Der bulgarisch/deutsche Schriftsteller Ilja Trojanow erzählt in einem Fernsehinterview von seiner Kindheit in Sofia. Wie er nach der "Wende" erfahren musste, wurde die Wohnung seiner Eltern von der bulgarischen Staatssicherheit abgehört und die Familie überwacht. In den Protokollen, die ihm später zugänglich gemacht wurden, liest er die Gespräche seiner Eltern nach, sowie die Kommentare, die von den Überwachungsbeamten ergänzt wurden. Und gerade was sich aus diesen Kommentaren ergibt, ist das eigentlich relevante für die heutige Überwachungsdiskussion:
Gerät man einmal (unschuldig) in das Visier der Überwachung, bemerkt Trojanow, wird jede Handlung verdächtig. So banal und »normal« man sich auch benehmen mag, der Überwacher sucht nach verräterischen Handlungen und interpretiert das Beobachtete entsprechend. Dies ist eine im Grunde banale Erkenntnis der menschlichen Psychologie: wir suchen nach Mustern (die wir erwarten), und finden diese auch, wenn sie an sich gar nicht gegeben sind. In der Wissenschaft wird dies auch confirmation bias genannt. Was die eigene Meinung, oder das eigene Vorurteil (vermeintlich) bestätigt wird wahrgenommen, was dagegen spricht übersehen.
Diese Bemerkung von Trojanow gehört für mich zum wichtigsten und am wenigsten genannten Aspekt, der gegen die heute praktizierte totale Überwachung einzuwenden ist; selbst wenn man zu der Fraktion zählen sollte, die "Sicherheit" höher bewertet als Privatsphäre. In totaler Überwachung, ohne vorheriges relevantes Verdachtsmoment, hat man eben doch etwas zu verbergen, denn der Ermittler wird unser Verhalten zum Verdacht stilisieren – und dies selbst ohne bösen Willen.
Einmal im Fokus wird jeder Spießbürger zum Verdächtigen – mit allen daraus folgenden Konsequenzen.
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