Sonntag, 3. Februar 2013

"Fear"-"Uncertainty" and "Doubt": Lehrlinge der Tabaklobby


Dass wir bei dem notwendigen Umbau unserer Gesellschaft und Wirtschaft in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hin zu einer nachhaltigeren Gesellschaft auch auf erhebliche Widerstände stoßen werden, ist offensichtlich. Die Eigenschaft komplexer Systeme spielt  Lobbyisten und fragwürdigen Interessensverbänden in die Hände. Lassen wir uns nicht verunsichern, auch nicht von einer Taktik, die in den letzten Jahrzehnten perfektioniert wurde. Die Amerikaner nennen das Prinzip "FUD": Fear, Uncertainty and Doubt; also "Furcht", "Unsicherheit" und "Zweifel". Die Strategie ist einfach aber wirkungsvoll und wurde vermutlich das erste Mal in großem Maßstab von der Tabak-Lobby eingesetzt. Die Klimawandel-Leugner verwenden diese Strategie ebenso wie die Gentechnik-Kritiker, Handy-Strahlen-Angstmacher oder Proponenten des Kreationismus (Anti-Evolutionstheorie). Um die Strategie besser zu verstehen, werfen wir einen Blick auf die Propaganda-Erfolgsgeschichte der Tabaklobby (in den USA): 

Bereits in den 1930er Jahren zeigen Wissenschafter in Deutschland, dass Rauchen Krebs verursachen kann. Die Nazis betreiben sogar erste Anti-Raucher Kampagnen. Mit Erkenntnissen von "Nazi-Wissenschaftern" war aus verständlichen Gründen nach dem Krieg kein Staat zu machen. Spätestens seit den 1950er Jahren kommen aber amerikanischen und europäische Forschern zu denselben Ergebnissen. Die experimentellen und epidemiologischen Befunde gelten als bei weitem ausreichend und im Jahr 1957 erklärt das US-amerikanische Gesundheitsministerium, dass Rauchen die Hauptursache für die Zunahme an Lungenkrebs darstellt. 1959 erklären führende Wissenschafter sogar, dass der Zusammenhang zwischen Rauchen und Krebs nicht mehr angezweifelt werden kann.

In Hinsicht auf die Folgen des Tabak-Konsums ist die Situation in den 1950er und 1960er Jahren vergleichbar mit dem Kenntnisstand über den Klimawandel in den 1980er und 1990er Jahren. Wissenschaftlich ist das Thema geklärt. Es gibt zahlreiche offene Detailfragen, aber der prinzipielle Zusammenhang ist unstrittig. Im Jahr 1960: Rauchen verursacht Krebs; im Jahr 1990: wir Menschen verursachen einen (wahrscheinlich katastrophalen) Klimawandel. 

So weit, so eindeutig. Was dann ab den 1950er Jahren passiert, ist nicht nur von historischem Interesse: Die Tabakindustrie erkennt die Gefahr, die durch die Erkenntnisse der Wissenschafter droht (ebenso wie die Öl- und Kohle-Lobby heute). Auch kommen die eigenen Wissenschafter zu vergleichbaren Erkenntnissen, was die Gefährlichkeit des Tabaks angeht. Es wird noch schlimmer: bereits in den 1960er Jahren ist der Tabakindustrie auch bekannt, dass Nikotin süchtig macht. Eine Tatsache, über die in der allgemeinen Öffentlichkeit noch bis in die 1980er Jahre (!) diskutiert wird.

Die Industrievertreter hatten eine vergleichsweise einfache, aber wirkungsvolle Strategie entwickelt: Eine Vielzahl an wissenschaftlichen Instituten erhielt größere Mengen an finanziellen Mitteln. Darunter waren natürlich auch einige wenige, die Studien publizierten, die genau auf der Linie der Industrie lagen, oder gar Gefälligkeitsgutachten verfassten. Mehr als einzelne "Abweichler" waren nicht nötig. Journalisten fühlten sich damals verpflichtet vermeintlich "ausgewogen" zu berichten. Viele waren auch nicht in der Lage zu erkennen, dass nur eine ganz geringe Zahl an Wissenschaftern eine dem Konsens abweichende Meinung vertrat, und dies selbstverständlich nicht gleichwertig mit einem wissenschaftlichen Konsens dargestellt werden darf. (Außerdem verkaufen sich hitzige Debatten und Kontroversen besser als klare Erkenntnisse.) Sie hatten weiters nicht erkannt, dass die meisten dieser ohnedies schon geringen Zahl an Zweiflern von der Tabakindustrie bezahlt wurden. 

All dies führte letztlich dazu, dass es bis in die 1970er und 1980er Jahre eine Diskussion in der Öffentlichkeit und in den Medien gab. Ja sogar in den 1990er Jahren wurde noch von Einzelnen lautstark bezweifelt, dass Passivrauchen schädlich sei. In den meisten Industrieländern wurden daraus mittlerweile (wenn auch Jahrzehnte zu spät) Konsequenzen gezogen. In Österreich ist es aber selbst im Jahr 2013 noch möglich (wider jeder Vernunft) in Gaststätten zu rauchen!

Es ist wichtig zu verstehen, dass es für die Tabakindustrie nie darum ging diese Diskussion zu gewinnen. Die Fakten waren klar und jeder in der Industrie wusste das. Die wesentliche Erkenntnis war die folgende: Argumente zählen nicht – sie sind irrelevant. Man gewinnt nicht mit Argumenten, sondern es ist ausreichend, eine Diskussion zwischen vermeintlichen Experten in der Öffentlichkeit aufrecht zu halten und damit Unsicherheit und Zweifel zu stiften. Journalisten berichten und die Menschen hören ohnedies nur mit einem Ohr zu (besonders, wenn die Botschaft eine unbequeme ist). Was die Öffentlichkeit aber fälschlicherweise mitnimmt ist, dass es ganz offenbar noch eine Diskussion zwischen Experten gibt (denn sonst wären sie ja nicht in den Medien), und die Sachlage folglich noch nicht geklärt wäre. Wichtig ist also nur die Präsenz und damit das Vermitteln des Eindrucks, die Faktenlage wäre noch unklar.

Eine völlig falsche Erkenntnis in der Sache, aber das perfekte Ergebnis für die (Tabak)industrie. "Uncertainty" (Unsicherheit) und "Doubt" (Zweifel) gewinnen, wichtige politische und gesellschaftliche Entscheidungen werden verzögert.

Die Tabakindustrie hat vorgezeigt, wie man die Bevölkerung ohne größere Anstrengung mehr als 30 Jahre hinters Licht führen kann. Die Kohle-, Öl- und Auto-Lobby, aber auch Kreationisten und religiöse Fanatiker oder Impfgegner übernehmen heute dieselben Praktiken. Solange man noch irgendeinen Wirrkopf mit akademischem Titel (besser noch einen Arzt) finden kann, der in der Öffentlichkeit den Eindruck eines Diskurses unter Wissenschaftern vermittelt, haben sie gewonnen. Es ist dieselbe Strategie, mit der Ergänzung des dritten Faktors "Fear" (Angst). Veränderung verunsichert viele Menschen und so wird zu der jahrzehntelang erprobten Tabak-Taktik eben noch "Angst" hinzugefügt: es wäre nicht möglich ohne Kohle und Öl auszukommen; der Umstieg wäre wirtschaftlich ruinös; alle anderen machen es auch nicht, "wir" können uns das alleine nicht leisten; Millionen Arbeitsplätze (ganz besonders Ihrer) wäre gefährdet; fossile Energie ist freie Marktwirtschaft – und wir alle wollen ja keinen Kommunismus oder Planwirtschaft; wir lösen das Problem mit anderen (technischen) Mitteln, Stichwort "clean coal", usw. Die meisten Argumente sind unsinnig, längst widerlegt oder stehen jedenfalls in keinem Verhältnis zu den angerichteten Schäden. Aber sie fügen der Unsicherheit und dem Zweifel noch Angst hinzu. 

Wenn es diesen Lobbyisten gelingt, wesentliche  politische Entscheidungen gegen den Klimawandel – vergleichbar der Tabaklobby – für weitere Jahrzehnte hinauszuzögern, so werden die Konsequenzen für uns alle mit großer Wahrscheinlichkeit katastrophal sein. Aber nicht nur Industrievertreter wenden diese "FUD" Strategie mit großem Erfolg an, sondern auch "die andere Seite", nämlich viele Umweltschutz-Organisationen. Wir können das Wort "Tabakindustrie" oder "Kohlelobby" auch durch "Gentechnik-Gegner" ersetzen, und finden dieselben Prinzipien wieder. Diese Polarisierung auf beiden Seiten, die in den letzten Jahrzehnten kultiviert wurde, führt zu einer völlig irrationalen Schlammschlacht, die nur Verlierer kennt.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)