Stanislaw Lem (Wikimedia Commons) |
Zufällig bin ich heute auf ein kleines Büchlein von Stanislaw Lem in meiner Bibliothek gestoßen: "Waffensysteme des 21. Jahrhunderts". Ein (nach eigener Aussage) Science Ficton Roman, der sich allerdings eher wie eine politisch/militärische Analyse liest. Geschrieben hat Lem diesen kurzen Roman Anfang der 1980er Jahre! Ein (längeres) Zitat aus diesem Buch ergänzt hervorragend meinen vorigen Artikel:
“Die Politiker der parlamentarisch regierten Länder bewältigten schon im vergangenen Jahrhundert nicht einmal alle Probleme des eigenen Staates, geschweige denn die Weltprobleme, und darum hatten sie Berater. […] Mit der Zeit nahmen sie Computersysteme zu Hilfe, und zu spät erkannte man, daß die Menschen zu Sprachrohren ihrer Computer wurden. Sie meinten, sie selbst seien es, die die Dinge überdenken und Schlüsse ziehen […]. Doch tatsächlich operierten sie mit einem vom Rechenzentrum vorfabrizierten Material, und dieses Material bestimmte die menschlichen Entscheidungen. Nach einer Periode der Verwirrung sahen die großen Parteien die Berater als entbehrliches Zwischenglied an […], und die entscheidende Rolle in den Demokratien dieses Type begannen die Programmierer zu spielen. […] Deshalb befasst sich Spionage und Gegenspionage […] mit der Durchdringung der rechnerischen Entscheidungszentren. Ob das aber tatsächlich so war, konnte niemand zweifelsfrei feststellen. Übrigens mangelte es nicht an neuen Politologen, die behaupteten, daß in dem Falle, wo der Staat A das Computerium von Staat B völlig beherrscht und der Staat B das Computerium des Staates A, es wieder zu einem totalen internationalen Gleichgewicht kommen wird. Das, was zur normalen Wirklichkeit geworden war, konnte nicht mehr mit den Kategorien der uralten traditionellen Politik, nicht einmal mit jenem gesunden Menschenverstande erfaßt werden, der zwischen Naturereignissen, wie einem Hagelschlag, oder künstlichen, wie einem Bombenangriff zu unterscheiden weiß.
Formell gaben die Wähler weiterhin ihre Stimme für politische Parteien ab, doch rühmte sich jede Partie nicht etwa, ein besseres wirtschaftspolitisches Programm zu haben, sondern einen besseren Computer […]."
Es ist ergänzend anzumerken, dass sich Lem zuvor auf das Gleichgewicht des Schreckens bezieht, das heißt, auf die stetige atomare Hochrüstung der damaligen Supermächte, die auch so interpretiert wurde, dass die Möglichkeit der totalen Vernichtung der Welt zu jedem Zeitpunkt, letztlich Kriege verhindert hätte.
Etwas weiter vorne im Text ist weiters zu lesen:
“Die aufeinanderfolgenden neuen Waffensysteme zeichneten sich durch wachsende operative Schnelligkeit aus, beginnend mit operativen Entscheidungen […], und gerade diese wachsende Schnelligkeit brachte den prinzipiell unberechenbaren Zufallsfaktor ebenfalls ins Spiel. Das ließe sich wie folgt formulieren: ‘Unerhört schnelle Systeme begehen unerhört schnell Fehler.’ Dort wo Bruchteile von Sekunden […] entscheiden, ist es unmöglich, militärisch-strategische Gewissheit zu erzielen, oder anders: Man wird nicht mehr zwischen Sieg und Niederlage unterscheiden können."
Was für "Waffensysteme" gilt, gilt in der heutigen Zeit der totalen Computerisierung natürlich ebenso für "Finanzsysteme" (und schliesslich findet dort ein wesentlicher Teil moderner Schlachten statt).
Stanislaw Lem hat bereits 1983 wesentliche Folgen der totalen Integration von Computern in alle Aspekte des (politischen) Lebens erkannt – und dies weit vor der totalen Vernetzung der Welt, in der wir heute tatsächlich leben –, mit denen sich etwa Frank Schirrmacher in "Ego" kritisch auseinandersetzt; beispielsweise das Problem der Beschleunigung und Intransparenz automatisierter Entscheidungssysteme, die uns letztlich entgleiten, und den Blick auf die reale Welt zunehmend versperren.
"Mittlerweile traten […] Erscheinungen auf, die man früher als Naturphänomene bezeichnete, von denen man aber jetzt eigentlich nicht wußte, wer oder ob überhaupt jemand sie verursacht hatte."
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