Sonntag, 16. Februar 2014

Der vergessene Faktor: warum Verfügbarkeit von Ressourcen nicht alles ist

Energy Return on Energy Invested (EROEI) ist ein Begriff, der in der öffentlichen Diskussion noch nicht Fuß gefasst hat, der aber zu den wichtigsten Parametern der zukünftigen Energieversorgung zählen könnte. Jede Form der Energiegewinnung (Energy Return) benötigt auch Energie um diese freizusetzen (Energy Invested). Um die Energie der Kohle nutzen zu können muss sie gefördert, zerkleinert, transportiert, verteilt werden. Nach Öl und Gas muss gebohrt, das Rohöl in Raffinierien aufbereitet werden. Für Solarzellen müssen Rohstoffe gefördert und die Zellen produziert werden. Energieproduktion macht naturgemäß nur dann Sinn, wenn der Ertrag höher ist als die investierte Energie – aber um wieviel muss der Ertrag den Aufwand übersteigen?

Ölsand-Abbau in Alberta, Kanada (Foto von howlmontreal)
Das Wirtschaftswachstum des letzten Jahrhunderts, aber auch die "grüne Revolution", also die enorme Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität der 1960er Jahre, war auch eine Folge fossiler Energieträger, die kostengünstig große Erträge bei geringen Investitionen erlaubte. Die Situation ändert sich allerdings radikal: Um die gleiche Menge an fossilen Energieträgern (Kohle, Öl, Gas) zu gewinnen muss immer mehr Energie eingesetzt werden (beispielsweise für aufwändigeren Bergbau oder immer tiefere Offshore-Bohrungen oder Fracking, ganz zu schweigen von der Gewinnung aus Ölsand in Kanada). Auch der Umstieg auf andere Energieträger ist in der Regel mit wesentlich geringeren EREOIs verbunden.

Die konkreten Zahlen sind umstritten, aber man kann in etwa von folgenden Richtwerten ausgehen: 
  • Die ersten Ölförderungen in Saudi Arabien brachten einen EROEI, also ein Verhältnis von gewonnener Energie zu eingesetzter Energie von etwa 100:1. 
  • Global (über alle Energieträger) betrachtet lag das Verhältnis im Jahr 1990 noch bei etwa 40:1, 2010 bei 20:1. 
  • Schätzungen zufolge soll es bis 2020 auf ca. 10:1 sinken. 
  • Energiegewinnung aus Ölsand wie in Kanada hat (neben gigantischer Umweltzerstörung) nur einen EROEI von etwa 3:1. 
  • Bei sogenannten Biotreibstoffen der ersten Generation (also beispielsweise Bio-Ethanol aus Mais) liegt der EROEI überhaupt nur (wenn überhaupt) knapp über 1, ist also nach rationalen Maßstäben kaum zu rechtfertigen. 
  • Erneuerbare Energien, auf die viel Hoffnung gesetzt wird, sind nicht ganz leicht einzuordnen, für Photovoltaik liest man Werte von etwa 7:1, für Wind etwa 18:1, allerdings sind in diesen Rechnungen einerseits häufig die notwendigen Energiespeicher nicht enthalten, andererseits gibt es hier möglicherweise noch einiges Entwicklungspotential bei neueren Technologien.

Die zunehmende Ressourcenknappheit lässt sich also sehr deutlich am EROEI-Faktor ableiten. Aussagen, dass wir noch für lange Zeit genug Öl und Gas haben werden, sind für sich genommen vielleicht richtig, aber unerheblich. Die ökonomisch wesentlichere Frage ist, mit welchem Aufwand diese zu gewinnen sind, und auch dieser Aufwand wird offenbar exponentiell größer. Kurz gesagt: die Zeit der "unbegrenzten", leicht verfügbaren und billigen Energie ist – nicht nur aufgrund der Umwelt-Auswirkungen, sondern auch aus rein ökonomischen Erwägungen – vorbei.

Dies hat erhebliche Folgen für unser Wirtschaftssystem, für die Umwelt, sowie für die Nahrungsproduktion, die im letzten Jahrhundert im wesentlichen von billiger Energie getrieben wurden. Um dies an einem Beispiel zu veranschaulichen: um physische Arbeitsleistung, die in einem Liter Benzin für derzeit ein bis zwei Euro steckt von einem Menschen erledigen zu lassen, würde dies ganz grob geschätzt rund 2.000 Euro an Arbeitskosten verursachen. Der Übergang von der Subsistenz-Wirtschaft hin zu exponentiellem Wirtschaftswachstum – auf dem unsere Gesellschaft derzeit aufbaut – beruht also auf billiger und leicht verfügbarer Energie. Billige Energie, die wir in Zukunft nicht mehr zur Verfügung haben werden. 

Charles Hall, ein Ökologe an der State University of New York, und einer der Erfinder der EROEI-Metrik sagt in einem Interview für die Zeitschrift Scientific American:
»Da alles, was wir machen, von Energie abhängig ist, können wir nicht einfach mehr und mehr dafür bezahlen um unsere Gesellschaft am Laufen zu halten. Ab einem bestimmten EROEI – ich vermute 5:1 oder 6:1 – funktioniert dies überhaupt nicht mehr. […] Bei einem EROEI von 1,1:1 kannst du das Öl aus dem Boden fördern und ansehen. Bei 1,2:1 kannst du es raffinieren und ansehen. Wir haben uns den kleinsten EROEI angesehen, der notwendig ist, um ökonomisch einen Lastwagen zu fahren, und dieser liegt zumindest bei 3:1 am Bohrkopf. Wollen wir den LKW auch noch mit Mais beladen, so brauchen wir 5:1. Das inkludiert die Abschreibung des LKWs; berücksichtigen wir auch noch den Fahrer, die Arbeiter am Ölfeld, die Bauern und deren Familie, dann benötigen wir einen EROEI von 7:1. Und wenn wir zusätzlich Schulen und Ausbildung finanzieren wollen, 8:1 oder 9:1. Und falls wir uns auch noch eine Gesundheitsversorgung leisten wollen 10:1 oder 11:1.«
(»Since everything we make depends on energy, you can't simply pay more and more and get enough to run society. At some energy return on investment—I'm guessing 5:1 or 6:1—it doesn't work anymore. […] If you've got an EROI of 1.1:1, you can pump the oil out of the ground and look at it. If you've got 1.2:1, you can refine it and look at it. At 1.3:1, you can move it to where you want it and look at it. We looked at the minimum EROI you need to drive a truck, and you need at least 3:1 at the wellhead. Now, if you want to put anything in the truck, like grain, you need to have an EROI of 5:1. And that includes the depreciation for the truck. But if you want to include the depreciation for the truck driver and the oil worker and the farmer, then you've got to support the families. And then you need an EROI of 7:1. And if you want education, you need 8:1 or 9:1. And if you want health care, you need 10:1 or 11:1.«)

Nicht-fossile Energieträger mit einem EROEI von mindestens 11:1 werden unsere Wissenschaft und Technologie auf eine harte Probe stellen. Zumal bei 11:1 das vergangene Wirtschaftswachstum wohl zu Ende ist. Daher werden sich auch unser Wirtschaftssystem und (der materielle) Lebensstandard auf große Änderungen einstellen müssen.

Referenzen

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die Relation ist wichtig und wäre ein Ansatzpunkt für die Diskussion von Nachhaltigkeit!
Ein Liter Benzin hat den Wert von rund 2.000 Euro, ja ich hab nachgerechnet:

Nehmen wir an die Person hat 80 kg, dann rechnen wir mit einer Leistung von 2 W/kg Körpergewicht, ergibt eine Leistung von 160 W. In einem Liter Benzin stecken ca. 10 kWh, also 63 Arbeitsstunden, ergibt pro Stunde 32 Euro.

Ein PS = 735 W, Leistung in einem Arbeitsmonat 118 kWh oder 12 L Benzin, macht bei monatlichen Kosten eines Pferdes von rund 200 € immer noch 17 € für einen Liter pferdgeleistetes Benzinäquivalent.

Wäre das der Marktpreis, dann hätten wir weniger Umweltprobleme!
Nicht erneuerbare Ressourcen sollten hoch besteuert werden, um der Allgemeinheit auf dem Weg etwas zurückzugeben.

Danke für Ihren Beitrag!
Johannes Fechner

Alexander Schatten hat gesagt…

Vielen Dank für die Detaillierung der Rechnung, ich wollte das nicht im Detail erwähnen.

Natürlich gibt es eine große Bandbreite, welche Annahmen man trifft, aber das Fazit ist ganz klar: Unsere Gesellschaft lebt (und wächst!) auf der Basis billiger und leicht verfügbarer Energie. Mit menschlicher oder tierischer "Energie" wäre das niemals möglich gewesen. Selbst wenn wir Pferde oder Esel annehmen. Deren Futter muss auch angebaut werden, Abfälle entsorgt, usw. usf.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)