Freitag, 10. August 2012

Neues im Alten – eine Spurensuche

Ich sitze auf einer Bank im Emanuel College in Cambridge. Ich bin auf Spurensuche. Vor knapp hundert Jahren hat J D Bernal hier studiert. Er ist vermutlich zu einem Zeitpunkt auf derselben Bank gesessen und hat die Ururgroßeltern der Enten betrachtet, die jetzt im Teich vor mir schwimmen.

Generationen von Studenten, Wissenschaftern, Fellows ziehen durch diese Mauern ohne wesentliche physische Spuren zu hinterlassen. Sie sollen, umgeben von Unveränderlichem, dennoch die Welt verändern. Was immer von ihnen hier geschaffen wird, steht im Bezug zum Dauerhaften. Jeder Wissenschafter und Gast weiß, dass dieses College nach ihm (fast) genauso aussehen wird wie vor seiner Zeit. Gast für kurze Zeit (und sei diese kurze Zeit ein Forscherleben). Gast in einer Institution, die ihre Bestimmung in Jahrhunderten, nicht in Jahrzehnten misst. Für Bernal war Beständigkeit noch das bestimmende Bild seiner Zeit. Heute ist es etwas außergewöhnliches.

Was immer wir in jetzt schaffen ist veraltet, irrelevant bevor wir es aussprechen. Software, Unterhaltungselektronik, Filme, sogar Schmuck und Architektur sind Wegwerfprodukte. Welcher Architekt gibt sich noch der Illusion hin, etwas zu entwerfen, das länger als eine Generation Bestand haben wird?

Fortschritt. Sicher. In einer Zeit der Beschleunigung des Wissens, gibt es nur mehr Technologie von gestern. Tatsächlich? Oder ist das nicht auch eine selbstverfüllende Prophezeiung? Wir als Gestalter beobachten und als Beobachter sehen wir mit rasender Geschwindigkeit vergängliches. Wir sind von unwertigen Produkten umgeben. Wir haben den Blick für das Dauerhafte nicht nur verloren; wir lernen: Das Prinzip der Moderne ist Vergänglichkeit. Das Ablaufdatum ist Design-Prinzip. Durchsatz ist das Maß der Dinge moderner Wirtschaft. Wir haben das Interesse am Gekauften verloren, sobald wir das Geschäft verlassen.

Ich sitze im Emanuel College und frage mich, was diese Einstellung mit mir macht. Welchen Bezug habe ich zum eigenen Leben, zu den eigenen Ideen, aber auch zu Dingen die mich umgeben, wenn alles ein Durchlaufposten ist. Liebe ich meine Ideen noch mit derselben Leidenschaft wie Bernal vor 100 Jahren? Bin ich bereit mich zu vertiefen wenn Geschwindigkeit zählt, nichts um mich herum Bestand hat? Haben ich einen emotionalen Bezug zu einer Uhr, zu einem Anzug, zu einem Möbelstück, im Wissen, dass diese Dinge Fliessbandware sind; Güter, deren Bestimmung die Mülldeponie ist, und die nur kurze Zeit davor mit uns sind? Wenn es niemanden mehr gibt, der stolz ist etwas von dauerhaftem Wert zu produzieren? Es sind nur Konsumgüter. Aber sie umgeben uns. Wir leben in ihrer Mitte und werden ebenfalls zu Produkten dieses Denkens. 

Was macht das mit mir, nur noch von immer neuem Ramsch umgeben zu sein? Ist das wirklich ein unveränderliches Prinzip der sogenannten Moderne, oder vielmehr das Fundament der Krise in der wir stecken?

Ist das der Grund, warum ich mich anders fühle, wenn ich in diesem College-Garten sitze?

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)