Montag, 30. März 2009

Elektroautos und zukünftige Mobilität

Rudolf Skarics schreibt in einem recht interessanten Artikel im Standard unter anderem:
"Viele sehen Elektroautos wegen der geringen Reichweite als typisches Stadtfahrzeug. Das ist aber genau der verkehrte Ansatz. Da braucht man nämlich überhaupt kein Auto."
Ich denke, dass hier ein wichtiger Aspekt angesprochen wird. Ich habe auch in den letzten Monaten und Jahren den Eindruck, dass bei Fragen der Mobilität wie so oft versucht grundsätzliche Probleme mit oberflächlichen "Quick-Fixes" zu "lösen". Mobilität ist ein sehr schwieriges Problem, wo es viele Rückkopplungsschleifen gibt: Beispielsweise führt höhere (sehr kostengünstige) individuelle Mobilität zu starken Effekten in der Entwicklung in Städten, aber auch im ländlichen Raum: Nahversorgung geht zugunsten von Einkaufszentren zurück, Industrie und Büros siedeln sich entfernt von Wohngegenden an, weil die Menschen bereit sind, und die Möglichkeit haben weiter zu pendeln usw. Diese Tatsache führt wieder dazu, dass wir alle plötzlich Autos brauchen, wo früher ein kurzer Fussweg gereicht hat.

Die Diskussion um Elektroautaus birgt also, da stimme ich dem Autor zu, einiges an negativem Potential: Es besteht die Gefahr, dass wir nicht versuchen Mobilität neu und ökologischer zu entwerfen, sondern Elektroautos mit "Öko-Mascherl" vermarkten. Diese werden dann aber unter den momentanen Rahmenbedingungen de facto als zweit- oder dritt-Fahrzeug gekauft und verwendet werden. Ein Rebound Effekt sondersgleichen. Dies würde natürlich die möglichen ökologischen Vorteilen die Elektroautos haben könnten zunichte machen. Wir würde noch mehr mit dem Auto fahren, in der Stadt mit dem Elektromobil, Überland mit dem noch größeren Benziner/Diesel. Das kann meiner Ansicht nach nicht die Vision einer zukünftigen Mobilität sein.

Ich bin der Ansicht, dass wir Mobilität sehr grundsätzlich diskutieren sollten; der Startpunkt sollte wohl bei Stadt- und Regionalplanung liegen. Die negativen Beispiele in den USA zeigen uns, wo der Weg hingeht, wenn man der totalen Individualisierung des Verkehrs nicht rechtzeitig entgegensteuert. Elektroautos können eine Rolle in zukünftigen Mobilitäts-szenarien darstellen, viel wichtere Fragen sollten aber vorweg geklärt werden.

Freitag, 13. März 2009

Winnenden der "Black Swan"

In Winnenden in Deutschland wurden bei einem Amoklauf eines 17-Jährigen 16 Personen vorwiegend Schülerinnen und Schüler der Realschule getötet. Natürlich ist dieses Ereignis jetzt in allen Medien vertreten und eine hektische Berichterstattung löst die nächste ab. So tragisch dieses Ereignis ist, ich fürchte es ist geradezu ein Symbol für die Unvorhersagbarkeit und gleichzeitige Verletzbarkeit der heutigen Gesellschaft.

Zunächst kann man feststellen, dass es sich bei diesem Amoklauf um ein Ereignis handelt, dass (jedenfalls in Europa) äußerst selten vorkommt. Wir haben hunderdtausende Kindern und Jugendlichen die jeden Tag in die Schule gehen, die 5 Tage die Woche Unterricht haben und wo, wie gesagt, nahezu niemals etwas vergleichbares passiert. Dieses Ereignis ist, wie Nassim Taleb sagen würde, ein "black swan". Wie er richtig analysiert: wir sind sehr schlecht im Vorhersagen von (extremen) Ereignissen die nicht häufig vorkommen, und die man nicht leicht durch einfache (lineare) Modelle beschreiben kann. Taleb bezieht sich zwar in erster Linie auf die wirschaftliche Entwicklung, aber das Prinzip ist hier wohl dasselbe. Die möglicherweise bitterste Erkenntnis die man aus diesem Amoklauf ziehen muss ist, also die, dass man derartige Katastrophen einfach nicht vorhersagen und schon gar nicht verhindern kann.

In den verschiedenen Interviews nach der Tat mit Personen die den Täter gekannt hatten, wurde einhellig festgestellt, dass es keine Anzeichen gab die auf eine solche Tat hätten schliessen lassen. Ein unauffälliger junger Mann; vielleicht etwas eigen und zurückgezogen, depressiv und auch nicht besonders erfolgreich. Aber auf wieviele andere Jugendliche in Deutschland trifft eine derartige Beschreibung zu? Er hat sich auch durch keine früheren Gewalttätigkeiten "ausgezeichnet" oder gar die Tat angekündigt (entgegen einer Falschmeldung).

Obwohl nach solchen Ereignissen ja gerne alle das Gras wachsen hören und aus kleinsten Begebenheiten versucht wird der Weg zur Tat wie eine Kausalkette darzustellen, so ist dies auch in Fall von Winnenden kaum möglich. Im ZDF wurde z.B. der ehemalige Tischtennislehrer des Täters interviewt. Der Reporter hat den Lehrer nahezu zu einer Aussage gedrängt "ob es denn nicht irgendetwas in der Vergangenheit gegeben hat, was als Hinweis auf diese Tat gesehen werden könnte". Und trotz dieser suggestiven Fragen konnte der ehemalige Lehrer sich an keinerlei nennenswerte Vorkomnisse erinnern. Andere Zeugen haben sich offenbar in ähnlicher Weise geäußert.

Wir müssen vermutlich lernen, dass in der heutigen sehr komplexen Welt solche Ereignisse nicht vorhersagbar sind und fallweise von Tätern begangen werden die wirklich selbst bei gründlichster Betrachtung vorher keine nennenswerten Auffälligkeiten zeigen und andere, die Auffälligkeiten zeigen solche Taten nicht begehen. Der Versuch noch gründlichere Vorhersagemodelle, psychologische Studien und dergleichen zu entwickeln wird nicht fruchten. Jugendliche die sich vor der Tat genauso verhalten haben wie dieser Täter, auch solche die unter Depressionen leiden, wird man in Deutschland hunderte, wenn nicht tausende finden. Selbst eine Totalbespitzelung aller Jugendlicher (auch wenn solche Konzepte manchen Politikern ins Konzept passen) würde an der Tatsache der Unvorhersagbarkeit nichts ändern.

Allgemeiner gesagt: wir werden von dem Gedanken Abschied nehmen müssen Ereignisse bestimmter Kategorien vorhersagen oder verhindern zu können. Taleb schlägt in seinem Buch (bezogen auf die Wirtschaft) daher einen anderen Weg vor; kurz gesagt: wenn wir gewisse Dinge schon nicht verhindern können, so sollten wir unsere Systeme wenigstens so gestalten, dass im Falle des Ereignisses der Schaden möglichst gering bleibt. Dies betrifft wirtschaftliche Systeme, die so angelegt sein sollten, dass Zusammenbrüche einzelner Systeme sich nicht leicht auf das Gesamtsystem fortpflanzen können. Dies betrifft aber auch Technologien wie bspw. bestimmte Arten von Atomkraftwerken oder Aspekte der Biotechnologie. Zugegeben: die Wahrscheinlichkeit eines Unfalles mag sehr gering sein, das Problem ist aber, dass im Falle der Katastrophe der Schaden äußerst groß sein kann.

Im Fall von Winenden wurden bestimmte Massnahmen vorher ja tatsächlich relativ erfolgreich getroffen; beispielsweise war die Polizei sehr schnell vor Ort und ist ebefalls sehr schnell eingeschritten. Auch die Schule verfügte offenbar über Pläne wie in solchen Situationen vorzugehen ist. Dies hat die Zahl der Todesopfer vermutlich deutlich reduziert. Dennoch sind 16 Todesopfer nach dieser Tat zu beklagen, ganz zu schweigen von den psychologischen Problemen die viele der Schüler und Angehörige noch lange Zeit plagen werden. Solange Jugendliche selbst in Deutschland aber vergleichsweise einfach an Schusswaffen und Munition herankommen werden sich solche Tagen (auch wenn alle anderen Potentiale ausgeschöpft werden) einfach nicht verhindern lassen.

Hier ist es letztlich eine gesellschaftliche Entscheidung, ob man mit diesem Risiko leben oder ob man beispielsweise den Weg Großbrittaniens gehen möchte: dort wurden privater Waffenbesitz vor einigen Jahren kategorisch verboten. Auch dies ist vermutlich ein harter Weg, aber es ist immerhin eine rationale Möglichkeit. Vielleicht ist dies die einzige Variante die in diesem Fall wirksam gewesen wäre, denn es ist fraglich, ob es dem Jugendlichen gelungen wäre an illegale Schusswaffen heranzukommen und mit Waffen anderer Art hätte er kaum solchen Schaden anrichten können.

Wie immer man sich entscheidet, ich fürchte, dass die nächsten Tagen und Wochen hauptsächlich von irrationalen Diskussionen und auch der Wahnvorstellung geprägt sein werden, man könnte mit geeigneter Schulung von Lehrern, Psychologen, stärkerer Überwachung etc. solche Taten im Vorfeld vorhersehen und damit verhindern. Diesen Irrglauben pflegen auch die Wirtschaftswissenschafter seit Jahrzehnten und werden regelmässig eines besseren belehrt. D.h. sie würden relgemässig eines besseren belehrt werden, weigern sich aber die Lehren aus den verschiedenen Wirtschaftskrisen der letzten Jahrzehnte zu ziehen.

Wir sollten endlich bescheidener werden und verstehen, dass unsere Fähigkeiten der korrekten Vorhersage stark limitiert sind, ganz besonders wenn es sich um Extremereignisse handelt und versuchen unsere Systeme im vorhinein (!) so auszurichten, dass im Katastrophenfall mögliche Schäden minimiert werden.

Ergänzung: In der Zeit vom 19.3.2009 ist ein Interview mit dem Kulturwissenschafter Joseph Vogl, in dem meines Erachtens nach ähnliche Thesen wie ich sie hier formuliert habe vertreten werden.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)