Freitag, 17. Dezember 2010

Bücher als "kulturelles Genom der (Wissens)Gesellschaft

In science.orf.at wird von einem Forschungsprojekt berichtet, das zum Ziel hat in einer riesigen Menge von digitalisierten Bücher sogenannte "Culturomics" zu betreiben. Also nach Phrasen, Wörtern etc. zu suchen und deren Entwicklung über die Zeit zu betrachten.

Nach der Lektüre des Artikels muss ich aber zugeben, dass mich eigentlich nur der Titel Bücher als "kulturelles Genom" inspiriert hat. Das halte ich für eine sehr schöne Idee. Besonders wenn man (im wissenschaftlichen) Bereich bedenkt, dass jedes neue Buch ja nur einen (oft sehr) kleinen Teil an wirklich neuer Erkenntnis darlegt. Wenn überhaupt. Der überwiegende Text eines Buches bezieht sich ja in der Regel auf andere Bücher, Gedanken und Aussagen anderer Autoren. Dies ist gar nicht negativ gemeint: Fortschritt bedeutet ja gerade auch die kritische Auseinandersetzung mit bestehendem Wissen. Dieses wird, bildlich gesprochen, in die publizistische Mangel genommen und von verschiedensten Seiten beleuchtet.

In gewisser Weise, und hier komme ich wieder zum Titel des ORF-Artikels zurück, ist ein neues Buch so etwas die das Kind einer Vielzahl älterer Bücher mit einer geringen Menge an neuem. Wenn man das biologistisch formulieren möchte: das neue Buch enthält quasi die Gene (oder besser "Meme") der alten mit einer Handvoll an Mutationen. 

Ist man bereit dieser Logik zu folgen, so müsste es auch möglich sein, diese "Erbfolge" zu analysieren – wenn auch nicht mit so trivialen Mitteln wie der Volltextsuche nach Phrasen. Würde das gelingen, so könnten wir einen Stammbaum der Ideen aufstellen, könnten zeigen wie Konzepte durch die Zeit und "durch" die Autoren wandern, verschwinden, wieder auftauchen. Wir könnten Plagiate erkennen und intellektuelle Spinnereien (z.B. viele der postmodernen Ideen), Bücher also die nur in einer kleinen Gruppe von Autoren "Inzucht" betreiben und sonst kennen nennenswerten Einfluss auf den Rest der (intellektuellen) Welt haben. Und auch, wann und wo wirkliche Innovation geschieht.

Zugegeben, es ist eher unwahrscheinlich, dass ein Algorithmus in der Lage wäre eine solche Analyse vorzunehmen. Schade. Aber das war das Bild das mir durch den Kopf gegangen ist, nachdem ich den Titel gelesen habe. 

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)