Sonntag, 25. November 2012

James Watson – "Die Doppelhelix"

Im Jahr 1968 veröffentlicht James Watson sein Buch, "Die Doppelhelix". Er beschränkt sich in diesem Buch nicht auf die Beschreibung der wissenschaftlichen Fakten, die zur Entdeckung der DNS geführt haben, sondern – und das machte das Buch so populär – er beschreibt auch die Arbeit der beteiligten Wissenschafter in sehr lebendiger Weise. Viele seiner Zeitgenossen vertraten die Ansicht, dass die Darstellung nicht nur lebendig, sondern an einigen Stellen grob verzerrend sei. Wäre es nach Francis Crick gegangen, so hätte er sich nur auf die Beschreibung der wissenschaftlichen Seite beschränken sollen. Das Buch wäre mit Sicherheit nicht so kontroversiell ausgefallen, aber ein Bestseller wäre es auch nicht geworden. Was ist von dem Buch zu halten? Gehen wir zurück ins Jahr 1966:

Der zunächst kontaktierte Verleger Harvard University Press ist offenbar verunsichert über Watsons Darstellungen einiger Personen und sendet das Manuskript an Kollegen Watsons, unter anderem an Max Perutz, Francis Crick und Maurice Wilkins. Max Perutz ist nicht prinzipiell gegen die Veröffentlichung, verwehrt sich aber gegen die Darstellung von Rosalind Franklin und Lawrence Bragg. Francis Crick und Maurice Wilkins hingegen kritisieren dem Verlag gegenüber das Manuskript mit deutlichen Worten und empfehlen Harvard University Press dieses Buch nicht zu veröffentlichen.

Watson hat allerdings (als Nobelpreisträger) kein Problem einen anderen Verleger zu finden. "Die Doppelhelix" wird ein sehr großer Erfolg. Dies ist bemerkenswert, wenn man bedenkt, dass sich Wissenschafts-Bücher, die eine recht komplexe Materie behandeln, in der Regel nicht sehr gut verkaufen. Was steckt nun hinter der Kritik an Watsons Buch? Gerade Wissenschafter neigen fallweise dazu, Sachverhalte in allen Details und möglichst präzise darlegen zu wollen, was der Popularisierung komplexer Themen nicht dient. Vereinfacht der Autor und schlägt eine lockere Sprache ein, ist das Ergebnis manchen Kollegen zu "unernst". War die Kritik der Kollegen also übertrieben? Waren sie einfach nur zu humorlos?

"Rechthaberische Narren"

Watson versucht das Zusammenspiel der Persönlichkeiten, die Konflikte, Freundschaften und auch "Mauscheleien" auf humorvolle Weise darzustellen. Dies ist dem Buch grundsätzlich zu Gute zu halten, denn es gelingt auch nicht-Wissenschafter für diese komplexe Materie zu interessieren. Zwischen humorvoller Betrachtung in flapsigem Stil und überheblicher Aburteilung anderer ist aber nur ein schmaler Grat und Watson gelingt dieser Balanceakt nicht immer. Die Überhöhung führt auch dazu, dass wichtige wissenschaftliche Prinzipien verzerrt dargestellt werden. Watson schreibt beispielsweise über die Rolle der DNS als Träger der genetischen Information:
"Natürlich gab es auch Wissenschafter, die das Beweismaterial, das für die DNS sprach, nicht für schlüssig hielten und lieber glaubten, die Gene seien Proteinmoleküle. Francis [Crick] kümmerte sich jedoch nicht weiter um diese Skeptiker. Viele von ihnen waren rechthaberische Narren, die mit unfehlbarer Sicherheit stets auf das falsche Pferd setzten. Überhaupt konnte man nicht erfolgreich Wissenschaft treiben, ohne sich darüber klar zu sein, daß die Wissenschaftler […] zu einem beträchtlichen Teil nicht nur engstirnig und langweilig, sondern auch einfach dumm sind."
Zugegeben, viele Menschen sind dumm, und auch unter Wissenschaftern findet man nicht nur Anwärter auf den Nobelpreis. Dennoch bin ich verlockt hier anzumerken, dass es im Nachhinein leicht ist, gescheit zu reden. Es stimmt, heute wissen wir, dass der Ansatz von Watson und Crick richtig war. Ende der 1940er Jahre und bis Mitte der 1950er Jahre war dies nicht so eindeutig. Es gab meines Wissens nach noch vergleichsweise wenig stichhaltige Daten, und beide Möglichkeiten waren noch im Spiel. Überhaupt gibt es in der Wissenschaft eigentlich nie "Beweise" sondern nur "Hinweise". (Es könnte sich hier allerdings auch um eine problematische Übersetzung in der deutschen Version handeln.) Beweise (proof) gibt es nur in der Mathematik. In den Naturwissenschaften und der Medizin spricht man von "evidence". Dieses Wort lässt sich leider nur schwer ins Deutsche übersetzen. Im Wörterbuches liest man "Hinweis", "Anzeichen", "Beleg" aber auch "Beweis". Die ersten Begriffe sind im deutschen zu schwach, "Beweis" ist hingegen zu stark.

Bleiben wir aber noch beim Zitat: In der Geschichte der Wissenschaft kommt es regelmässig vor, dass (junge) Wissenschafter neue Ideen haben, neue Theorien vorschlagen, oder Beobachtungen machen, die sie selbst für bahnbrechend halten. Eben diese Wissenschafter halten dann häufig auch ihre Kollegen für verbohrt, weil diese nicht die gleiche Begeisterung für ihre neuen Ideen aufbringen, sondern diese kritisch hinterfragen. Aber gerade dieses kritische Hinterfragen (und das sollte auch Watson wissen) ist der entscheidende Unterschied zwischen Wissenschaft und Esoterik.

Der Wissenschaft wäre in keiner Weise gedient, würde jede neue Idee Begeisterungstürme auslösen. Ganz im Gegenteil: In der Esoterik folgt eine Guru, der behauptet die Erklärung der Welt gefunden zu haben, in Wahrheit aber nichts vernünftiges beigetragen hat, dem nächsten. Die (sehr!) kritische Reflexion neuer Ideen aber ist der Weg, der zu neuem Wissen führt. Denn was "Guru-Watson" verschweigt ist, dass die allermeisten neuen "genialen" Einfälle sich als falsch herausstellen. Sie sind nach kurzer Zeit aus dem wissenschaftlichen Diskurs verschwunden und wieder vergessen. Davon erfährt man natürlich in der Öffentlichkeit wenig. Man liest nur von den wenigen Fällen (wie der DNS, Watson und Crick) wo die "Jungen" in spektakulärer Weise recht hatten. So hat Watson selbst von der mühsamen Prüfung seiner Ideen durch viele andere (langweilige) Wissenschafter profitiert. Einen Nobelpreis für den (von anderen) ungeprüften Vorschlag der DNS-Struktur hätte er mit Sicherheit nicht erhalten.

Rosalind Franklin

Besonders kritisiert wurde Watsons Buch aufgrund der Beschreibung von Rosalind Franklin. Im Buch ist zu lesen:
"Außerdem wurde es immer schwieriger, Maurice [Wilkins] von seiner Assistentin Rosalind Franklin abzulenken. Nicht etwa, daß er in Rosy – wie wir sie aus sicherer Entfernung nannten – verliebt gewesen wäre. Ganz im Gegenteil: fast von dem Augenblick an, wo sie in sein Labor kam, begannen die beiden sich gegenseitig zu ärgern. […] Ich nehme an, daß Maurice anfangs noch die Hoffnung hatte, Rosy werde sich beruhigen. Doch brauchte man sie nur anzusehen, um zu wissen, daß sie nicht leicht nachgeben würde. Sie tat ganz bewußt nichts, um ihre weiblichen Eigenschaften zu unterstreichen. Trotz ihrer scharfen Züge war sie nicht unattraktiv, und sie wäre sogar hinreißend gewesen, hätte sie nur das geringste Interesse für ihre Kleidung gezeigt. […] mit ihren einundreißig Jahren trug sie so phantasielose Kleider wie nur irgendein blaustrümpfiger englischer Teenager."
Hier dürfte die Grenze des guten Geschmackes und auch der humorvollen Betrachtung von Kollegen und Kolleginnen deutlich überschritten sein. Und es geht weiter:
"Eines war klar: Rosy mußte gehen, oder an ihren richtigen Platz verwiesen werden. Ersteres war natürlich vorzuziehen, denn angesicht ihrer kriegerischen Launen würde es für Maurice immer schwieriger werden, seine herrschende Position zu verteidigen, die alleine es ihm gestattete, ungehindert über die DNS nachzudenken."
Es ist ein interessantes Argument, dass Wilkins nicht ungestört nachdenken konnte und Franklin damit die Arbeit an der DNS behinderte hätte; vor allem wenn man bedenkt, dass erst die Röntgen-Aufnahme von Rosalind Franklin Watson und Crick die fehlenden Informationen lieferte, die sie für die Aufklärung der Struktur benötigten. Aber in Watsons Buch ist die Sache klar: Franklin stört, ist zickig und muss daher weg:
"Unglücklicherweise sah Maurice absolut keine Möglichkeit, Rosy auf anständige Weise hinauszuwerfen. Erstens hatte man ihr zu verstehen gegeben, daß sie nun für mehrere Jahre eine feste Stellung habe. Außerdem ließ sich nicht leugnen, daß sie ein kluger Kopf war."
In diesem Kapitel des Buches zeichnet Watson ein Bild von Franklin, das man, so denke ich, als peinlich bezeichnen muss – peinlich für Watson. Es entsteht für den Leser der Eindruck, Franklin wäre ein tollpatschiger Teenager gewesen, der zwar im Prinzip recht gescheit ist, aber doch nur zwischen den Füßen der Erwachsenen herumläuft und alle beim Vorankommen hindert:
"Das alles war höchst verwirrend für Maurice. […] Das Gespann Linus [Pauling] und Francis [Crick], deren Atem er im Nacken spürte, lies ihn nicht in Ruhe schlafen. […] Das eigentliche Problem war und blieb Rosy. So kam er von dem Gedanken nicht los, daß eine Frauenrechtlerin am besten im Labor eines anderen aufgehoben wäre."
Es ist zutreffend, dass es Konflikte zwischen Wilkins und Franklin gab, Konflikte, die an Schärfe zunahmen. Es dürfte ebenfalls zutreffen, dass Franklin ihren Beitrag zur Eskalation geleistet hatte. Dennoch kann man diese Art und Weise über Rosalind Franklin zu schreiben nicht akzeptieren. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass Franklin ihre "weiblichen Eigenschaften" nicht unterstreichen wollte, so war dies alleine ihre Entscheidung und ging Watson nichts an. Ausserdem spielen Äußerlichkeiten, "weibliche Eigenschaften" und Kleidung keinerlei ernsthafte Rolle in diesem Konflikt oder in der wissenschaftlichen Arbeit an der DNS. Diese Stelle(n) in Watsons Buch sind paternalistisch, sexistisch und selbst vor dem Hintergrund der 1960er Jahren nicht akzeptabel.

Max Perutz Reaktion

Nach der Veröffentlichung fühlt sich auch Max Perutz unter Druck gesetzt, weil er den MRC-Bericht an Watson und Crick weitergegeben hatte. Diese Episode wird in verschiedenen Artikeln, unter anderem in Scientific American, diskutiert. Perutz fühlt sich verpflichtet seine Handlung zu verteidigen und schreibt Briefe an Science und Scientific American. Er stellt seine Sicht der Dinge klar: einerseits wäre der Bericht nicht vertraulich gewesen, andererseits hätte dieser keine Informationen enthalten, die Watson und Crick nicht ohnedies schon aus Seminaren oder persönlichen Gesprächen gekannt hätten. Er merkt weiters an, dass er zu dem Zeitpunkt noch unerfahren gewesen wäre und Randall hätte um Erlaubnis fragen müssen, betont aber, dass der Bericht nicht als vertraulich gekennzeichnet war. Science veröffentlicht 1969 Briefe von Perutz, Wilkins und Watson.

Watson und Crick haben ihr Modell auf experimentellen Grundlagen anderer aufgebaut. Ob deren Anteil hinreichend gewürdigt wurde, ist bis heute nicht ganz unumstritten.

Watson und Franklin

Es bleibt überraschend, dass trotz dieser Ansichten, die Watson in seinem 1968 erschienenen Buch über Franklin verbreitete, beide doch einen offenbar guten Kontakt miteinander hatten. So ist ein durchaus reger Briefwechsel bekannt, Franklin besucht Watson in den USA und Watson schreibt Franklin sofort einen Brief als er von ihrer Erkrankung erfährt.

Was Watson zu solchen Aussagen verleitet hat, bleibt für viele ein Rätsel. Vielleicht sind ihm, beim Wunsch locker und humorvoll zu schreiben, die Pferde durchgegangen. Bei einem Interview im Jahr 2012 will er von vielen dieser konfliktträchtigen Aussagen (auch seinen späteren als rassistisch interpretierten Zitaten) nichts mehr wissen.

Franklin hat die Veröffentlichung des Buches nicht mehr erlebt. Ihr Bruder aber war schockiert, als er dieses Buch zu Gesicht bekommen hatte.

Im Epilog (zumindest der späteren Auflagen; die Texte stammen aus meiner deutschen Ausgabe aus dem Jahr 1971) entschuldigt sich Watson über die Wortwahl und schreibt:
"1958 starb Rosalind Franklin im Alter von siebenunddreißig Jahren. Da sich meine ersten (in diesem Buch festgehaltenen) Eindrücke von ihr – sowohl in persönlicher als auch in wissenschaftlicher Hinsicht – weitgehend als falsch erwiesen haben, möchte ich hier etwas über ihre wissenschaftlichen Leistungen sagen […] "
In etwa zwei Absätzen würdigt er dann wesentliche wissenschaftliche Arbeiten von Franklin, und schreibt schließlich:
"[…] wir beide [Crick] lernten ihre persönliche Aufrichtigkeit und Großmütigkeit schätzen. Einige Jahre zu spät wurde uns bewußt, was für Kämpfe eine intelligente Frau zu bestehen hat, um von den Wissenschaftlern anerkannt zu werden, die in Frauen oft nur eine Ablenkung vom ernsthaften Denken sehen. Rosalinds Integrität und ihr vorbildlicher Mut wurden allen offenbar, die erlebten, wie sie, obwohl sie wußte, daß sie unheilbar krank war, niemals klagte und bis wenige Wochen vor ihrem Tod ihre Arbeit auf einem hohen Niveau fortsetzte."
Diese Entschuldigung ist anzuerkennen, wenngleich sich die Frage stellt, wann er zu dieser Erkenntnis gelangt ist, denn sein Buch wird ja erst Jahre nach Franklins Tod veröffentlicht. Es wäre wohl besser gewesen, diese Entschuldigung nicht im Epilog zu verstecken, sondern die entsprechenden Passagen im Hauptteil des Buch zu ändern. Denn abgesehen von einigen Passagen, wo es mit Watson durchgeht, ist das Buch selbst nach mehr als 40 Jahren noch frisch und lebendig und spannend zu lesen.

2012 erscheint eine Neuauflage dieses Werkes: The Annotated and Illustrated Double Helix.

Alle wörtlichen Zitate in diesem Artikel stammen aus der deutschen Auflage des Jahres 1971 der "Doppelhelix".

Liste aller Artikel dieser Serie

Weiterführende Literatur

Keine Kommentare:

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)