Sonntag, 7. September 2008

Das Ende der Anonymität - über "kleine" Features

In diesem Blog habe ich bisher keine Technologie-Themen diskutiert; dies ist für mich hier nicht der Fokus. Dennoch, eine Ankündigung von Google hat meiner Ansicht nach ein Potential das noch von kaum einem Kommentator erkannt wurde. Und nein, das Thema ist nicht der Google Chrome Browser, der ja in den letzten Tagen in den Medien und der "Blogosphäre" genug Wellen geschlagen und ausführlich genug in (fast) allen Aspekten diskutiert wurde. Daneben ist aber eine andere Google Ankündigung die meines Erachtens nach wesentlich fundamentalere Auswirkungen haben wird fast unbemerkt eingeführt worden: Das neue "Name Tagging" in Picasa Web. Ich möchte sogar so weit gehen zu sagen, dass seit dem 2. September 2008, seit dieses Feature vorgestellt wurde, das Web einen weiteren Quantensprung gemacht hat (ob zum positiven bleibt abzuwarten). Viele Probleme die im Kontext von "Privacy" also wie man seine Privatsphäre in Zeiten von Google Suche und Social Web Anwendungen noch schützen kann, werden im Vergleich damit eher Makulatur werden. Einen Schritt zurück: worum geht es?

Google hat in seine Picasaweb Anwendung, mit der Benutzer (vergleichbar mit Flickr) Fotos präsentieren können ein neues Feature hinzugefügt: Picasaweb erkennt auf Wunsch Gesichter von Personen in hochgeladenen Fotos. Diese Funktion ist im ersten Schritt etwa vergleichbar mit der Gesichtserkennung moderner Digitalkameras. Kameras wie bspw. die Canon G9 versuchen im Sucherbild Gesichter zu finden um diese Information für Schärfe und Belichtungseinstellung zu verwenden. Picasaweb verwendet einen ähnlichen Algorithmus um aus den Fotos Gesichter zu extrahieren geht aber einen wesentlichen Schritt weiter: es werden Personen in verschiedenen Fotos wiedererkannt und dies mit einer überraschend hohen Erkennungsrate. Man wird dann aufgefordert die erkannten und zu einer Person gehörenden Gesichter zu taggen, d.h. mit einem Namen (und optional auch einer Email Adresse!!) zu versehen. Günstigerweise kann man hierzu auch gleich das Google Adressbuch verwenden.

Nochmals zusammengefasst:
  1. Picasaweb erkennt Gesichter in hochgeladenen Fotos
  2. Man Tagged einmal Gesichter mit Namen und
  3. alle Fotos (auch neue) wo diese Person wieder auftaucht werden von Picasaweb automatisch mit dem Namen dieser Person getaggt.
Und dies, wie gesagt, mit überraschend hoher Treffenquote!

Nun muss man hinzufügen, dass dieses Feature in Picasaweb optional ist; weiters werden laut Google Tags nicht über Accounts hinweg verwendet. D.h. Tagge ich ein erkanntes Gesicht mit "Albert Einstein", so bleibt dies auf meinen Account beschränkt und wird nicht etwa auch in Accounts anderer Picasaweb Anwender verwendet. Somit ist die Privacy zur Zeit sicherlich gewährleistet. Zumindest vordergründig. Aber zwei wesentliche Punkte sollten natürlich nicht vergessen werden:

Zunächst hat natürlich wie üblich Google intern die Möglichkeit diese Verknüpfungen herzustellen: beim Taggen soll man Namen und Emailadresse der Person angeben. Es wohl kaum als schwierig die Personen-Gesichts-Zuordnung über Accounts hinweg mithilfe der Email Adressen herzustellen.

Noch wichtiger erscheint mir aber der zweite Aspekt zu sein: Algorithmen zum Erkennen von Gesichtern haben offensichtlich eine produktionsreife Qualität erreicht und betrachtet man die Geschichte der Technologie und deren Anwendung (besonders der Informatik) so ist es klar dass alles was möglich ist, besonders wenn es so potent ist, über kurz oder lang auch in größerem Massstab gemacht wird. Selbst wenn Google dies zunächst nicht vorhaben sollte. Ab dem Zeitpunkt wo Yahoo! oder Microsoft Online oder irgendein Startup diese Möglichkeit erkennt, wird Google diese Funktion in die reguläre Suche integrieren. Meiner Vermutung nach ist der Einsatz in Picasaweb zur Zeit auch im wesentlichen ein technologischer Versuchsballon.

In spätestens 3-5 Jahren wird es Standard sein, dass wir Personen über Google oder eine andere Suchmaschine suchen können und Gesichtserkennung und Tagging auf alle indizierte Bilder angewandt wird. Damit wird die Trefferquote bei Bildern natürlich wesentlich besser werden. Woher die Tags kommen (ob aus Picasaweb oder einer anderen Quelle ist natürlich irrelevant). Das Potential dieses neuen Tools ist, es dass im Prinzip ein einzelner richtiger Tag für ein Gesicht reicht um ein Gesicht in tausenden anderen Fotos wiederzuerkennen. D.h. es reicht aus, wenn irgendjemand ein Foto von mir tagged und damit mir zuordnet: Ab diesem Zeitpunkt wird Google (oder eine andere Suchmaschine die einen derartigen Algorithmus verwendt) mein Gesicht in allen indizierten Fotos wiederfinden. Alle Fotos die ich oder irgendjemand anderer auf irgeneiner Webseite hochgeladen hat werden damit meiner Person zuordenbar sein. Und dies wird natürlich nicht bei Fotos enden, Videos sind der klare nächste Schritt.

Aber es geht darüber hinaus: selbst wenn niemand mein Gesicht getaggt hat, der Algorithmus erlaubt im Prinzip dem Suchenden Gruppen von Fotos zu finden, in der eine bestimmte Person vorkommt, selbst wenn der Name der Person nicht bekannt ist. Oder Fotos in denen zwei Personen vorkommen. Man kann sich eine Suchmaske vorstellen, in der man ein, zwei oder mehrere Porträts hochlädt und die Suchmaschine dann alle Fotos ausspuckt auf der diese Personen (z.B. gemeinsam) vorkommen. Eine Menge Potential, wenn man darüber nachdenkt.

Es ist klar, dass mit den neuen Möglichkeiten die das Internet bietet das Konzept von "Privatheit" das wir bisher hatten schlicht und ergreifen obsolet geworden ist. Schliesslich muss ich nichtmal selbst Information hochladen, es reicht wenn irgendjemand ein Foto, Video oder eine andere Information mich betreffend ins Netz stellt und sei es der Stream einer Webcam an der ich vorbeigehe. Die Frage ist, welche Konsequenzen das für uns hat und wie wir in Zukunft damit umgehen werden. Es überrascht mich allerdings, dass zur Zeit jeder über einen neuen Browser diskutiert, diese wesentlich bedeutendere Ankündigung aber bisher nur wenig diskutiert wurde.

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)