Frauen im Schatten des Nobelpreises
Der Nobelpreis für die Strukturaufklärung der DNS wird im Jahr 1962 an James Watson, Francis Crick und Maurice Wilkins verliehen. Rosalind Franklin, die wesentliche Beiträge zu dieser Erkenntnis geleistet hatte, stirbt aber bereits 1958 im Alter von nur 37 Jahren. Sie erlebt die Verleihung dieses Nobelpreises nicht mehr. Viele Wissenschafter sind der Ansicht, dass ihre Leistung nicht angemessen gewürdigt wurde. 50 Jahre nach der Verleihung sind die Nobel-Archive dieser Zeit geöffnet, und so wissen wir heute, dass Franklin auch nie für den Nobelpreis nominiert war. Sie ist damit nicht die einzige, die trotz vergleichbarer Leistung keinen Nobelpreis erhalten hat. Neben Franklin werden auch Wissenschafterinnen wie Lise Meitner oder Jocelyn Bell genannt.
Besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts standen viele begabte Wissenschafterinnen im Schatten männlicher Kollegen. Bei Lise Meitner war dieser "männliche Schatten" Otto Hahn. 1944 wurde ihm der Nobelpreis in Chemie für die "Entdeckung der Atomspaltung schwerer Kerne" verliehen. Ohne Zweifel hat Hahn diesen Preis verdient — aber mit derselben Berechtigung wäre er auch Lise Meitner zugestanden. Diese Entscheidung war umso unverständlicher, als Hahn als Einzelner den Preis erhalten hatte, während sich in den meisten anderen Jahren zwei oder drei Wissenschafter den Preis teilten. Es wäre also ohne weiteres "Platz" für Lise Meitner gewesen.
An sich ist es nicht überraschend, dass bei Preisverleihungen Fehler gemacht werden, und so ist die Liste herausragender Wissenschafter, die keinen Nobelpreis erhalten haben lang. Man könnte neben Rosalind Franklin, Lise Meitner und Jocelyn Bell auch Wissenschafter wie Edwin Hubble, Dmitri Mendelejew, Nikola Tesla oder Oswald Avery nennen. Nicht zuletzt werden nicht nur einzelne Personen ausgeschlossen, sondern man darf auch nicht vergessen, dass der Nobelpreis nur in den Fächern Physik, Chemie, Physiologie/Medizin und Wirtschaft verliehen wird. (Der Literatur und Friedenspreis sind aus anderen Gründen umstritten, und sollen hier keine Erwähnung finden, da hier nur Wissenschaften thematisiert werden soll. Ob Wirtschaftswissenschaften die gleiche Anerkennung erfahren sollten wie die genannten Naturwissenschaften wäre auch eine interessante Frage — besonders wenn man an das monumentale Versagen "großer" Wirtschaftstheorien denkt.) Damit bleiben alle anderen nicht genannten Wissenschaftszweige (etwa alle Geisteswissenschaften) unerwähnt.
Aber auch der gegenteilige Fall ist nicht selten zu beobachten: So mancher Nobelpreisträger macht dem Preis keine Ehre und richtet unter Umständen durch seine Aussagen einigen Schaden an (wir kommen noch auf Beispiele zurück).
Der Nobelpreis in der öffentlichen Wahrnehmung
All dies wäre kaum der Rede wert, hätte der Nobelpreis und seine Preisträger nicht eine solche Öffentlichkeitswirksamkeit. Der Nobelpreis ist vermutlich der einzige Wissenschaftspreis, der in der allgemeinen Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die jährliche Verlautbarung der Preisträger ist ein (gut inszeniertes) internationales Medienereignis. Die Preisträger genießen eine Öffentlichkeit, wie sie Wissenschaftern sonst eher fremd ist. Die Rolle des Nobelpreises und dessen Preisträger in der öffentlichen Wahrnehmung ist daher durchaus Wert hinterfragt zu werden.
Diese öffentliche Wahrnehmung hat durchaus positive Seiten: wenigstens einmal im Jahr macht Wissenschaft auch in den "normalen" Medien Schlagzeilen und nicht nur in Fachmagazinen. Wissenschaft (und hier noch dazu Grundlagenforschung) wird dargestellt und diskutiert. Nobelpreisträger haben so heute eine Aura vergleichbar der romantischen Vorstellung alter weiser Männer der Antike. Die Preisträger werden — der modernen Medienlogik folgend — oft als Autoritäten dargestellt, deren Aussagen zu fast allen Themen Relevanz hätten.
Nicht nur zeigt die Praxis, dass so manchem diese Schuhe viel zu groß sind, es wird auch in der Öffentlichkeit gerade der falsche Schluss gezogen: Wir lernen nicht, dass Wissenschaft eine harte Auseinandersetzung ist, wo Argumente gegeneinander antreten; wo nicht derjenige Recht hat, der älter ist oder in höherer Position steht, sondern derjenige, dessen Thesen besser sind und dessen Argumente die harte Prüfung der anderen Kollegen bestehen. So haben sich auch Watson und Crick (als "Underdogs") mit ihrem Modell gegen den wesentlich bekannteren Linus Pauling durchgesetzt. Autorität spielt in der Wissenschaft keine Rolle. (Oder sollte jedenfalls keine Rolle spielen. Natürlich gibt es immer wieder "Ausrutscher", aber diese werden mit der Zeit korrigiert). Die Art und Weise, wie Nobelpreisträger dargestellt werden — als Autoritäten und Genies auf einem Podest — führt zu einer verzerrten Darstellung, was Wissenschaft bedeutet.
Nobelpreisträger auf Abwegen
Man braucht nicht sehr lange zu suchen, um eine Vielzahl an Nobelpreisträgern zu finden, die vielleicht in ihrem sehr engen Fachbereich nennenswerte Leistungen erbracht haben, ansonsten aber menschlich oder fachlich alles andere als vorzeigbar sind.
Denken wir beispielsweise an Johannes Stark (Physik, 1919) und Philipp Lenard (Physik, 1905), die gegen Einsteins und Heisenbergs angeblich "jüdische Physik" agitiert haben. Fritz Haber (Chemie, 1918) gilt als Vater des Einsatz von Giftgas (Phosgen, Chlor) im ersten Weltkrieg. Dies hatte für ihn auch persönlich tragische Folgen. Seine Frau versuchte vergeblich ihn umzustimmen und beginn schliesslich mit seiner Dienstwaffe Selbstmord.
James Watson ist nicht nur für seine umstrittenen Aussagen zu Rosalind Franklin bekannt, sondern musste 2007 sogar als Vorsitzender des Cold Spring Labors zurücktreten. Er wurde zuvor in den Medien mit der Aussagen zitiert, er sähe keine gute Zukunft für Afrika, denn alle unsere sozialen Aktivitäten gingen davon aus, dass deren Intelligenz der unseren entspricht – wenn Tests dem aber widersprechen. (In späteren Interviews gibt er an, sich an diese Aussagen nicht mehr erinnern zu können.)
Bei anderen wieder scheint der Nobelpreis zu einem Endpunkt der (ernsthaften) wissenschaftlichen Karriere zu werden. Linus Pauling (Chemie, 1954; Frieden, 1962), einer der bedeutendsten Chemiker des 20. Jahrhunderts, verirrt sich in späten Jahren in fragwürdige Thesen über medizinische Effekte von hohen Dosen an Vitamin C. Luc Montagnier (Medizin, 2008), einer der Entdecker des AIDS-Virus fällt in den letzten Jahren unter anderem durch Publikationen mangelnder Ernsthaftigkeit auf. So versucht er in einem Artikel die Wirksamkeit der Homöopathie darzustellen. Die dem Artikel zugrundeliegenden Experimente sind aber von so fragwürdiger Qualität, dass Montagnier von seinen Fachkollegen kaum mehr ernst genommen wird.
Brian Josephson (Physik, 1973) schwadroniert über Telepathie und William Shockley (Physik, 1956), der Erfinder des Transistors, macht durch Aussagen zur Eugenik wenig schmeichelhaft auf sich aufmerksam.
Kary Mullis (Chemie, 1993) ist ein besonders "bemerkenswerter" Fall. Er ist der Erfinder der Polymerase-Kettenreaktion, einer der wichtigsten methodischen Grundlagen moderner genetischer Forschung. In den letzten Jahren erklärt er, dass er an Astrologie glaube, aber AIDS und HIV nichts miteinander zu tun hätten. Auch den Klimawandel hält er für einen Irrtum:
Kary Mullis (Chemie, 1993) ist ein besonders "bemerkenswerter" Fall. Er ist der Erfinder der Polymerase-Kettenreaktion, einer der wichtigsten methodischen Grundlagen moderner genetischer Forschung. In den letzten Jahren erklärt er, dass er an Astrologie glaube, aber AIDS und HIV nichts miteinander zu tun hätten. Auch den Klimawandel hält er für einen Irrtum:
"And these include the belief that AIDS is caused by human immunodeficiency virus, the belief that fossil fuel emissions are causing global warming, and the belief that the release of chlorofluorocarbons into the atmosphere has created a hole in the ozone layer.", Kary Mullis, Dancing Naked in the Mind Field, Vintage; Reprint edition (January 4, 2000)Es wäre für alle Beteiligten besser gewesen, Mullis wäre schweigsam (meinetwegen auch nackt) durch die Felder getanzt.
Jenseits der Autoritäten?
Es ist bedauerlich, wenn ein Wissenschafter seine intellektuelle Schärfe verliert. Noch schlimmer aber ist es, wenn wir derartige Aussagen nicht hinreichend hinterfragen, nur weil sie von einem Nobelpreisträgern (oder einer anderen Autoritäten) stammen. Das Leugnen von AIDS durch den früheren südafrikanischen Präsidenten Mbeki hat nach einer Harvard Studie mehr als 300.000 Menschen das Leben gekostet und die AIDS Infektion von 35.000 Babies hätte vermieden werden können.
Soviel zur Harmlosigkeit verirrter Aussagen.
Soviel zur Harmlosigkeit verirrter Aussagen.
Wir verleihen Preise, um vergangene Leistungen von Wissenschaftern zu würdigen. Daran ist nichts auszusetzen. Aus der Leistung in der Vergangenheit darf aber nicht notwendigerweise auf besondere Kompetenzen in der Zukunft oder in anderen Themenbereichen geschlossen werden. Gerade in der Wissenschaft ist Erfolg sehr häufig mit starker Fokussierung auf einen sehr engen Fachbereich verbunden. Es gibt erfolgreiche Wissenschafter mit großer Allgemeinbildung, kulturellen Interessen und sportlichen Aktivitäten, aber auch solche, die sich über Jahre und Jahrzehnte geradezu autistisch auf ein Thema konzentriert haben und über einen entsprechend eingeschränkten Horizont verfügen. Auch derartige Persönlichkeiten erhalten (zu Recht) Nobelpreise, sollten aber besser nicht in Fragen jenseits ihrer Kern-Expertise ernst genommen werden.
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