Es gibt kaum ein Thema, dass die Möglichkeiten und Grenzen von Wissenschaft und Technik so deutlich macht wie die sogenannte grüne Revolution, die auf Norman Borlaug zurückgeht. Sie zeigt das komplexe Wechselspiel zwischen Wissenschaft, Technologie, wirtschaftlicher Entwicklung, Demografie, dem Kampf um Ressourcen und letztlich der Frage, wie es gelingen kann auch langfristig innerhalb der natürlichen Grenzen des Planeten zu leben. Machen wir einen Blick zurück in die Jahre nach dem zweiten Weltkrieg.
Im Jahr 1920 leben rund 1.9 Milliarden Menschen auf der Erde. 1960 bereits über 3 Milliarden. In nur 40 Jahren wächst die Bevölkerung um mehr als eine Milliarde Menschen. Das Wachstum ist aber nicht gleich verteilt: in Pakistan leben 1941 etwa 28 Millionen Menschen. In nur 10 Jahren wächst die Bevölkerung um 10 Millionen Menschen, in weiteren 10 Jahren also bis 1961 nochmals um 10 Millionen auf dann 51 Millionen. Im Jahr 1971 leben schon 70 Millionen Menschen in Pakistan. In dreißig Jahren hat sich die Bevölkerung des Landes mehr als verdoppelt. Eine Entwicklung, die viele Länder der Region teilen. [Daten von Gapminder]
Thomas Robert Malthus (Bild: Wikimedia Commons) |
Die landwirtschaftliche Produktion der Zeit kann aber mit dem starken Bevölkerungswachstum nach dem zweiten Weltkrieg nicht mithalten. In den 1960er Jahren sehen sich also viele Entwicklungsländer einer Hungerkatastrophe gegenüber. Schon im 19. Jahrhundert warnt der britische Ökonom Thomas Robert Malthus, dass die Ernährung der Menschheit nicht mit dem Wachstum Schritt halten könnte. Malthus entwickelt daraus radikale politische Ideen, die vielleicht aus der Zeit heraus verständlich sind, die aber kaum in die heutige Zeit passen. Aber auch im 20. Jahrhundert mangelt es nicht an warnenden Stimmen. Zu den bekanntesten gehört Paul Ehrlich. In seinem einflussreichen Buch "The Population Bomb" schreibt er im Jahr 1968:
"Es ist unmöglich, dass Indien 1980 zweihundert Millionen Menschen mehr ernährt."
Beide hatten unrecht weil sie die Folgen neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und daraus folgender Technologien nicht richtig eingeschätzten. Weder die düsteren Prophezeiungen von Malthus noch die von Paul Ehrlich sind eingetroffen. In den 1960er Jahren ist dies unter anderem dem Amerikaner Noman Borlaug zu verdanken. Er gilt als einer der Begründer der sogenannten "grünen Revolution". Tatsächlich gelingt es mit Unterstützung der Rockefeller Foundation in den 1960er Jahren die Landwirtschaftliche Produktion so zu intensivieren, dass in Mexiko die Weizenproduktion verdreifacht wird. Auch Indien und Pakistan profitieren von den neuen Anbaumethoden und erhöhen die landwirtschaftlichen Erträg um etwa 60%. [Britannica] Mexiko und Indien können in Folge der grünen Revolution den Eigenbedarf der Bevölkerung an landwirtschaftlichen Produkten aus eigenem Anbau abdecken. Norman Borlaug erhält für seine Leistungen den Friedens-Nobelpreis 1970.
Norman Borlaug (Bild: Wikimedia Commons) |
Borlaug gilt für viele als Wissenschafter, der Millionen Menschen durch neue Technologien das Leben rettet. Ohne die enormen Produktionssteigerungen in der Landwirtschaft seit den 1960er Jahren wäre es mit Sicherheit zu massiven globalen Hungerkatastrophen gekommen. Aber schon Borlaug selbst erkennt die Grenzen seiner Techniken frühzeitig. "Im Kampf gegen den Hunger wird kein Fortschritt von Dauer sein", so Borlaug in seiner Rede zum Nobelpreis, "bis die Organisationen zur Förderung der Nahrungsproduktion und diejenigen zur Vermeidung von Überbevölkerung an einem Strang ziehen." Ihm war schon 1970 klar, dass die grüne Revolution nur ein kurzes Durchatmen ermöglicht. Die Befürchtungen von Malthus und Ehrlich sind (noch) nicht eingetreten. Die Tatsache, dass die Probleme der 1960er Jahre durch Intensivierung lösbar waren bedeutet aber keinesfalls, dass wir in der Lage sind auch in der Zukunft wesentlich mehr Menschen ohne dramatische Folgen für die Umwelt zu ernähren. Ein Sieg auf Dauer wird daher nur möglich sein, wenn es uns gelingt, das enorme Wachstum der Weltbevölkerung in den Griff zu bekommen.
"If the world population continues to increase at the same rate, we will destroy the species", Norman Borlaug
Die Techniken der grüne Revolution werden besonders seit dem Aufkommen der Umweltbewegung auch kritisiert. Auf der einen Seite führt eine Intensivierung der Landwirtschaft dazu, dass weniger Fläche für gleiche Erträge benötigt wird. Das bedeutet ganz konkret, dass Landflächen von den massiven Eingriffen der Landwirtschaft verschont bleiben können und weniger Wälder gerodet werden müssen. Andererseits hat die Intensivierung der Landwirtschaft erhebliche Nebenwirkungen. Großflächigen Monokulturen die speziell für höchste Erträge gezüchtet werden führen häufig zu einer Reduktion der genetischen Vielfalt. Dies kann die Kulturen anfälliger für Krankheiten, Trockenheit und Änderungen in den Umweltbedingungen machen. Auch andere Umweltschäden der Intensiv-Landwirtschaft sind nicht zu vernachlässigen. Der Ökonom Jeffrey Sachs schreibt in einem Kommentar für Spektrum der Wissenschaft:
"In gleichem Maße steigen daher auch agrarbedingte Umweltschäden. Rund ein Drittel der menschgemachten Treibhausgase entsteht bei Herstellung, Verarbeitung und Transport von Lebensmitteln: Kohlendioxid beim Brandroden von Wäldern für neue Anbauflächen, Methan aus gärendem Schlamm in Reisfeldern und den Mägen von Zuchtvieh, Stickoxide aus Kunstdünger. Mit jedem natürlichen Landstrich, der Feldern weichen muss, sinkt die Artenvielfalt an Land, während die Überdüngung von Feldern Ähnliches in Flüssen und Meeren anrichtet. Nicht zuletzt gehen rund 70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs auf das Konto des Nahrungsmittelanbaus, was bereits heute in vielen Regionen dazu geführt hat, dass die Spiegel von Grundwasser, Seen und Flüssen bedenklich gesunken sind."