Ich habe eine Kommentar zu meinem Artikel "Im System gefangen" bekommen, der mich zu einer längeren Antwort veranlasst hat, die ich jetzt doch in einem neuen Posting etwas klarer ausführen möchte:
Es ist natürlich klar und sofort einleuchtend dass es im Endeffekt das Verhalten Einzelner ist, das ein System ausmacht. Ein Punkt, den ich in verschiedenen Postings vielleicht noch nicht klar genug gemacht habe ist der oftmals geradezu absurde Sog den einmal etablierte Systeme auf Teilnehmer des Systemes ausüben und umgekehrt Veränderungen im System sehr schwer erscheinen lassen. Wir haben ein "Niveau" erreicht, wo man auch gewissen Dingen gar nicht mehr ausweichen kann bzw. wo es nur mehr äußerst schwer möglich ist das tatsächlich richtige Verhalten zu erkennen; einfach darum weil die Systeme so komplex und verzahnt geworden sind, dass einfache Betrachtungen meist zu falschen Ergebnissen kommen.
Ein kleines Beispiel: ökologisches Einkaufen: wie soll das gehen? Erstens haben wir Supply-Chains aufgebaut an denen wir als Normalbürger nicht mehr vorbeikommen. Auch der Ökobauer fährt mit dem Auto zum Markt und nutzt Mobiltelefon und Internet um seine Produkte zu bewerben und versucht letztlich in die "grüne Linie" der großen Supermarktkette zu kommen um überleben zu können. Zweitens ist es oft sehr schwer zu entscheiden welche Handlung wirklich "ökologisch richtiger" ist. Denn auch "shop local" ist nicht immer die beste Lösung. Neue Berechnungen zeigen z.B. dass (entgegen meiner und der Erwartung der meisten an Ökologie interessierten) der Transport von Lebensmitteln in vielen Fällen (z.B. Fleisch) nur einen sehr geringen Beitrag an der CO2 und Umweltbelastung ausmachen. Wir wissen also fallweise gar nicht genau, was eine gute Entscheidung wäre. Ich habe mich im Supermarkt immer gegen Erdäpfel aus Zypern gewehrt und die österreichischen gekauft. Vielleicht ist dies aber tatsächlich die falsche Entscheidung es sogar eine gute Idee die Erdäpfel aus Zypern zu kaufen. Warum? Wie gesagt, entgegen meiner ursprünglichen Annahme scheint (!) es so zu sein, dass der Transport in der gesamten ökologischen Rechnung keinen sehr großen Posten ausmacht. Vielleicht (!) ist es ja so, dass der Erdäpfelanbau in Zypern ökologisch günstiger ist als in Österreich (Klima...) und daher in Summe betrachtet wieder die besser Wahl wäre. Der Punkt ist: ich kann das in Wahrheit nicht entscheiden.
Auch der Lebensstil: wir Leben in einer Gesellschaft wo man ohne Auto, öffentlichen Verkehr, Gasheizung, Computer etc. gar nicht mehr Leben kann; auch die Versorgung mit nur den lebenswichtigen Dingen (Nahrung, Kleidung, ...) wäre ohne unsere momentanen Systeme gar nicht mehr aufrechtzuerhalten weil wir uns überhaupt nicht mehr lokal versorgen könnten. Auch gibt es weder Höhlen mehr in die man sich zurückziehen könnte, und wenn man es könnte wäre auch dieser Lebensstil wegen der schieren Menge der Menschen nicht mehr nachhaltig.
Nun sind diese beiden Effekte sehr mächtig: einerseits unser Unwissen, das dazu führt, dass wir als Individuen gar nicht entscheiden können in welche Richtung wir die System in denen wir leben überhaupt korrekterweise verändern müssen und zweitens, dass wir in eine Vielzahl von Systemen so eingebettet sind, dass wir den Überblick gar nicht mehr haben bzw. ohne dieses Systeme in Wahrheit nicht oder kaum mehr übeleben können.
Kommt man nun in einer Organisation z.B. einer Universität, einem Staat zu dem Schluss dass man eigentlich sehr große Änderungen machen müsste um "zu überleben" so traut man sich als Individuum dies gar nicht vorzuschlagen. Einerseits weil es sehr schwierig ist die tatsächlichen Zusammenhänge zu verstehen (man könnte ja auch falsch liegen) und weil man weiters auch ganz genau weiß, dass die meisten "Mitspieler" im System so auf ihre lokalen Mikro-Probleme fixiert sind und so im System aufgegangen sind, dass es ihnen gar nicht in den Sinn kommt, dass das System das sie leben (und in das sie erzogen wurden) substantiell falsch sein könnte. Erschwerend kommt hinzu dass wir (global) bei gravierenden Problemen vermutlich Systeme (wie das Wirtschaftssystem) sehr fundamental ändern müssen und es mit einem Justieren von ein paar Rädchen sicher nicht getan ist (und schon diese Justagen stoßen wie wir wissen meist auf erbitterten Widerstand) und dies vermutlich eher nur eine Zeitverschwendung darstellt. Fundamentale Änderungen stossen auf fundamentalen Widerstand all derjenigen die irgendwie von dem System profitieren oder im System leben und zwar solange wie sich das System noch irgendwie am Leben erhalten lässt bis zum endgültigen Zusammenbruch. Dass dann aber in der heutigen Zeit nicht nur ein einziges System zerstört sondern eine Kettenreaktion ausgelöst wird (wie wir bspw. an der Praxis der Vergabe von Hypotheken in den USA und der damit ausgelösten globalen Schockwelle 2007 gesehen haben) wäre eine wesentliche Erkenntnis. Schlägt man Änderungen frühzeitig vor wird man aber mit großer Wahrscheinlichkeit als Spinner abgetan und erreicht somit überhaupt nichts. Dass man dann im Nachhinein (von der Geschichte?!) vielleicht Recht bekommt ist wenig hilfreich.
Mit anderen Worten: die meisten Systeme und Organisationen die wir kennen scheinen de facto nicht in der Lage zu sein sich großen Änderungen zu stellen; selbst wenn diese dringend notwendig wären. D.h. große Änderungen erfordern in der Praxis meist ein Ende der alten Struktur mit einer folgenden Neugründung. Die Amerikaner haben dies auf gewisser Ebene erkannt: dort wird/wurde viel schneller mal eine Firma oder andere Organisation zugesperrt und eine neue mit anderem Konzept erfunden (zumindest solange sie nicht sehr groß geworden sind) und neue Ideen haben es daher dort leichter sich zu etablieren.
Gibt es aber Faktoren die es doch schaffen Systeme zu Änderungen bewegen? Natürlich kann man hier nicht leicht alle Systeme über einen Kamm scheren aber ich denke, dass gewisse allgemeine Beobachtungen möglich sind: Zunächst glaube ich, dass es eine Frage der Größe und Vernetzung ist: je kleiner desto agiler scheint zuzutreffen. Weiters ist es eine Frage der Struktur der Systeme: solche, die einen starr hierarchischen Ansatz haben scheinen wieder weniger flexibel zu sein als solche die einen breiten eher bottom-up orientierte Struktur aufweisen. Der Grad der Vernetzung ist sicherlich eine der wesentlichsten Fragen: Erfinde ich mit zwei Freunden ein Spiel und wollen wir die Regeln ändern, so ist dies vielleicht eine Frage von 5 Minuten. Haben wir eine internationale Liga gegründet und sind 100 Sportvereine involviert sowie dutzende Fernsehsender usw. wird dies schwieriger werden. Stark vernetzte Strukturen scheinen sich daher fast gar nicht aus inneren Kräften heraus zu ändern, bzw. wenn, dann nur zu sehr langsamen und langfristig angedachten Änderungen.
Schnellere Änderungen sind meiner Beobachtung nach fast nur über äußere Zwänge zu erreichen. Und damit tritt das nächste Problem auf: Selbst wenn ein äußerer Zwang auftritt so ist noch lange nicht gesagt, dass die Reaktion darauf die richtige ist. Man denke an die oben genannte Pleitenwelle in den USA wo zwar reagiert wurde, aber nur auf sehr oberflächliche Weise und nicht etwa die Chance genutzt wurde dies als Indikator für ein tieferliegendes Problem zu erkennen um das Finanzsystem selbst kritisch unter die Lupe zu nehmen. Ein anderes Beispiel: steigende Energiepreise. Kleine Firmen und Forschungsinstitute reagieren hier recht schnell mit neuen Ideen, große Systeme wie bspw. Politik, Förderinstitutionen, große Firmen reagieren fragwürdig: bspw. mit Ideen wie Ölbohrungen in der Arktis, Subvention oder Steuernachlässe auf Benzin, Atomkraft usw. Wenn man den Politikern nicht blanke Dummheit unterstellen möchte oder Bestechung von bestimmten Lobbygruppen so kommt doch heraus, dass das Sichtfeld dieser Entscheidungsträger durch Jahrzehnte bestimmten Handelns in massiver Weise eingeängt ist und kaum mehr Freiheitsgrade kennt oder den Mut solche zu Nutzen. Man ist bereit Milliarden in Rüstung sowie militärische Forschung zu stecken um angeblich die nationale Sicherheit zu gewährleisten aber investiert nicht einmal einen Bruchteil davon in (z.B.) Energieforschung die die nationalie Sicherheit mindestens ebensostark beeinflusst.
Hoffentlich gibt es dann aber noch genug Zeit und Resourcen um die verbleibenden Systeme anzupassen.
1 Kommentar:
Touché, wieder mal.
Vielleicht kollabiert jetzt gerade unser Wirtschaftssystem und es erwächst irgend etwas neues? Ein ökonomischer Paradigmenwechsel durch WWK II (Zweite Weltwirtschaftskrise) - so wie wir in Europa, aber letztlich auch weltweit, einen politischen Paradigmenwechsel (hin zur relativ friedlichen internationalen Kooperation) nach (durch?!!) WK II gesehen haben.
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