Sonntag, 9. Juni 2013

Die Welt um 2050 – eine Aufforderung zur Diskussion

Singularisten und andere Scharlatane

Was soll dieses Posting? Gute Frage, daher vorweg ein paar Anmerkungen: Ich halte wenig von Propheten, Singularisten, den meisten "Zukunftsforschern" und anderen Scharlatanen, die uns erklären wollen, wie die Welt in 30, 50, 100 Jahren aussehen wird. Es gibt viel zu viele Einflussfaktoren, die die Entwicklung in eine jeweils völlig andere Richtung treiben könnten. Entsprechend viel Unsinn finden wir in diesem Bereich. Die meisten Akteure sind Selbstdarsteller, die zumeist sich selbst vermarkten wollen. Daher überrascht es kaum, dass Vorhersagen über die heutige Zeit, etwa vom Anfang des 20. Jahrhunderts, in den meisten Fällen kaum zutreffend sind. Sehr häufig wird der kurzfristige Effekt neuer Entwicklungen weit überschätzt und die langfristigen Effekte unterschätzt. Auch ist es oftmals überraschend, wie wenig sich manche Dinge über lange Zeiträume hinweg verändern.

Szenarien als Entscheidungsgrundlage

Das bedeutet aber nicht, dass ich es für eine schlechte Idee halte, sich mit möglichen und wahrscheinlichen Entwicklungen auseinanderzusetzen. Hier gibt es feine, aber wichtige Unterschiede. Im ersten Fall sprechen selbsternannte Propheten, die uns erklären, wie die Zukunft sein (oder nicht sein) wird. Im zweiten Fall analysieren wir ernsthaft die aktuelle Situation, Probleme, Risiken, Herausforderungen, Forschung und Trends, die sehr wohl absehbar sind, und überlegen uns (auf der Basis verschiedener Szenarien und nicht eindimensionaler Prognosen) mit welchen Entwicklungen wir zu rechnen haben. Dies bedeutet nicht, dass die identifizierten Trends sich fortsetzen müssen oder dass Risiken schlagend werden – denn in vielen Fällen haben wir die Wahl gegenzusteuern. Um aber entsprechende Entscheidungsgrundlagen zu haben, ist es notwendig die großen Trends und Risiken und deren wahrscheinliche Konsequenzen ("business as usual") zu identifizieren und zu verstehen. Natürlich gilt auch hier, dass die Unsicherheiten groß sind. Der Szenario-basierte Ansatz versucht nicht  unbedingt vorherzusagen, wie die Situation in der Zukunft genau sein wird, sondern wie sie wahrscheinlich sein wird, wenn bestimmte Rahmenbedingungen gelten. Daher können auch verschiedene Szenarien nebeneinander stehen, die bestimmte wahrscheinliche Entwicklungen unter bestimmten Rahmenbedingungen darstellen.

Ein Beispiel: Wenn ich mit 100km auf eine Klippe zufahre und noch 2 km entfernt bin, so ist es für einen externen Beobachter nicht vorherzusagen, ob ich abstürzen werde, oder nicht. Dies ist es aber, was die genannten Pseudowissenschafter versuchen. Allerdings kann ich verschiedene plausible Szenarien darlegen. Ich kann beispielsweise vorhersagen, dass das Auto zerstört werden und der Fahrer mit größter Wahrscheinlichkeit sterben wird, wenn das Auto nicht bremst und über die Klippe stürzt. Ich kann ebenfalls anhand der Automarke, des Untergrundes und der Geschwindigkeit recht genau abschätzen, wann der letzte Zeitpunkt ist, zu dem noch gebremst werden kann um den Absturz zu verhindern. Mit anderen Worten, ich kann mit ziemlicher Präzision den Point of no Return berechnen, den Punkt also, ab dem selbst eine Vollbremsung den Absturz nicht mehr vermeiden kann. Dies ist Szenario-Entwicklung einer recht einfachen Problemstellung.

Ebenso können wir bestimmte Entwicklungen unter bestimmten Rahmenbedingungen (etwa, dass es keine massiven Katastrophen wie Atomkriege, Totalkollaps der Wirtschaft oder Asteroideneinschläge gibt) der Welt abschätzen: etwa die Bevölkerungsentwicklung, Energiebedarf, Rohstoffbedarf usw. Trotz aller Unsicherheiten: selbst wenn diese Szenarien keine Vorhersage darstellen, so machen sie doch deutlich, mit welchen Entwicklungen wir zu rechnen haben, wenn wir bestimmte Entscheidungen treffen (oder nicht treffen).

Vorwort zu den Szenarien

"Wir haben es heute mit den gleichem Umweltproblemen zu tun, die auch frühere Gesellschaften zu Fall brachten, und zusätzlich kommen vier weitere hinzu: vom Menschen verursachter Klimawandel, Anhäufung von Umweltgiften, Energieknappheit und die vollständige Nutzung der weltweiten Photosynthesekapazität durch den Menschen. Die meisten dieser [...] Gefahren werden den Voraussagen zufolge in den kommenden Jahrzehnten eine kritische Phase erreichen: Entweder haben wir die Probleme bis dahin gelöst, oder die Probleme werden nicht nur Somalia zugrunde richten, sondern auch die Gesellschaft in den Industriestaaten. Wahrscheinlicher als ein Weltuntergangsszenario, in dem die Menschen aussterben oder die industrielle Zivilisation einen apokalyptischen Zusammenbruch erlebt, ist eine Zukunft mit 'nur' erheblich geringerem Lebensstandard, einer größeren ständigen Gefährdung und dem Verfall dessen, was wir heute für unsere zentralen Werte halten. Ein solcher Zusammenbruch kann sich in verschiedenen Formen ereignen, beispielsweise durch die weltweite Verbreitung von Krankheiten oder aber durch Kriege, die ihre Ursachen letztlich in der Knappheit der Umweltressourcen haben. Wenn diese Überlegung richtig ist, bestimmen wir mit unseren heutigen Bemühungen über den Zustand der Welt, in der die Generation der derzeitigen Kinder und jungen Erwachsenen in ihren mittleren und späteren Jahren leben wird.", Jared Diamond, Kollaps

Ich habe mich in den letzten Jahren intensiv mit nachhaltiger Entwicklung auseinandergesetzt und versucht aus meinen persönlichen Erkenntnissen globale Szenarien zu skizzieren, die ich für wahrscheinlich halte. Die Szenarien sind in drei Kategorien eingeteilt:

  1. Szenarien, die im wesentlichen positiv für die Menschheit sind
  2. Szenarien deren Ausgang unklar ist oder für verschiedene Regionen sehr unterschiedliche Ergebnisse bringt, sowie "Business as Usual" Szenarien, also solche, die im wesentliche das derzeitige Handeln fortschreiben
  3. Szenarien, die negativ für die meisten Menschen sind. Bei jedem Szenario versuche ich die Grundannahmen stichwortartig darzulegen und die daraus aus meiner Sicht wahrscheinlichste Entwicklung. Diese Szenarien sind auch eine Liste sehr fundamentaler Bedrohungen, die unter bestimmten Bedingungen schlagend werden können.
Die einzelnen Szenarien sind nicht notwendigerweise isoliert; eine Mischung ist teilweise ohne weiteres denkbar und ist teilweise auch in den Kommentaren angedeutet.

Warum mache ich dies? Es würde mich sehr freuen, wenn dieses Posting als Kristallisationskeim für eine Diskussion wirkt. Mit anderen Worten: ich veröffentliche diese nicht ganz reife Analyse in der Hoffnung ernsthafte Kritik und Anregungen zu bekommen. Die Szenarien, die im unten stehenden Dokument gelistet sind, stellen nach meiner Ansicht Megatrends beziehungsweise Optionen dar. Jedes Szenario hat für sich genommen eine bestimmte Wahrscheinlichkeit, die einerseits von nicht leicht beeinflussbaren Faktoren (Naturkatastrophen, außer Kontrolle geratene Technologien) sowie von den Entscheidungen, die wir als Gesellschaft treffen abhängig ist.

Die eigentlichen Szenarien sind als PDF-Dokument verfügbar, weil sie "work in progress" sind in einem Outliner von mir gewartet werden. Ein Umformen in Fließtext ist mir offen gestanden zu mühsam und wäre auch nicht gut zu lesen. Welche konkreten Kommentare würde ich mir erhoffen:

  • Persönliche Einschätzung und Diskussion der Wahrscheinlichkeiten
  • Diskussion der Szenarien: sind manche überflüssig, irrelevant, übertrieben? Fehlen wichtige Szenarien oder Einflussgrößen
  • Empirische Belege, ergänzende Literaturempfehlungen

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)