Sonntag, 13. Mai 2007

Ist Fortschritt eine Illusion?

Der Philosoph Eckart Voland publizierte in Spektrum der Wissenschaft einen Artikel "Die Fortschrittsillusion". Dieser Artikel wurde zunächst auf der Spektrum der Wissenschaft Webseite online publiziert und zur Diskussion "freigegeben"; und danach im Heft publiziert und im Spektrum Podcast diskutiert. Voland vertritt hier den Standpunkt, dass Fortschritt an sich eine Illusion ist (Details kann man online nachlesen). Leider vertritt er diese These so platt, möchte ich sagen, dass dann aus meiner Sicht ein viel wichtigeres Detail untergeht, das er im Podcast ein wenig klarer macht: Natürlich ist die These dass es keinen Fortschritt gäbe aus meiner Sicht so nicht haltbar. Ich meine, das ist eine Aussage einer relativistischen Philosophie im Gedanken der sogenannten "Post-Moderne" die ich eigentlich für überwunden gehalten habe. 

Auch wenn Voland versucht mit argumentativen Verrenkungen zu erklären, dass bspw. Säugetiere evolutionär betrachtet keinen "Fortschritt" im Vergleich zu vielleicht Einzellern darstellen würden, sondern sie nur anders ausdiffernziert oder einfach komplexer wären oder dergleichen. Ich meine, man sollte derartig relativistische Positionen heute wirklich nicht mehr vertreten, sie führen sehr schnell zu Systemen der Beliebigkeit (bspw. jede Form der Kultur ist der anderen im Prinzip gleichwertig etc). 

Aber diese Dinge wurden von Autoren wie Daniel Dennett oder Hilary Putnam (bspw. in "Vernunft, Wahrheit und Geschichte") wirklich im Detail diskutiert. Im Prinzip sind das für mich unwesentliche Sprach-Spiele. Ich denke es gibt Fortschritt, das Problem ist allerdings, und an dieser Stelle werden seine Aussagen schon interessant, dass es für Fortschritt einen Maßstab geben muss. Wir brauchen irgendein Ordnungs-/Maßschema anhand dessen wir sagen können ob ein bestimmtes System, eine Idee, ein Lebewesen fortschrittlicher ist als andere. Und dieser Maßstab ist nun nicht objektiv gegeben bzw. zugänglich. Damit handelt es sich allerdings "nur" um die Variaten der lang bekannte Frage nach dem Zugang zu den "Dingen an sich" im Kantschen Sinn. Nichts wirklich neues hier also. Aber ein interessanter anderer Gesichtspunkt: Der für mich spannende Punkt den Voland v.a. im Podcast betont ist, dass wir in der heutigen Welt laufend von Beratern, Politikern, Wirtschaftsbossen, Journalisten belehrt werden, dass wir dem "Fortschritt" nicht im Wege stehen können. 

Dies wird mit einer solch non-chalenten Selbstverständlichkeit ausgedrückt als gebe es tatsächlich ein allgemeingültiges Maß an dem man eindeutig festmachen könnte, dass die Auswüchse des Kapitalismus bspw., mit dem wir zur Zeit konfrontiert sind in Wahrheit der Weg in den unvermeidbaren "Fortschritt" darstellt. Voland erklärt seinen Unwillen auf der Basis von "Fortschritt" argumentierten Aktivitäten Folge zu leisten, und ich möchte mich dem mit vollem Herzen anschliessen. Möchte man bspw. diskutieren, ob Computer in der Schule tatsächlich einen so großen Gewinn darstellen steht man als ewig-Gestriger dem "Fortschritt" der Lehre entgegen (um nur ein typisches Beispiel zu nennen). Denn wir lernen in unserer Gesellschaft: "massiver Einsatz von Technologie" = "Fortschritt". Möchte man dies Hinterfragen so ist man nach hinten gerichtet, stellt sich dem (unvermeidlichen?!) Fortschritt in den Weg. In dieser Kritik möchte ich Voland (sofern ich ihn hier richtig interpretiere) sehr gerne folgen, nur ist diese eben keine Konsequenz der Tatsache, dass es etwa keinen Fortschritt gäbe, den gibt es, sondern hat damit zu tun, dass es kein objektiv zugängliches Maß dafür gibt. 

Folglich glauben wir zu schnell an den Maßstab, den uns irdenwelche vermeintlichen oder tatsächlichen Autoritäten für "selbstverständlich" erklären. Die Lehre die zu ziehen wäre ist es, genau zu Hinterfragen, welche Idee von Fortschritt einer bestimmten Argumentationslinie zugrunde liegt, welche Vorteile für Einzelne möglicherweise diese Konzepte motivieren könnten. 

So könnte man feststellen, dass die Gleichung die wir uns alle verinnerlicht haben: "massiver Einsatz von Technologie" = "Fortschritt" vielleicht eine wirkliche gelungene Marketingstrategie der Technologie-Industrie darstellt. Wirklich gelungen auch deshalb, weil diese Grundannahme heute kaum mehr zu hinterfragen ist. Man erkennt dies auch sehr gut an den (v.a. in den USA) vorgeschlagenen "Lösungen" zum Klimawandel: Hier wird jede Lösung die nicht eine massive Technologiekeule darstellt als irrelevant und altmodisch dargestellt. 

Beispiel: es wird nicht erkannt, wieviel Energie unwahrscheinlich dumm verschwendet wird, wieviel Treibhausgase man einsparen könnte indem man (ohne den Lebensstandard zu verringern) einfach effizienter mit Resourcen umgeht. Es wird hingegen massiv in alternative Treibstoffe, Solartechnologien, Hybridautos, ... investiert. Sogar Überlegungen das Erdklima durch massives Düngen von Meeresgebieten zu "korrigieren" und andere massiv invasive Ideen werden in manchen Kreisen eher reflektiert als Häuser nach modenren Kriterien zu bauen und zu isolieren oder in den öffentlichen Verkehr zu investieren (das wären ja unwahrscheinlich langweilige und altmodische Ideen). Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass jede "High-Tech" Idee per se falsch oder überflüssig wäre (Solartechnologie hat sicherlich einiges für sich!), nur werden "low-tech" Varianten, die lange bekannt sind, nur eben keinen "hippen" Technologiestempel "des Fortschritts" haben so unmodern dass man sie niemandem verkaufen kann, so sinnvoll sie auch sein mögen. 

Diese Konzepte des "Fortschritts" und der "Moderne" wären vielleicht wirklich wert überdacht zu werden. Ergänzung 17.9.2008: Burkhardt Brinkmann schreibt ebenfalls einen sehr interessanten Blog-Eintrag zum Thema "Fortschritt" bezugnehmend auf den Artikel von Voland.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)