Mittwoch, 27. Juni 2007

Die neue Welt der "Printmedien"

Im aktuellen SWR2 Podcast wird über den Einfluss des Internets auf Printmedien und die neuen Möglichkeiten, oder nach meiner Sicht eher Unmöglichkeiten diskutiert.

Unbestritten hat das Internet die Branche aufgewirbelt und es gibt viele sehr interessante und positive neue Möglicheiten; zu nennen sind natürlich Archive im Internet (z.B. Zeitungen, Wissenschaftsmagazine) sicherlich Podcasts, mit denen "reguläre" Print-Publikationen mittlerweile gerne ergänzt werden (bspw. Scientific American), natürlich auch Blogs und neue "Publikations-Prozesse" wie das Vordiskutieren von Themen am Web mit anschliessender Publikation im Web unter Einbeziehung der Publikumskommentare. Dies wird fallweise vom Spektrum der Wissenschaft gemacht (und ich habe mich auf einen dieser Artikel in einem meiner letzten Blog-Einträge bezogen). Absichtlich nicht erwähnt habe ich in den "interessanten" neuen Möglichkeiten die "News Ticker" und derartigen Unsinn, siehe auch mein entsprechendes Posting zum Thema "News Industrie".

In dem genannten SWR2 Beitrag wird aber hauptsächlich über Spiegel Online diskutiert, ein einigermassen seriöses Medium wie man jedenfalls dem Namen nach vermuten könnte. Auch kommen Redakteure zu Wort, und einige der Wortspenden möchte ich hier gerne kurz wiedergeben:
"Wir können die Spiegel Online Geschichten nicht in dem Maße 'fact-checken' wie die Print-Kollegen das erwarten und das drüben praktiziert wird. Wir können nicht zwei Stunden warten bis eine Geschichte von oben bis unten durchgecheckt ist. [...] Natürlich verändern wir Geschichten nachträglich, wir aktualisieren ständig [...] weil es die Aktualität so erfordert." Spiegel Online Chefredakteur

"Erst veröffentlichen, später wieder korrigieren", SWR2 Redakteur
Aktualität fordert! Wirklich?

Wieso um Himmels willen "erfordert Aktualität" irgendetwas? Aktualität bedeutet doch nur, dass etwas in zeitlich angemessener Nähe zum Geschehen passiert. Alleine die Aussage "Aktualität würde irgendetwas fordern" ist völlig unsinnig. Aktualität kann gefordert werden, aber kann selbst natürlich nicht fordern. Hier haben wir es wieder einmal mit Schein-Motivationen zu tun, die uns in irgendeine Richtung treiben wollen ohne eine klare Begründung zu liefern. Dies ist analog zu sehen zu der Idee dass "der Fortschritt" uns "zwingend" irgendwo hintreiben würde, oder "offensichtlich" irgendwelche Dinge von uns fordern würde. Hier werden Ursache und Wirkung um 180° verdreht um uns eine eine nicht näher argumentierte (und der Formulierung nach selbst-immunisiergend gegen Argumente seiende) Richtung manipuliert.

Ich habe zwar über dieses Thema schon in anderem Kontext geschrieben, aber ich werde immer noch erschüttert, wenn ein Redakteur meint, die Beiträge in Spiegel Online müssen sozusagen zwangsweise dermassen aktuell sein, dass man nicht mal zwei Stunden Zeit hat um sie "fact" zu "checken". Jetzt frage ich mich: welche Art von Journalismus begegnen wir hier eigentlich? De facto ist es also so, dass wohl alles was nicht auf den ersten Blick schwachsinnig ist zunächst mal für die Publikation in Frage kommt. Wenn man dann irgendwann mal draufkommt, dass das alles so doch nicht gestimmt hat, korrigiert man halt hier und da ein wenig. Dies wird dann auch als große neue Möglichkeit des Onlinejournalismus verkauft.

Was hier nicht dazugesagt wird ist wohl, dass ja bis zum Zeitpunkt der Korrektur diesen fragwürdigen Artikel tausende schon gelesen haben und die Korrektur möglicherweise zu einem Zeitpunkt kommt, wo der Artikel (bei der selbst-angegebenen Aktualitätsdauer von nur einigen Stunden) ja kaum mehr sehr prominent auftauchen wird. Eine Alibi-Aktion. Man gibt sich den Mantel des immer aktualisierenden Journalismus, tatsächlich publiziert man aber mit relativ großer Breitenwirkung dann doch eine Menge Unsinn. (Der dann, wenn es kaum mehr jemanden interessiert auch gerne mal korrigiert wird). Dies ist jedenfalls mein Eindruck.

Ich möchte nicht meine Argumente überholen, aber ad hoc fällt mir praktisch keine Nachricht ein, wo einer Verzögerung um zwei Stunden irgendeinen Unterschied machen würde: ausser dass die Qualität dann besser wäre. Das geben ja die Redakteure indirekt ja sogar selbst zu! Wie wichtig kann eine Nachricht sein, die einerseits nicht 2 Stunden warten kann um ordentlich überprüft zu werden, andererseits aber schon nach wenigen Stunden nach "unten" gereiht wird. Das können doch überwiegend nur "Null Nachrichten" sein, also Edutainment, eye-catcher ohne nennenswerten Informationsgehalt? Ich empfehle hier wirklich die heutigen Nachrichten mir der Frage im Hinterkopf zu lesen, wie Nachhaltig die jeweilige Nachricht eigenltich ist, und wie oft ein und dasselbe über Tage aufgekocht wird um die Medien zu füllen, anstatt ein paar Tage gründlich zu recherchieren und einen ordentlichen Artikel zu verfassen.

Spiegel Aktuell

Ich habe mir interessehalber die Haupt-Schlagzeilen von Spiegel Online zum jetztigen Zeitpunkt (siehe Publikationsdatum) angesehen:
  • Blair übergibt Queen Rücktrittserklärung
  • Machtkampf zwischen Franzosen war Ursache für Airbus- Krise
  • Wärme in Deutschland bricht historischen 12- Monats- Rekord
  • Rechtsdrall am Obersten Gerichthof
  • Herrscher über Leben und Tod (Klinikskandal)
  • 2008 lebt jeder zweite Mensch in der Stadt (UNO Report)
Tony Blair ist seit 10 Jahren im Amt, die Übergabe wird seit Wochen diskutiert: kommt es hier also auf zwei Stunden an? Die Airbus Krise ist auch alles andere als ein spontanes Naturereignis, würde aber gründliche Recherche vertragen. Die Wärme... nun, die kann mit Sicherheit keine zwei Stunden warten. Der amerikanische Gerichtshof ist eine politisch sehr wichtige Institution, die gründliche Betrachtung verdient, die Bestellung wird über Monate diskutiert, die bestellten Richter sind auf Lebenszeit nominiert, sofern man nicht erwartet, dass einer der Richter innerhalb von zwei Stunden stirbt ist dies wohl auch kein Minuten-aktuelles Thema usw.

Ich würde mir hier also wirklich Beispiele wünschen die einen schnellen Journalismus in irgendeiner Weise rechtfertigen würde! Ist es wirklich so wichtig minutenaktuell zu berichten, wenn Paris Hilton zu unser aller Verzückung aus dem Knast entlassen wird? Oder wenn irgend ein Politiker wieder eine besonders originelle Dummheit von sich gibt? Was genau kann keine zwei Stunden warten? Ich würde das wirklich gerne wissen.

Es gibt viele neue und kreative Möglichkeiten, die uns das Internet bietet, "Nachrichten" um zwei Stunden "schneller" publizieren zu können gehört meiner Ansicht nach nicht dazu. Oder wenn, dann nur im begründeten Ausnahmefall und dies gab es immer schon; Sondersendungen im Radio, Fernsehen etc.

Fazit

Natürlich hat ein online Medium den Vorteil Fehler korrigieren zu können und sollte dies auch tun. Sehr fragwürdig ist es aber, wenn das Prinzip von vornherein umgedreht wird? Es verlangt im Prinzip dann auch, dass Leser an einer Geschichte zumindest über Stunden dranzubleiben um festzustellen ob der Artikel auch wirklich so Sinn macht, wie es Anfangs publiziert wurde. (Und wieviele Leser dies tun kann man sich vorstellen, wenn eine der beliebtesten Rubriken von Spiegel Online die tägliche Sex-Geschichte mit Titten-Foto ist)

Das Fazit ist also, dass wir offenbar auch bei den "namhaften" Online Medien ein erhebliches Maß an Medienkompetenz beim Leser erwarten müssen! Davon abgesehen, dass diese wohl bei den meisten nicht vorhanden ist, und in der Schule auch nicht gelehrt wird (dort bringen wir den Schülern bei wir man Google und Word 2007 bedient, aber nicht die notwendige Allgemeinbildung um die Ergebnisse der Google Suche adäquat beurteilen zu können) stellt sich dann schon die grundlegende Frage: Wofür brauche ich "Spiegel online" überhaupt, wenn die Zuverlässigkeit kaum höher ist als bei einem x-beliebigen Blog oder bei Wikinews.

Da bleibe ich lieber gleich bei Blogs, weil da ist mir klar, dass man die Geschichten mit entsprechend kritischem Abstand betrachten muss.

Dienstag, 19. Juni 2007

Leuchttürme der Wissenschaft...

... oder: was wir ohne Kant und Einstein nicht wüssten.

Es geht in manchen Diskussionen das "Schreckgespenst" um, dass wir (etwas übertrieben formuliert) noch in der Steinzeit leben würden, hätte es Kant, Aristoteles, Leonardo, Einstein, ... nicht gegeben. Manchmal liest oder hört man Formulierungen der Art "... ohne Kant gäbe es keine moderne Erkenntnistheorie..." usw.

Nun kann es sich dabei um eine Bequemlichkeit der Formulierung handeln; korrekter könnte man wohl sagen: "Wir verdanken Kant wesentliche Aspekte der modernen Erkenntnistheorie". Oder vielleicht, und jetzt komme ich zurück zum Titel dieses Blog-Eintrages, habe wir es eher mit dem "Leuchtturm-Phänomen" zu tun und derartige Formulierungen drücken tatsächlich aus, was manche Publizisten für richtig halten:

Es scheint so zu sein, als bräuchten wir als Menschen Identifikationsfiguren, denen wir dann verschiedene gute oder schlechte Aspekte der Menschlichen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte umhängen können. Nicht nur das, es scheint weiters zu durchaus durchsichtigen selbstverstärkenden Phänomenen zu kommen. Um bei Kant zu bleiben: Hat ein "Kant Fan" hunderte Studenten unterrichtet und entsprechend viele Publikationen erstellt so ist natürlich die Wahrscheinlichkeit dass sich dies überproportional fortpflanzt hoch. Dies kommt auch dem bekannten menschlichen Hang zur Simplifizierung zu Gute. Plötzlich hat Einstein die gesamte moderne Physik begründet und Kant ist der wichtigste Philosoph aller Zeiten (gut da streiten sich vielleicht noch manche klassische Philologen, und mögen Aristoteles einreklamieren). Davon abgesehen ist es natürlich auch deutlich bequemer sich nur mehr mit einer handvoll an "Lichtgestalten" auseinandersetzen zu müssen; an Stelle einer gründlichen Betrachtung einer breiteren Anzahl an Einflüssen.

Ich denke, dass es einerseits verständlich ist, dass wir Ideen, Geschichte gerne an Personen festmachen, andererseits verwischt die eindimensionale Betrachtung vielleicht doch ein wenig das tiefere Verständnis um die tatsächlichen Gegebenheiten. Ich möchte nicht falsch verstanden werden: Kant und Einstein sind auch aus meiner Sicht zweifellos sehr wesentliche Gestalten der Wissenschaftsgeschichte, aber ich fände es spannend anstelle der 100ten Lobhymne auf Einstein und Kant mal ein klareres Bild zu bekommen was bspw. Kant tatsächlich originär Neues beschrieben hat, was nicht vorher bspw. von Hume schon gesagt wurde.

Ich denke auch, dass es ein gedanklicher Fehler ist, Geschichte zu stark an einzelnen Personen oder Gegebenheiten aufzuhängen: Ich bin bspw. absolut davon überzeugt, dass es auch ohne Kant eine moderne Philosphie gäbe und ohne Einstein eine moderne Physik. Warum? So wenig konkret das klingen mag, aber ich denke dass die Zeit reif war für neue philosophische Ideen und neue physikalische Konzepte, schliesslich gab es nicht nur Einstein, sondern auch Plank, Bohr, Heisenberg, Pauli usw.

Betrachten wir etwa die spezielle Relativitätstheorie Einsteins. Eine enorme Leistung und dennoch: sie lag in der Luft.  Sie war eine klare Konsequenz der Erkenntnisse der Zeit. Man denke an die Experimente von Michelson und Morley, dann Hendrik Lorenz sowie weiters Henri Poincaré. Poincaré hat 1904 den wichtigen Schluss gezogen, dass es vermutlich unmöglich ist eine absolute Bewegung in einem Experiment festzustellen. Er nannte das "das Prinzip der Relativität". Er erkannte weiter, dass man eine neue Theorie benötigt, die von der konstanz der Lichtgeschwindigkeit ausgeht. Einstein war dann derjenige der den letzten wichtigen Schritt gemacht hat, und die neue Theorie auch formalisiert hat. Diese Leistung darf keinesfalls unterschätzt werden. Und dennoch: hätte es Einstein nicht gegeben, hätte mit größter Wahrscheinlichkeit eine der anderen Koryphäen der Zeit diesen Schritt gesetzt.

Vielleicht wäre es also auch einmal ein lohnendes Unterfangen zu versuchen den "Zeitgeist" genauer zu untersuchen, der in letzter Konsequenz natürlich in einzelnen Personen zu bestimmten Bahnbrechenden Ideen geführt hat.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)