Donnerstag, 1. November 2007

Reisen

Ich denke in den letzten Wochen auch sehr viel über das Reisen an sich nach, wie wir heute hektisch von einer Destination zur nächsten jetten. Einerseits glaube ich schon, dass das Reisen auf dieser breiten Basis wie es heute unternommen wird positive Wirkungen hat. Ich denke, dass diejenigen, die Reisen durch die Vielzahl der Eindrücke auch mehr Respekt und Verständnis gewinnen; andererseits führt die Globalisierung auch zu einer Vereinheitlichung, Nivellierung (und dies nicht immer nach unten). Wie ich schon in einem der ersten Postings geschrieben habe: wird man an irgendeinem Flughafen der Welt ausgesetzt fällt es auf Anhieb kaum leicht zu erkennen wo man gestrandet ist; überall dieselben Geschäfte, Restaurant-Ketten, Bekleidung.

Gerade Bandung, wo ich mich zur Zeit aufhalte, vermittelt mir hier zwiespältige Erinnerungen; bei einem meiner ersten Besuche hier, wurde ich zu einer indonesischen Musikveranstaltung eingeladen wo mit traditionellen Instrumenten (Anklungs unter anderem) gespielt wurde. An sich eine potentiell sehr interessante Erfahrung, weil Anklungs sehr schöne Instrumente sind, mit einer ganz anderen Musiktradition im Hintergrund als bei uns bekannt. Nun war dies aber eine Touristenveranstaltung schlimmster Sorte (und das in Bandung, wo man ohnedies kaum westliche Touristen trifft): Das an sich gute Orchester hat nicht etwa indonesische Musikstücke gespielt, was ich erwartet und erhofft hatte, sondern unter anderem Mist wie "Tulpen aus Amsterdam".

Man stelle sich das lebhaft vor: man ist Mitten in Indonesien und auf traditionellen indonesischen Instrumenten wird europäischer Mist gespielt. Das alleine wäre schlimm genug gewesen; was mir dann allerdings tatsächlich den Glauben an die Menschen angekratzt hat war die Beobachtung der anderen Touristen. Ich hätte erwartet, dass sich eine gewisse peinliche Stimmung ausbreiten würde. Tatsächlich haben meine europäischen Kontinentsleute aber fröhlich mitgeschunkelt und mitgesungen. Was darf man sich dabei denken?


Was überwiegt nun, die positiven oder die negativen Effekte? Ich persönlich bedaure zwar einerseits, dass wir es mit einer Amerikanisierung sondergleichen zu tun haben (auch hier in Bandung an jedem Eck ein McDonalds, Circle K, Kentucky Fried Chicken, Dunkin Donuts, Starbuck, Burger King usw.), andererseits entfernen internationalen Einflüsse aber auch Borniertheiten aller Art schneller als es alle anderen Aktivitäten zu tun in der Lage waren. Nicht ohne Grund verlieren bspw. Religionen oder radikale politische Strömungen dort am schnellsten und am stärksten an Einfluss wo es den meisten internationalen Einfluss gibt. (Dies alleine spricht gegen Ausgrenzungen aller Art!) Natürlich würde man das vor Ort kaum zugeben (und vereinzelte Spinner die leider wie in Indonesien Bomben zünden oder andere Dummheiten ausbrüten verzerren das mediale Bild dramatisch), aber de facto werden viele dieser kulturellen Eigenarten einfach auf folkloristische Attrappen reduziert und das ist nicht immer ein Fehler. D.h. mich persönlich stört weniger, dass wir immer stärker einer Art der globalisierten Identität zustreben, das wäre für mich wenig erschreckend; was mich stört ist die Art der Identität die wir anstreben.

Es ist eben weniger eine von (humanistischen) Idealen geprägte Identität sondern leider oft eine der geradezu brutalen Ökonomisierung und des rauschhaften Konsums.


Ich habe über die Art des Reisens und die entsprechenden Einflüsse auch darum nachgedacht, weil ich mich gerade ein wenig mit Demokrit beschäftigt habe. Dieser war einer der reisefreudigsten Philosophen des antiken Griechenlands. Man sagt er hätte sich in Griechenland, Ägypten dem alten Persien von den jeweils ansässigen Gelehrten ausbilden lassen und wäre bis nach Indien vorgedrungen (und hat dabei das Vermögen seines Vaters durchgebracht, das nur am Rande).

Wenn man versucht sich diese Art der Reise, die sich zweifellos über Jahre gezogen hat vorzustellen. Es gab wohl kaum eine touristische Infrastruktur die wir heute automatisch überall erwarten; ich kann mir auch nur schwer vorstellen, wie die sprachlichen Barrieren überwunden wurden. Immerhin hat er sich ja offenbar nicht nur die Pyramiden angesehen, sondern in all diesen Ländern auch "studiert"! Man denke an die Strapazen und Gefahren einer solchen Reise bis nach Indien, und die unwahrscheinlichen Unwägbarkeiten. Es gab ja auch keine Landkarten, Reiseführer sowie keine einheitlichen Kalender oder Währungen und dergleichen.

Wenn man dies weiterdenkt stelle ich mir wirklich die Frage ob wir wieder an einem Punkt angelangt sind (wie ich kürzlich in einem anderen Posting über die Quantentheorie geschrieben habe), wo wir eigentlich semantische Verwirrung stiften, wenn wir für die heutigen Aktivitäten sowie die damalige dasselbe Wort nämlich "Reisen" verwenden. Natürlich, in beiden Fällen fährt man von einem Ort weg um zu einem anderen zu gelangen, aber alles weitere muss sich so dramatisch unterscheiden, dass wir mit diesem Work kaum dieselbe Aktivität beschreiben können.

Aber um zum Reisen zurückzukommen: Die Reisenden dieser Zeit haben sicherlich auch nicht unerheblich zum kulturellen Wandel beigetragen, aber einerseits auf längeren Zeitskalen, andererseits geprägt von Reisen gebildeter Menschen die neue Ideen verbreitet haben. Da wir zum Glück mehr und mehr in Demokratien leben, ist es vermutlich schon der richtige Weg einer breiteren Basis von Menschen die Möglichkeit des Reisens zu geben.

Es wäre nur schön, wenn wir alle diese Möglichkeit auch konstruktiver nutzen würden und unseren Begriff des Reisens wie wir in heute verstehen wieder ein wenig hinterfragen würden: Vielleicht wieder hin zu der Idee eine Reise als einen länger dauernden Prozess zu verstehen, dem auch genug Zeit eingeräumt wird um bestimmte Dinge besser zu erkennen und verarbeiten zu können; auch abseits vom hermetisch abgeschlossenen Ferienghetto westlicher Prägung.

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)