Eine Diskussion zwischen Klaus Küng und dem Novartis Vorstandsvorsitzenden über ethische Aspekte in der Wirtschaft im allgemeinen und natürlich im besonderen im Bereich der Pharmazie (Novartis) hat mich motiviert einen kurzen Artikel zu verfassen. Das Gespräch war prinzipiell interessant aber letztlich zu "zahm" geführt. Denn aus meiner Sicht gibt es etliche sehr problematische Entwicklungen in den letzten Jahren, die kaum thematisiert wurden. In kurzen Worten gibt es meiner Ansicht nach eine immer stärker werdende Kluft - einen Antagonismus zwischen den ursprünglichen Motiven die der Pharmaforschung und -industrie zugrundeliegen und dem kapitalistischen Wirtschaftsmodell. Dieser prinzipielle Aspekt kam in der Diskussion doch viel zu kurz.
Wenn Systeme, die eigentlich ursprünglich eine "gemeinnützige" Motivation hatten in den freien (kapitalistischen) Markt getragen werden, kommt es sehr schnell zu nicht auflösbaren Konfliken, denen sich z.B. das Management kaum entziehen kann. Das Problem wird weiters durch die Trennung der Pharmaindustrie vom "allgemeinen" Gesundheitssystem, das in vielen Fällen noch staatlich getragen wird, verschärft. Dieses sollte wohl an der Gesundheit der Bevölkerung gemessen werden, wie es mit dem Einzelnen umgeht, sowie ob es kostensensitiv vorgeht (siehe auch mein Artikel über "Geld"). Um dieses Ziel zu erreichen ist sicherlich eine Maximierung des Medikamenteneinsatzes wenig hilfreich, auch im Sinne einer Optimierung der Kosten/Nutzen Rechnung.
Diesem Anspruch steht eine "losgelöste" Pharmaindustrie gegenüber, die aus Zwängen des kapitalistischen Systems heraus gar nicht anders kann, als eine Maximierung des Pharmaeinsatzes anzustreben (auch wenn sie das natürlich aus Marketing- und Image Gründen strikt bestreiten würden): dies kann nun entweder durch Erhöhung der Quantität erfolgen, also mehr vom selben zu verkaufen oder dadurch dass man versucht an sich wirkungsvolle und günstige Medikamente durch immer teurere zu ersetzen; auch wenn diese gar nicht wesentlich bessere Resultate bringen, vielleicht sogar das Gegenteil.
Für beide Mechanismen lassen sich etliche Beispiele finden. In Science Friday wurde z.B. kürzlich "Overtreatment" diskutiert, also die Tatsache, dass "Amerika" trotz immer höherer Kosten des Gesundheitssystems und besonders auch der Medikationen nicht gesünder wird. Ein "Medikamentenskandal" um die Medikamente Avastin und Lucentis hat kürzlich Schlagzeilen gemacht und zeigt den Trend billige durch nicht bessere aber teurere Medikamente zu ersetzen, aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung:
Ein weiterer guter Artikel zum Thema findet sich auf den 3SAT Webseiten."Die einfache Variante der Geschichte geht so: Durch Zufall entdeckte ein amerikanischer Augenarzt im Jahr 2000, dass die bewährte Krebsarznei Avastin nicht nur gegen Tumore, sondern auch gegen ein häufiges Augenleiden hilft. Das Mittel, das ursprünglich zur Therapie von Darmkrebs entwickelt wurde, bekamen deshalb - in niedrigerer Dosis - auch Augenkranke verabreicht. Das Medikament half, Patienten waren zufrieden, Ärzte auch.In Windeseile sprach sich die neue Behandlungsform herum, sodass mittlerweile mindestens 100.000 Menschen weltweit Avastin ins Auge gespritzt bekommen haben. Etwa 25 Euro kostet eine Behandlung. Eine Zulassung als Augenheilmittel beantragte der Hersteller allerdings nicht - und das sollte sich im Wortsinn später auszahlen. [...] Die Herstellerfirma von Avastin, nennen wir sie zunächst Novartis, veränderte die Chemie des Wirkstoffs minimal. Das reichte, um das Mittel fortan Lucentis zu nennen. Da niemand in Deutschland vorschreiben kann, wie teuer Medikamente sein dürfen, setzte die Firma den Preis des neuen Mittels, das eigentlich das alte ist, auf 1500 Euro fest - für eine Einzeldosis. Zehn Injektionen, so die Einschätzung von Augenärzten, sind nötig, um das Leiden zu stoppen oder sogar besseres Sehen zu ermöglichen."
Ein entsprechend massiver finanzieller Hintergrund für das notwendige Marketing und Lobbying ist inzwischen natürlich auch vorhanden und wird immer unverblühmter verwendet um auf Ärzte und andere Vertreter des Gesundheitssystems sowie auf die potentiellen Konsumenten Druck auszuüben:
In PLoS Medicine wurde bspw. gerade ein Artikel veröffentlicht, indem die Autoren versuchen Werbe-Budget mit Forschungsbudgets in der Pharmaindustrie in den USA zu vergleichen: das Ergebnis spricht eine klare (und mit meinen Bedenken konstistente) Sprache: Es scheint, dass die US Pharmafirmen doppelt soviel Geld für Werbung als für Forschung und Entwicklung ausgeben. Und das ist meiner Argumentationslinie folgend eine völlig einleuchtende und notwendige Entwicklung. Ob sie auch für uns und unsere Gesundheit wünschenswert ist, sei dahingestellt.
Ergänzung: Ein weiteres nettes Beispiel. Am 27.1. hat Telepolis auf zwei wissenschaftliche Studien verwiesen, die nahelegen, dass der oft zitierte Zusammenhang zwischen Serotoninmangel und Depression eher aus der Feder der Pharma-Industrie-Werbung und weniger aus wissenschaftlicher Erkenntnis entspringen dürfte. Möglicherweise ja wieder Medikamente, die man gut und teuer verkaufen kann!
Ergänzung: Ein weiteres nettes Beispiel. Am 27.1. hat Telepolis auf zwei wissenschaftliche Studien verwiesen, die nahelegen, dass der oft zitierte Zusammenhang zwischen Serotoninmangel und Depression eher aus der Feder der Pharma-Industrie-Werbung und weniger aus wissenschaftlicher Erkenntnis entspringen dürfte. Möglicherweise ja wieder Medikamente, die man gut und teuer verkaufen kann!
Damit ergibt sich auch ein weiterer wirklich problematischer Aspekt der Geschichte: die Zukunft der Pharmaforschung. Diese muss sich logischerweise mehr und mehr diesen Kapitaloptimierungszielen unterordnen. Es kann also z.B. nicht von großem Interesse sein, wichtige und wirksame Medikamente billig und für jeden verfügbar zu machen (z.B. auch für die dritte Welt), sondern möglichst immer teurere (scheinbar, jedenfalls für das Marketing) bessere Medikamente auf einen großen Markt zu bringen, und diesen glauben zu machen, daß diese zu einer wesentliche Verbesserung der Lebensqualität beitragen; selbst wenn dies nicht der Fall ist. Siehe auch den Fokus auf de facto wenig nutzbringende life-style Medikamente (Homöopathie, Schlankheitsmittel, Vitaminpräparate, Cremen usw.).
Das Problem ergibt sich also offenbar aus einer Fragmentierung des Gesamtsystems in kleine Teilbereiche, die dann teils fragwürdigen Partikularinteressen folgen. Hätte man tatsächlich die "Volksgesundheit" im Auge, so muß man die Frage stellen dürfen, ob die Milliarden die Menschen in life-style Medikamente investieren, sowie die Summen die in übertriebene oder gar falsche Medikation durch Ärzte aufgewandt werden (bzw. durch oft bei weitem übertriebene diagnostische Massnahmen, aber das ist ein eigenes Thema) nicht wesentlich effektiver eingesetzt werden könnten und damit tatsächlich die Gesellschaft gesunder werden würde. Und das vermutlich bei einer gleichzeitigen Reduzierung der Kosten.