Donnerstag, 12. Juli 2012

Was ist "nützliche" Forschung?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts spricht der Industrielle George Eastman mit Abraham Flexner, dem späteren Gründer des angesehenen Institute of Advanced Study in Princeton. Eastman möchte eine große Summe für die Förderung von Bildung investieren. Auf Flexners Frage, wen Eastman für den bedeutendsten Forscher hält, antwortet dieser Marconi. (Marconi gilt als Erfinder des Radios.) Flexner anerkennt zwar die Bedeutung des Radios, hält aber Marconis Beitrag für vernachlässigbar. Eine für manche überraschende Aussage. Nach Flexners Ansicht verdienen andere Wissenschafter die Anerkennung: Clark Maxwells legt die Grundlagen zum Verständnis elektromagnetischer Felder im 19. Jahrhundert und publiziert seine Gleichungen 1873; Heinrich Hertz erfüllt Maxwells Gleichungen mit Leben und weist elektromagnetische Wellen experimentell nach. Sowohl Maxwell als auch Hertz (und viele andere Wissenschafter) legen die wissenschaftliche Basis für Technologien und Produkte wie Radio, Funkt oder Fernsehen. Flexner schreibt: "Hertz und Maxwell waren Genies ohne Ziel, Marconi ein intelligenter Erfinder nur mit Nützlichkeit im Sinne." Dasselbe trifft auf die Elektrizität zu, die unser Leben bestimmt. Wir verdanken sie Oersted, Ampère, Wolaston, Faraday und vielen anderen. Faraday war Zeit seines Lebens nicht an der Anwendung seiner Ideen interessiert. Sein Interesse galt alleine dem Verständnis der Prinzipien der Natur.

Alexander Bell führt 1892 das erste Telefongespräch
von New York nach Chicago.
Das Fazit? Erfinder (und damit Einzelleistungen) werden überbewertet. Kevin Kelly schreibt "Das einsame wissenschaftliche Genie ist ein Mythos." Die meisten Produkte aber werden von mehreren Personen zeitgleich erfunden. Der letzte Schritt hin zum "revolutionären" Produkt (aber auch zur neuen wissenschaftlichen Idee) liegt zumeist in der Luft, weil die zugrundeliegenden Erkenntnisse, die die Folge anderer Erfindungen oder neuer Erkenntnisse der Grundlagenforschung sein können, diese geradezu aufdrängen. Darwin gilt als Vater der Evolutionstheorie, aber auch Malthus und Wallace waren ihr auf den Fersen. Hätte Darwin seine Reise mit der Beagle nicht überlebt, würden wir heute vielleicht Wallace feiern. Alexander Bell und Elisha Gray haben das Patent für das Telefon am selben Tag eingereicht, und auch das Higgs-Boson hat Peter Higgs nicht alleine vorgeschlagen, sondern wurde auch von einigen anderen (weniger bekannten) Physikern vorgeschlagen. Jede moderne Technologie hat viele Väter und Mütter und ist das Ergebnis eines vernetzen, globalen Prozesses und damit kaum vorhersagbar. 

Das macht den Versuch, Innovation planen zu wollen und frühzeitig nützliches von nutzlosem zu trennen zur Illusion. Innovation und neue Produkte sind oftmals das Ergebnis "zielloser" Grundlagenforschung mit kaum vorhersagbarem Fortschritt. Deren Ergebnisse werden dann aber in sehr fokussierter anwendungsorientierter Forschung oder von Erfindern auf praktische Probleme angewandt oder zu neuen Produkten umgesetzt werden können. Und selten sind es einzelne Genies, sondern viele Einzelkämpfer, die mehr oder weniger zur gleichen Zeit zu sehr ähnlichen Erkenntnissen oder Produkten kommen.
"Lasst uns daher unsere Suche fortsetzen, nach dem nutzlosen ebenso wie nach dem praktischen; mit der Zuversicht, dass auf lange Sicht beide der Menschheit dienen werden.", Abraham Flexner

Donnerstag, 5. Juli 2012

Der Untergang (des römischen Reichs)


Der IT-Security Experte Bruce Schneier zitiert ein Interview mit Prof. Sander van der Leeuw über Resilienz am Beispiel des römischen Reiches. Ein System ist nach seiner Definition robust, wenn es in der Lage ist, äußerem Druck standzuhalten ohne sein Verhalten wesentlich zu verändern. Es ist resilient, wenn es bei steigendem Druck in der Lage ist durch gewisse Änderungen den Druck zu reduzieren. Sind fundamentale Änderungen oder Umbrüche im System notwendig, so ist es verletzlich (vulnerable). Ein System kann über die Zeit auch die Charakteristik ändern, beziehungsweise von resilient zu verletzlich wechseln.


Prof. van der Leeuw beschreibt derartiges systemisches Verhalten am Beispiel des römischen Reiches:
"I’ve worked a lot on the end of the Roman Empire. Let’s go back to sometime before the end. The Roman Empire expands all around the Mediterranean and becomes very, very big. It can do that because wherever it goes, it finds and then takes away existing treasure that has been accumulated over the centuries before. That treasure pays for the army, it pays for the administration, it pays for everything. But there’s a certain moment, beginning in the third century, when there is no more treasure to be had. The empire has already taken in all of the civilized world. At that point, to maintain its administration and military and feed its poor, it must depend basically on the annual yield of agriculture, or the actual product of solar energy. At the same time, the empire becomes less attractive because it has less to offer, because it has less extra energy. So now it has to deal with all kinds of unrest, and ultimately, the energy that it has available for its administration is no longer sufficient to maintain the empire. So between the third century and the fifth century, the empire has to make changes. That is the period when it adapts its behavior to all kinds of pressures. That is the resilience period. At the end of that period, when it is no longer able to maintain that, it quickly becomes vulnerable and falls apart."
Das römische Reich 117 v.Chr.
(by Tataryn77, Wikimedia Commons))
Historische Theorien und besonders deren Anwendung auf andere Epochen  sind bekanntlich immer problematisch. Dennoch finde ich die Parallele der Beschreibung des ausgehenden römischen Reichs mit der derzeitigen Situation (diesmal global) faszinierend. Und sei es nur im Sinne einer Metapher. Während das römische Reich seine Energie aus stetiger Plünderung immer neuer Völker bezogen hat, so haben wir aktuell das exponentielle Wirtschaftswachstum der letzten 150 Jahre durch Plünderung immer neuer natürlicher, vor allem aber nicht-erneuerbarer Ressourcen befeuert.

Dem römischen Reich sind die zu beraubenden Völker ausgegangen. Uns gehen die Ressourcen aus, beziehungsweise die Nutzung der Ressourcen richtet derartig großen Schaden an, dass sie systematisches Versagen zur Folge haben wird. Wir haben mittlerweile den Ast, auf dem wir sitzen, nahezu durchgesägt und geraten an einen Punkt, wo weiteres exponentielles Wachstum auf der Basis eines ebenso exponentiell wachsenden Ressourcenverbrauchs nicht mehr möglich ist. Wir erkennen Symptome, die den oben beschriebenen vergleichbar sind: Die bisher stetige Zunahme an Wohlstand (in westlichen Ländern) gerät an ein Ende. Bestehende (wirtschaftliche) Konzepte funktionieren nur mehr unzureichend. In einigen Ländern kommt es bereits zu erheblichen Unruhen (z.B. in Griechenland oder Spanien). Regierungen und Betriebe finden keine willigen Opfer mehr, die ohne weiteres geplündert werden können. Im Gegenteil, Staaten wie China (mit einer Milliarde Menschen und großem Appetit auf mehr Wohlstand) entdecken gerade erst das "Erfolgsrezept" der Plünderung globaler Rohstoffe. Nicht zuletzt sehen wir gerade, dass Finanzmärkte Plünderung und Faustrecht zum Prinzip erhoben haben. Auch hier wurden die Finanzen der Rechtlosen (und Dummen) bereits erfolgreich an die "Finanzeliten" überwiesen und das System Plünderung gelangt an einen Endpunkt.

Die Zeit der Resilienz (nach der Definition von Prof. Leeuw) wird vermutlich bald Vergangenheit sein. Systembrüche stehen bevor. Wird es uns gelingen, nach einer Phase der Resilienz in eine (friedliche) Phase des Überganges zu einem anderen System zu gelangen? Wird es uns gelingen, das Wirtschaftsprinzip "Plünderung" ebenso hinter uns zu lassen? Oder werden wir im Chaos untergehen? 

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)