Mittwoch, 21. März 2007

Wissen ist Macht? Bildung oder Ausbildung?

"Gegenwärtig orientiert sich Bildung nicht mehr an den Möglichkeiten und Grenzen des Individuums, auch nicht an den invarianten Wissensbeständen einer kulturellen Tradition, schon gar nicht am Modell der Antike, sondern an externen Faktoren wie Markt, Arbeitsplatz, Standortqualität und technologische Entwicklung, die nun jene Standards vorgeben, die der 'Gebildete' erreichen soll. Unter dieser Perspektive erscheint die 'Allgemeinbildung' genauso als Luxus wie die 'Persönlichkeitsbildung'. In einer sich rasch wandelnden Welt, in der sich Qualifikationen, Kompetenzen und Wissensinhalte ständig ändern, scheint 'Bildungslosigkeit', also der Verzicht auf verbindliche geistige Traditionen und klassische Bildungsgüter zu einer Tugend geworden zu sein, die es dem Einzelnen ermöglicht, rasch, flexibel und unbelastet von 'Bildungsballast' auf die sich stets ändernden Anforderungen der Märkte zu reagieren"
Konrad Paul Liessmann
In den letzten Jahren gibt es in Europa, besonders aber auch in Deutschland und Österreich heftige Diskussionen zum Thema Bildung und Ausbildung.

Diese ist leider orientiert an mehr Rankings wie "Pisa" sowie der Frage wieviele Computer ins Klassenzimmer gehören (so wenig wie möglich, nebenbei gesagt!). Es wird wenig über Inhalte und Konzepte und "Philosophien" diskutiert, den Grundgedanken und Zielen einer Bildungspolitik, sondern hauptsächlich darüber, dass wir international vergleichbar sein sollen (nach welchen Kriterien eigentlich?) und nach irgendeinem mehr oder weniger sinnvollen Schema besser zu sein haben als Deutschland.

Wir bilden Schüler und Studenten immer stärker operativ aus, d.h. orientiert an scheinbaren Bedürfnissen von Industrie und Gesellschaft, bilden sie dabei nicht in einem allgemeingültigen Verständnis von Bildung. Die Schulen und Universitäten laufen dem Zeitgeist nach, laufen den scheinbar identifizierten Notwendigkeiten am Arbeitsmarkt nach. Wir machen sie zu Usern und nicht zu Denkern. Dies kann Mittel- und Langfristige Konsequenzen haben. Ausbildung, v.a. technologie-, Firmenorientierte muss im modernen Kontext scheitern; wir bilden Menschen aus, die für eine ganz kurze Zeitspanne in der Lage sind irgendeine Sache zu tun, aber nicht gebildet sind um sich selbst weiterzuhelfen um für neue Herausforderungen gewappnet zu sein.

Denn nicht das Bedienen von Google ist aber schwierig, sondern der Umgang mit den Ergebnissen. Wir aber bilden Schüler und Studenten im Umgang mit dem Hammer aus, und nicht damit, an welcher Stelle man aus welchem Grund am besten einen Nagel in die Wand schlägt, und ob es überhaupt ein Nagel sein muss um etwas an der Wand zu befestigen: Abstraktion, kritisches Denken, Allgemeinbildung (was immer das im Detail sein mag) wären erforderlich um flexibel eine Vielzahl an Situationen meistern zu können. Und dies ist keinesfalls eine Frage die (in erster Linie) am Computer zu lernen ist.

Ich weiß nicht, ob das "griechisch/humanistische" Bildungsideal Humboldts der heutigen Zeit angemessen ist, aber der Gedanke, dass nicht direkte Verwertbarkeit sondern eine Ästhetik; Bildung als Wert an sich im Vordergrund steht hat schon einen Reiz. Wobei man sich natürlich dabei nicht um die Definition drücken darf, was jetzt konkret Inhalt der Bildung werden soll. Immerhin definiert man als Gesellschaft die Bildungsinstitutionen durch die die Mitglieder derselben erzogen und eben gebildet werden. Natürlich formen wir diese so, dass die "Absolventen" unseren "Idealen" entsprechen. Da wir dies ohnedies tun, so sollten wir sie wenigstens transparent und klar ausdrücken.

Wie sieht es nun aber mit der immer stärker gewünschten "Normung" und Vergleichbarkeit aus, die international erfolgt; Stichwort: vergleichbare Abschlüsse, das amerikanische Bachelor, Master, PhD System usw. Natürlich sind damit in einer globalisierten Welt positive Effekte verknüpft. Ich muss eben nicht lange diskutieren, ob mein akademischer Titel in Holland oder Italien anerkannt wird, aber gleichzeitig besteht natürlich die Gefahr, dass eine Normierung immer auch eine Normierung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner bedeutet, sowie naturgemäss der Individualisierung entgegenwirkt. Ein Beispiel: Warum sollte ich als Lehrender meine eigenen Lehrinhalte mühsam erstellen und meine eigene Vorlesung mühsam vorbereiten, wenn es doch ohnedies schon "tolle" Unterlagen vom MIT, Stanford oder von sonstwo gibt, die ich eigentlich verwenden und nur mehr prüfen muss. Vielleicht gibt es sogar schon die passende "Lehrer-Edition", damit muss ich dann nicht mal mehr die Prüfungen selbst erstellen.

Ausserdem hat das den (erwünschten?) wunderbaren Nebeneffekt, dass wir es uns ersparen die "Ideale" zu definieren, und diese vielleicht auch noch gegen Kritiker verteidigen müssen. Wenn es doch das MIT so macht, wenn es doch der IEEE "Kanon" so beschreibt usw, dann ist das doch ein praktisch heiliges Dogma, dass man ja ruhig so lehren kann. Wenn ich das mache, was "alle" machen, so ist mein Risiko etwas falsch zu machen oder kritisiert zu werden auch minimal.

Soweit sind wir zugegebenermassen noch nicht ganz, aber der Zug scheint in diese Richtung zu fahren. Wenn wir Menschen ausbilden statt sie individuell zu bilden, so ist dies der logische nächste Schritt. Wenn Microsoft, Sun, SAP, und IBM etc. schon so viel Geld in Ausbildungsmaterialien investiert haben so lasst uns doch auch den letzten Schritt gehen und die Microsoft/IBM/Sun/SAP-Universität gründen (man nennt dies ja politisch korrekt Kooperation oder Sponsoring, denn die Firmen sind ja gleichberechtigt und zahlen nur kräftig ohne Einfluss auf Lehre und Forschung auszüben, siehe auch die Aktion an der ETH Zürich). Dann bräuchten wir uns als Assistenten und Professoren endlich nicht mehr um Inhalte zu kümmern und könnten den Studenten statt Bakkalaureat und Master doch die viel wertvolleren Microsoft und SAP Zertifikate ausstellen. Das macht doch etwas her am Arbeitsmarkt!

Gut, vielleicht könnte man dann nachsinnen, ob der Microsoft certified xy developer oder sonstiges auch in 5 oder 10 Jahren Wert haben? Sind die Aus- statt -gebildeten dann auch in der Lage selbst weiterzudenken und sich selbst weiterzuentwickeln, sind sie in der Lage sich neuen Trends und neuen Problemen aktiv und kritisch zu stellen, sind sie in der Lage das zu Hinerfragen, was ihnen gesellschaftlich, politisch und ökonomisch vorgesetzt wird? Möglicherweise ist Kritikfähigkeit ohnedies nicht notwendig und schon gar nicht gewünscht, denn im Zeitalter der globalisierten Konzerne ist Mitdenken durch Exekution von Standards aus der Zentrale ersetzt worden. Insofern würde das schon passen.

Schade aber, dass die Inder, Chinesen, Koreaner auch nicht auf den Kopf gefallen sind, und sich ebenfalls gerne ausbilden lassen, schade auch, dass sie bereit sind für einen Bruchteil des Gehaltes zu arbeiten. Und schade auch, dass unsere Ausgebildeten sich dann toll mit SAP xy auskennen, nur interessiert das dann hier möglicherweise niemanden mehr, weil 100x so viele Inder... sich ebenfalls mit SAP xy auskennen.

Dann sind wir dort angelangt wo wir eifrig hinsteuern: nicht gescheit genug, das Boot selbst zu bauen oder zu steuern und nicht billig genug um rudern zu dürfen und natürlich pleite; mitfahren als zahlender Passagier also auch ausgeschlossen.

Wir stehen global vor einer Reihe großer Probleme und ich zweifle, dass gut Ausgebildete Durchschnittskonsumenten die Personen sind, die in der Lage sind mit den kommenden Problemen und Umwälzungen umgehen zu können. Ausbildung sollte einen breiteren Ansatz bieten, der uns in die Lage versetzt Dingen auf den Grund zu gehen, gleichzeitig aber auch Dinge abstrakt zu denken und über den Tellerrand hinauszusehen. SAP und Google können wir immer noch lernen. Vielleicht dann besser als heute, weil wir mehr verstehen, als wie man auf welchen Knopf in welcher Reihenfolge zu drücken hat.

Sehr empfehlenswert in diesem Kontext ist übrigens Konrad Paul Liessmanns jüngstes Buch Theorie der Unbildung sowie die in verschiedenen Interviews und Vorträgen thematisieren Kritiken (z.B.: Vortrag 2004 Innsbruch, Beitrag im Deutschlandradio). Ich denke über dieses Problemfeld seit einiger zeit nach aber mich hat die Lektüre doch betroffen gemacht, weil hier in vielen Details die Probleme der heutigen globalen Unbildung aufgezeigt werden.

Montag, 5. März 2007

"Libet" und kein Ende des "Ichs"

Es wird viel publiziert und diskutiert im Umfeld von "Hirnforschung und Willensfreiheit": dennoch finde ich zwei Grundfragen fast nie gründlich behandelt. Ich denke hier z.B. an den Suhrkamp Sammelband zum Thema; der einzige Beitrag der mir hier nennenswert in Erinnerung geblieben ist ist von der einzigen Frau, von Bettina Walde, und leider auch der kürzeste.
  • Was ist Freiheit? wie wird dieser Begriff definiert, hier gibt es eine große Bandbreite an Möglichkeiten!
  • Was ist ich
Bsp: Daniel Dennett: "Freedom Evolves": hier wird scheinbar das "ich" mit dem "bewussten ich" gleichgesetzt, auch in der ganzen "Libet" Diskussion scheint es wohl so zu sein:

Warum bin ich (sprich bewusstes ich?) unfrei, wenn ich (unbewusstes ich, mein Gehirn) eine Entscheidung n -Millisekunden vorbereite (Bereitschaftspotential) bevor ich (bewusstes ich) mir (bewusstes ich) darüber im klaren bin. (Sofern dieses Experiment überhaupt aussagekräftig ist, aber das nur am Rande).

Warum sagen wir implizit durch die oft zitierten und bekannten Analysen dieses Experiments, dass das ich eigentlich nur der bewusste Teil unserer Persönlichkeit ist. Es ist doch wohl nicht zu gewagt, anzunehmen, dass der unbewusste Teil unserer Persönlichkeit durch den bewussten (über längere Zeiträume hinweg) beeinflusst wird. Sprich, wenn wir Erfahrungen sammeln, lernen, nachdenken etc. so beeinflusst dies wohl den bewussten wie auch den unbewussten Teil, ebenso andere mehr körperorientierte Erfahrungen (siehe auch Damasio et.al., z.B. "Descartes Irrtum").

Nun, wenn dieses (aus diesen Erfahrungen der Person geschaffene oder veränderte) unbewusste ich eine Entscheidung vorbereitet oder trifft, wieso kann ich mir dann erlauben zu sagen, diese wäre unfrei? Sie ist Teil meiner Persönlichkeit, und zumindest indirekt frei: ich kann aus dieser Aktivität lernen, kann meine Persönlichkeit ändern und entsprechend auf mein unbewusstes ich wieder rückwirken.

Somit sehen wir: es ist keine Frage der Freiheit, sondern eine Frage wie wir Freiheit definieren: ist "frei" nur das, was wir mit unmittelbarer (zeitlich unmittelbarer) Aktivität ändern können, oder auch das, was wir in einem längeren Zeithorizont anpassen können, bzw. dessen Aktivität aus Entscheidungen (Erfahrungen, ...) in der Vergangenheit getrieben ist.

Sofern diese Fragen überhaupt mit einem vernünftig definierten Freiheitsbegriff überhaupt Sinn machen-was folglich noch zu diskutieren wäre!?

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)