Montag, 8. Oktober 2007

Kosten von Studienabbrechern

Um peinlichen Nachfragen von vornherein zu entgehen: Nein, ich lese diese "Zeitung" "Heute" nicht; allerdings fällt es leider schwer, wenn man in der U-Bahn unterwegs ist, von den Schlagzeilen nicht belästigt zu werden. Und die heutige war so aufdringlich dumm dass ich etwas entgegnen möchte.

Eine kleine Abschweifung möchte ich mir an dieser Stelle noch erlauben, die mir schon seit langem auf der Zunge liegt:

Ich finde es überraschend, dass Käufer(innen?) von Sex-Magazinen und dergleichen sich offensichtlich genieren und man diese in der Öffentlichkeit eigentlich niemals sieht (außer am Zeitungsstand), da die Käufer diese wohl sofort gut verstecken. Nun könnte man doch argumentieren, dass Käufer derartiger Magazine eigentlich nur einem menschlichen (und offenbar sehr starkem) Trieb folgen. Sie genieren sich also ihre Magazine auch nur offen zu tragen geschweige denn zu lesen (gut, "lesen" ist vielleicht nicht der richtige Begriff in diesem Zusammenhang).

Andererseits verspüren auch durchaus intelligente Menschen anscheinend keinerlei Scham sich mit Drucksorten wie "Kronen Zeitung" oder "Heute" in aller Öffentlichkeit zu zeigen.

Und dieser tatsächlich peinliche Befund ist bei näherer Betrachtung vielleicht wieder keine so weite Abschweifung vom Thema dieses Blog-Artikels wie ursprünglich angenommen: Hätten wir eine besser gebildete (nicht "ausgebildete") Bevölkerung, eine die auch im kritischen Denken besser geschult ist-und zwar egal ob sie ein Studium nun abgeschlossen oder nur begonnen hat-wir würden vielleicht in der Gesellschaft die Fronten wieder geraderücken:

Es würden sich dann vielleicht diejenigen zurecht genieren, die in der Öffentlichkeit mit Krone, Heute & Co unterwegs sind.

Aber zurück zum eigentlichen Thema:

"Uni-Abbrecher kosten Staat eine Milliarde Euro!"

lautet die Schlagzeile und gleich geht es schockierend weiter im Text:
"Diese Zahl schockt ganz Österreich: Laut Ministerium brechen bis zu 70 Prozent der 233.000 Studenten ihre Uni-Karriere vorzeitig ab. Der Campus-Hammer: Damit kosten die Hochschul-Deserteure den Staat knapp eine Milliarde Euro, insgesamt liegen die Kosten noch höher! Jetzt wird teuren 'Blindgängern' der Kampf angesagt."
Abgesehen von der zu erwartenden desolaten Sprache kann man solche Aussagen meiner Ansicht nach aus verschiedenen Gründen so nicht stehen lassen:

Zunächst sind Aussagen wie "bis zu..." mit großer Skepsis zu lesen. Was soll das bedeuten? Tatsächlich ist die Situation mit Sicherheit komplex und daher differenziert zu betrachten: Es gibt eine große Zahl verschiedener Studienrichtungen, Universitäten usw. und hier sind erhebliche Unterschiede zu beachten. Ich kann hauptsächlich aus eigener Erfahrung von Informatik und anderen technischen Studien berichten. In der Informatik z.B. gibt es sicherlich eine erkleckliche Anzahl an Abbrechern. Nun ist es aber gerade hier so, dass viele Studenten während ihres Studiums arbeiten und dann häufig in einen "Interessenskonflikt" geraten.

Die typische Biographie ist dann, dass zunächst während des Studiums ein wenig daneben gearbeitet wird; dann nimmt die berufliche Arbeit mehr und mehr Raum ein, und schliesslich wird das Studium fallengelassen. Dies ist oft eine unerfreuliche Situation, und es wäre vermutlich eher im Sinne des Studenten das Studium abzuschliessen, aber gesellschaftlich betrachtet ist dies kaum eine Katastrophe und zwar aus verschiedenen Gründen:

Nur weil jemand das Studium nicht abgeschlossen hat bedeutet das nicht, dass er nichts im Studium gelernt hat. Er/sie hat unter Umständen nur aus verschiedenen Gründen heraus nicht die Motivation gehabt einen Abschluss zu machen. Viele finden auch erst im Umfeld des Studiums ihren Beruf. Insoferne kann bei diesen Fällen kaum von großem gesellschaftlichen Schaden gesprochen werden.

Natürlich gibt es eine Vielzahl an anderen Gründen, warum Studien nicht beendet werden. Bspw. kann es sein, dass die initiale Studienwahl sich als unpassend herausgestellt hat. Ein "irren" muss erlaubt sein und ein Wechsel ist immer noch besser als der Abschluss des "falschen" Studiums. Zwar gibt es Studienberatungen und andere Aktivitäten zur Unterstützung für Schüler/beginnende Studenten aber dennoch ist es nunmal für viele schwer die tatsächlichen Inhalte einer bestimmten Studienrichtung richtig einzuschätzen.

Am anderen "Ende" gibt es sicherlich auch solche Studenten, die nie eine ernste Absicht verfolgen das gewählte Studium ernsthaft zu betreiben (vielleicht weil sie von den Eltern getrieben werden, oder aus welchen anderen Gründen auch immer). Und in diesen Fällen kann ich (als Universitätsangestellter) etwas zynisch nur sagen: "her damit", von denen brauchen wir viel mehr!!

Denn: diese Studenten kommen wenig bis gar nicht in die Vorlesungen und Übungen und machen üblicherweise auch kaum Prüfungen und verbrauchen daher auch fast keine Uni-Resourcen. Seit Einführung der Studiengebühren zahlen sie einen (wenn auch geringen) Studienbeitrag. Wo ist also der finanzielle/gesellschaftliche Schaden zu sehen? Es wäre vermutlich besser diese Personen dazu zu motivieren etwas konstruktiveres mit ihrem Leben zu anzufangen, aber Schaden für das Uni-System bereiten sie kaum.

"Deserteure und Blindgänger"

Ich finde es auch wirklich unpassend Studienabbrecher als "Deserteure" oder "Blindgänger" und sei es nur in Anführungszeichen, zu bezeichnen. Das ist eine völlig unakzeptable Verrohung und Verdummung der Sprache. Nur weil jemand ein Studium abbricht, macht ihn das noch lange nicht zum "Blindgänger".

Ich weiß, in einer Zeit wo sich alles an unmittelbaren und kurzfristigen (und oft eigenartigen) Metriken zu definieren hat sind "Bildungsideale" oder langfristige Überlegungen weniger gefragt (siehe auch eines meiner anderen Postings "Wissen ist Macht"). Aber ich bin der Ansicht, dass höhere Bildung niemandem Schaden wird, am wenigsten der Gesellschaft. Selbst wenn jemand ein Studium nicht beendet, so denke ich, dass der Kontakt mit eben diesem Studium in vielen Fällen positive Auswirkungen haben wird.

Einerseits sollte unsere Gesellschaft langsam verstehen, dass Lernen nicht immer ein "positiver" Weg ist (in dem Sinne das man etwas positiv/erfolgreich fertigstellt); manchmal scheitert man an etwas, bricht ab, aber gerade dieser Abbruch, dieses scheinbare Scheitern ist ein wichtiger (Lern-) Schritt im eigenen Leben.

Welcher Schaden ist angerichtet, wenn jemand nur wenige Semester Informatik, Philosophie, Sprachen, Chemie usw. studiert? Die Person hat damit etwas gelernt, vielleicht einen weiteren Horizont bekommen, und das letzte was wir in der heutigen globalen Situation brauchen können, sind engstirnige Menschen; auch wenn unser Bildungssystem diese in immer stärkeren Maße hervorbringt.

Man kann hinzufügen, dass gebildete Menschen bei manchen politischen Vertretern und auch bei Herausgebern z.B. der hier zitierten "Medien" wenig beliebt sind, zumal sie sich weniger leicht manipulieren lassen, öfter gewillt sind selbst zu denken, und nicht jeden Unsinn glauben wollen, den uns die Medienindustrie gerade veröffentlicht.

Zahlenspiele

Dankenswerterweise zitiert der Fachartikel in "Heute" auch noch konkrete Zahlen, diese sollen nicht verschwiegen werden:
"Damit werfen im Jahr schon Tausende Studiosi vorzeitig das Handtuch. Das Ministerium ist alarmiert, denn: 'Bei durchschnittlich 7000 Euro pro Student und Jahr für Infrastruktur, Förderung und Material hat der Staat immense Kosten zu tragen', sagt eine Sprecherin. Immens ist noch untertrieben: Denn laut Experten kommen die 'Blindgänger' mit einer Milliarde Euro teuer zu stehen!"
Nun, zum Glück haben das Experten ausgerechnet (was würden wir nur tun, wenn es keine Studienabbrecherkostenverursachungsexperten gäbe??), sonst würde ich das nicht glauben! Es sind wohl auch solch hochkarätige und gleichzeitig geheime Experten, dass man sie sicherheitshalber nicht nennen möchte.

Nun könnte man sich neben allen Argumenten, die ich oben gebracht habe, auch überlegen, ob der "Durchschnitt" ein geeignetes Maß ist, um den Schaden zu berechnen: Durchschnitt bedeutet, dass die Gesamtkosten durch die Anzahl aller inskribierten Studenten geteilt wird. Nun ist es aber eben so, dass gerade die Abbrecher nicht unbedingt diejenigen sein müssen die im System große Kosten verursachen; denn würden sie intensiv studieren so würden sie das Studium ja vermutlich auch beenden.

D.h. die Zahl durch die zu teilen ist, wird deutlich niedriger ausfallen, oder anders gesagt: der aktiv Studierende wird de facto mehr kosten als 7000 Euro (dies ist eine andere Diskussion, die man natürlich führe kann, ob dies zu teuer ist), der weniger aktive Student jedoch sicher deutlich weniger.

Oder anders gesagt ist es vermutlich eine einfache, wenig überraschende und triviale Wahrheit: Bildung kostet etwas, und diejenigen, die studieren konsumieren eben diese Leistungen. Diejenigen die intensiv studieren kosten folglich mehr, diejenigen die weniger intensiv studieren weniger.

Wer dann einen Abschluss macht ist wiederrum eine andere Frage, denn Bildung lässt sich nicht unbedingt direkt mit Abschlüssen messen und der Erfolg der Uni-Ausbildung lässt sich folglich ebenso nicht direkt in Abschlusszahlen ausdrücken.

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Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)