Samstag, 22. März 2014

Besser informiert – ohne Nachrichten

Vor mehr als zwei Wochen verschwindet ein Flugzeug der Malaysia Airlines (MH370) auf dem Flug von Kuala Lumpur nach Peking vom Radar und ist seitdem vermisst. Dies ist in aller Kürze die Faktenlage. Viel mehr ist nicht bekannt und was noch wichtiger ist: diese Faktenlage hat sich in den letzten zwei Wochen nicht wesentlich geändert.

Der vermisste Flug ist ein Musterbeispiel für das Versagen der heutigen Medien(industrie). Fakt ist (1) es gibt nahezu nichts substantielles zu berichten und (2) der wahrscheinliche Absturz eines Flugzeuges ist für die gut 200 Menschen und deren Angehörige tragisch, aber rechtfertigt – verglichen mit den Opfern anderer Technologien oder gesellschaftlicher Phänomene (beispielsweise des Autoverkehrs, der Unterernährung, Seuchen, Emission von Kohlekraftwerken etc.) – kaum mediales Getrommel über Wochen. Dennoch finden wir täglich "News" über diesen Vorfall. In CNN und anderen US-Sendern herrscht die dort übliche Hysterie vor, aber selbst deutschsprachige "Qualitätsmedien" können die Finger nicht von diesem (nicht) Thema lassen.

Mit anderen Worten: seit zwei Wochen wird berichtet, worüber es eigentlich nichts zu berichten gibt. Jedes Treibgut, das irgendein Flugzeug sichtet, jede noch so fragwürdige Beobachtung wird ohne weitere Prüfung zur Schlagzeile auf der Titelseite der Medien-Outlets, oder "Breaking News" auf CNN und Co. Sogar der Österreicher, dem vor etlichen Jahren der Pass in Malaysien gestohlen wurde, mit dem ein Passagier illegal an Bord gelangte, wird vom österreichischen Rundfunk (!) vor die Kamera gezerrt und interviewt. Man müsste wirklich, wirklich lange suchen, um einen noch irrelevanteren Beitrag zum Thema zu finden.

Das für uns tatsächlich Bedeutsame findet kaum Platz in den Medien. Zur Schlagzeile wird das Seltene und damit für die meisten Menschen eigentlich Irrelevante. Das Seltene wird ins Licht gezerrt und erhält eine Bedeutung, die ihm in keinster Weise zusteht. 

Selbst wenn eine Nachricht im Grunde relevant wäre (wie etwa die Krim-Krise), so geht das, was berichtenswert wäre, im Rauschen uninformierter Gerüchte und spekulativer sowie suggestiver Berichterstattung unter. Der Schuss, den irgendein Soldat in die Luft feuert, sticht im Zweifelsfall jede grundlegende politische Analyse der Interessenlagen aller Beteiligten. Gut und Böse will möglichst einfach definiert werden, Wahrheit wir nicht einmal gesucht. Was in das gewünschte Bild passt wird berichtet, was nicht passt, wird passend gemacht.

So heiß das Strohfeuer auch brennt, so schnell brennt es auch nieder –  der nächste Unfug wird in die Scheinwerfer gezerrt und belegt dann die (ohnedies geringe) Aufmerksamkeit der Zuseher. Darin liegt das eigentliche Problem: viele Menschen glauben immer noch informiert zu sein, wenn sie Zeitungen, "Internet-News" oder Fernseh-Nachrichten konsumieren. Wahrscheinlich ist genau das Gegenteil der Fall. Unsere begrenzte Aufmerksamkeit wird mit unwesentlichen Einzelfällen belästigt und unter dem Zwang ständig vermeintlich Neues zu berichten, wird das Mikroskop auf das Rauschen gerichtet, das tatsächlich relevante Information überflutet. Gibt es nichts zu berichten, wird inszeniert und belanglose "Zeugen" vor dramatischer Kulisse befragt. "News" wird damit in der heutigen Logik fast zwangsläufig zur Desinformation. 

In der heutigen Logik deshalb, weil wir in einem Zeitalter leben, in dem Daten keine Mangelware sind. War es früher die Herausforderung Daten über den Globus zu verteilen, so stehen wir heute offensichtlich vor dem gegenteiligen Problem: der totalen Überflutung jedes Lebensbereiches mit Daten (und dem irrigen Glauben, dass mehr Daten zu mehr Information führt). Medien und News-Unternehmen tragen mit Enthusiasmus dazu bei, diese Problematik noch zu verschärfen. Die eigentliche Aufgabe, an der die Medien zunehmend scheitern, ist die Aufarbeitung dieser Daten, das Erzeugen tatsächlicher Information, nicht die belanglose Befriedigung von Schaulust.

Diesem Irrtum unterliegen (diese Randbemerkung sei hier erlaubt) im Übrigen auch die Geheimdienste, die glauben, mit maximaler Datenfülle relevante Information gewinnen zu können. Wenn es darauf ankommt, sind sie trotz aller Spionagesatelliten, Kriegsschiffe und Bespitzelung fast jedes Menschen nicht einmal in der Lage ein verlorenes Flugzeug zu finden. Stattdessen belästigen sie harmlose Bürger durch falsche Verdächtigungen, gespeist von fragwürdigen Algorithmen (und nähren die völlig verzerrte Risikowahrnehmung der Bevölkerung mit ihrer Propaganda). Wie viel Schaden durch den Glauben an algorithmische Präzision in der Zukunft angerichtet wird, lässt sich indes noch gar nicht ermessen. Und wir sind nur einen Schritt davon entfernt, dass Nachrichten ebenfalls automatisiert von Software "geschrieben" werden. (Teilweise, beispielsweise in der Sportberichterstattung oder bei Wetterberichten scheint dies schon stattzufinden.)

Der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann schreibt: 
"Unter den zahlreichen Definitionen für Information ist vielleicht die des amerikanischen Systemtheoretikers Gregory Bateson noch immer am erhellendsten: Information ist »irgendein Unterschied, der bei einem späteren Ereignis einen Unterschied macht.«"

Womit wir bombardiert werden ist die Antithese von Information.

Festzustellen bleibt: wer über die Lage der Welt informiert sein möchte, sollte "News" aller Art so weit wie möglich vermeiden.

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)