Sonntag, 22. April 2007

Teheran kündigt an, Washington droht und London zögert!

Ich habe in meinem Blog kürzlich kritische Artikel über "moderne" Berichterstattung geschrieben. Ein Aspekt, der mir zunehmend auffällt ist, wie Sprache vordergründig verkürzt, verknappt wird, aber übersehen wird, dass dabei beim Zuhörer oder Leser auch Assoziationen geweckt werden, die aus meiner Sicht jedenfalls bedenklich sind.

Dies beginnt mit "üblichen Dummheiten" wie derzeit in den Österreichischen Medien, sinngemäß "Der Finanzminister schwimmt im Geld weil.."; warum auch immer, eine neue Steuer oder derartiges. Nur: wenn wir in einer funktionierenden Demokratie leben (wo man sich bei unserem letzten Finanzminister nicht sicher sein konnte), so ist dieser Satz vollkommener Unsinn. Nicht der Finanzminister "schwimmt im Geld", sondern wenn schon, dann der Staatshaushalt, oder wie immer man das bezeichnen möchte. Ich weiß schon, dass dies verkürzend so dahin gesagt wird, aber es löst eben falsche Ideen aus. Wenn jemand "reich" wäre, dann nicht der Finanzminister, sondern die Staatskasse.

Noch viel ärgerlicher ist der Trend, Aussagen von hohen Politikern mit Städten oder Ländern zu verknüpfen. Daher der Titel dieses Eintrages. Man liest es jeden Tag: "Teheran kündigt an...", "Washington droht mit...", London zögert..." und "Brüssel...?". Ich finde dies ganz besonders ärgerlich. Ich war viele Male in Teheran, ich war auch schon in London und Brüssel. Zugegeben, ich war noch nie in Washington, vermute aber, dass es dort ebenso zutrifft:

Ich persönlich habe "Teheran" noch nie etwas sagen hören. Dort leben mehr als 10 Millionen Menschen mit vielen verschiedenen Befindlichkeiten, Problemen, Ideen und Wünschen, und diese decken sich mit Sicherheit nicht alle mit denjenigen einer politischen Führung (ganz besonders nicht in Teheran). Dasselbe trifft nun mit Sicherheit auf London, Washington oder Brüssel zu.

Wenn Herr Ahmadinejad mal wieder schlecht geschlafen hat und das unstillbare Bedürfnis ihn drängt seine neueste Idee einer Kamera anzuvertrauen, so möchte ich wissen, dass er das gesagt hat. Das war Ahmadinejad, nicht Teheran. Ebenso in Washington: sollte Herr Bush oder einer seiner Jünger wieder einer göttlichen Eingebung folgend uns Unberufenen etwas wichtiges zu verkünden haben, so möchte ich wissen, dass dies aus Bushs' Mund kommt, oder aus dem eines seiner Minister, Pressesprecher usw. Nicht Washington sagt etwas, sondern eine politische Person. Und möglicherweise teilen viele in Washington diese Meinung, vielleicht (oder wahrscheinlich) aber auch nicht.

Und eben dies ist ein wesentlicher Punkt. Indem wir Einzelaussagen bestimmter politischer Vertreter einer ganzen Stadt oder einer ganzen Bevölkerung in den Mund legen, so implizieren wir damit eine Uniformität, der ich noch nie, nirgends auf der Welt, begegnet wäre. Dies ist nicht nur einfach ärgerlich, dies ist gefährlich. Denn aus den mehr oder weniger geistreichen aber politisch motivierten Aussagen einzelner, wird ein ganzes Volk zu "militanten Islamisten" oder zu "religiös motivierten Kriegstreibern" oder ...

Der Missbrauch der Sprache war immer das Mittel der Populisten und Demagogen zum Zwecke der Propaganda; das sprachliche Gleichschalten einer Bevölkerung immer der erste Schritt zu Aggressionen. Erinnerlich sind die Propagandaplakate des ersten Weltkrieges (um Ausnahmsweise etwas historisches zu zitieren): "Jeder Schuss ein Russ, jeder Stoss ein Franzos, jeder Tritt ein Brit..." oder "Serbien muss sterbien".

Ich gebe zu von "Washington sagt" bis zu "Serbien muss sterbien" mag noch ein längere Weg sein, aber der Punkt ist: es ist der erst Schritt auf demselben Weg.

Wir wollen nicht mehr wissen, dass es damals in Frankreich viele Menschen gab, die einfach ihr Leben leben wollten und keinerlei Interesse an Nationalismen hatten, und schon gar nicht vor hatten durch einen "Stoß" zu sterben; dass es heute in Washington Menschen gibt, die erschüttert über die Regierung Bush sind lässt sich ebenfalls leicht verdrängen, denn "Washington sagt...". Wir wollen auch nicht wahrhaben, dass in Teheran Millionen Menschen hauptsächlich mit Problemen des täglichen Lebens beschäftigt sind, und keinerlei Interesse, geschweige denn Unterstützung für Ideen ihrer politischen Führung haben, unter der sie täglich leiden, aber: "Teheran sagt...". Und in London protestierten tausende Menschen gegen die Irak Politik Tony Blairs, aber das wissen wir nicht mehr, denn auch "London sagt..." ja etwas.

Dann kann man natürlich Militärschläge gegen den Irak leicht rechfertigen, wie auch Bombenanschläge auf die Londoner U-Bahn. Denn der "Irak" ist ja ein Schurkenstaat, nicht Saddam Hussein ein "Schurke" (wenn man sich schon so billigen Vokabulars bedienen muss). Und London ist ja ein Feind des Islams, denn London hat auch auch Krieg geführt. Dass in London so viele Ethnien friedlich zusammenleben, wie an wenigen anderen Plätzen der Welt, auch Moslems und Christen und was es nicht sonst noch an religiösen Gruppen geben mag, hat man gleich wieder vergessen. Und wenn der "Irak" schon ein Schurkenstaat ist, dann bedeutet das ja offenbar auch, dass fast alle Menschen dort Schurken sind, und damit ist es nicht so schlimm, wenn man viele davon "eliminiert" (töten sagt man heute ja nicht mehr, das wäre unfein).

Ich denke, dass etwas mehr Sorgfalt im Umgang der Sprache, ganz besonders in den Medien der erste (kleine) Schritt zu einem besseren Verständnis anderer Nationen sein kann, und dass vor allen Dingen Medien der Polemik und Propaganda keinen Vorschub leisten sollten.


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p.s.: Zum Thema Medienberichterstattung gab es kürzlich eine hervorragende Sendung in SWR2 (Als die Nachrichten noch zum Telegrafenamt gebracht wurden) vom ehemaligen Nahost-Korrespondenten Rudolph Chimelli (Jahrgang 1928), der über die Entwicklungen der Berichterstattung reflektiert. Macht sehr nachdenklich und auch betroffen. Sollte auch als Podcast noch verfügbar sein.

Mittwoch, 11. April 2007

Klimaschutz und Reisen

In seiner Neujahrs-Nachricht 2006 schreibt der bekannte britische Autor Philip Pullman unter anderem folgendes:

"Another part of this issue is aviation. Every clear morning (and there aren't very many mornings when the sky is clear) I look up and count the number of condensation trails I can see from my house. It's never less than ten, and sometimes as many as fifteen. That is far too many planes up there pouring out carbon dioxide right where it'll do most damage. Of all forms of transport, air travel is much the most destructive. Far too many people are flying about, and I can't believe that all those journeys are necessary.

So I've decided that I'm not going to be one of them any more. From now on I stay on the ground. This means no long-distance travel unless I can find a ship going where I want to; no flying within Europe, and certainly none inside Britain. All unnecessary. I can't think of a single reason that would make it more important for me to go to the other side of the world quickly than to save all that fuel by going slowly, or better still by not going at all. Festivals? Conferences? The days when we could thoughtlessly get on a plane and fly across the Atlantic to deliver one lecture are over. Tours to publicise a new book? Only by ship and by train."


Zur Zeit wird viel über Klimaschutz und Treibhauseffekt diskutiert. Natürlich zu Recht. Es werden verschiedene mehr oder weniger sinnvolle Massnahmen vorgeschlagen, die zumeist darauf hinauslaufen, dass die anderen sich doch gefälligst bemühen sollen, wir selbst aber unseren Lebensstil sicherlich nicht ändern wollen (ganz besonders dann, wenn die anderen nicht Industriestaaten sondern Schwellenländer sind). Wie hat das doch der allseits beliebte Präsident George ausgedrückt: "Der amerikanische way-of-life steht nicht zur Diskussion" oder so ähnlich. Genau. Er spricht die magischen Worte wenigstens klar aus, um die sich die anderen drücken.

Kürzlich habe ich ein Posting über die Unsitte in modernen Meetings geschrieben ("Offline"). Ich bin aber in dieser Reise-Frage tatsächlich gespalten. Auf der einen Seite bin ich absolut der Ansicht die Philip Pullman in seiner Nachricht vertritt: Natürlich sind die Flugpreise obszön billig, und natürlich wird viel zu oft viel zu überflüssig geflogen. Ich denke an die verschiedenen Geschäftsreisen, wo für einen Tag nach Brüssel, Paris oder sonst irgendwohin geflogen wird um sich dann im Flughafenhotel (!) zu treffen um dort etwas Wichtiges zu diskutieren. Tatsächlich sitzen dann vielleicht die meisten dort und lesen und beantworten ihre Emails in diesem wichtigen Meeting, weil sie zuhause und wegen der vielen Reisen dazu keine Zeit haben.

Ausgezeichnet! Für 3 Stunden Email lesen mussten einige Tonnen CO2 erzeugt werden. Das ist Effizienz! Das ist Ökonomie!

Wir fliegen auch nicht auf Urlaub in die Vereinigten Arabischen Emirate um dort Land und Leute (wie man so altmodisch formuliert hat) kennenzulernen, sondern um nach etlichen tausend Flugkilometern dort im klimatisierten Hotel am Pool zu liegen (was man genausogut in Niederösterreich oder Bayern hätte machen können) oder gar um in der tiefgekühlten Skihalle (mitten in der Wüste) bei 40° Aussentemperatur Skifahren zu können. Wir fliegen in die Türkei um uns dort im Touristenghetto eingesperrt "all inclusive" betrinken zu können. Das macht natürlich Sinn! Oder wir fliegen tausende Kilometer und einige Tage ins doch ferne Indonesien um dann in Bandung bei einer Veranstaltung traditionelle "Anklung" Musiker zu hören (so weit in Ordnung) wie diese nicht etwa traditionelle indonesische Musik, sondern "Tulpen aus Amsterdam" spielen. Dies ist kein Scherz, das musste ich selbst erleben. Der schlimmere Schock wurde aber durch die anderen Touristen ausgelöst. Ich hatte erwartet, dass sie ebenso negativ berührt davon sind, dass indonesische Musiker europäischen Mist spielen um traditionelle Instrumente vorzuführen, was ist aber passiert: rund um mich herum wurde fröhlich mitgeschunkelt.

Gut, das sind die zweifellos negativen Beispiele. Auf der anderen Seite ist es sicher so, dass das persönliche Treffen die Welt tatsächlich enger zusammenrücken lässt und besseres Verständnis für andere Kulturen und Probleme anderer Nationen möglich macht.

Wo sollten wir nun die Grenze ziehen?

Ich denke, dass Pullman einiges schon sehr richtig formuliert hat: Zunächst sollte sofort mit der unnötigen Beschleunigung aufgehört werden: Reisen innerhalb eines Kontinentes beispielsweise kann man leicht mit dem Zug erledigen. Viele Reisen werden heute gemacht weil sie billig sind, und weil "es so üblich ist", ohne groß über Alternativen nachzudenken, und diese sollten ersatzlos gestrichen werden. Dazu gehören (aus meinem Umfeld) sicherlich auch viele Konferenz- und Projektmeetings. Mit etwas Innovation könnte man viele dieser Dinge online nahezu genausogut abwickeln. Und das Fliegen muss endlich konkurrenzfähige Preise bekommen (wie auch der Individualverkehr), sprich dramatisch teurer werden, bspw. durch vernünftige Besteuerung des Kerosins und andere Besteuerung. Zuletzt sollten Fluggesellschaften sowie Autokonzerne zu Klimaschutzmassnahmen verpflichtet werden. Wir haben hier auf der einen Seite genug blumige Worte gehört die nichts bewirken und wurden auf der anderen Seite von zukunftsfremden Managern wie Rupert Stadler (Audi) in unserer Intelligenz beleidigt, wenn er meinte: "Wir sind keine Sozialhilfestation, wir sind ein Wirtschaftsunternehmen" (ganz genau! es geht um die Shareholder und sicher nicht um die Menschen, die Angestellten und schon gar nicht um unsere Zukunft; das wäre ja verantwortungslos in einer globalen Wirschaft!) weil er kritisiert wurde, dass die "Audi Flotte" zu viel CO2 ausstösst.

Nun ist sicherlich Audi alleine nicht daran Schuld, aber er gab auch anderes von sich:
"Wir haben in Genf einen Audi A3 mit einem 1,9 Liter-Motor und einer entsprechenden Getriebeabstimmung ausgestellt, der einen Schadstoffausstoß von gerade einmal 119 Gramm C02 pro Kilometer aufweist. Ich sage jedoch, dass so etwas für einen Audi A8 physikalisch nicht vorstellbar ist. Deshalb möchte ich keine Einheitsdebatte haben, sondern spezifisch für jedes Segment abgestimmte Werte."
Ganz genau! Machen wir doch die Segmentierung: Schmutzfinken, die der Meinung sind, man muss einen A8 fahren (weil vielleicht das Selbstwertgefühl nicht für einen Prius reicht), und Menschen die über höhere Vernunft verfügen und sich (wenn es unvermeidlich ist) ein sparsames Auto zulegen.

Aber zurück zum Reisen: Ich bin mir darüber bewusst, dass dies auch bedeuten würde, dass ich einige Reisen nicht machen würde; das ist persönlich zu einem gewissen Maße traurig. Auf der anderen Seite steht heute das Reisen mit dem vor-Ort sein oft in keiner vernünftigen Relation mehr: Man fliegt Tage zu einem anderen Kontinent um dort dann wenige Tage in Besprechungen zu sitzen. Dies vielleicht mehrmals pro Jahr. Warum nicht umdenken: Einmal fliegen, dann ein Monat vor Ort bleiben und wirklich arbeiten; konzentriert und fokussiert auf eine Sache. Das soll tatsächlich möglich sein! Diese wesentlichen Arbeitstreffen, und die Betonung liegt auf Arbeit, könnten aus meiner Sicht zukunftsfähig sein.

"Jet-setten" und sich jeden Tag an einem anderen Ort wichtig machen sind, denke ich, nur wenig nutzbringend und sollten daher in der Zukunft keinen Platz mehr haben.

Die Alternative besteht natürlich darin, dass es uns in irgendeiner Weise gelingt, den Flugverkehr tatsächlich Umweltschonender zu gestalten, denn um das nochmals aufzugreifen: natürlich hat die verstärkte Reisetätigkeit auch positive Effekte im Sinne eines globalen Zusammenrückens gebracht. Dies ist aber (nach aller wirtschaftlicher Logik) sicher nur Möglich wenn regulativ erheblicher Druck auf die Reise/Flugindustrie ausgeübt wird um hier tatsächlich einen Fortschritt und nicht nur leere Bekenntnisse zu erleben.

Wie ende ich nun diesen Artikel?

Ich denke, mit einem klaren "Ja, aber": Ja, wir wollen global denken, leben; wir wollen uns besser kennenlernen und uns vielleicht als "Weltbürger" und nicht als kleinkarierte Nationalisten sehen, aber wir müssen erkennen, das nicht alles was im Moment möglich ist auch einerseits auf Dauer haltbar ist, und auf der anderen Seite uns sukzessive einen Lebensstil aufzwingen kann (wie oben beschrieben) der alles andere als effizient oder gesund ist (für uns und die Umwelt). Versuchen wir so ökologisch wie möglich zu Reisen (und hier gibt es enormes Potential für Verbesserung); versuchen wir wirklich zu Reisen (im klassischen, altmodischen Sinn), und nicht zu "jetten" a la "statt Europa in einer Woche" von einem Touristenghetto ins nächste; und versuchen wir weiters auch alle Alternativen für eine globale Verständigung abseits persönlicher Mobilität adäquat zu nutzen und weiterzuentwickeln. Ganz besonders für kommerzielle Aspekte!

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)