähnliches trifft auch auf Max Planck zu, der erst später sozusagen von einem Anhänger Machs auf Boltzmanns Seite gewechselt ist.
Aber auch Boltzmann setzt sich mit dem Begriff des Atoms kritisch auseinander. Der Begriff stammt ja aus dem antiken Griechenland und wurde von Philosophen wie Leukipp und Demokrit eingeführt. Das griechische Wort atomos bedeutet bekanntlich unteilbar. Die Annahme dieser griechischen Philosophen war also, dass die Materie aus kleinen, nicht weiter teilbaren (atomos) Teilchen zusammengesetzt wäre.
So sehr auch Boltzmann ein Vertreter des Atomismus war, so war ihm doch klar, dass die Unteilbarkeit und auch Unveränderlichkeit des Atoms keine vernünftigen Annahmen sind. Unteilbarkeit vielleicht ein "Grenzwert" der für bestimmte physikalische Aussagen gültig ist. Die nach 1900 entdeckte Radioaktivität, und später die Quantenmechanik gaben ihm in diesem Punkt recht. In einem Vortrag 1904 sagt Boltzmann:
"Wir werden uns nun (betreffend die Frage nach der atomistischen Zusammensetzung der Materie) nicht auf das Denkgesetzt berufen, daß es keine Grenzen der Teilung der Materie geben könne. [...] Die Rechnung ergibt nämlich, dass die Elektronen noch viel kleiner als die Atome der ponderablen Materie sind, und die Hypothese, dass die Atome aus zahlreichen Elementen aufgebaut sind, sowie verschiedene interessante Ansichten über die Art und Weise dieses Aufbaus sind heute in aller Munde. Das Wort Atom darf uns da nicht irreführen, es ist aus alter Zeit übernommen; Unteilbarkeit schreibt heute kein Physiker den Atomen zu." aus Ludwig Boltzmann. Mensch, Physiker, Philosoph, 1955
Und gerade die letzten beiden Sätze erscheinen mir besonders bedeutsam. In der Wahrnehmung vieler Menschen, auch Studenten und Wissenschaftern, wird nicht bewusst nachvollzogen, dass der Begriff Atom wie wir ihn heute verwenden mit dem Begriff Atom eines Leukipp nicht mehr sehr viel zu tun hat. Wir stimmen insofern noch überein, als die Materie aus Atomen aufgebaut ist, aber andere wesentliche Konzepte wie die Unteilbarkeit, Unveränderlichkeit haben wir längst über Bord geworfen. (Wobei auch der Begriff der Materie...) Damit hat auch der Wortursprung seinen Sinn verloren. Selbst in vielen Grundvorlesungen der Physik oder Chemie, sowie in Lehrbüchern wird der Atomismus auf die historischen Quellen bezogen, aber meist ohne die dramatischen Unterschiede in der Bedeutung des Wortes entsprechend klarzulegen.
Worte werden beibehalten, weil es bequem ist (Atom, Teilchen), weil wir sie schon kennen. Aber gerade in dem "schon kennen" steckt der Samen für Missverständnisse aller Art, wie ich schon im anderen Posting über den "Welle/Teilchen Dualismus" zum Ausdruck gebracht habe. Vor allem dann, wenn man sich jenseits von theoretischen Berechnungen und Voraussagen mit der Bedeutung, dem Wesen der Dinge auseinandersetzen möchte. Mir scheint, dass das heutige Verständnis des Atoms sich so weit von der ursprünglichen Idee entfernt hat, dass ein anderer Begriff spätestens ab der Quantenmechanik und der Entdeckung der Quarks und der vielen anderen Elementarteilchen angemessen gewesen wäre. Was ist eigentlich dieses Atom. Ein kleines festes Teilchen? Sicher nicht. Schon der Begriff des Teilchens verschwindet zusehends, und wird durch Wellenfunktionen, Energie, Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen und ähnliches aufgelöst. Es scheint, dass uns gerade dieses letzte unteilbare Teilchen zwischen den Fingern zerrinnt, sich in völlig neuen Konzepten auflöst je näher wir es betrachten.
Wir erleben immer wieder gesellschaftliche, aber auch wissenschaftliche Diskussionen die eigentlich bei näherer Betrachtung Scheindiskussionen sind – Diskussionen um Begriffe deren Substanz sich über die Jahrhunderte verflüssigt haben. Gott ist ein ebensolcher Begriff, wie Richard Dawkins treffend anmerkt. Spricht heute jemand davon "an Gott zu glauben", was bitte meint er damit? Ist der christliche Gott denn dasselbe wie Allah (haben Gläubige einer Konfession überhaupt eine eingermassen konsistente Idee an was sie glaube? ich denke nicht!), wie Thor oder gar wie Zeus?
Welchen Sinn also macht eine solche Aussage bzw. eine Diskussion die sich um einen Begriff dreht, der eigentlich über die Jahrtausende jede konkrete Bedeutung verloren hat? Und mit Zeus sind wir wieder beim Ursprung angelangt: Sprechen wir da noch vom "guten alten" Atom? Genauso wie die "alten Griechen" mit Sicherheit ein völlig anderes Konzept der Götter hatten (ein viel entspannteres, möchte ich annehmen), so ist deren Idee des Atoms als Inspiration für die Physik des 19. Jahrhunderts tauglich, aber kaum für die moderne Physik.
3 Kommentare:
Vom Grundsatz her gebe ich Ihnen Recht, sowohl was die Bedeutung "richtiger" Begriffe betrifft, als auch bei Ihrer Beobachtung von "Diskussionen die eigentlich bei näherer Betrachtung Scheindiskussionen sind".
Nur bin ich jedoch der Auffassung, dass der Atombegriff in unserem Bewusstsein (der Laien, und der Wissenschaftler sowieso) nichts mehr mit seiner ursprünglichen Bedeutung zu tun hat, sondern hinreichend fest als Summe von Elektronen, Neutronen usw. verankert ist. Insoweit hätte ich speziell mit diesem Begriff eigentlich keine Probleme.
Ich denke, die meisten Physiker teilen wohl entweder Ihre Ansicht, oder sind überhaupt der Meinung, dass Begrifflichkeiten nicht so wichtig sind.
Ich bin persönlich eben nicht der Ansicht. Ich denke, gerade der "Teilchen" Begriff ist hochgradig problematisch. Immerhin wird dieser Begriff sogar noch in der Lehre verwendet. Man spricht sogar noch von "Teilchenphysik". Und Teilchen ist ein Wort, mit dem wir aus dem Alltag etc. viel assoziieren. Und soweit ich das verstehe, hat aber gerade diese "Teilchenphysik" mit "Teilchen" so überhaupt nichts mehr zu tun. Jedenfalls nicht mit dem Begriff der Teilchen, die uns immer noch im Hinterkopf herumspukt.
Und aus problematischer Begrifflichkeit folgt oft problematische Philosophie und aus dieser folgt zumindest Verwirrung wenn nicht Fehlschlüsse.
Ich denke, dass selbst gestandene Physiker (auch wenn sie anderes behaupten mögen) eben nicht "nur" rechnen, sondern unbewusst Bilder vor Augen haben. Und, so wie der dumme Witz sagt: "Versuchen Sie jetzt nicht an einen rose Elephanten zu denken!", genauso kann ein Physiker nicht nicht an ein Teilchen denken.
Ganz zu schweigen von der Verwirrung, die das ganze in der Schule oder interessierten Öffentlichkeit anrichtet.
Ihre Kritik am Teilchenbegriff kann ich (wenn auch Laie) nachvollziehen.
Übrigens gibt es ein zwar schon älteres Buch zur Problematik 'Falsche Begriffe - falsches Handeln', das rde-Taschenbuch (ursprünglich schon in denn 20er Jahren erschienen) "Sprache, Denken, Wirklichkeit" von Benjamin Lee Whorf.
Ich selbst habe es vor Jahrzehnten gelesen, und erinnere mich nicht einmal mehr an Einzelheiten. Insgesamt hat es mich aber stark beeinflusst.
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