Verfechter der direkten Demokratie scheinen gefesselt von der Idee richtiger und falscher politischer Entscheidungen und der Notwendigkeit schneller Reaktionen. Konkreter treibt sie die Frage, wie man verhindern kann, dass gewählte Volksvertreter falsche (etwa durch Lobbies motivierte) Entscheidungen herbeiführen. Man erkennt zwar, dass eine rein direkte Demokratie nicht das Wahre sein kann, dass direkte Demokratie aber als Notbremse unbedingt notwendig wäre.
Denn, so etwa die Argumentation von Christian Felberin dem lesenswerten Buch Gemeinwohlökonomie: direkte Demokratie hat in Österreich die (falsche Entscheidung) Zwentendorf verhindert, allerdings konnte der Abfluss von Kapital in Steueroasen und das Retten systemrelevanter Banken (leider) nicht durch direkte Demokratie verhindert werden.
„Dort, wo Regierung und Volk unterschiedlicher Meinung waren, in der Frage der Kernkraft, war der Souverän klüger...“ Wären doch alle Sachfragen so einfach zu entscheiden. Die Ablehnung der Kernenergie in Europa und der de facto Stopp der Forschung, der ein wesentliches Nebenprodukt dieser Entscheidungen war, hat allerdings auch dazu beigetragen, dass wir verstärkt auf Kohle- und Gaskraftwerke gesetzt haben Aber solche Seiteneffekte bemerkt man in der Hitze direkter Demokratie oft nicht, oder erst Jahrzehnte später.
Was sind richtige Entscheidungen? So gibt es zahlreiche Klimaforscher, etwa einen der führenden US-Klimaforscher Jim Hansen, die durchaus die Meinung vertreten, dass dies keine so kluge Idee gewesen ist. So schreibt Hansen in seinem hervorragenden Buch Storms of My Grandchildren über die Begegnung mit dem damaligen Minister Gabriel:
Hat also die direkte Demokratie immer recht? Bei der Kernkraft ist Felber anderer Meinung als Jim Hansen, aber immerhin merkt er an, dass der Souverän bei der Minarett-Entscheidung in der Schweiz wohl daneben gegriffen hat (und es wird erklärt warum dem so wäre). Interessanter als das Beispiel ist allerdings, dass die Ironie gar nicht auffällt. Liest man diesen Teil des Buches gründlich und nimmt ihn ernst, so liegt die eigentliche Frage doch auf der Hand: Warum so kompliziert? Herr Felber weiß ja augenscheinlich ohnedies, welche Entscheidungen richtig oder falsch sind. Warum also nicht ihn (oder einen anderen, vielleicht sogar noch besser wissenden Experten) in die Regierung setzen. Jede Entscheidung läuft am Experten vorbei und wird im Zweifelsfall schnell korrigiert. So einfach könnte es doch sein? Lasst Trump doch mal machen, der weiß schon, wie man einen guten Deal einfädelt. Dann wären wir allerdings bestenfalls in der Diktatur, oder Expertokratie oder Meritokratie angelangt, im schlechtesten Fall bei der Idiokratie (oder so ähnlich), denn irgendjemand muss ja den Experten bestimmen. Das alles will man (aus guten Gründen) auch nicht.
Auch wenn die Argumentationslinie lautet, die Regierung beschließt etwas gegen den Willen der Öffentlichkeit, läuft das auf einen ähnlich problematischen Schluss hinaus. Denn der Wille der Bevölkerung ist oftmals fluide und fallweise auch schlecht informiert. Dies trifft gerade auf Themen mit sehr langfristiger Perspektive zu. So manche Entscheidung, die für das Überleben in der Zukunft von großer Bedeutung ist, müsste gerade gegen den Willen großer und lautstarker Teile der Bevölkerung getroffen werden. Weil wir uns nicht trauen ruhig und langfristig zu denken, werden wir wohl in eine Klimakatastrophe laufen, stecken in einer Stadtplanung fest, die von wenigen Autos und noch weniger Lebensqualität geleitet ist und in einer Finanz- und Wirtschaftspolitik, die die einfache logische Tatsache nicht begreifen kann, dass auf einem endlichen Planeten nicht unendlich gewachsen werden kann. Ja, wir schaffen diese Systemänderungen nicht, weil Entscheidungen notwendig wären, die (kurzfristig) unbequem oder jedenfalls ungewohnte Konsequenzen haben können. Unbequem für viele Gruppen in der Bevölkerung. Direkte Demokratie zieht solche lautstarken und aufwallenden Bewegungen geradezu an.
So scheint die tiefer liegende Frage eine wesentliche andere: der Blick auf richtig oder falsch ist bei (politischen) Entscheidungen oft eine Ablenkung. Immerhin geht es nicht um mathematisch/logische Entscheidungen, sondern um solche, die in einer immer komplexer und weniger vorhersagbaren Welt langfristige Folgen haben können. Und komplexe Systeme haben die Eigenschaft schwer steuerbar und noch schwerer vorhersagbar zu sein.
Vielleicht sollten wir das Prinzip Entscheidung überhaupt mit mehr Bescheidenheit und Ruhe angehen: wir könnten endlich wieder einmal darüber diskutieren, wie wir eigentlich in der Zukunft leben wollen, wie wir diese Dinge miteinander diskutieren und nicht, welche konkrete Entscheidung im Augenblick ideologisch opportun oder nicht opportun ist. Entscheidungen wären auch weniger schwerwiegend, wenn sie mit Abbruchkriterien, mit Prüfpunkten versehen, wenn sie evolutionärer Ruhe und nicht von hektischer Unruhe getrieben wären. Dazu passt ein Gedanke, der von Richard David Precht stammt: über Generationen war es ein gewollter gesellschaftlicher Prozess (bestimmte) wesentliche Entscheidungen zu verlangsamen. Im Wissen, dass schnelle, emotionale Entscheidungen häufig in die Irre führen. Vieles in modernen Demokratien dient explizit dieser Entschleunigung, und dies ist eine gute Sache.
In der Welt von hypernervösen Twitter und Facebook-Streams sind wir wieder dem Irrtum verfallen, schnelleund spontane Entscheidungen mit Modernität, mit gutem Leadership zu verwechseln. Je komplexer die Welt allerdings wird, desto weniger dürfte dies zutreffen. Es wird auch übersehen, dass Geschwindigkeit und Direktheit oftmals mehr spalten als vereinen.
Vergessen wir nicht: keiner der wesentlichen Trends oder Probleme der heutigen Zeit, ist in irgendeiner Weise neu: der Klimawandel ist seit den 1980er Jahren bekannt (im Grunde noch viel länger), dass unser Finanz- und Wirtschaftssystem in die Irre läuft ist seit den 1970er, spätestens seit den 1990er Jahren offensichtlich, dass (Medien)Monopole uns versuchen in politischer Weise zu manipulieren ist ebenfalls seit den 1960er oder 1970er Jahren diskutiert. Dass also eine IT-Infrastruktur in der Hand von vier Monopolisten keine besonders gute Idee sein kann – keine Neuigkeit, und die Entwicklung bahnt sich ebenfalls schon seit mehr als einem Jahrzehnt an. Künstliche Intelligenz wird seit den 1960er Jahren diskutiert und Biotechnologie seit mindestens 20 Jahren.
Eigentliche ist keine Not für hektische Entscheidungen zu erkennen. Ernsthafte und fundamentalen Diskussionen und vor allem mehr Mut wieder politische Verantwortung zu übernehmen wären aber eine gute Idee. Es gibt keine Notwendigkeit, sich von jeder vermeintlichen (technischen) Innovation durchs Dorf treiben und verwirren zu lassen. Statt in hektischer Betriebsamkeit direkt zu demokratisieren, könnte man vielmehr auf langsame Entscheidungsprozesse mit breiter gesellschaftlicher Basis bauen, die dann aber tatsächlich zu einer evolutionären Umsetzung gelangen. Fallweise ist dies gelungen, denken wir an die international vergleichsweise konsequente und überlegten Reaktionen auf die Entdeckung des Ozonloches in den 1980er Jahren. Vielleicht nehmen wir uns daran ein Beispiel und versuchen zuerst eine Gemeinsamkeit, eine Gesprächsbasis und dann eine Entscheidung zu finden.
Denn, so etwa die Argumentation von Christian Felberin dem lesenswerten Buch Gemeinwohlökonomie: direkte Demokratie hat in Österreich die (falsche Entscheidung) Zwentendorf verhindert, allerdings konnte der Abfluss von Kapital in Steueroasen und das Retten systemrelevanter Banken (leider) nicht durch direkte Demokratie verhindert werden.
„Dort, wo Regierung und Volk unterschiedlicher Meinung waren, in der Frage der Kernkraft, war der Souverän klüger...“ Wären doch alle Sachfragen so einfach zu entscheiden. Die Ablehnung der Kernenergie in Europa und der de facto Stopp der Forschung, der ein wesentliches Nebenprodukt dieser Entscheidungen war, hat allerdings auch dazu beigetragen, dass wir verstärkt auf Kohle- und Gaskraftwerke gesetzt haben Aber solche Seiteneffekte bemerkt man in der Hitze direkter Demokratie oft nicht, oder erst Jahrzehnte später.
Was sind richtige Entscheidungen? So gibt es zahlreiche Klimaforscher, etwa einen der führenden US-Klimaforscher Jim Hansen, die durchaus die Meinung vertreten, dass dies keine so kluge Idee gewesen ist. So schreibt Hansen in seinem hervorragenden Buch Storms of My Grandchildren über die Begegnung mit dem damaligen Minister Gabriel:
"Then, in the final minutes of our meeting, the underlying story emerged with clarity: Coal use was essential, Minister Gabriel said, because Germany was going to phase out nuclear power. Period. It was a political decision, and it was not negotiable.“ […] "The bottom line seems to be that it is not feasible in the foreseeable future to phase out coal unless nuclear power is included in the energy mix."Die Entscheidung von Gabriel war durchaus eine der direkten Demokratie vergleichbare. Sie war ein Schnellschuß unter dem Druck der politischen Öffentlichkeit nach Fukushima.
Hat also die direkte Demokratie immer recht? Bei der Kernkraft ist Felber anderer Meinung als Jim Hansen, aber immerhin merkt er an, dass der Souverän bei der Minarett-Entscheidung in der Schweiz wohl daneben gegriffen hat (und es wird erklärt warum dem so wäre). Interessanter als das Beispiel ist allerdings, dass die Ironie gar nicht auffällt. Liest man diesen Teil des Buches gründlich und nimmt ihn ernst, so liegt die eigentliche Frage doch auf der Hand: Warum so kompliziert? Herr Felber weiß ja augenscheinlich ohnedies, welche Entscheidungen richtig oder falsch sind. Warum also nicht ihn (oder einen anderen, vielleicht sogar noch besser wissenden Experten) in die Regierung setzen. Jede Entscheidung läuft am Experten vorbei und wird im Zweifelsfall schnell korrigiert. So einfach könnte es doch sein? Lasst Trump doch mal machen, der weiß schon, wie man einen guten Deal einfädelt. Dann wären wir allerdings bestenfalls in der Diktatur, oder Expertokratie oder Meritokratie angelangt, im schlechtesten Fall bei der Idiokratie (oder so ähnlich), denn irgendjemand muss ja den Experten bestimmen. Das alles will man (aus guten Gründen) auch nicht.
Auch wenn die Argumentationslinie lautet, die Regierung beschließt etwas gegen den Willen der Öffentlichkeit, läuft das auf einen ähnlich problematischen Schluss hinaus. Denn der Wille der Bevölkerung ist oftmals fluide und fallweise auch schlecht informiert. Dies trifft gerade auf Themen mit sehr langfristiger Perspektive zu. So manche Entscheidung, die für das Überleben in der Zukunft von großer Bedeutung ist, müsste gerade gegen den Willen großer und lautstarker Teile der Bevölkerung getroffen werden. Weil wir uns nicht trauen ruhig und langfristig zu denken, werden wir wohl in eine Klimakatastrophe laufen, stecken in einer Stadtplanung fest, die von wenigen Autos und noch weniger Lebensqualität geleitet ist und in einer Finanz- und Wirtschaftspolitik, die die einfache logische Tatsache nicht begreifen kann, dass auf einem endlichen Planeten nicht unendlich gewachsen werden kann. Ja, wir schaffen diese Systemänderungen nicht, weil Entscheidungen notwendig wären, die (kurzfristig) unbequem oder jedenfalls ungewohnte Konsequenzen haben können. Unbequem für viele Gruppen in der Bevölkerung. Direkte Demokratie zieht solche lautstarken und aufwallenden Bewegungen geradezu an.
So scheint die tiefer liegende Frage eine wesentliche andere: der Blick auf richtig oder falsch ist bei (politischen) Entscheidungen oft eine Ablenkung. Immerhin geht es nicht um mathematisch/logische Entscheidungen, sondern um solche, die in einer immer komplexer und weniger vorhersagbaren Welt langfristige Folgen haben können. Und komplexe Systeme haben die Eigenschaft schwer steuerbar und noch schwerer vorhersagbar zu sein.
Vielleicht sollten wir das Prinzip Entscheidung überhaupt mit mehr Bescheidenheit und Ruhe angehen: wir könnten endlich wieder einmal darüber diskutieren, wie wir eigentlich in der Zukunft leben wollen, wie wir diese Dinge miteinander diskutieren und nicht, welche konkrete Entscheidung im Augenblick ideologisch opportun oder nicht opportun ist. Entscheidungen wären auch weniger schwerwiegend, wenn sie mit Abbruchkriterien, mit Prüfpunkten versehen, wenn sie evolutionärer Ruhe und nicht von hektischer Unruhe getrieben wären. Dazu passt ein Gedanke, der von Richard David Precht stammt: über Generationen war es ein gewollter gesellschaftlicher Prozess (bestimmte) wesentliche Entscheidungen zu verlangsamen. Im Wissen, dass schnelle, emotionale Entscheidungen häufig in die Irre führen. Vieles in modernen Demokratien dient explizit dieser Entschleunigung, und dies ist eine gute Sache.
In der Welt von hypernervösen Twitter und Facebook-Streams sind wir wieder dem Irrtum verfallen, schnelleund spontane Entscheidungen mit Modernität, mit gutem Leadership zu verwechseln. Je komplexer die Welt allerdings wird, desto weniger dürfte dies zutreffen. Es wird auch übersehen, dass Geschwindigkeit und Direktheit oftmals mehr spalten als vereinen.
Vergessen wir nicht: keiner der wesentlichen Trends oder Probleme der heutigen Zeit, ist in irgendeiner Weise neu: der Klimawandel ist seit den 1980er Jahren bekannt (im Grunde noch viel länger), dass unser Finanz- und Wirtschaftssystem in die Irre läuft ist seit den 1970er, spätestens seit den 1990er Jahren offensichtlich, dass (Medien)Monopole uns versuchen in politischer Weise zu manipulieren ist ebenfalls seit den 1960er oder 1970er Jahren diskutiert. Dass also eine IT-Infrastruktur in der Hand von vier Monopolisten keine besonders gute Idee sein kann – keine Neuigkeit, und die Entwicklung bahnt sich ebenfalls schon seit mehr als einem Jahrzehnt an. Künstliche Intelligenz wird seit den 1960er Jahren diskutiert und Biotechnologie seit mindestens 20 Jahren.
Eigentliche ist keine Not für hektische Entscheidungen zu erkennen. Ernsthafte und fundamentalen Diskussionen und vor allem mehr Mut wieder politische Verantwortung zu übernehmen wären aber eine gute Idee. Es gibt keine Notwendigkeit, sich von jeder vermeintlichen (technischen) Innovation durchs Dorf treiben und verwirren zu lassen. Statt in hektischer Betriebsamkeit direkt zu demokratisieren, könnte man vielmehr auf langsame Entscheidungsprozesse mit breiter gesellschaftlicher Basis bauen, die dann aber tatsächlich zu einer evolutionären Umsetzung gelangen. Fallweise ist dies gelungen, denken wir an die international vergleichsweise konsequente und überlegten Reaktionen auf die Entdeckung des Ozonloches in den 1980er Jahren. Vielleicht nehmen wir uns daran ein Beispiel und versuchen zuerst eine Gemeinsamkeit, eine Gesprächsbasis und dann eine Entscheidung zu finden.