In den letzten Jahren begegnen wir immer wieder gesellschaftlichen Problemen, wo sich deutlich zeigt, dass die Motivation des Einzelnen diametral gesellschaftlichem Nutzen entgegensteht. Man könnte Beispiele aus der Finanzindustrie oder des Umweltschutzes bringen. Besonders deutlich wird dieses Dilemma derzeit aber am Beispiel der Diskussion um verschärfte Waffengesetzgebung in den USA.
Von politischer/gesellschaftliche Seite betrachtet, ist das Thema eigentlich seit Jahrzehnten völlig klar: Privater Waffenbesitz führt zu höherer Gewalt, mehr Toten, mehr Verletzten, mehr (gefährlichen) Straftaten. Der Besitz einer Waffe führt zu einer höheren Gefährdung, nicht zu mehr Sicherheit. Hier kann man, wie etwa die National Rifle Association versuchen die wirrsten Gegenargumente zu bringen, aber näherer Betrachtung halten sie nicht statt. Daher ist auch in den meisten Industrienationen der private Waffenbesitz streng geregelt. Automatische Waffen und Kriegswaffen sind selbstverständlich verboten.
Nicht so in den USA.
Interessant ist es nun, die Motivation des Individuums zu betrachten. Seit Präsident Obama anlassgetrieben die Waffengesetzgebung wieder einmal zum Thema gemacht hat, werden mehr Waffen als je zuvor verkauft. Und dies aus sehr gutem Grund! Denn was gut für die Gesellschaft ist, muss (aus Sicht des Individuums) nicht gut für den Einzelnen sein. Lebt man in einer Gesellschaft, die am zerbrechen ist – man denke an die Kreditkrise, die bröckelnde Infrastruktur, der politische Stillstand seit Jahren – so darf es niemanden wundern, dass sich Bürger immer weniger auf staatliche Maßnahmen verlassen wollen. Lebt man ohnedies schon in einer gefährlichen Nachbarschaft, oder stellt man sich die Frage, ob die nächsten Budgetkürzungen Polizei und andere Einsatzkräfte betreffen werden, so führt dies zu einer weiteren Verunsicherung.
In einigen Ländern Süd-Amerikas lässt sich erkennen, wo der Zug bei immer stärkerer Polarisierung der Gesellschaft in Super-Reiche und Arme hinfährt: "Gated Communities", also freiwillige, bewachte Gefängnisse, in die sich die Reichen mit ihren Leibwächtern zurückziehen und bewachen lassen. Soweit ist es in den USA wohl noch nicht, aber es ist zu befürchten, dass es in diese Richtung geht.
Foto von fczuardi (flickr) |
Steigt die Verunsicherung auf der einen Seite und sinkt auf der anderen Seite das (ohnedies traditionell geringe) Vertrauen in staatliche Maßnahmen, so ist die logische Konsequenz der Wunsch, den Schutz der Familie in die eigene Hand zu nehmen. Nächste Station: Waffenhändler. Durch die auch durch die Medien transparent gemachte zunehmende Hochrüstung der Bürger, wird die Situation noch gefährlicher, was wieder als Motivation für weitere Aufrüstung gesehen werden kann. Je länger die Politik nur ankündigt und nicht handelt, desto schlimmer wird es naturgemäß. Sehe ich mich umgeben von bis an die Zähne bewaffneten Nachbarn, und erfahre ich weiters, dass es möglicherweise bald keine Waffen mehr zu kaufen gibt (oder der Kauf jedenfalls deutlich erschwert wird) – was wird die natürliche Reaktion sein?
Ein Rüstungswettlauf, der zwischen Staaten seit Jahrzehnten nichts Neues ist, erfasst nun die Bervölkerung. Das genaue Gegenteil dessen, was Obama eigentlich erreichen will. Derzeit betrifft es die USA. Geht es in Europa so weiter, wie die Krise vermuten lässt, wird wohl auch dieser Trend – wie so viele andere zuvor – aus den USA zu uns kommen.
Was für den Einzelnen vernünftig ist – schadet der Gesellschaft massiv. Die bekannte "Tragik der Allmende" (tragedy of the commons) beruht auf denselben Prinzipien. Ebenso die fundamentalen Fehler der Finanz-Industrie. Und darin liegt ein Ur-Problem moderner Gesellschaft. Wie geht man mit Problemen um, bei denen die Motivation des Einzelnen sich dramatisch von der Motivation der Gesellschaft unterscheidet?
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