Sonntag, 31. Dezember 2006

Strings und parallele Welten

Stringtheorie und ihre Kritiker

Dieser Tage beschäftigen sich einige Medien mit der Stringtheorie und der Frage nach deren Validität. Zu nennen sind bspw. der Jahresrückblick I des Spektrums der Wissenschaft aber auch im Deutschlandradio (die übrigens auch eine sehr gute Webseite mit Podcast haben): Strings in der Krise. Die Diskussion wurde im wesentlichen durch zwei neu erschienene Bücher ausgelöst, oder wenistens stimuliert:
  • Peter Woit, Not even wrong, The Failure of String Theory And the Search for Unity in Physical Law: The Failure of String Theory and the Search for Unity in Physical Law, B&T (2006) amazon
  • Lee Smolin, The Trouble with Physics: The Rise of String Theory, the Fall of a Science, and What Comes Next, Houghton Mifflin Company (2006) amazon
Nun möchte ich mich hier nicht über die Stringtheorie verbreitern, schon gar nicht anhand von physikalischen Argumenten, dafür fehlt mir jede Kompetenz, aber eine Anmerkung aus "wissenschaftstheoretischer" Sicht sei mir erlaubt, vielleicht ist es auch eher der Ausdruck eines unguten Gefühls: Einige der modernen physikalischen, ganz besonders aber auch kosmologische Theorien scheinen in einen problematischen Bereich aus Sicht der Wissenschaftstheorie zu kommen:

"Seriöse" Wissenschaft?!

Die meisten Wissenschafter würden zustimmen, wenn man von "seriöser", ernstzunehmender Wissenschaft fordert, dass sie Theorien bildet, die nachprüfbar und reproduzierbar sind (um nur zwei wesentliche Kriterien zu nennen). Bei manchen der modernen Theorien scheint dies aber an prinzipielle Grenzen zu stossen:
  • Die Stringtheorie nimmt Strings in einer Größe von 10 hoch -33 cm Größe an, wie ist eine solche Annahme jemals prüfbar?
  • Die Stringtheorie benötigt 10 Dimensionen also sechs zusätzliche Dimensionen damit der Formalismus funktioniert...
  • Manche Wissenschaftsbereiche sind bereits so hoch-spezialisiert, dass die scientific community, also die Gruppe der kompetenten Wissenschafter, global an einer Hand abzählbar ist (dies trifft bspw. auch auf manche mathematische Zweige zu)
  • Auch im Bereich der Mathematik: manche Beweise sind so umfangreich (und kompliziert), dass selbst die wenigen Experten Monate oder Jahre brauchen um diese nachvollziehen zu können
  • Verschiedene physikalische und kosmologische Theorien (auch die Stringtheorie) benötigen enorm aufwendige und teure Experimente (z.B. der large hadron collider am Cern)
Nun stellt sich nach meiner Ansicht schon die Frage, wie es mit bspw. mit dem Kriterium der Nachprüfbarkeit aussieht, wenn im wesentlichen an einer Stelle auf der Welt von wenigen Wissenschaftern "entschieden" wird, ob eine bestimmte Theorie stichhaltig ist oder nicht. Oder im Fall der Mathematik: ist es einem oder zwei anderen Mathematikern gelungen einen mehrhunderseitigen Beweis zu lesen und zu verstehen (wirklich?), ist dies ausreichend für wissenschaftliche Zuverlässigkeit? Ich bin mir nicht sicher, weiß aber auch keine wirkliche Alternative zu nennen.

Multiversen

Ein Aspekt, der bspw. in der dradio Berichterstattung aufgenommen wurde, ist die Idee der Multiversen, ein Zitat aus der Sendung:
"Die Idee finde ich gar nicht mal so abwegig. Der Mensch hat sich immer im Zentrum der Welt gesehen: Erst im Zentrum des Sonnensystems. Dann hat er das Sonnensystem im Zentrum des Universums gesehen, und irgendwann hat er festgestellt: Wir sind arme Zigeuner am Rande des Universums. Und jetzt stellen wir vielleicht fest: Wir sind arme Zigeuner in einem Universum von unendlich vielen Universen. Und das würde nicht eigentlich nicht so sehr erschrecken, wenn das der Fall sein sollte."
Nun, mich würde das nicht nur "nicht erschrecken", ich persönlich bin (obwohl ich zugeben muss, dass ich mich hier nicht in diese Theorien im Detail vertieft habe) sehr fasziniert von der Idee der Multiversen. Hier gab es auch Artikel im Spektrum der Wissenschaft: Parallele Universen von Max Tegmark vom MIT, auf seiner Webseite gibt es auch umfangreicheres Material, das mehr ins Detail geht.

Spekulationen?

Mich persönlich spricht diese Idee nun mehr darum an, weil mich die Frage interessiert, warum die Naturgesetze und -konstanten gerade so sind, wie sie sind und nicht etwa anders. Man kann leicht zeigen, dass hier schon minimale Variationen (bspw. bei der Feinstrukturkonstante) enorme Effekte auf unser Leben haben würden. John D. Barrow hat sich damit bspw. in den Büchern The Artful Universe (amazon) und v.a. in The Constants of Nature (amazon) auseinandergesetzt. Auf meiner Webseite habe ich einige Zitate aus diesen Werken.

Für mich stellt sich der Zusammenhang (in aller Kürze formuliert vielleicht widme ich den Multiversen ja mal ein eigenes Posting) so dar: Es ist schwierig zu verstehen, wenn es genau ein Universum geben soll, dass dieses genau die Naturgesetze etc. hat die notwendig sind um so gut zu funktionieren wie es das unsere tut. (Die "Gottesidee" funktioniert auch nicht, darauf gehe ich ein anderes Mal ein). Nun ist aber gerade die Idee der Multiversen hier bestechend: es ist ja auch nicht unbedingt einsichtig, warum es genau ein Universum, nämlich unseres geben soll. Wieso sollte dies eine wahrscheinliche Annahme sein? Wenn man nun also annimmt, dass es eben nicht nur unser Universum, sondern viele (möglicherweise unendlich viele, was wieder zu weiteren interessanten Konsequenzen führt), dann führt dies wiederrum zu der Annahme, dass die Art und Beschaffenheit der Naturgesetze in der Entstehung des Universums begründet sind, und nicht in jedem Universum gleich sind.

Damit wäre nun endlich auch ein einleuchtender Grund gefunden, warum wir in einer (aus Naturgesetz/konstanten-Sicht) so lebenswertem Universum leben: einfach darum, weil unser Universum eines von vielen (unendlich vielen) Universen ist, und es hier zufällig stimmig ist. Wird die Zahl sehr hoch, so werden auch an sich unwahrscheinliche Ereignisse wahrscheinlich, bzw. sicher. Da dies für die Evolution des Menschen stimmt (siehe bspw. Richard Dawkins, The Blind Watchmaker, W W Norton amazon) so spricht wohl auch nichts dagegen, dass dies für unser Universum zutrifft.

Allerding, mea culpa, muss ich zugeben, dass meine einleitende Kritik hier natürlich auch anzuwenden ist. D.h. es stellt sich die Frage, wie derartige Ideen wissenschaftlich "prüfbar" sein können. Und dies ist sicher ein sehr schwieriges Unterfangen. Bevor die Kritiker aber jubeln sei gesagt, dass diese Problematik natürlich in der gleichen Weise auch für alle alternativen Ideen gilt!! Ich glaube aber, dass dies nicht prinzipiell unmöglich ist, jedenfalls, und wenigstens das möchte ich mir für weitere Überlegungen mitnehmen, sollte man eben dieser Prüfbarkeit (der Möglichkeit zu "falsifizieren" im Popperschen Sinne) ein Hauptaugenmerk geben. D.h. es ist zu versuchen in der Formulierung der Idee eine Idee der Prüfbarkeit mitzugeben. Ich werde also versuchen, die Multiversums-Theorien nach dieser Hinsicht weiter zu beleuchten, bzw. weiteres Material nach diesem Gesichtspunkt zu suchen.

Dienstag, 12. Dezember 2006

"News" - Industrie


News, News, News...


Es gibt leider in keinem Bereich des Lebens mehr die Chance dem Trommelfeuer der "latest news" zu entrinnen. Nun ist es nicht so, dass ich etwas gegen aktuelle Berichterstattung hätte. Das Problem ist aber, dass es in Wahrheit nur sehr wenige "wirkliche" Neuigkeiten gibt, d.h. Nachrichten, wo der Grad an Aktualität von besonderer Bedeutung für den Wert der Nachricht wäre. Eine Unwetter-Warnung oder der letzte Aktienkurs verlieren vermutlich tatsächlich drastisch an Bedeutung, wenn sie nicht aktuell gesendet werden (obwohl auch dies genaugenommen diskussionswürdig ist, jedenfalls für den Aktienkurs, aber dies ist eine andere Geschichte): für die meisten Nachrichten ist die Aktualität tatsächlich eine "Schein-Aktualität", und folglich ziemlich irrelevant.

Als Beispiel aus dem nicht-wissenschaftlichen Bereich lässt sich die Berichterstattung rund um den Stromausfall in Deutschland bringen: Natürlich hat dieses Ereignis einen "aktuellen" Aspekt, der Druck der auf den Journalisten lastet "Neues" zu bringen wird aber weitergegeben und führt im Endeffekt zu einer hysterischen Ursachen- und Schuldsuche obwohl es wenigstens Tage dauert um in einem solchen Fall vernünftige Analysen anzustellen. Es zeigt sich dann aber auch, dass die ersten Headlines die interessantesten sind: "Kreuzfahrtschiff löst Stromausfall in halb-Europa aus" oder dergleichen; unerheblich, ob dies mit der Realtität etwas zu tun hat oder eher nicht. An den tatsächlichen Gründen (falls sie in einer Rand-Spalte nach ein paar Tagen oder Wochen gebracht werden) hat dann kaum noch jemand Interesse.

Dies führt naturgemäss zu einer dramatischen Verzerrung der Realität und der Bedeutung von Ereignissen. Entertainment gemischt mit "News"; die Fakten, das Ereignis tritt mehr und mehr in den Hintergrund, die Unterhaltung an Scheinthemen, die eine News-Industrie immer mehr abgekoppelt von realen Ereigniessen erzeugt (produziert in einer ähnlichen Weise wie andere Industrieprodukte in der heutigen Effizienz- und Produktivitäts-orientierten Industrie) werden. Als Beispiel können News Services verschiedener Portalanbieter genannt werden, als ein Beispiel: GMX. Eine dramatische Folge davon ist eine kaum mehr vorhandene Aufmerksamkeitsspanne beim Konsumenten, d.h. alles was über die Tiefe eines 30 sekündigen News-Flash hinausgeht kann und will man nicht mehr folgen.

Und in der Wissenschaft?
Am Beispiel: Scientific American "Latest Science News"


Nun könnte man ja hoffen, dass man sich ja als Wissenschafter wenigstens beruhigt zurücklehnen kann. Denn in unserer Domäne bleiben wir ja von solchen Mechanismen weitgehend verschont. Leider ist dem aber nicht so. Es gibt kaum einen wissenschaftlichen Verlag, der nicht "Wissenschafts News" anbietet. Als ein Beispiel habe ich die "Latest Science News" von Scientific American des 15. Nov. 2006 untersucht:
Der erste Beitrag ist tatsächlich auf eine aktuelle Gesetzesänderung der EU zurückzuführen. Der zweite bezieht sich auf einen Nature Physics Artikel datiert auf 7. November, also 8 Tage alt; die Forschungsarbeit selbst liegt wohl mindestens ein Jahr zurück. Der dritte Beitrag bezieht sich auf eine Studie an 2166 Personen mit einer Laufzeit von vier Jahren. Der vierte Artikel behandelt Forschung im Bereich von Nanotubes: dieser ist bereits seit 2. November also etwa zwei Wochen als Pre-Print verfügbar (die entsprechende Forschung zieht sich über Jahre). Der fünfte Artikel beschreibt einen neuen Test zur Identifikation des H5N1 Virus, und scheint noch am ehesten "News" Gehalt zu haben, während der sechste Artikel wieder eine "multiyear study" also mehrjährige Studie beschreibt, in deren Rahmen 90.000 amerikanische Krankenpfleger involviert wurden. Schließlich bezieht sich auch die letzte Nachricht auf eine Studie, die im Jahr 2005 durchgeführt wurde (3.076 Befragte).

Keine News in der Wissenschaft

Der Punkt ist es jetzt nicht, den Wert der Artikel zu kritisieren, dies ist nicht das Thema an dieser Stelle. Vielmehr sehe ich das Problem, daß dem Leser hier "News", aktuelle Entwicklungen, brandheiße Themen vorgespielt werden, wo es diese praktisch nicht gibt. Dies ist nicht nur aus grundsätzlichen Überlegungen fragwürdig, sondern hat in weiterer Folge (aus meiner Sicht meist) unerfreuliche Konsequenzen:

Was wir erhalten ist ein Misch-Masch an Beiträgen, die dem "News"-Aspekt folgen statt fokussierter Berichterstattung; Soundbites vor Inhalt, immer kürzer, immer schneller; immer mehr Hektik in der Publikation. Und das ganze eigentlich nur, um ein potjemkinsches Dorf am Leben zu halten. Meine einfache These ist:

Von ganz wenig Ausnahmen abgesehen, gibt es keine "News" in der Wissenschafts-Berichterstattung.

Es gibt nur nahezu nur Schein-News in diesem Umfeld, denn meine Analyse der Scientific American Berichterstattung kann man beliebig auf andere "News" Sites anwenden.

Nun kann man aber zurecht fragen, wo denn genau das Problem liegt: zunächst wird durch diese Art der Berichterstattung die Chance vergeben eine konsistente und themenorientierte Publikation zu gestalten: warum fokussiert man sich nicht beispielsweise in einer Woche auf Herz- Kreislauf Gesundheits Probleme und entsprechende Studien und gibt hier verschiedenen Ansichten mehr und tiefer Raum und in der nächsten Woche den Nanotubes. Teilweise wird dies (wenigstens in den Heftausgaben ja zum Glück auch gemacht). Auch geben mittlerweile neue Medien wie Podcasts dazu wieder mehr Gelegenheit (bspw. SWR2 Aula, schön mal wieder jemanden länger reden und in Ruhe einige Argumente entwickeln zu lassen).

Weiters hat diese News-zentriertheit auch negative Auswirkungen auf die Forschung: wer nicht regelmässig in den Medien präsent ist, gilt nicht als wichtig, wer nicht den Eindruck erweckt die brennenden News erforscht zu haben, wird nicht gehört; so wird es natürlich auch für Forscher verlockend, die entsprechend geforderten "Soundbites" für die Redakteure zu liefern.

News-Rauschen und Rückkopplungen

Zusammenfassend sehe ich das Hauptproblem in der zunehmend "feineren Granularität" der Nachrichten, d.h. es wird in immer kürzeren Zyklen immer kleinere "Informationsbrocken" publiziert. Dies führt zu einem Rückkopplungseffekt: Nachrichten haben natürlich einen Einfluss auf die Konsumenten. Werden die Produktionszyklen immer kürzer so hat dies zwei unmittelbare Effekte: (1) die Nachrichten werden kürzer und damit potentiell oberflächlicher und (2) die Zeit Informationen zu evaluieren wird kürzer (für den Journalisten).

Dann gibt es Rückkopplungseffekte: Da Nachrichten Einfluss auf den Konsumenten haben, weiters durch die Verkürzung der Zyklen quantitativ mehr Nachrichten erzeugt werden müssen, setzt dies einerseits die Produzenten, sprich Medienunternehmen unter Druck, es wird also immer mehr produziert und immer weniger berichterstattet, und zuletzt schlägt es zurück zu denjenigen über die Berichterstattet wird. Hier gab es natürlich immer ein gewisses Interesse sich besser darzustellen, aber unter den oben genannten Voraussetzungen wird dies immer mehr professionalisiert und zeigt eher eine Wertschöpfungskette vom Produzenten der Rohstoffe (diejenigen über die Berichtet wird, und die entsprechende Rohstoffe liefern), denn diese Rohstoffe-die "News" werden ja dringend benötigt, die Produzenten (Medienunternehmen, die gewisse Qualitätssicherung betreiben, aber hauptsächlich daran interessiert sind die Konsumenten mit Produkuten zu beliefern, die gefragt sind) und eben am Ende die Produzenten.

(Weiters kommt natürlich noch die zusätzliche Verschränkung hinzu, dass die "Rohstofflieferanten" oft (über Werbung) auch noch Sponsoren der "Produzenten" sind, und dies im Zeitalter globaler Monopole auch ein immer stärkerere Einflussfaktor wird)

Mein Vorschlag ist: entspannen wir uns ein wenig; nehmen wir zur Kenntnis, dass es nicht mal in technologie-zentrierten Bereichen wie der IT wirklich nennenswerte Neuigkeiten gibt, die vielleicht sogar tagesaktuell sein könnten. Erkennen wir, das die meisten "neuen" Erkenntnisse auch morgen, übermorgen oder in der nächsten Woche publiziert werden können, und damit die Chance wächst, dass wir und ruhiger und mit mehr Konzentration mit wichtigen Dingen auseinandersetzen können. Also die Forderung: Weniger "News-Rauschen", mehr gut recherchierte Berichterstattung. Dies besonders auch in den Medien, die sich an eine breitere Öffentlichkeit richten!

Sonntag, 26. November 2006

Die digitale Geschichtslücke und die Qualität des Vergessen

Es wird und wurde viel zum Thema "Langzeit-Archivierung" von digitalen Inhalten geschrieben. All die Probleme, die von Hardware- und Softwareseite zu erwarten sind werden diskutiert. Ein interessanter Einstieg in diese Problematik ist der Artikel von Jeff Rothenberg im Spektrum der Wissenschaft aus dem Jahr 1995: Die Konservierung digitaler Dokumente (im englischen Original im Scientific American erschienen: Ensuring the Longevity of Digital Documents, sowie als PDF hier verfügbar). In diesem Artikel wird die "konservative" Problematik beschrieben, also: wie sieht es mit Datenträgern aus, die in relativ kurzer Zeit nicht mehr funktionieren werden, mit fehlenden Lesegeräten, Hard- und Software usw.

Diese Problematik ist nachvollziehbar und kritisch, wenngleich es heute einige der Ansicht sind (im Zeitalter des überall verfügbaren Netzes), dass Daten, die einmal digitalisiert wurden im Prinzip ewig halten und verfügbar bleiben; man braucht sie ja nur mehr umzukopieren, falls das erforderlich sein sollte: die entsprechenden Tools würden immer billiger, leistungsfähiger und der Speicherplatz wäre sowieso kein Thema mehr. Im Prinzip könnten wir die Information eines gesamten Lebens aufzeichnen und weitergeben.

Der Aufwand der Publikation...

Ein wichtiger Punkt des Artikels besagt, dass dauerhafte Publikation immer einen Aufwand bedeutet hatte, der seinerseits wieder Selektion ausgelöst hat. Heute hingegen geht die Idee in die Richtung alles zu speichern, bzw. die entsprechenden Datenmengen sinnvoll nutzbar zu machen; siehe auch entsprechende Forschungsprojekte beginnend mit der Memex Idee 1945 bis zu heutigen Projekten wie Lifestreams, Simile oder MyLifeBits. (Besonders letzteres lädt zum Fürchten ein, wenn ich nicht nur meine Office Dokumente, sondern die Informationen meines ganzen Lebens von Microsoft Systemen abhängig machen soll, das nur am Rande.) [Die Microsoft Seite ist mittlerweile Offline. Hier ein Link zu der Seite auf Archive.org von 2006]

... die Dynamik der heutigen Publikationen ...

Ein weiterer Gesichtspunkt sollte nicht vergessen werden: Historisch betrachtet waren Publikationen mehr oder weniger statische Artefakte. In Stein gemeisselte Inschriften sowieso, aber auch Publiktionen anderer Art. Ein Buch ist per definitionem statisch. Es kann Varianten geben, diese sind aber üblicherweise durch entsprechende Informationen (Auflage...) gekennzeichnet.

Nun hat aber die Tatsache, dass im Internet publiziert wird ja nicht nur Dokumente virtualisiert sondern gerade die Art und Weise der Publikationen geändert: Es gibt nicht mehr statische Artefakte, es gibt Webseiten, die laufenden Änderungen unterworfen sind (und diese sind kaum nachvollziehbar), es gibt BLOGS, die wachsen, sich ändern, kommentiert und zensuriert werden, es gibt dynamische Publikationen aus Datenbanken usw.

Auch die Datenspeicherung während der Arbeit an "statischen" Artefakten ändert sich: schon heute setzen viele Versionierungssysteme wie SVN ein, und bald werden diese eine weite Verbreitung am Desktop bekommen (siehe bspw. Apples Timemachine). Ein Dokument ist eben kein Dokument mehr, sondern eine Interaktion, eine Dynamik. Neben dieser Dynamik im Lebenszyklus moderner Artefakte kommt Dynamik in Form von Logik hinzu: das kann Javascript auf einer Webseite sein, oder eine Flash Animation, eine Diashow oder eine DVD mit interaktionen (Menüs).

Wird dem Historiker des 22. Jahrhunderts die Welt der Playstation oder C64 Spiele, der Flash Animationen, oder der "Web 2.0 Anwendungen" zugänglich sein? Ich glaube kaum.

... und eine Abschweifung

Die Meinungen welche Qualität und Quantität an Information weiterleben wird reichen hier allerdings weiter bis zu Ray Kurzweil (The Singularity is near: When Humans transcend Biology), der gleich den ganzen Menschen, bzw. seine kognitive Welt in den Computer downloaden will und somit für immer aufbewahren. Nun ist Ray Kurzweil vielleicht nicht der ernstzunehmendste Teilnehmer an dieser Diskussion, aber es zeigt immerhin das Spektrum der Ideen und Ansichten.

Ich glaube hier in aller Bescheidenheit sagen zu können, dass in 500 Jahren kein Mensch mehr an "Alexander Schatten" des beginnenden 21. Jahrhunderts in allen Details interessiert sein wird. Vielleicht wird der eine oder andere von Historikern digital "ausgegraben" und analysiert, aber wer sollte dann Interesse haben die Resourcen für Milliarden von virtuellen Menschen zur Verfügung zu stellen, die vermutlich wenig konstruktiv an der realen Gesellschaft beitragen können.

Man würde vielleicht unsere intellektuellen Resourcen ausbeuten, wenn das irgendeinen Sinn machen würde; dieser Gedanke bringt einen interessanten Punkt auf: selbst wenn derartigen Möglichkeiten kommen sollten: wir (aka, unsere virtuelle Persönlichkeit) wären völlig von der Willkür der nächsten Generation abhängig, und unser "Leben" abhängig von den Resourcen die uns zur Verfügung gestellt werden: vielleicht bekommen wir Rechenleistung, wenn wir Probleme für sie lösen oder dergleichen. Da stellt sich doch die Frage ob ein solchen virtuelles "ewiges" Leben wünschenswert oder eher ein Fluch ist.

Ganz davon abgesehen, dass Leben und unser Denken in ganz massivem Umfang eine "Funktion" von Geist/Gehirn und Körper ist (sehr interessant beschreibt dies Antonio Damasio in Descartes Irrtum oder im englischen: Descartes Error). Diesem beliebte Irrum fallen leider gerade solche Menschen oft anheim, die sich selbst für spirituell halten und verschiedene Leben-nach-dem-Tod Szenarien spinnen und die eigentliche Persönlichkeit des Menschen völlig "entmaterialisiert" sehen. Dies ist ein beliebter, aber massiver Irrtum, dem ich in einem anderen Posting weiter nachgehen möchte.

So, ich habe mir wieder einmal erlaubt kräftig vom Thema abzuschweifen, aber die Gedanken fliegen zu lassen ist doch eine der wesentlichen Eigenschaften dieses Blogs, man möge also Nachsicht mit mir üben.

Dennoch: ein Fazit?!

Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich die Historiker des 21. und 22. Jahrhunderts vermutlich mit einer gespaltenen Situation auseinandersetzen werden müssen: Einerseits wird ungeheuer viel Material einfach verloren gegangen sein, weil es eben nicht weiter kopiert und migriert worden ist, weil es zum Zeitpunkt der Erstellung als nicht wichtig erachtet wurde (wieviel wird aus jedem Schnipsel Papier das von Göthe, Mozart usw. irgendwo gefunden wird, und von ihnen selbst kaum als wesentlich erachtet wurde, heraus-analysiert). Dies ist besonders darum problematisch, weil somit vermutlich hauptsächlich "offizielles" Material übrigbleibt und nicht das oft interessantere Material aus dem persönlichen Bereich, aus dem Hintergrund.

Auf der anderen Seite wird es unfassbare Mengen an digitaler Information geben, wo natürlich auch wesentliche Informationen zu finden sein können, diese aber in schier unfassbaren Mengen an digitalem Müll untergehen werden. Wenn Speicher nichts kostet, so macht man sich auch nicht so sehr die Mühe auszusortieren und auszuwählen! Und dies ist wirklich eine historische Besonderheit: Von früheren Generationen hat Information überlebt, die mit einem gewissen (finanziellen) Aufwand aufbereitet wurde und auf dauerhafte Materialien notiert wurde (Stein, Papier, Fotos). Eben diese (finanzielle) Hürde gibt es nicht mehr. Das bedeutet: Ein Historiker in 200 Jahre, sofern er an mir interessiert ist, wird entweder fast gar nichts finden, oder Petabytes an Information in verschiedensten Formaten deren durchforsten vermutlich eine Lebensaufgabe darstellt.

Und die Metadaten?

Eine weitere Anmerkung zum Artikel sei mir noch gestattet: Das Problem der Metadaten wurde leider völlig vergessen: selbst wenn wir (so unwahrscheinlich das ist) wieder dazu übergehen würden, Datenträger auf Film etc. analog zu transferieren, so bleibt die Frage, wie diese zu katalogisieren sind. Jede moderne Bibliothek mustert die Papier-basierten Ordnungssysteme aus, und ersetzt diese durch Computersysteme. Die Konsequenz: wir haben dann wieder alles auf Mikrofilm oder ähnlichem, finden es aber möglicherweise nicht mehr, weil die wesentlichen Metadaten (die Indizes) verloren gegangen sein werden.


So bleibt die ursprüngliche Frage offen: werden wir die erste Generation sein, von der wenig bis gar nichts Relevantes überliefert werden wird? Eine Generation des digitalen Dammbruches, wo wichtiges von banalem, irrelevantem und falschem überschwemmt wird, in der es den nächsten Generationen verunmöglicht wird wesentliches von unwesentlichem und bedeutendes von unbedeutendem zu unterscheiden. Es steht zu befürchten.

Montag, 6. November 2006

Richard Dawkins, Agnostizismus, A(th/d)eismus und andere -ismen

Richard Dawkins in Science Friday

Richard Dawkins. Interessanterweise war dieses Interview im Science Friday Programm von NPR News die erste Gelegenheit für mich Dawkins zu hören. Ich habe natürlich Bücher von ihm gelesen und war sowohl von den seinen Ideen als auch vom Stil beeindruckt, aber es ist auch ein Erlebnis ihn sprechen zu hören.

Vermutlich sind viele seiner Theorien etwas überhöht, oder werden von Kritikert so gesehen, aber sie geben doch üblicherweise sehr stimmige und auch eindrucksvolle Bilder, die wenigstens zum nachdenken stimulieren (DNA als "A River out of Eden"...).

The God Delusion

Wie auch immer: das Thema dieses Interviews ist Dawkins' neuestes Buch: The God Delusion. Leider habe ich das Buch selbst noch nicht gelesen, wird aber bald folgen. Im Moment steht noch Breaking the Spell von Dawkins "amerikanischen Zwilling" Daniel Dennett im Regal und harrt dort seiner Bestimmung. Dawkins jedenfalls, vertritt in diesem Interview eine sogar für mich als Kritiker des Atheismus recht überzeugende Position des Atheismus.

Ich sah in der Stellung des Atheisten immer dieselbe Schwäche wie in der eines Gläubigen. Beide definieren sich über einen Gottesbegriff und dies ist in sich problematisch. Meiner Überzeugung nach ist der Begriff "Gott" ausgesprochen fragwürdig, und zwar auf verschiedensten Ebenen. Es beginnt mit der eigentlichen Definition, was unter "Gott" verstanden wird und dann allen aus der Gottes-Idee abgeleiteten Erscheinungen . Schon über den ersten Punkt könnte man lange diskutieren: Es reicht von überraschend volksütmlichen und offensichtlich kindlichen Vorstellungen und bis zu sehr abstrakten "intellektuellen" Vorstellungen.

Absurd oder nutzlos?

Das interessante an dieser Stelle erscheint folgendes Dilemma: Je konkreter die Gottesvorstellung ist, desto offensichtlich absurder ist sie wenn sie zu Ende gedacht wird. Je abstrakter sie aber ist (sie nähert sich dann oft einer pantheistischen Idee an) desto nutzloser wird sie aber. Ein Beispiel: gestattet man (in seinem Glaubenssystem) Gott sich in den täglichen "Ablauf der Welt" einzumischen so führt dies zu einer Menge an fragwürdigen Folgen, bspw. wäre damit das Ursache/Wirkungsprinzip der Physik und vermutlich auch viele andere Prinzipien in Frage gestellt. Nebenbei gesagt gibt es keinerlei Erkennbare Anzeichen welcher Art auch immer, dass dies irgendwo passieren würde.

Auch der freie Wille (so wie ihn besonders gläubige Menschen gerne sehen wollen) wäre damit zumindest teilweise unterwandert. Ganz davon abgesehen, dass ein in das "Tagesgeschäft" eingreifender Gott auch in ethischer Hinsicht recht fragwürdig wäre. Man müsste dann bspw. erklären, warum Gott grauenhafte Naturkatastropen zulässt, junge Mütter bei Autounfällen ums Leben kommen usw. Wir sind dann sehr schnell wieder bei mittelalterlichen Vorstellungen des strafenden und belohnenden Gottes, der im wesentlichen ein Machinstrument der jeweils regierenden Führung war. Aber dies möchte ich ein anderes Mal diskutieren.

Initialfunken

Daher greifen Gläubige heute oft auf die Annahme zurück, Gott hätte nur den Initialfunken geliefert (mit Ausnahme der "radkialen" mancher Glaubensrichtungen, die gerne auch heute noch von der "Strafe" Gottes reden, wenn tausende einer Flutwelle zum Opfern fallen). Auch der Kreationismus in neuem Gewand: Intelligent Design geht oft von dieser These aus. Aber auch dies hat einige unerfreuliche Konsequenzen, wenn man dies zu Ende denkt (was ich in einem nächsten Posting versuchen möchte). Daher wird von "aufgeklärten" Gläubigen gerne eine metaphysischere Begründung geliefert, die auf den ersten Schritt plausibler ist aber in Wahrheit von der Grundproblematik ablenken möchte: Man erklärt, Gott hätte nur die Initalzündung geliefert, die Naturgesetze definiert usw. Er hätte uns (woher wusste er eigentlich, dass wir entstehen, wenn er nur den Initialfunken gelegt hatte?) ja freien Willen gegeben, und den sollen wir doch auch nutzen.

Auch wenn dies auf den ersten Blick sehr plausible und weitsichtige Ideen zu sein scheinen, halten auch diese einer näheren Betrachtung kaum stand; sie sind im wesentlichen eine Ausflucht um die logischen Probleme zu vermeiden, die ein täglich wirkender Gott unabwendbar verursachen würde. Dazu mehr an anderer Stelle.

Es ist also zusammenfassend so, als müsse man sich zwischen einem nutzlosen aber theoretisch wenigstens plausiblen und einem "nutzbringenden" aber völlig unplausiblen Gott entscheiden.

Agnostizismus...

Mir erschien daher immer der Begriff "Gott" an sich ein sehr schwacher und hochgradig irreführender zu sein und bei näherer Betrachtung auch ein ziemlich überflüssiger. Sobald man sich seiner bedient hat man schon den ersten substantiellen Fehler begangen. Das ist, als nehme ein Pazifist an einer Diskussion teil, welche Waffe nun am ehesten zu rechtfertigen wäre. Ist er aus welchen Gründen auch immer überzeugter Pazifist, so hat er schon durch die Teilnahme an der Diskussion verloren und seiner Idee und Überzeugung substantiell geschadet. Denn es berufen sich beide Ideen: Theismus (Deismus? Dawkins unterscheidet zwischen diesen begriffen) und Atheismus auf den Begriff Gott. Erkennt man als, dass der Begriff "Gott" an sich problematisch ist und in keiner mir bekannten Anwendung mehr Sinn als Verwirrung stiftet, so relativiert sich auch eine Position die Gott verneint—eben die des Atheismus. Denn um etwas zu Verneinen, muss ich es als Entität irgendeiner Güte anerkennen. Eben dies stelle ich in Frage.

... oder doch Atheismus?

Nun muss ich zugeben, dass Dawkins sehr stark argumentiert; vielleicht werde ich die Dinge auch nach der Lektüre seines neuen Buches anders sehen, aber bis dahin wird mir der Begriff des Agnostizismus näher sein als derjenige des Atheisten. Ich halte den Agnostiker für wesentlich stärker, da er die Diskussion schon an einer früheren Stelle unterbricht, nämlich bevor Gott als Begriff zugelassen wird; eben in der frühen Erkenntnis dass ein Zulassen des Begriffen keinen erkennbaren Sinn stiftet. Lasse ich den Begriff aber zu und Streite gegen diesen (eben als Atheist) so begebe ich mich in die Gefahr mehr anzuerkennen als mir eigentlich lieb ist.

Sonntag, 29. Oktober 2006

Sichten... Das erste Posting

Ansichten, Gedanken. In diesem Blog möchte ich einige Gedanken ausdrücken, die mir im Rahmen meiner Arbeit und meiner Beschäftigung mit Literatur durch den Kopf gehen. Es handelt sich hierbei allerdings um kein Technologie-BLOG. Hier möchte ich mich in erster Linie meine philosophischen Ansichten ausdrücken.

Das BLOG wird vermutlich in erster Linie in Deutsch gehalten sein, allerdings habe ich mich hier noch nicht endgültig entschieden.

Also... los gehts, stay tuned...

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)