Samstag, 24. November 2007

Über die Unfähigkeit in Systemen zu denken

Gerade habe ich eine eindrucksvolle "Aula" von Prof. Friedrich Schmidt-Bleek zum Thema Ungebremster Raubbau an der Natur gehört. Er hat mich (leider) wieder in meinem Glauben bestätigt, dass wir als Menschen im allgemeinen und ganz besonders als Gesellschaft kaum in der Lage sind systemische Probleme als solche zu betrachten und zu versuchen einer Lösung zuzuführen.

Was typischerweise passiert ist, dass wir irgendeines Symptoms gewahr werden, z.B. dem Zuwachs and CO2 in der Atmosphäre und den entsprechend beunruhigenden Konsequenzen, dass wir aber nicht in der Lage sind einen Schritt zurück zu machen und versuchen das System im Ganzen zu betrachten. Wir fokussieren und nun in geradezu manischer Blindheit darauf, wie wir z.B. den CO2 Ausstoss von Autos oder gar Flugzeugen verringern können. Vielleicht gelingt es Autos zu bauen, die statt 8 Litern mit 5 Litern auskommen?! Oder Flugzeuge die etwas ökonomischer Fliegen, oder LKWs, die etwas weniger Russ-Partikel auswerfen.

Schmidt-Bleek versucht nun das System als ganzes wieder in den Blickwinkel zu bringen; er zeigt z.B. dass die Herstellung eines goldenen Ringes von wenigen Gramm, wie wir ihn am Finger tragen mit etwa 2 Tonnen an Materialumsatz bei Abbau und Produktion verbunden ist, ebenso die Produktion von vielen Industriegütern wie Autos: Betrachtet man die Lebensdauer eines Autos (200-250.000 km) so macht der Benzinverbrauch laut Schmidt-Bleek nur etwa 15-20 Prozent des Gesamtenergieverbrauches (!) aus. D.h. des Energieverbrauches, der durch Produktion, Transport usw. des Fahrzeuges angefallen ist. Wir diskutieren nun, wie man diesen verhältnismässig kleinen Anteil um wenige Prozenz zu verringern, anstatt das ganze Bild zu betrachten. Die notwendige Infrastruktur um das Auto zu betreiben (Strassen, Tankstellen, etc) brauchen nochmals einen Faktor 10 mehr an Energie.

Er bringt neben vielen anderen ein weiteres sehr bedenkenswertes Beispiel: Im Ruhrgebiet, wo massiv Kohle abgebaut wurde/wird, und dies offensichtlich für lange Zeit kommerziell sehr erträglich, gibt es nun große Gebiete (von etws 70-25.000 ha Größe) wo die Oberfläche im Schnitt um 6 m abgesunken ist. Diese Gebiete die heute großteils bewohnt sind, würden nun zu einem erheblichen Teil mit Wasser vollaufen: d.h. es muss das Wasser abgepumpt werden. Für diese Pumpen (Produktion und Betrieb) muss natürlich Energie aufgebracht werden. Es wird also ein Zeitpunkt in der Zukunft kommen, wo der Energieverbrauch der durch den Abbauvorgang, den Pumpvorgang etc. dem entspricht, der durch die Kohle vorher gewonnen wurde.

Gerade dieses Beispiel zeigt sehr schön, dass viele der Aktivitäten, die wir heute unternehmen nichts anderes als ein Kredit an der Zukunft ist. Nun ist gegen einen Kredit im Einzelfall vielleicht nichts einzuwenden. Wenn wir aber wieder versuchen das System, die Gesellschaft als ganzen zu betrachten, muss die Frage erlaubt sein, ob es sehr sinnvoll ist einen solchen Energie-Kredit aufzunehmen, um damit Energiverschwendung wie sie in heutigen westlichen Lebensstilen üblich ist, zu finanzieren.

Schmidt-Bleek stellt die meines Erachtens nach sehr wichtige Forderung auf, den "Rucksack" der mit jedem Produkt das wir kaufen oder verwenden verbunden ist, also der Material und Energieumsatz der für Produktion und Transport erforderlich ist, transparent zu machen und diesen als Basis für die Preisgestaltung von Produkten heranzuziehen.

Ich würde gerne ergänzen, dass auch andere gesellschaftliche und politische Kosten hier hinzuzufügen wären: Leider spiegeln sich ja die realen Kosten bei vielen Resourcen keineswegs mehr in den Preisen wieder. Ich habe kürzlich über Benzin- und Ölpreise diskutiert. Ehrlicherweise müssten in diese Preise ja auch (um nur einen Aspekt zu zitieren) auch Militärkosten eingerechnet werden. Wenn die USA eine massive (und wohl massiv überdimensionierte) Armee betreibt, so tut sie dies ja zu einem wesentlichen Anteil auch zur Resourcen-Sicherung. Dies kann dadurch geschehen, dass Kriegsschiffe auf Routen patroullieren, die von Tankern befahren werden, dass man andere Länder bedroht oder dadurch dass man in den Irak einmaschiert. Diese Kosten aber werden nicht ehrlicherweise auf den Ölpreis geschlagen, sondern durch allgemeine Steuermittel kaschiert. Dasselbe trifft zu, wenn wir Kosten im Gesundheitssystem haben, der bspw. von Feinstaub verursacht wird, der wiederrum von Industrie, Hausbrand und Verkehr emittiert wurde. usw.

Natürlich wird man das nicht leicht alles quer-verrechnen können, die systemischen Abhängigkeiten sind sicherlich äußerst komplex aber es wäre hoch an der Zeit sich Strategien zu überlegen, wie man zu einer gerechten Bepreisung von Gütern und Dienstleistungen kommen könnte.

Ich möchte diesen Artikel gerne noch mit einem Zitat von Rupert Riedl aus "Neugier und Staunen" abschliessen:
"Unser Ursachenkonzept simplifiziert die Welt in dreifacher Weise: Wir stellen uns lineare Zusammenhänge vor, reden von Ursache und Wirkung, als ob, wie im selbst gebastelten Experiment, ein erster Anfang einem folgenlosen Ende gegenüberstünde, und wir scheuen die Vorstellung rekursiver Kausalität, dass es im Grunde keine Wirkung gibt, die nicht letztlich auf die eigene Ursache zurückwirkt. [...] Tatsächlich haben alle Industrien über ein Jahrhundert Ursachenketten gerade gerichtet, Materialien ein- und Produkte ausgeworfen und nicht beachtet, wie das, was herauskommt, auf das wirkt, was hineingesteckt wird.

Und zuletzt ist auch unser Konzept von der Hierarchie der Zwecke in der komplexen Welt unangepasst, anthropozentrisch verdreht. Fragen wir einen, warum er Ziegel in ein Wäldchen karrt, wird er's auf sein Bauen, das nächste Obersystem zurückführen, den Zweck des Bauens auf seine Bedürfnisse, seinen eigenen Zweck noch bestenfalls auf Wertschöpfung; fragt man aber weiter nach den Zwecken seiner Gesellschaft und der Biosphäre, wird sich die Zweckvorstellung umkehren. Er wird annehmen, dass die Gesellschaft für seine Zwecke, die Biosphäre zum Zweck der Gesellschaft da wäre; wo er doch ganz offenbar, selbst ein Teil seiner Gesellschaft und der Biosphäre, für deren Erhaltungsbedingungen beizutragen hat. Ein Gutteil der Umweltproblematik geht auf solche Anthropozentrik zurück."

1 Kommentar:

Cangrande hat gesagt…

Recht haben Sie (wie ich so vielen Ihrer Postings zustimmen kann - dem über das Geld z. B.).

Wir kommen indes nicht daran vorbei, dass nicht-erneuerbare Ressourcen endlich sind und dass deshalb jegliche ressourcenschonende Strategie uns zwar ein wenig Aufschub gewähren kann, aber eine im vollen Sinne nachhaltige Wirtschaftsweise objektiv unmöglich ist.


Dennoch ist es ein Ärgernis, und ein gefährliches, dass wir so wenig vernetztes Denken wagen.

Ich selbst versuche es gelegentlich, z. B. in "Hungerskandal in Wuppertal: Porsche-Fahrer frisst Rentner-Oma die Polenta vom Teller!" (http://beltwild.blogspot.com/2006/03/hungerskandal-in-wuppertal-porsche.html)
oder, weit ausholend (konkret zum Thema kapitalgedeckte Rentenfinanzierung) auf meiner Webseite "Rentenreich" (http://www.beltwild.de/rentenreich.htm).

Dauerhaft helfen könnte das freilich nicht einmal dann etwas, wenn es überhaupt zur Kenntnis genommen würde.
Wir leben -sparsam oder verschwenderisch- weitgehend von geologischen Vorräten, und die sind großenteils schon jetzt verbraucht.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)