Donnerstag, 30. August 2007

Ist der Frosch tot?

Seit Jahren geistert im englischen der Begriff des "Leapfrogging" durch die Literatur. Gemeint ist damit im allgemeinen, dass man neue, moderne Technologien verwenden kann, ohne über die Zwischenschritte gehen zu müssen; man überspringt (leapfrog) sozusagen die Zwischentechnologien. In der Wirtschaftswissenschaft ist damit z.B. gemeint, dass man nicht jedes Update einer Software mitmacht (das haben auch Microsoft und Co erkannt und verbieten dies mit den neuen Lizentmodellen de facto: der Abhängige will gemolken werden!).

Meist wird es jedoch im Kontext von Schwellen- und Entwicklungsländern verwendet. Die gut gemeinte Idee ist, dass diese Länder ja nicht alle Fehler machen müssen, die wir als Industriestaaten gemacht haben, sondern gleich "weiter oben" einsteigen können. Damit ließe sich, so weiter, der ausufernde Resourcenverbrauch der jetztigen "dritten Welt" eindämmen: durch Leapfrogging würden sie sozusagen auf denselben Entwicklungsstand wie wir kommen, aber mit geringerem Resourcenverbrauch (wieso gelingt uns das dann eigentlich nicht in den Industriestaaten?!).

Erfolgreiche Beispiele (für Leapfrogging, weniger für geringeren Resourcenverbrauch) gibt es durchaus: z.B. wird gerne das Mobiltelefon genannt. Dieses hat tatsächlich eine unglaubliche Verbreitung in Entwicklungsländern erreicht und de facto wurde dort das Festnetztelefon in vielen Regionen "übersprungen".

Viel mehr wirklich nennenswerte Beispiele sind aber leider nicht zu nennen. Jedenfalls sind mir keine bekannt. (Falls der Leser gute Beispiele kennt...?) Zwar gibt es immer wieder vereinzelte Projekte wo in Entwicklungsländern nachhaltige Wirtschaft versucht wird (Solarenergie...), aber de facto sieht die Realität leider anders aus. Ein gutes Beispiel hierfür wurde in einer der letzten Science Friday Radiosendung genannt: Einige amerikanische Bundestaaten investieren bspw. in "grüne" Technologie und deaktivieren schmutzige Kohlekraftwerke. Ein guter Schritt! Sicher. Ein schmutziges Kohlekraftwerk weniger.

Falsch.

Tatsächlich hat sich ein Markt für Industriebetriebe und deren Maschinen entwickelt, die in Industrienationen nicht mehr verwendet werden (z.B. weil sie zu alt, abgeschrieben sind, oder die lokalen Auflagen nicht mehr erfüllen usw.). Im Beitrag wurde von einem kompletten Kohlekraftware berichtet, das in den USA abgebaut und irgendwo in Südamerika wieder aufgebaut wurde. Dort feuert es natürlich weitere 20 Jahre und produziert CO2 und andere Abgase mit Technologie von gestern. Also durchaus ein Leapfrog, aber in die falsche Richtung!

Legende sind auch die amerikanischen Schulbusse, die in Amerika ausser Betrieb genommen in Staaten wie Guatemala noch Jahrzehnte weiter im Einsatz sind. Soviel zum Thema "Leapfrogging". In der Tat scheint leider eher das gegenteilige Phänomen zu beobachten zu sein. Nicht nur verwenden wir Entwicklungsländer wie China als Mülldeponie für unseren Elektronikschrott und lassen zu teilweise unwürdigen Bedingungen für uns produzieren, es scheint nun zusätzlich auch der Trend zu kommen alte und schmutzige Technologie in diese Länder zu exportieren.

Denn wenn wir ehrlich sind: Leapfrogging ist eine schöne Idee, aber wie sollte es dazu kommen, dass gerade Entwicklungsländer sich die allerneueste und sauberste Technologie leisten können (und auch in der Lage sein sollten diese zu warten) wenn nichtmal wir in Europa und den USA willens sind ein paar Cent mehr für saubere Energie zu bezahlen.

Montag, 13. August 2007

Die verlorene Seele

Andy Clark schreibt in "Being There":
"The true engine of reason, we shall see, is bounded neither by skin nor skull."
Ich denke seit langem darüber nach was unser "Selbst", oder wenn man einen barocken Ausdruck verwenden möchte "unsere Seele" ausmacht. Diese Frage ist für mich besonders deshalb sehr spannend, weil in einem breiten Verständnis und auch im Verständnis der meisten mir bekannten Religionen der Eindruck herrscht, die "Seele des Menschen" wäre so etwas wie der "wahre" Kern des Menschen und auch in einer Weise unveränderlich. Es wäre der Sitz der "eigentlichen" Persönlichkeit. Oder um Descartes sprechen zu lassen:
"Ich erkannte daraus, daß ich eine Substanz sei, deren ganze Wesenheit oder Natur bloß im Denken bestehe und die zu ihrem Dasein weder eines Ortes bedürfe noch von einem materiellen Dinge abhänge, so daß dieses Ich, das heißt die Seele, wodurch ich bin, was ich bin, vom Körper völlig verschieden und selbst leichter zu erkennen ist, als dieser und auch ohne Körper nicht aufhören werde, alles zu sein, was sie ist.", René Descartes
Natürlich (nach dem was uns Religion glauben machen möchte) ist die Seele auch der Teil des Menschen der dann unsterblich ist. In diesem Verständnis darf die Seele gar nicht allzusehr von weltlichen Dingen abhängig sein. Wie könnte man sonst die Ungerechtigkeit erklären, dass ein Baby, das stirbt über eine weniger ausgeprägte Seele verfügt wie ein "weiser alter Mensch", oder ein geistig Behinderter; es soll uns doch zum Trost gereichen, dass dieser vielleicht in weltlicher Hinsicht nicht mit den anderen Schritthalten kann, aber doch seine Seele wenigstens denselben Reichtum hält die die aller anderen Menschen und somit, Gott sei dank, wir alle doch auf ein freudiges Seelenleben nach dem Tod hoffen dürfen. Descartes hat mit dieser seiner Philosophie wohl unser Denken leider sehr nachhaltig geprägt und wir sind immer noch nicht wirklich über diesen simplen Dualismus hinausgekommen.

Mir war diese Gedankenwelt allerdings schon lange Zeit verdächtig; ganz zu Schweigen von den operativen Vorteilen dieser Vorstellung (sie macht doch viel Sinn im Verkaufen ansonsten fragwürdiger religiöser Ideen) ist sie auch abseits der Religion eine sehr weit verbreitete Idee. Die Seele ist unser wahrer Kern den wir zu entdecken haben (wie viele Psychotherapeuten verdienen gutes Geld an diesen Konzepten), ein Kern der vielleicht manchmal verschüttet sein kann, überlagert mit weltlichen Aspekten, verworren, verzerrt. Aber dann doch: im Kern rein und wahr.

Und doch ist diese Idee Unsinn.

"Biologie" und die Seele
"Our own body is in the world as the heart in the organism...it forms with it a system.", Maurice Merleau-Ponty
Ich habe länger als es eigentlich sein dürfte gebraucht um diese doch schon vordergründig merkwürdige Idee abzuschütteln (was so viele über so lange Zeit glauben, daran muss doch etwas wahres sein, oder?). Einer der ersten der mich nachhaltig zu Zweifeln war Oliver Sacks mit seinem Buch: "Der Mann der seine Fraum mit seinem Hut verwechselte". Der Psychiater Sacks schildert hier eine Reihe von Menschen die zum Teil unter massiven Störungen leiden. Das eigentlich erschütternde für mich ware aber, und das ist mir erst nach diesem Buch so klar geworden, wie stark die Persönlichkeit eines Menschen an biologische Phänomene gebunden ist.

Natürlich war mir klar, dass Verletzungen des Gehirns massive Probleme verursachen können: erblindet jemand in Folge eines Unfalls, oder sind Teile seines Körpers gelähmt so ist dies tragisch aber hat wenig direkten Einfluss auf seine Persönlichkeit. Nun gibt es aber Verletzungen (man erinnere sich an den immer wieder zitierten Fall des Phineas Gage dem bei einem Arbeitsunfall bei einer Sprengung 1849 ein Eisenrohr durch den Kopf "geschossen" wurde, oder "Elliot", den Damasio in "Descartes' Irrtum" beschreibt), die eine Person geradezu um 180° Umpolen können. Auch Sacks erzählt dies. Menschen, deren Charakter vorher als freundlich und friedliebend beschrieben wurden, werden aggressiv, vielleicht sogar handgreiflich gegenüber Verwandte und Freunde, zeigen vielleicht sexuelle Abnormitäten, bis man feststellt, dass diese Verhaltensweisen und Charakteränderungen bspw. durch einen Tumor im Gehirn ausgelöst werden.

Wo fängt denn nun die Seele des Menschen an und wo hört sie auf?

Ist sie letztendlich so rein und verborgen, dass sie keinen direkten Einfluss auf unser Leben und Charakter hat, dann finden wir uns sehr schnell im klassischen Leib/Seele Problem wieder, das unseeligerweise von Descartes mit seiner scharfen Trennung von res extensa und res cogitans so richtig ins Rollen gebracht wurde. Oder hat unsere Seele doch einen unmittelbaren Kontakt mit unserer Wirklichkeit? Dann wurden diese bemitleidenwerten Menschen wohl nicht nur von weltlicher Krankheit erfasst sondern auch deren Seele "beschädigt".

Hat man erkannt, dass die strikte Trennung offensichtlich in die Irre führt sollte man, denke ich, am besten umdrehen und nicht versuchen kompliziert den falschen Weg zu rechtfertigen (nur weil wir uns vielleicht an diese "romantische" Idee so gewöhnt haben). Vergessen wir das was uns jahrhundertelang als Konzept der "Seele" verkauft wurde. Es gibt sie nicht. Nicht in dieser Form.

Ich denke, wir werden lernen müssen, dass der Mensch nicht so einfach zu erklären ist wie uns das so manche Religion, Philosophie oder gar esoterischer Theorie nahelegen möchte. Der Mensch ist eine komplizierte "Verwicklung" von geistigen, biologischen, sozialen und Einflüssen aus der Umwelt. All dies zusammen ergibt ein Bild des individuellen Menschen und seiner "Seele"; wenn man diese Begriff unbedingt retten möchte (warum eigentlich?). Es gibt keine losgelöste Seele, keinen von der Umwelt losgelösten Geist. Damit komme ich zum nächsten Schritt meiner Erkenntnis:

Antonio Damasio und Descartes' Irrtum

In seinem sehr einflussreichen und oft zitierten Buch Descartes' Irrtum, versucht Damasio zu zeigen, dass die populäre Annahme, der Geist "wohnt" zwar im Körper sei im wesentlichen als alleinstehendes Merkmal zu betrachten ein Irrtum ist: Das gängige Bild war/ist ja, dass der Geist, wenn erforderlich, mit dem Körper interagiert; also z.B. um Information über die Sinnesorgane wahrzunehmen oder um eben dem Körper "Befehle" zu erteilen; aber ansonsten funktioniere der Geist recht autark vom Körper.

Diese Annahme motivierte Psychologen, Mediziner, Philosophen und auch AI Forscher (s.u.) in derern Forschungsansätzen. Damasio zeigt nun, dass der Geist wesentlich stärker mit dem Körper "integriert" ist, als man vorher angenommen hat. Dass die Trennung von Geist und Körper wahrscheinlich recht haltlos ist, d.h. unser Geist, unser Selbst eine integrale Wahrnehmung von Körper und Geist sind.

Damit einher (um einen Kleinen Seitenblick zu machen) geht auch die Frage, was rational und was emotional ist:
"Ein Mangel an Gefühlen kann eine genauso wichtige Ursache für irrationales Verhalten sein", Antonio Damasio, ebenda
Gerade in letzter Zeit wird sehr detailiert untersucht, wie wir unsere Entscheidungen treffen und der "homo oeconomicus", der immer auf seinen Vorteil bedacht rational entscheidet kann eigentlich guten Gewissens in Pension geschickt werden. Unsere Entscheidungen sind in einem starken Maße von Emotionen geprägt (Christoph Pöppe vom Spektrum der Wissenschaft fasst dies sehr gut in dem aktuellen Podcast zum Thema "Urlauberdilemma" zusammen; empfehlenswerte Lektüre zu dem Thema ist weiters "Blink" von Malcolm Gladwell.). Davon abgesehen, haben Emotionen auch Funktionen, die weiter gehen, als wir oft angenommen haben (sehr gut in diesem Zusammenhang ist die SWR2 Sendung zum Thema "Wenn der Bauch denkt" in der sich Gerd Gigerenzer mit Entscheidungstheorien "im Gegensatz" zur Intiution auseinandersetzt).

Der nächste bedeutende Schritt, den ich für mich erkennen konnte ist nun vom Geist, der nicht, wie fälschlich von Descartes angenommen "für sich alleine steht", sondern vielmehr in enger Weise mit dem Körper verbunden ist, zur Erkenntnis, welche Rolle die Umwelt für unseren Geist spielt und wie sie dafür "operationalisiert" wird. Schon Damasio deutet das an:
"Die Wahrnehmung dient nicht weniger dazu, auf die Umwelt einzuwirken, als Signale von ihr zu erhalten.", Antonia Damasio, ebenda
Und damit möchte ich gerne meinen letzten "Erkenntnisschritt" gehen, weiter zum amerikanischen Philosophen Andy Clark:

"Being There" mit Andy Clark
"Minds are not disembodied logical reasoning devices.", Andy Clark, Being There
Andy Clark schreibt diskutiert in "Being There" zunächst über erfolgreiche und weniger erfolgreiche Ansätze der AI (artificial intelligence) und stellt fest, dass (wie das obige Zitat nahelegt) die AI seiner Ansicht nach früher den Fehler gemacht hat von der Annahme auszugehen, man könnte einfach den Geist zunächst mal losgelöst von Körper und Umgebung betrachten und "alleinstehend" modellieren. Dann später füge man weitere Komplexität in das System hinzu, bspw. mit den verschiedenen körperlichen Aspekten. Dies entspricht im Prinzip den "üblichen" und oft auch erfolgreichen reduktionistischen Ansätzen in der Naturwissenschaft.

Gerade in der Simulation des Geistes bzw. weniger auf AI bezogen, im Verständnis des (menschlichen) Geistes scheint dieser Ansatz aber massiv fehlzuschlagen:
"I shall tentatively suggest that there is no need to posit such a great divide, that the basic form of individual reason [...] is common throughout nature and that where we human being really score is our amazing capacities to create and maintain a variety of special external structures (symbolic and social-institutional). These external structures function so as to complement our individual cognitive profiles and to diffuse human reason across wider and wider social and physical networks whose collective computations exhibit their own special dynamics and properties. [...]

In these cases it would seem, we solve the problem (e.g. building a Jumbo jet or running a country) only indirectly-by creating larger external structures, both physical and social, which can than prompt and coordinate a long sequence of individually tractable episodes of problem solving, preserving and transmitting partial solutions along the way.", Andy Clark, ebenda
Damit greift Clark die Ideen von Damasio auf. Während Damasio noch den Schwerpunkt auf der "Einheit von Körper und Geist" legt (jedenfalls ist dies mein Verständnis), legt Clark nahe, dass unsere "Intelligenz" unser Geist tatsächlich erst verständlich und möglich wird, wenn man die Umwelt in die Betrachtung miteinbezieht, also die sozialen Systeme die Umgebung die wir uns zurechtlegen und die Artefakte die wir schaffen.

Beispielsweise ist ein Großteil meines Lebens ist direkt oder indirekt mit Computer- und Informationssystemen und auf dem Internet basierenden sozialen Netzen verbunden. Meine Intelligenz, Persönlichkeit, Kreativität ist daher recht eng an diese Systeme gebunden . Ich möchte hier nicht nahelegen, dass ein Leben für mich ohne diese nicht möglich wäre, das wäre es ohne Zweifel. Es wäre nur ein sehr anderes Leben als ich es jetzt führe.

Um mit Andy Clark zu schliessen:
"If our achievements exceed those of our forebears, it isn't because our brains are any smarter than theirs. Rather, our brains are the cogs in larger social and cultural machines-machines that bear the mark of vast bodies of previous search and effort, both individual and collective. This machinery is, quite literally, the persisting embodiment of the wealth of achieved knowledge. It is the leviathan of diffused reason that presses maximal benefit from our own simple efforts and is thus the primary vehicle of our distinctive cognitive success.", Andy Clark, ebenda

Montag, 6. August 2007

Umfrage! Leserinteresse

Nun gibt es dieses neue Umfragetool in Blogger.com und das gibt mir die Möglichkeit ein wenig mehr Feedback von meinen Lesern zu bekommen.

Ich würde mich freuen, wenn Sie, werter Leser, einen Blick in die rechte Spalte des Blogs werfen und Ihre Meinung bei der Umfrage bekannt geben. Das ganze ist übrigens anonym.

In der ersten Umfrage würde ich gerne wissen, wofür sich meine Leser hauptsächlich interessieren...


bitte gleich mitmachen!

Dienstag, 24. Juli 2007

Quanten und der "Teilchen-Welle Dualismus"

In Stanford...

In einer philosophischen Diskussion (Philosophy Talk, Stanford) die ich kürzlich verfolgt habe, wurde wieder über die "verwirrenden Erkenntnisse" der Quantentheorie diskutiert. An sich ein faszinierendes Thema. Für mich doch etwas überraschend war aber folgendes: Die fundamentalen Erkenntnisse der Quantentheorie wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelegt. Seit damals hat die Philosophie (aber natürlich auch die Physik) Zeit gehabt über philosophisch/ontologische Interpretationen zu entwickeln. Diese Diskussion hätte jedoch (vielleicht nicht als Podcast) in den 50er oder 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts stattfinden können. Ich hatte kaum den Eindruck irgendeine neue philosophische Position zu hören, die nicht schon vor Jahrzehnten diskutiert wurde.

Ein gutes Beispiel ist die Idee des "Welle-Teilchen" Dualismus. Seit ich damit im Rahmen meines Studiums konfrontiert wurde ist mir dieses Konzept absurd erschienen und bin seit damals der Ansicht, dass hier etwas fundamental nicht stimmen kann und vermutlich ist es eine Mischung aus zwei Problemen. Einerseits einer falschen Begrifflichkeit und andererseits einer falschen Vorstellung was die Quantentheorie eigentlich beschreibt. Ich lehne mich etwas weit aus dem Fenster, möchte meine Idee hier jedoch in aller Kürze darlegen:

Zum ersten Punkt: "Eine Begriffsverwirrung"

Dabei handelt es sich nach meiner Ansicht um eine Kategorienverwechslung. Der Begriff des Teilchens ist einer, der historisch sehr alt ist und sich wohl bis auf die griechische Philosophie zurückführen lässt (z.B. Leukipp, Demokrit). "Teilchen" als Begriff war also einer der sich im wesentlichen aus der Betrachtung der makroskopischen Welt heraus ergibt (siehe z.B. auch die "Billiard" Modelle die manchmal als Beispiel für einfache Gasmodelle herhalten). Hier werden Erfahrungen aus der direkt-menschlich-erfahrbahren Realität sozusagen verkleinert und als Modell (oder im Sinne der griechischen Philosohpie vielleicht idealisiert) der mikroskopischen Welt hergenommen. Für manche Problemstellungen kann dieser Ansatz durchaus funktionieren. Beispiele könnten das schon erwähnte "ideale Gas" sein, aber auch Konzepte der statistischen Thermodynamik scheinen mir auf dieser Idee aufzubauen. Es ist aber letztlich eine recht grobe Modellierung der "Welt der Atome und Moleküle".

Die experimentelle (und nicht nur rein idealisierte gedankliche) Beschäftigung mit der Welt der Atome hat aber letztlich gezeigt, wie unpassend die Konzepte der klassischen Mechanik in diesem Bereich der Physik sind, und haben zu ganz neuen Theorien geführt, eben unter anderem zur Quantenmechanik. Dies ist eine Entwicklung in der Wissenschaft die häufig zu beobachten ist: man begibt sich in eine neue Domäne die vorher bspw. durch Experimente nicht zugänglich war (Atomphysik, Kosmologie, Mikrobiologie, Genetik) und versucht die beobachteten Phänomene zunächst mit bekannten und in anderen Bereichen erfolgreichen Theorien zu beschreiben. An irgendeinem Punkt muss man dann häufig feststellen, dass die alte Theorie (in diesem Fall die klassische Mechanik) mit den neuen Phänomenen (der Quanten) nicht mehr zusammenpasst, also wird eine neue Theorier (die Quantentheorie) entwickelt.

Leider wurde aber, und hier ist aus meiner Sicht der eigentliche Fehler passiert, die Begrifflichkeit nicht vollständig ausgetauscht, sondern man hat weiter den Begriff des "Teilchens" verwendet. Dies mag für die Physik und für angewandten Ingenieurwissenschaften kein wirkliches Problem sein, weil es dort nicht um "Ontologie" also um das Verständnis der Welt geht, sondern um die Frage, ob man natürliche und künstliche Phänomene angemessen Beschreiben und vorhersagen kann. Es verwirrt aber leider alle, die sich um ein Verständnis der Dinge bemühen.

Der Begriff des Teilchens ist nun einmal aus unserem historischen und alltäglichen Verständnis geprägt, und wenn dieses in Zusammenhang mit Quanten verwendet wird, so machen wir uns ganz automatisch völlig falsche Bilder: z.B. Atome die wie Billiardkugeln herumfliegen. Wir wissen zwar dass dies so nicht zutrifft, aber das Bild bleibt im Kopf. Sinngemäß ähnlich das Konzept der Elektronen und Orbitale: auch hier bekommen wir das Bild der "Sonne" als Atomkern mit kreisenden Planeten oder um Planeten kreisende Satelliten (Orbit) als Elektronen nicht aus dem Kopf. So falsch und irreführend dies auch sein mag.

Ich denke daher, dass es eine recht schlechte Idee ist, bekannte Begriffe, die aus alten Theorien oder dem alltäglichen Sprachgebrauch her stammen (Teilchen, Orbital, ...) in eine neue Theorie hinüberzuretten. Zunächst geschieht dies vielleicht aus Bequemlichkeit — warum auch einen neuen Begriff finden — vielleicht auch aus der falschen Annahme, dass damit die neue Theorie leichter zugänglich wird, da man ja auf bekannte Begriffe verweist.

Tatsächlich ist aber eben mit diesem Rückgriff das Kind schon in den Brunnen gefallen: Wir bringen damit alte Ideen in neue Theorien ein, und das verwirrt offenbar mehr als es nutzt. Das erkennt man am genannten Beispiel, dass wir immer noch diskutieren, ob etwas eine Welle und ein Teilchen zur gleichen Zeit sein kann.

Und dies kann, meine ich, wohl kaum der Fall sein, denn: "Welle" und "Teilchen" sind Begriffe aus der makroskopischen Welt und haben als "ontologische" Begriffe in der atomaren Welt nichts zu suchen. Die Welt der Quanten ist offenbar eine ganz andere als die Welt die uns durch direkten Wahrnehmung zugänglich ist (oder jedenfalls bietet es sich aus praktischen Erwägungen an, diese unterschiedlich zu beschreiben), daher sollten auch andere Begrifflichkeiten gewählt werden. Natürlich kann es an den Grenzflächen der Theorien zu Überschneidungen kommen. Wenn sich bspw. Phänomene der Quantenwelt tatsächlich in unserer "makroskopischen" Welt manifestieren, kann man diese wieder mit makroskopischen Begriffen (Welle, Teilchen) bezeichnen, aber erst dann!

Also als ersten Schritt sollte man meiner Meinung nach keine Formulierungen der Art verwenden wie "Welle-Teilchen Dualismus" oder "Quanten sind Wellen oder Teilchen, je nach Art des Experimentes", das sind sie nicht. Sie sind etwas anderes, etwas für das wir vielleicht keine Bilder erzeugen können die uns aus der Alltagserfahrung zugänglich sind. Allerdings können Quanten-Systeme in verschiedenen Experimenten Effekte zeigen, die man als klassisches Wellen- oder Teilchen beschreiben kann.

D.h. Quanten können Effekte zeigen, die wir klassisch begreifen können (in diese Richtung funktioniert es) aber aus diesen Effekten darf nicht auf die "Beschaffenheit" der Quanten geschlossen werden (die andere Richtung ist also verboten).

Oder etwas polemisch formuliert: "Ein Quant ist Teilchen und Welle" macht etwa so viel Sinn wie "Ziegelsteine können als Mauer oder Garage auftreten". Man vermischt Begriffe aus verschiedenen Welten. Ziegelsteine können unter bestimmten Voraussetzungen ein Objekt formen, das wir als Garage bezeichnen, aber die Garage erklärt wenig über die Natur der Ziegelsteine, sie kann auch betoniert werden oder aus einem Blechkontainer!

Auch in anderer Hisicht wird begrifflich manchmal geschludert: z.B. wird im Spektrum der Wissenschaft 7/07 folgendes geschrieben:

"... das Verhalten eines Objektes [kann] davon abhängen, was wir darüber herauszufinden versuchen"
Dies ist sicherlich inhaltlich nicht falsch, aber dennoch irreführend, denn es kännte der Eindruck entstehen, die Messung an sich oder gar der menschliche Beobachter würde das Verhalten eines Objektes beeinflussen. "Wir" sind in der Tat recht irrelevant, relevant ist es wie "wir" oder irgendein anderes System mit dem Objekt interagieren. Ob dies mit menschlichem Wissensgewinn verbunden ist dabei wohl völlig egal.

Und dies leitet auch gleich zum zweiten Aspekt über:

Zweitens: "Was wird eigentlich Beschrieben?"

Können wir überhaupt, wenn wir von Quantentheorie sprechen, von der selben "Kategorie" von Theorie sprechen verglichen mit den "alten" Theorien? Mir fällt jetzt kein besseres Wort als "Kategorie" dafür ein: heute wird es doch zumeist so gesehen, dass die Welt der Quanten zwar nicht mit den Gesetzen der Mechanik beschrieben werden kann, aber immerhin, wir haben es doch noch mit Teilchen zu tun, die sich halt anders verhalten und anders beschrieben werden müssen. Aber es sind doch immer noch "Teilchen" die interagieren.

Oben habe ich auf die Problematik der Begriffsbildung verwiesen und hier scheint sie sich auf einer weiteren Ebene zu rächen. Wir verwenden Teilchen und haben damit eine bestimmte Art von "Operationen" im Sinn, die wir beschreiben können. Eben "Teilchen", also Atome, Moleküle, Elektronen usw. die irgenwie aufeinander aufbauen, miteinander interagieren, sich zu größeren Systemen zusammensetzen usw.

Vielleicht ist dies aber eine ganz falsche Art die Quantetheorie zu betrachten. Ich stelle hier natürlich nicht die Quantentheorie an sich in Frage, sondern die Betrachtung derselben, also was wir denken, das beschrieben wird. Viele der "seltsamen" Phänomene, der Experimente, man denke an Wellengleichungen, veschränkte Systeme usw. sind vielleicht nur darum seltsam, weil wir sie unter dem Begriff der Teilchen betrachten.

Natürlich ist es seltsam, wenn "Teilchen" über eine "spukhafte Fernwirkung" miteinander verbunden sind.

Vielleicht ist es aber nicht mehr seltsam, wenn man den Begriff des Teilchens einfach fallen lässt. Damit beschreibt die Quantenphysik nicht mehr Teilchen und deren Interaktion, sondern systemisches Verhalten, indem Teilchen auf unterster Ebene keine Rolle mehr spielen. Quantensysteme können (siehe auch oben) sich unter manchen Voraussetzungen wie Teilchen verhalten, aber das könnte nicht der onotologische Kern der Theorie sein.

Vor einigen Monaten gab es einen Beitrag im Deutschlandradio, wo ein Mitarbeiter aus dem Forschungsteam um Prof. Zeilinger interviewt wurde. Und eine Aussage war sinngemäß, dass neue Experimente tatsächlich an zwei Eckpunkten bisherigen physikalischen (und philosophischen) Verständnisses rütteln: am Prinzip der Lokalität und des Realismus.

Unter Lokalität versteht man vereinfacht gesagt, dass zwei Objekte, die weit voneinander entfernt sind einander nicht beeinflussen können. Unter Realismus wird üblicherweise verstanden, dass Objekte Eigenschaften haben, die diese konstituieren, und zwar unabhängig davon ob "wir" hinsehen, messen oder nicht.

Diese Forschungsarbeiten scheinen nun darauf hinzuweisen, dass ein Objekt nicht durch unabhängige Eigenschaften konstituiert zu sein, sondern diese zu einem gewissen Maß davon abhängen, wie es mit anderen "Objekten" interagiert. Wobei hier vielleicht sogar der Objektbegriff fragwürdig wird und möglicherweise besser durch einen systemischen Begriff ausgetauscht werden sollte.

Nach meinem Verständnis könnte man in der Interpretation der "Quantentheorie" vielleicht in der Hinsicht weiterkommen, dass man sich diese nicht als eine Theorie die das Verhalten von Teilchen vorstellt, sondern als eine die in erster Linie Interaktionen zwischen Systemen beschreibt. In dieser hat spielt das "Verhalten eines einzelnen Teilchens" um in der alten Terminologie zu bleiben, auch keine besondere Rolle, sondern das gesamte System, in das dieses "Teilchen" integriert ist. Dazu gehören auch Messsysteme und ggfs. auch menschliche Beobachter.

Mittwoch, 27. Juni 2007

Die neue Welt der "Printmedien"

Im aktuellen SWR2 Podcast wird über den Einfluss des Internets auf Printmedien und die neuen Möglichkeiten, oder nach meiner Sicht eher Unmöglichkeiten diskutiert.

Unbestritten hat das Internet die Branche aufgewirbelt und es gibt viele sehr interessante und positive neue Möglicheiten; zu nennen sind natürlich Archive im Internet (z.B. Zeitungen, Wissenschaftsmagazine) sicherlich Podcasts, mit denen "reguläre" Print-Publikationen mittlerweile gerne ergänzt werden (bspw. Scientific American), natürlich auch Blogs und neue "Publikations-Prozesse" wie das Vordiskutieren von Themen am Web mit anschliessender Publikation im Web unter Einbeziehung der Publikumskommentare. Dies wird fallweise vom Spektrum der Wissenschaft gemacht (und ich habe mich auf einen dieser Artikel in einem meiner letzten Blog-Einträge bezogen). Absichtlich nicht erwähnt habe ich in den "interessanten" neuen Möglichkeiten die "News Ticker" und derartigen Unsinn, siehe auch mein entsprechendes Posting zum Thema "News Industrie".

In dem genannten SWR2 Beitrag wird aber hauptsächlich über Spiegel Online diskutiert, ein einigermassen seriöses Medium wie man jedenfalls dem Namen nach vermuten könnte. Auch kommen Redakteure zu Wort, und einige der Wortspenden möchte ich hier gerne kurz wiedergeben:
"Wir können die Spiegel Online Geschichten nicht in dem Maße 'fact-checken' wie die Print-Kollegen das erwarten und das drüben praktiziert wird. Wir können nicht zwei Stunden warten bis eine Geschichte von oben bis unten durchgecheckt ist. [...] Natürlich verändern wir Geschichten nachträglich, wir aktualisieren ständig [...] weil es die Aktualität so erfordert." Spiegel Online Chefredakteur

"Erst veröffentlichen, später wieder korrigieren", SWR2 Redakteur
Aktualität fordert! Wirklich?

Wieso um Himmels willen "erfordert Aktualität" irgendetwas? Aktualität bedeutet doch nur, dass etwas in zeitlich angemessener Nähe zum Geschehen passiert. Alleine die Aussage "Aktualität würde irgendetwas fordern" ist völlig unsinnig. Aktualität kann gefordert werden, aber kann selbst natürlich nicht fordern. Hier haben wir es wieder einmal mit Schein-Motivationen zu tun, die uns in irgendeine Richtung treiben wollen ohne eine klare Begründung zu liefern. Dies ist analog zu sehen zu der Idee dass "der Fortschritt" uns "zwingend" irgendwo hintreiben würde, oder "offensichtlich" irgendwelche Dinge von uns fordern würde. Hier werden Ursache und Wirkung um 180° verdreht um uns eine eine nicht näher argumentierte (und der Formulierung nach selbst-immunisiergend gegen Argumente seiende) Richtung manipuliert.

Ich habe zwar über dieses Thema schon in anderem Kontext geschrieben, aber ich werde immer noch erschüttert, wenn ein Redakteur meint, die Beiträge in Spiegel Online müssen sozusagen zwangsweise dermassen aktuell sein, dass man nicht mal zwei Stunden Zeit hat um sie "fact" zu "checken". Jetzt frage ich mich: welche Art von Journalismus begegnen wir hier eigentlich? De facto ist es also so, dass wohl alles was nicht auf den ersten Blick schwachsinnig ist zunächst mal für die Publikation in Frage kommt. Wenn man dann irgendwann mal draufkommt, dass das alles so doch nicht gestimmt hat, korrigiert man halt hier und da ein wenig. Dies wird dann auch als große neue Möglichkeit des Onlinejournalismus verkauft.

Was hier nicht dazugesagt wird ist wohl, dass ja bis zum Zeitpunkt der Korrektur diesen fragwürdigen Artikel tausende schon gelesen haben und die Korrektur möglicherweise zu einem Zeitpunkt kommt, wo der Artikel (bei der selbst-angegebenen Aktualitätsdauer von nur einigen Stunden) ja kaum mehr sehr prominent auftauchen wird. Eine Alibi-Aktion. Man gibt sich den Mantel des immer aktualisierenden Journalismus, tatsächlich publiziert man aber mit relativ großer Breitenwirkung dann doch eine Menge Unsinn. (Der dann, wenn es kaum mehr jemanden interessiert auch gerne mal korrigiert wird). Dies ist jedenfalls mein Eindruck.

Ich möchte nicht meine Argumente überholen, aber ad hoc fällt mir praktisch keine Nachricht ein, wo einer Verzögerung um zwei Stunden irgendeinen Unterschied machen würde: ausser dass die Qualität dann besser wäre. Das geben ja die Redakteure indirekt ja sogar selbst zu! Wie wichtig kann eine Nachricht sein, die einerseits nicht 2 Stunden warten kann um ordentlich überprüft zu werden, andererseits aber schon nach wenigen Stunden nach "unten" gereiht wird. Das können doch überwiegend nur "Null Nachrichten" sein, also Edutainment, eye-catcher ohne nennenswerten Informationsgehalt? Ich empfehle hier wirklich die heutigen Nachrichten mir der Frage im Hinterkopf zu lesen, wie Nachhaltig die jeweilige Nachricht eigenltich ist, und wie oft ein und dasselbe über Tage aufgekocht wird um die Medien zu füllen, anstatt ein paar Tage gründlich zu recherchieren und einen ordentlichen Artikel zu verfassen.

Spiegel Aktuell

Ich habe mir interessehalber die Haupt-Schlagzeilen von Spiegel Online zum jetztigen Zeitpunkt (siehe Publikationsdatum) angesehen:
  • Blair übergibt Queen Rücktrittserklärung
  • Machtkampf zwischen Franzosen war Ursache für Airbus- Krise
  • Wärme in Deutschland bricht historischen 12- Monats- Rekord
  • Rechtsdrall am Obersten Gerichthof
  • Herrscher über Leben und Tod (Klinikskandal)
  • 2008 lebt jeder zweite Mensch in der Stadt (UNO Report)
Tony Blair ist seit 10 Jahren im Amt, die Übergabe wird seit Wochen diskutiert: kommt es hier also auf zwei Stunden an? Die Airbus Krise ist auch alles andere als ein spontanes Naturereignis, würde aber gründliche Recherche vertragen. Die Wärme... nun, die kann mit Sicherheit keine zwei Stunden warten. Der amerikanische Gerichtshof ist eine politisch sehr wichtige Institution, die gründliche Betrachtung verdient, die Bestellung wird über Monate diskutiert, die bestellten Richter sind auf Lebenszeit nominiert, sofern man nicht erwartet, dass einer der Richter innerhalb von zwei Stunden stirbt ist dies wohl auch kein Minuten-aktuelles Thema usw.

Ich würde mir hier also wirklich Beispiele wünschen die einen schnellen Journalismus in irgendeiner Weise rechtfertigen würde! Ist es wirklich so wichtig minutenaktuell zu berichten, wenn Paris Hilton zu unser aller Verzückung aus dem Knast entlassen wird? Oder wenn irgend ein Politiker wieder eine besonders originelle Dummheit von sich gibt? Was genau kann keine zwei Stunden warten? Ich würde das wirklich gerne wissen.

Es gibt viele neue und kreative Möglichkeiten, die uns das Internet bietet, "Nachrichten" um zwei Stunden "schneller" publizieren zu können gehört meiner Ansicht nach nicht dazu. Oder wenn, dann nur im begründeten Ausnahmefall und dies gab es immer schon; Sondersendungen im Radio, Fernsehen etc.

Fazit

Natürlich hat ein online Medium den Vorteil Fehler korrigieren zu können und sollte dies auch tun. Sehr fragwürdig ist es aber, wenn das Prinzip von vornherein umgedreht wird? Es verlangt im Prinzip dann auch, dass Leser an einer Geschichte zumindest über Stunden dranzubleiben um festzustellen ob der Artikel auch wirklich so Sinn macht, wie es Anfangs publiziert wurde. (Und wieviele Leser dies tun kann man sich vorstellen, wenn eine der beliebtesten Rubriken von Spiegel Online die tägliche Sex-Geschichte mit Titten-Foto ist)

Das Fazit ist also, dass wir offenbar auch bei den "namhaften" Online Medien ein erhebliches Maß an Medienkompetenz beim Leser erwarten müssen! Davon abgesehen, dass diese wohl bei den meisten nicht vorhanden ist, und in der Schule auch nicht gelehrt wird (dort bringen wir den Schülern bei wir man Google und Word 2007 bedient, aber nicht die notwendige Allgemeinbildung um die Ergebnisse der Google Suche adäquat beurteilen zu können) stellt sich dann schon die grundlegende Frage: Wofür brauche ich "Spiegel online" überhaupt, wenn die Zuverlässigkeit kaum höher ist als bei einem x-beliebigen Blog oder bei Wikinews.

Da bleibe ich lieber gleich bei Blogs, weil da ist mir klar, dass man die Geschichten mit entsprechend kritischem Abstand betrachten muss.

Dienstag, 19. Juni 2007

Leuchttürme der Wissenschaft...

... oder: was wir ohne Kant und Einstein nicht wüssten.

Es geht in manchen Diskussionen das "Schreckgespenst" um, dass wir (etwas übertrieben formuliert) noch in der Steinzeit leben würden, hätte es Kant, Aristoteles, Leonardo, Einstein, ... nicht gegeben. Manchmal liest oder hört man Formulierungen der Art "... ohne Kant gäbe es keine moderne Erkenntnistheorie..." usw.

Nun kann es sich dabei um eine Bequemlichkeit der Formulierung handeln; korrekter könnte man wohl sagen: "Wir verdanken Kant wesentliche Aspekte der modernen Erkenntnistheorie". Oder vielleicht, und jetzt komme ich zurück zum Titel dieses Blog-Eintrages, habe wir es eher mit dem "Leuchtturm-Phänomen" zu tun und derartige Formulierungen drücken tatsächlich aus, was manche Publizisten für richtig halten:

Es scheint so zu sein, als bräuchten wir als Menschen Identifikationsfiguren, denen wir dann verschiedene gute oder schlechte Aspekte der Menschlichen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte umhängen können. Nicht nur das, es scheint weiters zu durchaus durchsichtigen selbstverstärkenden Phänomenen zu kommen. Um bei Kant zu bleiben: Hat ein "Kant Fan" hunderte Studenten unterrichtet und entsprechend viele Publikationen erstellt so ist natürlich die Wahrscheinlichkeit dass sich dies überproportional fortpflanzt hoch. Dies kommt auch dem bekannten menschlichen Hang zur Simplifizierung zu Gute. Plötzlich hat Einstein die gesamte moderne Physik begründet und Kant ist der wichtigste Philosoph aller Zeiten (gut da streiten sich vielleicht noch manche klassische Philologen, und mögen Aristoteles einreklamieren). Davon abgesehen ist es natürlich auch deutlich bequemer sich nur mehr mit einer handvoll an "Lichtgestalten" auseinandersetzen zu müssen; an Stelle einer gründlichen Betrachtung einer breiteren Anzahl an Einflüssen.

Ich denke, dass es einerseits verständlich ist, dass wir Ideen, Geschichte gerne an Personen festmachen, andererseits verwischt die eindimensionale Betrachtung vielleicht doch ein wenig das tiefere Verständnis um die tatsächlichen Gegebenheiten. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Kant und Einstein sind auch aus meiner Sicht zweifellos sehr wesentliche Gestalten der Wissenschaftsgeschichte, aber ich fände es spannend anstelle der 100ten Lobhymne auf Einstein und Kant mal ein klareres Bild zu bekommen was bspw. Kant tatsächlich originär Neues beschrieben hat, was nicht vorher bspw. von Hume schon gesagt wurde.

Ich denke auch, dass es ein gedanklicher Fehler ist, Geschichte zu stark an einzelnen Personen oder Gegebenheiten aufzuhängen: Ich bin bspw. absolut davon überzeugt, dass es auch ohne Kant eine moderne Philosphie gäbe und ohne Einstein eine moderne Physik. Warum? So wenig konkret das klingen mag, aber ich denke dass die Zeit reif war für neue philosophische Ideen und neue physikalische Konzepte, schliesslich gab es nicht nur Einstein, sondern auch Plank, Bohr, Heisenberg, Pauli usw.

Betrachten wir etwa die spezielle Relativitätstheorie Einsteins. Eine enorme Leistung und dennoch: sie lag in der Luft.  Sie war eine klare Konsequenz der Erkenntnisse der Zeit. Man denke an die Experimente von Michelson und Morley, dann Hendrik Lorenz sowie weiters Henri Poincaré. Poincaré hat 1904 den wichtigen Schluss gezogen, dass es vermutlich unmöglich ist eine absolute Bewegung in einem Experiment festzustellen. Er nannte das "das Prinzip der Relativität". Er erkannte weiter, dass man eine neue Theorie benötigt, die von der konstanz der Lichtgeschwindigkeit ausgeht. Einstein war dann derjenige der den letzten wichtigen Schritt gemacht hat, und die neue Theorie auch formalisiert hat. Diese Leistung darf keinesfalls unterschätzt werden. Und dennoch: hätte es Einstein nicht gegeben, hätte mit größter Wahrscheinlichkeit eine der anderen Koryphäen der Zeit diesen Schritt gesetzt.

Vielleicht wäre es also auch einmal ein lohnendes Unterfangen zu versuchen den "Zeitgeist" genauer zu untersuchen, der in letzter Konsequenz natürlich in einzelnen Personen zu bestimmten Bahnbrechenden Ideen geführt hat.

Sonntag, 13. Mai 2007

Ist Fortschritt eine Illusion?

Der Philosoph Eckart Voland publizierte in Spektrum der Wissenschaft einen Artikel "Die Fortschrittsillusion". Dieser Artikel wurde zunächst auf der Spektrum der Wissenschaft Webseite online publiziert und zur Diskussion "freigegeben"; und danach im Heft publiziert und im Spektrum Podcast diskutiert. Voland vertritt hier den Standpunkt, dass Fortschritt an sich eine Illusion ist (Details kann man online nachlesen). Leider vertritt er diese These so platt, möchte ich sagen, dass dann aus meiner Sicht ein viel wichtigeres Detail untergeht, das er im Podcast ein wenig klarer macht: Natürlich ist die These dass es keinen Fortschritt gäbe aus meiner Sicht so nicht haltbar. Ich meine, das ist eine Aussage einer relativistischen Philosophie im Gedanken der sogenannten "Post-Moderne" die ich eigentlich für überwunden gehalten habe. 

Auch wenn Voland versucht mit argumentativen Verrenkungen zu erklären, dass bspw. Säugetiere evolutionär betrachtet keinen "Fortschritt" im Vergleich zu vielleicht Einzellern darstellen würden, sondern sie nur anders ausdiffernziert oder einfach komplexer wären oder dergleichen. Ich meine, man sollte derartig relativistische Positionen heute wirklich nicht mehr vertreten, sie führen sehr schnell zu Systemen der Beliebigkeit (bspw. jede Form der Kultur ist der anderen im Prinzip gleichwertig etc). 

Aber diese Dinge wurden von Autoren wie Daniel Dennett oder Hilary Putnam (bspw. in "Vernunft, Wahrheit und Geschichte") wirklich im Detail diskutiert. Im Prinzip sind das für mich unwesentliche Sprach-Spiele. Ich denke es gibt Fortschritt, das Problem ist allerdings, und an dieser Stelle werden seine Aussagen schon interessant, dass es für Fortschritt einen Maßstab geben muss. Wir brauchen irgendein Ordnungs-/Maßschema anhand dessen wir sagen können ob ein bestimmtes System, eine Idee, ein Lebewesen fortschrittlicher ist als andere. Und dieser Maßstab ist nun nicht objektiv gegeben bzw. zugänglich. Damit handelt es sich allerdings "nur" um die Variaten der lang bekannte Frage nach dem Zugang zu den "Dingen an sich" im Kantschen Sinn. Nichts wirklich neues hier also. Aber ein interessanter anderer Gesichtspunkt: Der für mich spannende Punkt den Voland v.a. im Podcast betont ist, dass wir in der heutigen Welt laufend von Beratern, Politikern, Wirtschaftsbossen, Journalisten belehrt werden, dass wir dem "Fortschritt" nicht im Wege stehen können. 

Dies wird mit einer solch non-chalenten Selbstverständlichkeit ausgedrückt als gebe es tatsächlich ein allgemeingültiges Maß an dem man eindeutig festmachen könnte, dass die Auswüchse des Kapitalismus bspw., mit dem wir zur Zeit konfrontiert sind in Wahrheit der Weg in den unvermeidbaren "Fortschritt" darstellt. Voland erklärt seinen Unwillen auf der Basis von "Fortschritt" argumentierten Aktivitäten Folge zu leisten, und ich möchte mich dem mit vollem Herzen anschliessen. Möchte man bspw. diskutieren, ob Computer in der Schule tatsächlich einen so großen Gewinn darstellen steht man als ewig-Gestriger dem "Fortschritt" der Lehre entgegen (um nur ein typisches Beispiel zu nennen). Denn wir lernen in unserer Gesellschaft: "massiver Einsatz von Technologie" = "Fortschritt". Möchte man dies Hinterfragen so ist man nach hinten gerichtet, stellt sich dem (unvermeidlichen?!) Fortschritt in den Weg. In dieser Kritik möchte ich Voland (sofern ich ihn hier richtig interpretiere) sehr gerne folgen, nur ist diese eben keine Konsequenz der Tatsache, dass es etwa keinen Fortschritt gäbe, den gibt es, sondern hat damit zu tun, dass es kein objektiv zugängliches Maß dafür gibt. 

Folglich glauben wir zu schnell an den Maßstab, den uns irdenwelche vermeintlichen oder tatsächlichen Autoritäten für "selbstverständlich" erklären. Die Lehre die zu ziehen wäre ist es, genau zu Hinterfragen, welche Idee von Fortschritt einer bestimmten Argumentationslinie zugrunde liegt, welche Vorteile für Einzelne möglicherweise diese Konzepte motivieren könnten. 

So könnte man feststellen, dass die Gleichung die wir uns alle verinnerlicht haben: "massiver Einsatz von Technologie" = "Fortschritt" vielleicht eine wirkliche gelungene Marketingstrategie der Technologie-Industrie darstellt. Wirklich gelungen auch deshalb, weil diese Grundannahme heute kaum mehr zu hinterfragen ist. Man erkennt dies auch sehr gut an den (v.a. in den USA) vorgeschlagenen "Lösungen" zum Klimawandel: Hier wird jede Lösung die nicht eine massive Technologiekeule darstellt als irrelevant und altmodisch dargestellt. 

Beispiel: es wird nicht erkannt, wieviel Energie unwahrscheinlich dumm verschwendet wird, wieviel Treibhausgase man einsparen könnte indem man (ohne den Lebensstandard zu verringern) einfach effizienter mit Resourcen umgeht. Es wird hingegen massiv in alternative Treibstoffe, Solartechnologien, Hybridautos, ... investiert. Sogar Überlegungen das Erdklima durch massives Düngen von Meeresgebieten zu "korrigieren" und andere massiv invasive Ideen werden in manchen Kreisen eher reflektiert als Häuser nach modenren Kriterien zu bauen und zu isolieren oder in den öffentlichen Verkehr zu investieren (das wären ja unwahrscheinlich langweilige und altmodische Ideen). Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass jede "High-Tech" Idee per se falsch oder überflüssig wäre (Solartechnologie hat sicherlich einiges für sich!), nur werden "low-tech" Varianten, die lange bekannt sind, nur eben keinen "hippen" Technologiestempel "des Fortschritts" haben so unmodern dass man sie niemandem verkaufen kann, so sinnvoll sie auch sein mögen. 

Diese Konzepte des "Fortschritts" und der "Moderne" wären vielleicht wirklich wert überdacht zu werden. Ergänzung 17.9.2008: Burkhardt Brinkmann schreibt ebenfalls einen sehr interessanten Blog-Eintrag zum Thema "Fortschritt" bezugnehmend auf den Artikel von Voland.

Sonntag, 22. April 2007

Teheran kündigt an, Washington droht und London zögert!

Ich habe in meinem Blog kürzlich kritische Artikel über "moderne" Berichterstattung geschrieben. Ein Aspekt, der mir zunehmend auffällt ist, wie Sprache vordergründig verkürzt, verknappt wird, aber übersehen wird, dass dabei beim Zuhörer oder Leser auch Assoziationen geweckt werden, die aus meiner Sicht jedenfalls bedenklich sind.

Dies beginnt mit "üblichen Dummheiten" wie derzeit in den Österreichischen Medien, sinngemäß "Der Finanzminister schwimmt im Geld weil.."; warum auch immer, eine neue Steuer oder derartiges. Nur: wenn wir in einer funktionierenden Demokratie leben (wo man sich bei unserem letzten Finanzminister nicht sicher sein konnte), so ist dieser Satz vollkommener Unsinn. Nicht der Finanzminister "schwimmt im Geld", sondern wenn schon, dann der Staatshaushalt, oder wie immer man das bezeichnen möchte. Ich weiß schon, dass dies verkürzend so dahin gesagt wird, aber es löst eben falsche Ideen aus. Wenn jemand "reich" wäre, dann nicht der Finanzminister, sondern die Staatskasse.

Noch viel ärgerlicher ist der Trend, Aussagen von hohen Politikern mit Städten oder Ländern zu verknüpfen. Daher der Titel dieses Eintrages. Man liest es jeden Tag: "Teheran kündigt an...", "Washington droht mit...", London zögert..." und "Brüssel...?". Ich finde dies ganz besonders ärgerlich. Ich war viele Male in Teheran, ich war auch schon in London und Brüssel. Zugegeben, ich war noch nie in Washington, vermute aber, dass es dort ebenso zutrifft:

Ich persönlich habe "Teheran" noch nie etwas sagen hören. Dort leben mehr als 10 Millionen Menschen mit vielen verschiedenen Befindlichkeiten, Problemen, Ideen und Wünschen, und diese decken sich mit Sicherheit nicht alle mit denjenigen einer politischen Führung (ganz besonders nicht in Teheran). Dasselbe trifft nun mit Sicherheit auf London, Washington oder Brüssel zu.

Wenn Herr Ahmadinejad mal wieder schlecht geschlafen hat und das unstillbare Bedürfnis ihn drängt seine neueste Idee einer Kamera anzuvertrauen, so möchte ich wissen, dass er das gesagt hat. Das war Ahmadinejad, nicht Teheran. Ebenso in Washington: sollte Herr Bush oder einer seiner Jünger wieder einer göttlichen Eingebung folgend uns Unberufenen etwas wichtiges zu verkünden haben, so möchte ich wissen, dass dies aus Bushs' Mund kommt, oder aus dem eines seiner Minister, Pressesprecher usw. Nicht Washington sagt etwas, sondern eine politische Person. Und möglicherweise teilen viele in Washington diese Meinung, vielleicht (oder wahrscheinlich) aber auch nicht.

Und eben dies ist ein wesentlicher Punkt. Indem wir Einzelaussagen bestimmter politischer Vertreter einer ganzen Stadt oder einer ganzen Bevölkerung in den Mund legen, so implizieren wir damit eine Uniformität, der ich noch nie, nirgends auf der Welt, begegnet wäre. Dies ist nicht nur einfach ärgerlich, dies ist gefährlich. Denn aus den mehr oder weniger geistreichen aber politisch motivierten Aussagen einzelner, wird ein ganzes Volk zu "militanten Islamisten" oder zu "religiös motivierten Kriegstreibern" oder ...

Der Missbrauch der Sprache war immer das Mittel der Populisten und Demagogen zum Zwecke der Propaganda; das sprachliche Gleichschalten einer Bevölkerung immer der erste Schritt zu Aggressionen. Erinnerlich sind die Propagandaplakate des ersten Weltkrieges (um Ausnahmsweise etwas historisches zu zitieren): "Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoss ein Franzos, jeder Tritt ein Brit..." oder "Serbien muss sterbien".

Ich gebe zu von "Washington sagt" bis zu "Serbien muss sterbien" mag noch ein längere Weg sein, aber der Punkt ist: es ist der erst Schritt auf demselben Weg.

Wir wollen nicht mehr wissen, dass es damals in Frankreich viele Menschen gab, die einfach ihr Leben leben wollten und keinerlei Interesse an Nationalismen hatten, und schon gar nicht vor hatten durch einen "Stoß" zu sterben; dass es heute in Washington Menschen gibt, die erschüttert über die Regierung Bush sind lässt sich ebenfalls leicht verdrängen, denn "Washington sagt...". Wir wollen auch nicht wahrhaben, dass in Teheran Millionen Menschen hauptsächlich mit Problemen des täglichen Lebens beschäftigt sind, und keinerlei Interesse, geschweige denn Unterstützung für Ideen ihrer politischen Führung haben, unter der sie täglich leiden, aber: "Teheran sagt...". Und in London protestierten tausende Menschen gegen die Irak Politik Tony Blairs, aber das wissen wir nicht mehr, denn auch "London sagt..." ja etwas.

Dann kann man natürlich Militärschläge gegen den Irak leicht rechfertigen, wie auch Bombenanschläge auf die Londoner U-Bahn. Denn der "Irak" ist ja ein Schurkenstaat, nicht Saddam Hussein ein "Schurke" (wenn man sich schon so billigen Vokabulars bedienen muss). Und London ist ja ein Feind des Islams, denn London hat auch auch Krieg geführt. Dass in London so viele Ethnien friedlich zusammenleben, wie an wenigen anderen Plätzen der Welt, auch Moslems und Christen und was es nicht sonst noch an religiösen Gruppen geben mag, hat man gleich wieder vergessen. Und wenn der "Irak" schon ein Schurkenstaat ist, dann bedeutet das ja offenbar auch, dass fast alle Menschen dort Schurken sind, und damit ist es nicht so schlimm, wenn man viele davon "eliminiert" (töten sagt man heute ja nicht mehr, das wäre unfein).

Ich denke, dass etwas mehr Sorgfalt im Umgang der Sprache, ganz besonders in den Medien der erste (kleine) Schritt zu einem besseren Verständnis anderer Nationen sein kann, und dass vor allen Dingen Medien der Polemik und Propaganda keinen Vorschub leisten sollten.


***

p.s.: Zum Thema Medienberichterstattung gab es kürzlich eine hervorragende Sendung in SWR2 (Als die Nachrichten noch zum Telegrafenamt gebracht wurden) vom ehemaligen Nahost-Korrespondenten Rudolph Chimelli (Jahrgang 1928), der über die Entwicklungen der Berichterstattung reflektiert. Macht sehr nachdenklich und auch betroffen. Sollte auch als Podcast noch verfügbar sein.

Mittwoch, 11. April 2007

Klimaschutz und Reisen

In seiner Neujahrs-Nachricht 2006 schreibt der bekannte britische Autor Philip Pullman unter anderem folgendes:

"Another part of this issue is aviation. Every clear morning (and there aren't very many mornings when the sky is clear) I look up and count the number of condensation trails I can see from my house. It's never less than ten, and sometimes as many as fifteen. That is far too many planes up there pouring out carbon dioxide right where it'll do most damage. Of all forms of transport, air travel is much the most destructive. Far too many people are flying about, and I can't believe that all those journeys are necessary.

So I've decided that I'm not going to be one of them any more. From now on I stay on the ground. This means no long-distance travel unless I can find a ship going where I want to; no flying within Europe, and certainly none inside Britain. All unnecessary. I can't think of a single reason that would make it more important for me to go to the other side of the world quickly than to save all that fuel by going slowly, or better still by not going at all. Festivals? Conferences? The days when we could thoughtlessly get on a plane and fly across the Atlantic to deliver one lecture are over. Tours to publicise a new book? Only by ship and by train."


Zur Zeit wird viel über Klimaschutz und Treibhauseffekt diskutiert. Natürlich zu Recht. Es werden verschiedene mehr oder weniger sinnvolle Massnahmen vorgeschlagen, die zumeist darauf hinauslaufen, dass die anderen sich doch gefälligst bemühen sollen, wir selbst aber unseren Lebensstil sicherlich nicht ändern wollen (ganz besonders dann, wenn die anderen nicht Industriestaaten sondern Schwellenländer sind). Wie hat das doch der allseits beliebte Präsident George ausgedrückt: "Der amerikanische way-of-life steht nicht zur Diskussion" oder so ähnlich. Genau. Er spricht die magischen Worte wenigstens klar aus, um die sich die anderen drücken.

Kürzlich habe ich ein Posting über die Unsitte in modernen Meetings geschrieben ("Offline"). Ich bin aber in dieser Reise-Frage tatsächlich gespalten. Auf der einen Seite bin ich absolut der Ansicht die Philip Pullman in seiner Nachricht vertritt: Natürlich sind die Flugpreise obszön billig, und natürlich wird viel zu oft viel zu überflüssig geflogen. Ich denke an die verschiedenen Geschäftsreisen, wo für einen Tag nach Brüssel, Paris oder sonst irgendwohin geflogen wird um sich dann im Flughafenhotel (!) zu treffen um dort etwas Wichtiges zu diskutieren. Tatsächlich sitzen dann vielleicht die meisten dort und lesen und beantworten ihre Emails in diesem wichtigen Meeting, weil sie zuhause und wegen der vielen Reisen dazu keine Zeit haben.

Ausgezeichnet! Für 3 Stunden Email lesen mussten einige Tonnen CO2 erzeugt werden. Das ist Effizienz! Das ist Ökonomie!

Wir fliegen auch nicht auf Urlaub in die Vereinigten Arabischen Emirate um dort Land und Leute (wie man so altmodisch formuliert hat) kennenzulernen, sondern um nach etlichen tausend Flugkilometern dort im klimatisierten Hotel am Pool zu liegen (was man genausogut in Niederösterreich oder Bayern hätte machen können) oder gar um in der tiefgekühlten Skihalle (mitten in der Wüste) bei 40° Aussentemperatur Skifahren zu können. Wir fliegen in die Türkei um uns dort im Touristenghetto eingesperrt "all inclusive" betrinken zu können. Das macht natürlich Sinn! Oder wir fliegen tausende Kilometer und einige Tage ins doch ferne Indonesien um dann in Bandung bei einer Veranstaltung traditionelle "Anklung" Musiker zu hören (so weit in Ordnung) wie diese nicht etwa traditionelle indonesische Musik, sondern "Tulpen aus Amsterdam" spielen. Dies ist kein Scherz, das musste ich selbst erleben. Der schlimmere Schock wurde aber durch die anderen Touristen ausgelöst. Ich hatte erwartet, dass sie ebenso negativ berührt davon sind, dass indonesische Musiker europäischen Mist spielen um traditionelle Instrumente vorzuführen, was ist aber passiert: rund um mich herum wurde fröhlich mitgeschunkelt.

Gut, das sind die zweifellos negativen Beispiele. Auf der anderen Seite ist es sicher so, dass das persönliche Treffen die Welt tatsächlich enger zusammenrücken lässt und besseres Verständnis für andere Kulturen und Probleme anderer Nationen möglich macht.

Wo sollten wir nun die Grenze ziehen?

Ich denke, dass Pullman einiges schon sehr richtig formuliert hat: Zunächst sollte sofort mit der unnötigen Beschleunigung aufgehört werden: Reisen innerhalb eines Kontinentes beispielsweise kann man leicht mit dem Zug erledigen. Viele Reisen werden heute gemacht weil sie billig sind, und weil "es so üblich ist", ohne groß über Alternativen nachzudenken, und diese sollten ersatzlos gestrichen werden. Dazu gehören (aus meinem Umfeld) sicherlich auch viele Konferenz- und Projektmeetings. Mit etwas Innovation könnte man viele dieser Dinge online nahezu genausogut abwickeln. Und das Fliegen muss endlich konkurrenzfähige Preise bekommen (wie auch der Individualverkehr), sprich dramatisch teurer werden, bspw. durch vernünftige Besteuerung des Kerosins und andere Besteuerung. Zuletzt sollten Fluggesellschaften sowie Autokonzerne zu Klimaschutzmassnahmen verpflichtet werden. Wir haben hier auf der einen Seite genug blumige Worte gehört die nichts bewirken und wurden auf der anderen Seite von zukunftsfremden Managern wie Rupert Stadler (Audi) in unserer Intelligenz beleidigt, wenn er meinte: "Wir sind keine Sozialhilfestation, wir sind ein Wirtschaftsunternehmen" (ganz genau! es geht um die Shareholder und sicher nicht um die Menschen, die Angestellten und schon gar nicht um unsere Zukunft; das wäre ja verantwortungslos in einer globalen Wirschaft!) weil er kritisiert wurde, dass die "Audi Flotte" zu viel CO2 ausstösst.

Nun ist sicherlich Audi alleine nicht daran Schuld, aber er gab auch anderes von sich:
"Wir haben in Genf einen Audi A3 mit einem 1,9 Liter-Motor und einer entsprechenden Getriebeabstimmung ausgestellt, der einen Schadstoffausstoß von gerade einmal 119 Gramm C02 pro Kilometer aufweist. Ich sage jedoch, dass so etwas für einen Audi A8 physikalisch nicht vorstellbar ist. Deshalb möchte ich keine Einheitsdebatte haben, sondern spezifisch für jedes Segment abgestimmte Werte."
Ganz genau! Machen wir doch die Segmentierung: Schmutzfinken, die der Meinung sind, man muss einen A8 fahren (weil vielleicht das Selbstwertgefühl nicht für einen Prius reicht), und Menschen die über höhere Vernunft verfügen und sich (wenn es unvermeidlich ist) ein sparsames Auto zulegen.

Aber zurück zum Reisen: Ich bin mir darüber bewusst, dass dies auch bedeuten würde, dass ich einige Reisen nicht machen würde; das ist persönlich zu einem gewissen Maße traurig. Auf der anderen Seite steht heute das Reisen mit dem vor-Ort sein oft in keiner vernünftigen Relation mehr: Man fliegt Tage zu einem anderen Kontinent um dort dann wenige Tage in Besprechungen zu sitzen. Dies vielleicht mehrmals pro Jahr. Warum nicht umdenken: Einmal fliegen, dann ein Monat vor Ort bleiben und wirklich arbeiten; konzentriert und fokussiert auf eine Sache. Das soll tatsächlich möglich sein! Diese wesentlichen Arbeitstreffen, und die Betonung liegt auf Arbeit, könnten aus meiner Sicht zukunftsfähig sein.

"Jet-setten" und sich jeden Tag an einem anderen Ort wichtig machen sind, denke ich, nur wenig nutzbringend und sollten daher in der Zukunft keinen Platz mehr haben.

Die Alternative besteht natürlich darin, dass es uns in irgendeiner Weise gelingt, den Flugverkehr tatsächlich Umweltschonender zu gestalten, denn um das nochmals aufzugreifen: natürlich hat die verstärkte Reisetätigkeit auch positive Effekte im Sinne eines globalen Zusammenrückens gebracht. Dies ist aber (nach aller wirtschaftlicher Logik) sicher nur Möglich wenn regulativ erheblicher Druck auf die Reise/Flugindustrie ausgeübt wird um hier tatsächlich einen Fortschritt und nicht nur leere Bekenntnisse zu erleben.

Wie ende ich nun diesen Artikel?

Ich denke, mit einem klaren "Ja, aber": Ja, wir wollen global denken, leben; wir wollen uns besser kennenlernen und uns vielleicht als "Weltbürger" und nicht als kleinkarierte Nationalisten sehen, aber wir müssen erkennen, das nicht alles was im Moment möglich ist auch einerseits auf Dauer haltbar ist, und auf der anderen Seite uns sukzessive einen Lebensstil aufzwingen kann (wie oben beschrieben) der alles andere als effizient oder gesund ist (für uns und die Umwelt). Versuchen wir so ökologisch wie möglich zu Reisen (und hier gibt es enormes Potential für Verbesserung); versuchen wir wirklich zu Reisen (im klassischen, altmodischen Sinn), und nicht zu "jetten" a la "statt Europa in einer Woche" von einem Touristenghetto ins nächste; und versuchen wir weiters auch alle Alternativen für eine globale Verständigung abseits persönlicher Mobilität adäquat zu nutzen und weiterzuentwickeln. Ganz besonders für kommerzielle Aspekte!

Mittwoch, 21. März 2007

Wissen ist Macht? Bildung oder Ausbildung?

"Gegenwärtig orientiert sich Bildung nicht mehr an den Möglichkeiten und Grenzen des Individuums, auch nicht an den invarianten Wissensbeständen einer kulturellen Tradition, schon gar nicht am Modell der Antike, sondern an externen Faktoren wie Markt, Arbeitsplatz, Standortqualität und technologische Entwicklung, die nun jene Standards vorgeben, die der 'Gebildete' erreichen soll. Unter dieser Perspektive erscheint die 'Allgemeinbildung' genauso als Luxus wie die 'Persönlichkeitsbildung'. In einer sich rasch wandelnden Welt, in der sich Qualifikationen, Kompetenzen und Wissensinhalte ständig ändern, scheint 'Bildungslosigkeit', also der Verzicht auf verbindliche geistige Traditionen und klassische Bildungsgüter zu einer Tugend geworden zu sein, die es dem Einzelnen ermöglicht, rasch, flexibel und unbelastet von 'Bildungsballast' auf die sich stets ändernden Anforderungen der Märkte zu reagieren"
Konrad Paul Liessmann
In den letzten Jahren gibt es in Europa, besonders aber auch in Deutschland und Österreich heftige Diskussionen zum Thema Bildung und Ausbildung.

Diese ist leider orientiert an mehr Rankings wie "Pisa" sowie der Frage wieviele Computer ins Klassenzimmer gehören (so wenig wie möglich, nebenbei gesagt!). Es wird wenig über Inhalte und Konzepte und "Philosophien" diskutiert, den Grundgedanken und Zielen einer Bildungspolitik, sondern hauptsächlich darüber, dass wir international vergleichbar sein sollen (nach welchen Kriterien eigentlich?) und nach irgendeinem mehr oder weniger sinnvollen Schema besser zu sein haben als Deutschland.

Wir bilden Schüler und Studenten immer stärker operativ aus, d.h. orientiert an scheinbaren Bedürfnissen von Industrie und Gesellschaft, bilden sie dabei nicht in einem allgemeingültigen Verständnis von Bildung. Die Schulen und Universitäten laufen dem Zeitgeist nach, laufen den scheinbar identifizierten Notwendigkeiten am Arbeitsmarkt nach. Wir machen sie zu Usern und nicht zu Denkern. Dies kann Mittel- und Langfristige Konsequenzen haben. Ausbildung, v.a. technologie-, Firmenorientierte muss im modernen Kontext scheitern; wir bilden Menschen aus, die für eine ganz kurze Zeitspanne in der Lage sind irgendeine Sache zu tun, aber nicht gebildet sind um sich selbst weiterzuhelfen um für neue Herausforderungen gewappnet zu sein.

Denn nicht das Bedienen von Google ist aber schwierig, sondern der Umgang mit den Ergebnissen. Wir aber bilden Schüler und Studenten im Umgang mit dem Hammer aus, und nicht damit, an welcher Stelle man aus welchem Grund am besten einen Nagel in die Wand schlägt, und ob es überhaupt ein Nagel sein muss um etwas an der Wand zu befestigen: Abstraktion, kritisches Denken, Allgemeinbildung (was immer das im Detail sein mag) wären erforderlich um flexibel eine Vielzahl an Situationen meistern zu können. Und dies ist keinesfalls eine Frage die (in erster Linie) am Computer zu lernen ist.

Ich weiß nicht, ob das "griechisch/humanistische" Bildungsideal Humboldts der heutigen Zeit angemessen ist, aber der Gedanke, dass nicht direkte Verwertbarkeit sondern eine Ästhetik; Bildung als Wert an sich im Vordergrund steht hat schon einen Reiz. Wobei man sich natürlich dabei nicht um die Definition drücken darf, was jetzt konkret Inhalt der Bildung werden soll. Immerhin definiert man als Gesellschaft die Bildungsinstitutionen durch die die Mitglieder derselben erzogen und eben gebildet werden. Natürlich formen wir diese so, dass die "Absolventen" unseren "Idealen" entsprechen. Da wir dies ohnedies tun, so sollten wir sie wenigstens transparent und klar ausdrücken.

Wie sieht es nun aber mit der immer stärker gewünschten "Normung" und Vergleichbarkeit aus, die international erfolgt; Stichwort: vergleichbare Abschlüsse, das amerikanische Bachelor, Master, PhD System usw. Natürlich sind damit in einer globalisierten Welt positive Effekte verknüpft. Ich muss eben nicht lange diskutieren, ob mein akademischer Titel in Holland oder Italien anerkannt wird, aber gleichzeitig besteht natürlich die Gefahr, dass eine Normierung immer auch eine Normierung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bedeutet, sowie naturgemäss der Individualisierung entgegenwirkt. Ein Beispiel: Warum sollte ich als Lehrender meine eigenen Lehrinhalte mühsam erstellen und meine eigene Vorlesung mühsam vorbereiten, wenn es doch ohnedies schon "tolle" Unterlagen vom MIT, Stanford oder von sonstwo gibt, die ich eigentlich verwenden und nur mehr prüfen muss. Vielleicht gibt es sogar schon die passende "Lehrer-Edition", damit muss ich dann nicht mal mehr die Prüfungen selbst erstellen.

Ausserdem hat das den (erwünschten?) wunderbaren Nebeneffekt, dass wir es uns ersparen die "Ideale" zu definieren, und diese vielleicht auch noch gegen Kritiker verteidigen müssen. Wenn es doch das MIT so macht, wenn es doch der IEEE "Kanon" so beschreibt usw, dann ist das doch ein praktisch heiliges Dogma, dass man ja ruhig so lehren kann. Wenn ich das mache, was "alle" machen, so ist mein Risiko etwas falsch zu machen oder kritisiert zu werden auch minimal.

Soweit sind wir zugegebenermassen noch nicht ganz, aber der Zug scheint in diese Richtung zu fahren. Wenn wir Menschen ausbilden statt sie individuell zu bilden, so ist dies der logische nächste Schritt. Wenn Microsoft, Sun, SAP, und IBM etc. schon so viel Geld in Ausbildungsmaterialien investiert haben so lasst uns doch auch den letzten Schritt gehen und die Microsoft/IBM/Sun/SAP-Universität gründen (man nennt dies ja politisch korrekt Kooperation oder Sponsoring, denn die Firmen sind ja gleichberechtigt und zahlen nur kräftig ohne Einfluss auf Lehre und Forschung auszüben, siehe auch die Aktion an der ETH Zürich). Dann bräuchten wir uns als Assistenten und Professoren endlich nicht mehr um Inhalte zu kümmern und könnten den Studenten statt Bakkalaureat und Master doch die viel wertvolleren Microsoft und SAP Zertifikate ausstellen. Das macht doch etwas her am Arbeitsmarkt!

Gut, vielleicht könnte man dann nachsinnen, ob der Microsoft certified xy developer oder sonstiges auch in 5 oder 10 Jahren Wert haben? Sind die Aus- statt -gebildeten dann auch in der Lage selbst weiterzudenken und sich selbst weiterzuentwickeln, sind sie in der Lage sich neuen Trends und neuen Problemen aktiv und kritisch zu stellen, sind sie in der Lage das zu Hinerfragen, was ihnen gesellschaftlich, politisch und ökonomisch vorgesetzt wird? Möglicherweise ist Kritikfähigkeit ohnedies nicht notwendig und schon gar nicht gewünscht, denn im Zeitalter der globalisierten Konzerne ist Mitdenken durch Exekution von Standards aus der Zentrale ersetzt worden. Insofern würde das schon passen.

Schade aber, dass die Inder, Chinesen, Koreaner auch nicht auf den Kopf gefallen sind, und sich ebenfalls gerne ausbilden lassen, schade auch, dass sie bereit sind für einen Bruchteil des Gehaltes zu arbeiten. Und schade auch, dass unsere Ausgebildeten sich dann toll mit SAP xy auskennen, nur interessiert das dann hier möglicherweise niemanden mehr, weil 100x so viele Inder... sich ebenfalls mit SAP xy auskennen.

Dann sind wir dort angelangt wo wir eifrig hinsteuern: nicht gescheit genug, das Boot selbst zu bauen oder zu steuern und nicht billig genug um rudern zu dürfen und natürlich pleite; mitfahren als zahlender Passagier also auch ausgeschlossen.

Wir stehen global vor einer Reihe großer Probleme und ich zweifle, dass gut Ausgebildete Durchschnittskonsumenten die Personen sind, die in der Lage sind mit den kommenden Problemen und Umwälzungen umgehen zu können. Ausbildung sollte einen breiteren Ansatz bieten, der uns in die Lage versetzt Dingen auf den Grund zu gehen, gleichzeitig aber auch Dinge abstrakt zu denken und über den Tellerrand hinauszusehen. SAP und Google können wir immer noch lernen. Vielleicht dann besser als heute, weil wir mehr verstehen, als wie man auf welchen Knopf in welcher Reihenfolge zu drücken hat.

Sehr empfehlenswert in diesem Kontext ist übrigens Konrad Paul Liessmanns jüngstes Buch Theorie der Unbildung sowie die in verschiedenen Interviews und Vorträgen thematisieren Kritiken (z.B.: Vortrag 2004 Innsbruch, Beitrag im Deutschlandradio). Ich denke über dieses Problemfeld seit einiger zeit nach aber mich hat die Lektüre doch betroffen gemacht, weil hier in vielen Details die Probleme der heutigen globalen Unbildung aufgezeigt werden.

Montag, 5. März 2007

"Libet" und kein Ende des "Ichs"

Es wird viel publiziert und diskutiert im Umfeld von "Hirnforschung und Willensfreiheit": dennoch finde ich zwei Grundfragen fast nie gründlich behandelt. Ich denke hier z.B. an den Suhrkamp Sammelband zum Thema; der einzige Beitrag der mir hier nennenswert in Erinnerung geblieben ist ist von der einzigen Frau, von Bettina Walde, und leider auch der kürzeste.
  • Was ist Freiheit? wie wird dieser Begriff definiert, hier gibt es eine große Bandbreite an Möglichkeiten!
  • Was ist ich
Bsp: Daniel Dennett: "Freedom Evolves": hier wird scheinbar das "ich" mit dem "bewussten ich" gleichgesetzt, auch in der ganzen "Libet" Diskussion scheint es wohl so zu sein:

Warum bin ich (sprich bewusstes ich?) unfrei, wenn ich (unbewusstes ich, mein Gehirn) eine Entscheidung n -Millisekunden vorbereite (Bereitschaftspotential) bevor ich (bewusstes ich) mir (bewusstes ich) darüber im klaren bin. (Sofern dieses Experiment überhaupt aussagekräftig ist, aber das nur am Rande).

Warum sagen wir implizit durch die oft zitierten und bekannten Analysen dieses Experiments, dass das ich eigentlich nur der bewusste Teil unserer Persönlichkeit ist. Es ist doch wohl nicht zu gewagt, anzunehmen, dass der unbewusste Teil unserer Persönlichkeit durch den bewussten (über längere Zeiträume hinweg) beeinflusst wird. Sprich, wenn wir Erfahrungen sammeln, lernen, nachdenken etc. so beeinflusst dies wohl den bewussten wie auch den unbewussten Teil, ebenso andere mehr körperorientierte Erfahrungen (siehe auch Damasio et.al., z.B. "Descartes Irrtum").

Nun, wenn dieses (aus diesen Erfahrungen der Person geschaffene oder veränderte) unbewusste ich eine Entscheidung vorbereitet oder trifft, wieso kann ich mir dann erlauben zu sagen, diese wäre unfrei? Sie ist Teil meiner Persönlichkeit, und zumindest indirekt frei: ich kann aus dieser Aktivität lernen, kann meine Persönlichkeit ändern und entsprechend auf mein unbewusstes ich wieder rückwirken.

Somit sehen wir: es ist keine Frage der Freiheit, sondern eine Frage wie wir Freiheit definieren: ist "frei" nur das, was wir mit unmittelbarer (zeitlich unmittelbarer) Aktivität ändern können, oder auch das, was wir in einem längeren Zeithorizont anpassen können, bzw. dessen Aktivität aus Entscheidungen (Erfahrungen, ...) in der Vergangenheit getrieben ist.

Sofern diese Fragen überhaupt mit einem vernünftig definierten Freiheitsbegriff überhaupt Sinn machen-was folglich noch zu diskutieren wäre!?

Donnerstag, 15. Februar 2007

Offline

Über das eigenartige Verhalten vernetzter Zeitgenossen...

Ich nehme gerade an einer Konferenz teil. Was ich hier beobachte ist allerdings keineswegs ein Spezifikum dieser Veranstaltung, sondern vielmehr ein typisches Merkmal derartiger Veranstaltung dieser Tage.

War es bis vor kurzem noch üblich zu Konferenzen oder Sitzungen zu gehen um eben an diesen aktiv teilzunehmen oder zuzuhören oder vielleicht auch zu schlafen, so steht heute bei diesen Aktivitäten dank WLAN im Prinzip immer Internet zur Verfügung. Nun leidet heute wohl jeder "Wissensarbeiter" v.a. an zwei Dingen: erstens an zu wenig Zeit und zweitens an einer Lawine an Emails, die ihm vor allem Zeit rauben. Was liegt also näher, langweilige Teile derartiger Veranstaltungen mit dem Beantworten von Emails zu verbringen bzw. mit dem Schreiben von Blogs (wie ich das jetzt tue), dem Surfen im Netz usw.

Nun ist hier vielleicht zunächst nichts einzuwenden. Warum soll man wertvolle Lebenszeit mit langweiligen Vorträgen verschwenden, wenn man wichtigeres in dieser Zeit machen kann. Allerdings wird dann doch die Abgrenzung schwierig: Jetzt arbeitet man schon so schön an einem Email, oder liest eine interessante Webseite, aber ein neuer Vortrag beginnt, oder ein neues Thema im Meetig wird angesprochen. Was ist jetzt interessanter? Weiter online bleiben oder konzentriert zuhören bzw. mitdiskutieren?

Ich meine, dass wir hier in einer Übergangs-Situation sind. Denn es kann eigentlich niemanden die Absurdität der Situation entgehen: wir reisen tausende von Kilometern um in einem Konferenzsaal Emails zu lesen, bzw. werden gezwungen Stunden in langweiligen Sitzungen zu verbringen, die wir dann wenigstens mit alltäglicher Arbeit nützlich zu gestalten versuchen.

Dies wird vermutlich immer weniger konstruktiv und produktiv. Aber was ist die Lösung? Kürzere, fokussiertere Meetings? Wie soll man diese wieder organisieren? Bei der nototischen Zeitknappheit aller Beteiligter, die von einem Meeting zum nächsten hetzend kaum noch zu erreichen sind? Also machen wir vielleicht eher das gegenteil: wenn wir schon mal ein Meeting zusammenbringen, dann aber alles hineinpacken was möglich ist, und wenn es 6 Stunden dauert.

Mir erscheint der momentane Zustand aber wenig wünschenswert. Auf der einen Seite halten wir heilige Rituale (wie Konferenzen und Meetings) aufrecht, und zwar in derselben Weise, wie sie seit Jahrzehnten gehandhabt wurden (nun muss ich anmerken, dass es neuere Formen bspw. von Konferenzen gibt, Stichwort Barcamp, aber das ist nicht wirklich das Thema hier), auf der anderen Seite stehlen wir damit dem Großteil der Teilnehmer ihre Zeit. Dafür geben wir ihnen aber auf der anderen Seite (bspw. durch das zur-Verfügung stellen von WLAN, bzw. durch das nicht-abschalten von Mobiltelefonen (eine Unart die extra diskutiert werden sollte)) die Motivation sich auszuklinken.

Aber was ist Ursache und was ist Wirkung: Ein Kollege hat mir kürzlich erklärt, wie er mit der Mailflut fertig wird: er wirft einfach die meisten weg (unglesen, wie ich annehme). "Es funktionert!", bekräftigt er. Und ich möchte nicht wiedersprechen.

Die grundlegendere Frage ist doch eine andere: Macht uns diese neue Art zu arbeiten tatsächlich produktiver? Ich vermute ja, aber um wieviel? Ist es die dauernde Belästigung wert? Eines erscheint jedenfalls klar: die Aufmerksamkeitsspanne der Gesellschaft scheint dramatisch zu sinken, und ich spreche hier nicht nur von Fernseh-geschädigten Teenagern. Mein Arbeitstag ist heute so strukturiert, dass es mir kaum mehr möglich ist fokussiert einen halben Tag oder ganzen Tag, geschweige denn länger, an einer Sache fokussiert zu arbeiten, bspw. zu programmieren oder an einem Kapitel eines Buches zu schreiben.

Das ist unproduktiv und frustrierend. Nun wird die "Hoffnung" wenigstens in entfernten Regionen der Welt vom Netz verschont zu bleiben auch nicht mehr erfüllt. Andererseits: die selbst-gewählte Abstinenz für eine oder mehrere Wochen (schon ausprobiert) fühlt sich dann auch mehr wie eine Zeitbombe an. Geht man dann nach einer oder zwei Wochen wieder online, wird man von hundernten, wenn nicht tausenden Emails geradezu erdrückt. Nun ist es zwar verlockend, aber in der Praxis doch nicht machbar einfach alles zu löschen. Vereinzelt gibt es dann doch wichtige Informationen die man sonst verlieren würde.

Was ist tun? Auf der einen Seite wollen wir vermutlich die neuen Möglichkeiten nicht verlieren. Auf der anderen Seite belasten sie uns teilweise mehr als sie nützen. Ich überlege mittlerweile mein Mobiltelefon wieder abzumelden; es gibt kaum noch gute Gründe es zu behalten. Email abzumelden schießt aber vermutlich über das Ziel hinaus, zumal eben fast die gesamte wesentliche nicht-persönliche Kommunikation über dieses Medium läuft.

Ich denke aber, es könnte hier mittelfristig zu Umwälzungen kommen: schon heute lesen "wichtige" Personen ihre Emails nicht mehr, das wäre auf das Aufkommen bezogen auch gar nicht mehr möglich. Es könnte in die Richtung gehen, dass es kleinere Netzwerke geben wird, etwa wie "Friends" Listen in Instant Messaging Lösungen, die direkten Austausch erlauben, die aber auch die Möglichkeit bieten werden, sich offline zu schalten. Und offline bedeutet auch wirklich offline. D.h. es werden keine Nachrichten angenommen.

Das würde zwar der Idee der elektronischen Post widersprechen, hätte aber wenigstens den Vorteil, dass offline auch wirklich offline ist.

(nun, man wird ja noch träumen dürfen *g*).

Dienstag, 30. Januar 2007

Eliten

Kürzlich gab es auf SWR 2 wieder eine Sendung ("Wissen"), das sich mit dem Thema der "Elitenbildung" auseinandersetzt (Transkript, Stream | Podcast). In Deutschland scheint diese Diskussion schon seit einigen Jahren geführt zu werden, in Österreich ist die Brisanz wohl im Endeffekt dieselbe, nur wird meinem Gefühl nach weniger darüber gesprochen.

In der aktuellen Sendung prallen zwei gegensätzliche Meinungen aufeinander: einerseits Maximilan Ardelt, der Kuratoriumsvorsitzender der Bayerischen Eliteakademie in München ist:
"Wir haben Eliten, ob Sie das wollen oder nicht. Eliten sind halt Gestalter des Wandels, wenn Sie das mal akzeptieren als Definition: die wenigen, die halt besser sind, sei es auf der Leistungsseite, sei es als Machteliten, die da Macht haben eben, die sind immer da. Insofern ist es nicht die Frage, ob wir sie brauchen oder nicht brauchen, diese eins, zwei Prozent in der Bevölkerung: die sind da – so! Das Problem setzt eigentlich nicht ran, ob wir sie brauchen oder nicht brauchen, sondern, was die tun."
Meiner Ansicht nach ist dies eine richtige Feststellung und sollte sich auch in der (Aus)bildung entsprechend manifestieren. Es bleibt jedoch die Frage offen, ob "Ethik-Ausbildung" der vielleicht Kooperation mit Vorständen deutscher Unternehmer vermittelt wird, dem entspricht, was sich die Gesellschaft erwarten würde. Wollen wir (auch hier könnte man auf entsprechende Kritik Lissmanns verweisen) wieder nur "high potentials" (wie ja Neudeutsch diese Jungen Talente von denen sich die Industrie soviel erwartet genannt werden) ausbilden und auf ihre Positionen vorbereiten, sodass sie möglichst uniform in die entsprecheden "Schuhe" passen, oder wollen wir sie bilden (so unmodern dies zur Zeit zu sein scheint).

Wobei sich in diesem Zusammenhang gleich die nächste und aus meiner Sicht eigentlich wichtigere Frage stellt: wie definiert sich eigentlich die Elite? Und ich fürchte, dass wir hier wieder aus dem Moment der Ausbildung kommen: also diejenigen die stromlinienförmig dasjenige machen, was man heute machen muss, MBA zum Beispiel, dürfen sich "Elite" nennen (vermutlich weil sie genau das machen, was "wir" uns erwarten und wir mit keinerlei Überraschungen zu rechnen haben).

Diejenigen, die sich vielleicht weniger für Optimierung der human resources (d.h. Entlassungen) zum Wohle der Wirtschaft (d.h. zur Steigerung des shareholder values) interessieren, sondern möglicherweise eher ganzheitliche gesellschaftliche Entwicklungen im Auge haben und daher vielleicht Philosophie oder Soziologie studiert haben sind nach zeitgemässer Logik vielleicht Intellektuelle, eher gescheiterte Existenzen, vermutlich aber keine Eliten.

Vielleicht habe ich aber sogar mit meiner etwas düsteren Vermutung zu kurz gegriffen, denn auf der anderen Seite (im SWR 2 Bericht) steht Michael Hartmann, Professor für Soziologie an der TU Darmstadt, der seit Jahren untersucht, wer eigentlich in die sogenannten "elitären Zirkel" einlass findet:
"[...] dass in den Chefetagen deutscher Großunternehmen Bürgerkinder praktisch unter sich sind, also wir haben es jetzt für das Jahr 2005 noch mal untersucht - wieder die hundert größten deutschen Unternehmen. Und es hat sich seit 1970 fast nichts verändert: also der Anteil der Kinder aus den unteren 96 Prozent der Bevölkerung, also die ganzen Mittelschichten, Arbeiterschaft und so - ist von 16,1 auf 15,1 ein bisschen gesunken. Das einzige was sich ein bisschen deutlicher geändert hat: Der Anteil der Großbürgerkinder, also wo die Väter selbst schon Vorstandsvorsitzende waren oder Spitzenbeamte oder ähnliches, ist von 45 Prozent auf 50 Prozent gestiegen, das heißt: Es wird noch ein bisschen exklusiver. Ganz im Gegensatz zu den Ansprüchen, die man nach außen hin vertritt, ist es praktisch so, dass da Bürgerkinder unter sich sitzen."
Im Herbst 2005 hat Hartmann in einer SWR 2 Aula Sendung diesen Sachverhalt noch länger und deutlicher diskutiert.

Es würde mich wirklich interessieren, wie wir uns in Österreich dieser Problematik stellen?!

Sonntag, 21. Januar 2007

"Youth Bulge", oder Gründe für Terrorismus und (Bürger)krieg

Hört man sich tagtäglich "Experten" an, die ihre Ansicht zu Krieg und Frieden, Terrorismus und Gewaltausbrüchen, sowie anderen Weltpolitischen Themen an, so hört man doch zumeist die selben Dinge. Vielleicht unterschiedliche Nuancen. Sehr selten aber habe ich das Gefühl hier etwas "originelles" (wenn dieser Begriff in diesem Kontext gestattet ist) zu hören. Einen wirklich neuen Gesichtpunkt zu bekommen.

Gunnar Heinsohn, Professor an der Uni Bremen, diskutiert in der SWR2 Aula vom 6. Jänner (Transkript) unter dem Titel "Jung, aggressiv und engagiert - Die Macht der Söhne und der Terrorismus" ein Phänomen, das Youth Bulge genannt wird. Im wesentlichen stellt dies die Demographische Besonderheit von Ländern wie dem Irak und Afghanistan dar: es gibt eine sehr große Anzahl von jungen Männern zwischen etwa 15 und 35, also dem "kampffähigen" Alter. Nun ist dies ein durchaus bekanntes Phänomen; eigentlich interessant wird es, weil er es anhand vieler historischer Beispiele geradezu als Voraussetzung für Gewaltausbrüche (Bürgerkrieg, Terrorismus, Kriege), und vielleicht gar als Notwendigkeit darstellt. Dies sind provokante aber wie sich meiner Ansicht nach zeigt, bedenkenswerte Thesen.

Er stellt also die Frage, warum dieser "youth bulge" (v.a. bei jungen Männern) ein so fundamentales Problem in dieser Hinsicht darstellt:
"Warum führt das zu Konflikten? Weil sich gehobene Positionen nicht so schnell vermehren lassen wie Nahrung, Lesebücher oder Impfstoffe. Die drei oder vier Söhne einer Familie haben durchaus genug zu essen. Sie lernen rechnen und schreiben, tragen ein Hemd auf dem Leib und sind medizinisch passabel versorgt. "
An dieser Stelle ein weiterer interessanter Ansatz: es sind nicht die ausgehungerten "Massen" die gewaltbereit sind und größere blutige Konflikte anzetteln würden, bzw. sich dazu verführen lassen, denn diese würden eher nur das Interesse haben sich mit dem Nötigsten zu versorgen; es sind gerade die große Anzahl an passabel "genährten" "überzähligen" Brüdern, jungen Männern, Söhnen. Sie sind die "überzähligen"; die in der Gesellschaft nicht mehr die Chancen finden, die sie sich erwarten würden, aber gleichzeitig nicht direkt ums überleben kämpfen müssen.
"Einer von dreien [Brüdern], vielleicht auch einmal zwei von vieren kommen dann unter. Die Überzähligen aber gehen fast immer dieselben sechs Wege. Erstens: Den Weg der Auswanderung beziehungsweise der unblutigen Kolonisation. [...] Zweitens: Der Weg in die Kriminalität. [...] Drittens: Der Weg zum Putsch. Er ist das Mittel der Wahl für junge Männer, die in der Armee ihre Chance suchen, dann aber in den Beförderungsstau geraten. Viertens: Der Weg zum Bürgerkrieg oder in die Revolution. Hierbei werden hohe Anteile der jungen Männer von begabten Anführern armeeartig organisiert. Fünftens: Der Weg in den Völkermord oder die Vertreibung. Minderheiten werden beseitigt, um ihre Positionen einnehmen zu können. Sechstens: Der Weg in den grenzüberschreitenden Krieg"
Nun bin ich mir nicht sicher, ob sich diese These in allen Punkten haltbar ist, in den Beitrag bringt Heinsohn aber eine beeindruckende Anzahl von historischen Beispielen, wo zu einer Zeit, in der dieser Youth Bulge vorhanden war, in den entsprechenden Gesellschaften diese Gewaltphänomene aufgetreten sind und auftreten (bspw. im Irak, in Afghanistan), aber auch Länder in denen es trotz ähnlicher politischer Situation dann doch erstaunlich "ruhig" bleibt, wie bspw. im Libanon heute, in Lateinamerika oder Nordafrika. Bspw. ist die Geburtenrate in Algerien von etwa 7 Kindern proFrau in den 60er und 70er Jahren auf etwa drei Kinder 2000 sowie unter 2 Kinder 2006 gefallen. Laut seiner These fehlt damit diesen Ländern in den darauffolgenden Jahrzehnten die entsprechend notwendige Menge an jungen und gewaltbereiten Männern.

Auf der anderen Seite haben deutsche Frauen um 1900-1915 etwa sechs Kinder aufgezogen, um dann 1920- "mit Gewalt nach ihren Chancen zu suchen".

Er zitiert Bouthoul, der in den 70er Jahren ebendiese Fragen aufgeworfen hat und nach etwas wie einem "Kriegsindex" sucht, also einer Verhältniszahl eben dieser Jungen Männer, die quasi einen gewaltsamen Konflikt geradezu unausweichlich werden lassen könnten. Diese Zahl als einer der bestimmenden Faktoren für Kriegshandlungen.

Ich muss zugeben, dass diese Argumentationslinie mir zunächst überzogen und unglaubwürdig geklungen hat, je länger ich den Argumenten zugehört habe umso nachdenklicher hat mich dieser Bericht jedoch gemacht. Vielleicht ist dieser "youth bulge" nicht der Faktor, aber ein viel wesentlicherer Faktor als es uns bisher bewusst war. Auch hier kommt wieder das Menschliche Problem zu tragen, dass wir nicht in der Lage sind, exponentielle Entwicklungen zu denken: Dies wird bewusst, als Heinsohn analysiert, wieviele "Kämpfer" den Deutschen und Amerikanischen Truppen in Afghanistan (oder im Irak) jährlich "nachwachsen", einfach aus der massiven Kinderzahl die dort nach wie vor geboren wird. Dies übt einen Druck aus, der vermutlich auch mit High-Tech Kriegsführung kaum zu bewältigen ist, wie ja der praktisch verlorene Krieg der Amerikaner im Irak schon jetzt zeigt.

Sonntag, 31. Dezember 2006

Strings und parallele Welten

Stringtheorie und ihre Kritiker

Dieser Tage beschäftigen sich einige Medien mit der Stringtheorie und der Frage nach deren Validität. Zu nennen sind bspw. der Jahresrückblick I des Spektrums der Wissenschaft aber auch im Deutschlandradio (die übrigens auch eine sehr gute Webseite mit Podcast haben): Strings in der Krise. Die Diskussion wurde im wesentlichen durch zwei neu erschienene Bücher ausgelöst, oder wenistens stimuliert:
  • Peter Woit, Not even wrong, The Failure of String Theory And the Search for Unity in Physical Law: The Failure of String Theory and the Search for Unity in Physical Law, B&T (2006) amazon
  • Lee Smolin, The Trouble with Physics: The Rise of String Theory, the Fall of a Science, and What Comes Next, Houghton Mifflin Company (2006) amazon
Nun möchte ich mich hier nicht über die Stringtheorie verbreitern, schon gar nicht anhand von physikalischen Argumenten, dafür fehlt mir jede Kompetenz, aber eine Anmerkung aus "wissenschaftstheoretischer" Sicht sei mir erlaubt, vielleicht ist es auch eher der Ausdruck eines unguten Gefühls: Einige der modernen physikalischen, ganz besonders aber auch kosmologische Theorien scheinen in einen problematischen Bereich aus Sicht der Wissenschaftstheorie zu kommen:

"Seriöse" Wissenschaft?!

Die meisten Wissenschafter würden zustimmen, wenn man von "seriöser", ernstzunehmender Wissenschaft fordert, dass sie Theorien bildet, die nachprüfbar und reproduzierbar sind (um nur zwei wesentliche Kriterien zu nennen). Bei manchen der modernen Theorien scheint dies aber an prinzipielle Grenzen zu stossen:
  • Die Stringtheorie nimmt Strings in einer Größe von 10 hoch -33 cm Größe an, wie ist eine solche Annahme jemals prüfbar?
  • Die Stringtheorie benötigt 10 Dimensionen also sechs zusätzliche Dimensionen damit der Formalismus funktioniert...
  • Manche Wissenschaftsbereiche sind bereits so hoch-spezialisiert, dass die scientific community, also die Gruppe der kompetenten Wissenschafter, global an einer Hand abzählbar ist (dies trifft bspw. auch auf manche mathematische Zweige zu)
  • Auch im Bereich der Mathematik: manche Beweise sind so umfangreich (und kompliziert), dass selbst die wenigen Experten Monate oder Jahre brauchen um diese nachvollziehen zu können
  • Verschiedene physikalische und kosmologische Theorien (auch die Stringtheorie) benötigen enorm aufwendige und teure Experimente (z.B. der large hadron collider am Cern)
Nun stellt sich nach meiner Ansicht schon die Frage, wie es mit bspw. mit dem Kriterium der Nachprüfbarkeit aussieht, wenn im wesentlichen an einer Stelle auf der Welt von wenigen Wissenschaftern "entschieden" wird, ob eine bestimmte Theorie stichhaltig ist oder nicht. Oder im Fall der Mathematik: ist es einem oder zwei anderen Mathematikern gelungen einen mehrhunderseitigen Beweis zu lesen und zu verstehen (wirklich?), ist dies ausreichend für wissenschaftliche Zuverlässigkeit? Ich bin mir nicht sicher, weiß aber auch keine wirkliche Alternative zu nennen.

Multiversen

Ein Aspekt, der bspw. in der dradio Berichterstattung aufgenommen wurde, ist die Idee der Multiversen, ein Zitat aus der Sendung:
"Die Idee finde ich gar nicht mal so abwegig. Der Mensch hat sich immer im Zentrum der Welt gesehen: Erst im Zentrum des Sonnensystems. Dann hat er das Sonnensystem im Zentrum des Universums gesehen, und irgendwann hat er festgestellt: Wir sind arme Zigeuner am Rande des Universums. Und jetzt stellen wir vielleicht fest: Wir sind arme Zigeuner in einem Universum von unendlich vielen Universen. Und das würde nicht eigentlich nicht so sehr erschrecken, wenn das der Fall sein sollte."
Nun, mich würde das nicht nur "nicht erschrecken", ich persönlich bin (obwohl ich zugeben muss, dass ich mich hier nicht in diese Theorien im Detail vertieft habe) sehr fasziniert von der Idee der Multiversen. Hier gab es auch Artikel im Spektrum der Wissenschaft: Parallele Universen von Max Tegmark vom MIT, auf seiner Webseite gibt es auch umfangreicheres Material, das mehr ins Detail geht.

Spekulationen?

Mich persönlich spricht diese Idee nun mehr darum an, weil mich die Frage interessiert, warum die Naturgesetze und -konstanten gerade so sind, wie sie sind und nicht etwa anders. Man kann leicht zeigen, dass hier schon minimale Variationen (bspw. bei der Feinstrukturkonstante) enorme Effekte auf unser Leben haben würden. John D. Barrow hat sich damit bspw. in den Büchern The Artful Universe (amazon) und v.a. in The Constants of Nature (amazon) auseinandergesetzt. Auf meiner Webseite habe ich einige Zitate aus diesen Werken.

Für mich stellt sich der Zusammenhang (in aller Kürze formuliert vielleicht widme ich den Multiversen ja mal ein eigenes Posting) so dar: Es ist schwierig zu verstehen, wenn es genau ein Universum geben soll, dass dieses genau die Naturgesetze etc. hat die notwendig sind um so gut zu funktionieren wie es das unsere tut. (Die "Gottesidee" funktioniert auch nicht, darauf gehe ich ein anderes Mal ein). Nun ist aber gerade die Idee der Multiversen hier bestechend: es ist ja auch nicht unbedingt einsichtig, warum es genau ein Universum, nämlich unseres geben soll. Wieso sollte dies eine wahrscheinliche Annahme sein? Wenn man nun also annimmt, dass es eben nicht nur unser Universum, sondern viele (möglicherweise unendlich viele, was wieder zu weiteren interessanten Konsequenzen führt), dann führt dies wiederrum zu der Annahme, dass die Art und Beschaffenheit der Naturgesetze in der Entstehung des Universums begründet sind, und nicht in jedem Universum gleich sind.

Damit wäre nun endlich auch ein einleuchtender Grund gefunden, warum wir in einer (aus Naturgesetz/konstanten-Sicht) so lebenswertem Universum leben: einfach darum, weil unser Universum eines von vielen (unendlich vielen) Universen ist, und es hier zufällig stimmig ist. Wird die Zahl sehr hoch, so werden auch an sich unwahrscheinliche Ereignisse wahrscheinlich, bzw. sicher. Da dies für die Evolution des Menschen stimmt (siehe bspw. Richard Dawkins, The Blind Watchmaker, W W Norton amazon) so spricht wohl auch nichts dagegen, dass dies für unser Universum zutrifft.

Allerding, mea culpa, muss ich zugeben, dass meine einleitende Kritik hier natürlich auch anzuwenden ist. D.h. es stellt sich die Frage, wie derartige Ideen wissenschaftlich "prüfbar" sein können. Und dies ist sicher ein sehr schwieriges Unterfangen. Bevor die Kritiker aber jubeln sei gesagt, dass diese Problematik natürlich in der gleichen Weise auch für alle alternativen Ideen gilt!! Ich glaube aber, dass dies nicht prinzipiell unmöglich ist, jedenfalls, und wenigstens das möchte ich mir für weitere Überlegungen mitnehmen, sollte man eben dieser Prüfbarkeit (der Möglichkeit zu "falsifizieren" im Popperschen Sinne) ein Hauptaugenmerk geben. D.h. es ist zu versuchen in der Formulierung der Idee eine Idee der Prüfbarkeit mitzugeben. Ich werde also versuchen, die Multiversums-Theorien nach dieser Hinsicht weiter zu beleuchten, bzw. weiteres Material nach diesem Gesichtspunkt zu suchen.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)