Dienstag, 22. Februar 2011

Mit zweierlei Maß – Guttenberg und das Urheberrecht

Die Dissertation des deutschen Ministers Guttenberg schlägt in den letzten Tagen einige Wellen, steht sie doch im Verdacht zu erheblichen Teilen von anderen, nicht zitierten Quellen abgeschrieben worden zu sein. Mittlerweile hat er selbst Fehler eingestanden und seinen Doktortitel zurückgezogen. Interessanterweise werden bisher nur zwei Aspekte diese Affäre in den Medien diskutiert: Einerseits die Frage wie es sein kann, dass eine solche Arbeit die wissenschaftliche Begutachtung durchläuft und Guttenberg mit summa cum laude abgeschlossen wird. Hier drängt sich wieder einmal die Frage nach der Qualität vieler wissenschaftlicher Arbeiten (besonders in den Geisteswissenschaften) auf. Andererseits wird diskutiert, was als Plagiat zu bewerten ist und wie viel Eigenleistung Herr Guttenberg in diese Arbeit eingebracht. Es steht auch noch die Frage im Raum, ob nicht überhaupt ein Ghostwriter die Arbeit verfasst hat. Das Überthema dieser Debatte ist, wie es sich mit vielen anderen Diplomarbeiten und Dissertationen verhält. Die politische Dimension beschränkt sich aber hauptsächlich auf die Frage ob Minister Guttenberg eine wissenschaftliche Eigenleistung erbracht hat oder ob er (auch in den letzten Tagen) die Unwahrheit gesagt hat.

Die für einen Politiker der CSU aber mindestens ebenso bedeutende Frage, nämlich die vermutlich systematischen Verletzung des Urheberrechtes wird überraschenderweise überhaupt nicht diskutiert. Dabei schreibt beispielsweise Die Zeit, dass Guttenberg auch einen ihrer Artikel kopiert hätte. Aber auch in diesem Artikel der Zeit findet das Urheberrecht mit keinem Wort Erwähnung. So interessant und auch wichtig die Diskussionen um die Qualität wissenschaftlicher Arbeiten auch ist, halte ich das in diesem politischen Kontext nicht für die entscheidende Frage. Dies ist besonders unter dem Hintergrund der netzpolitischen Aktivitäten die wir in Europe in den letzten Jahren beobachten zu sehen. Minister Guttenberg ist kein Vertreter der Piratenpartei oder der Grünen sondern Spitzenpolitiker der CSU. Und gerade die CDU/CSU vertritt in den letzten Jahren eine sehr, man könnte sagen, unnachgiebige Haltung etwa gegenüber Raubkopien im Internet.

Aus diesem Blickwinkel heraus überrascht mich dann doch die konziliante Haltung gegenüber dieser Dissertation. Es könnte der Eindruck entstehen, dass es politisch gewünscht ist Sechzehnjährige mit Netzsperren und Prozessen zu bedrohen, wenn sie ein paar Filme und MP3s zur Unterhaltung aus dem Internet laden. Für einen deutschen Minister (noch dazu der CSU) wäre eine vergleichbare Handlung aber gerade einmal ein Kavaliersdelikt. Stimmen der CDU/CSU, "zu Guttenberg ist auch ohne Doktortitel ein guter Minister" mögen oder mögen nicht zutreffen – hier kann sich jeder Bürger seine eigene Meinung bilden – gehen jedenfalls am Thema vorbei. Eine Doktorarbeit ist eine Veröffentlichung. Die Arbeit von Minister Guttenberg ist zusätzlich auch als Buch aufgelegt. (Übrigens für stolze 88€.) Es handelt sich daher nicht nur um eine akademische Veröffentlichung, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einer wissenschaftlichen Bibliothek verstaubt, sondern um eine kommerzielle Publikation. Sollte es zutreffen, dass Herr Guttenberg erhebliche Teile seiner Arbeit von anderen Quellen abgeschrieben hat, so handelt es sich nach meinem Verständnis der Rechtslage auch um eine eindeutige und mehrfache Urheberrechtsverletzung. Überraschenderweise hat nach meinem Wissensstand bisher noch keiner der Urheberrechtsinhaber geklagt. Auch finde ich es überraschend, dass die (deutsche) Netzpolitik-Community diesen Aspekt noch nicht mit aufgegriffen hat.

Daher ist die Frage an die CDU/CSU aus meiner Sicht eine völlig andere: Ist jemand, der nach bisherigen Erkenntnissen das Urheberrecht derartig geringschätzt als Minister für die CDU/CSU tragbar? Oder ist es dann doch ein Unterschied ob letztlich "nur" die Rechte andere Akademiker und einzelner Zeitschriften verletzt wurden, oder die Rechte Musik- und Film-Industrie. Ist dies eine Aufforderung mit zweierlei Maß zu messen? Eines gilt für hauptsächlich jugendliche "Verbrecher" die Filme und MP3s laden, ein anderes für Minister aus den eigenen Reihen, denen "ein Lapsus passiert" und die Texte anderer Autoren "irrtümlich" als eigene Arbeit ausgeben.

Mir scheint diese  Argumentationslinie Wert hinterfragt zu werden.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)