Dienstag, 24. Juli 2007

Quanten und der "Teilchen-Welle Dualismus"

In Stanford...

In einer philosophischen Diskussion (Philosophy Talk, Stanford) die ich kürzlich verfolgt habe, wurde wieder über die "verwirrenden Erkenntnisse" der Quantentheorie diskutiert. An sich ein faszinierendes Thema. Für mich doch etwas überraschend war aber folgendes: Die fundamentalen Erkenntnisse der Quantentheorie wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelegt. Seit damals hat die Philosophie (aber natürlich auch die Physik) Zeit gehabt über philosophisch/ontologische Interpretationen zu entwickeln. Diese Diskussion hätte jedoch (vielleicht nicht als Podcast) in den 50er oder 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts stattfinden können. Ich hatte kaum den Eindruck irgendeine neue philosophische Position zu hören, die nicht schon vor Jahrzehnten diskutiert wurde.

Ein gutes Beispiel ist die Idee des "Welle-Teilchen" Dualismus. Seit ich damit im Rahmen meines Studiums konfrontiert wurde ist mir dieses Konzept absurd erschienen und bin seit damals der Ansicht, dass hier etwas fundamental nicht stimmen kann und vermutlich ist es eine Mischung aus zwei Problemen. Einerseits einer falschen Begrifflichkeit und andererseits einer falschen Vorstellung was die Quantentheorie eigentlich beschreibt. Ich lehne mich etwas weit aus dem Fenster, möchte meine Idee hier jedoch in aller Kürze darlegen:

Zum ersten Punkt: "Eine Begriffsverwirrung"

Dabei handelt es sich nach meiner Ansicht um eine Kategorienverwechslung. Der Begriff des Teilchens ist einer, der historisch sehr alt ist und sich wohl bis auf die griechische Philosophie zurückführen lässt (z.B. Leukipp, Demokrit). "Teilchen" als Begriff war also einer der sich im wesentlichen aus der Betrachtung der makroskopischen Welt heraus ergibt (siehe z.B. auch die "Billiard" Modelle die manchmal als Beispiel für einfache Gasmodelle herhalten). Hier werden Erfahrungen aus der direkt-menschlich-erfahrbahren Realität sozusagen verkleinert und als Modell (oder im Sinne der griechischen Philosohpie vielleicht idealisiert) der mikroskopischen Welt hergenommen. Für manche Problemstellungen kann dieser Ansatz durchaus funktionieren. Beispiele könnten das schon erwähnte "ideale Gas" sein, aber auch Konzepte der statistischen Thermodynamik scheinen mir auf dieser Idee aufzubauen. Es ist aber letztlich eine recht grobe Modellierung der "Welt der Atome und Moleküle".

Die experimentelle (und nicht nur rein idealisierte gedankliche) Beschäftigung mit der Welt der Atome hat aber letztlich gezeigt, wie unpassend die Konzepte der klassischen Mechanik in diesem Bereich der Physik sind, und haben zu ganz neuen Theorien geführt, eben unter anderem zur Quantenmechanik. Dies ist eine Entwicklung in der Wissenschaft die häufig zu beobachten ist: man begibt sich in eine neue Domäne die vorher bspw. durch Experimente nicht zugänglich war (Atomphysik, Kosmologie, Mikrobiologie, Genetik) und versucht die beobachteten Phänomene zunächst mit bekannten und in anderen Bereichen erfolgreichen Theorien zu beschreiben. An irgendeinem Punkt muss man dann häufig feststellen, dass die alte Theorie (in diesem Fall die klassische Mechanik) mit den neuen Phänomenen (der Quanten) nicht mehr zusammenpasst, also wird eine neue Theorier (die Quantentheorie) entwickelt.

Leider wurde aber, und hier ist aus meiner Sicht der eigentliche Fehler passiert, die Begrifflichkeit nicht vollständig ausgetauscht, sondern man hat weiter den Begriff des "Teilchens" verwendet. Dies mag für die Physik und für angewandten Ingenieurwissenschaften kein wirkliches Problem sein, weil es dort nicht um "Ontologie" also um das Verständnis der Welt geht, sondern um die Frage, ob man natürliche und künstliche Phänomene angemessen Beschreiben und vorhersagen kann. Es verwirrt aber leider alle, die sich um ein Verständnis der Dinge bemühen.

Der Begriff des Teilchens ist nun einmal aus unserem historischen und alltäglichen Verständnis geprägt, und wenn dieses in Zusammenhang mit Quanten verwendet wird, so machen wir uns ganz automatisch völlig falsche Bilder: z.B. Atome die wie Billiardkugeln herumfliegen. Wir wissen zwar dass dies so nicht zutrifft, aber das Bild bleibt im Kopf. Sinngemäß ähnlich das Konzept der Elektronen und Orbitale: auch hier bekommen wir das Bild der "Sonne" als Atomkern mit kreisenden Planeten oder um Planeten kreisende Satelliten (Orbit) als Elektronen nicht aus dem Kopf. So falsch und irreführend dies auch sein mag.

Ich denke daher, dass es eine recht schlechte Idee ist, bekannte Begriffe, die aus alten Theorien oder dem alltäglichen Sprachgebrauch her stammen (Teilchen, Orbital, ...) in eine neue Theorie hinüberzuretten. Zunächst geschieht dies vielleicht aus Bequemlichkeit — warum auch einen neuen Begriff finden — vielleicht auch aus der falschen Annahme, dass damit die neue Theorie leichter zugänglich wird, da man ja auf bekannte Begriffe verweist.

Tatsächlich ist aber eben mit diesem Rückgriff das Kind schon in den Brunnen gefallen: Wir bringen damit alte Ideen in neue Theorien ein, und das verwirrt offenbar mehr als es nutzt. Das erkennt man am genannten Beispiel, dass wir immer noch diskutieren, ob etwas eine Welle und ein Teilchen zur gleichen Zeit sein kann.

Und dies kann, meine ich, wohl kaum der Fall sein, denn: "Welle" und "Teilchen" sind Begriffe aus der makroskopischen Welt und haben als "ontologische" Begriffe in der atomaren Welt nichts zu suchen. Die Welt der Quanten ist offenbar eine ganz andere als die Welt die uns durch direkten Wahrnehmung zugänglich ist (oder jedenfalls bietet es sich aus praktischen Erwägungen an, diese unterschiedlich zu beschreiben), daher sollten auch andere Begrifflichkeiten gewählt werden. Natürlich kann es an den Grenzflächen der Theorien zu Überschneidungen kommen. Wenn sich bspw. Phänomene der Quantenwelt tatsächlich in unserer "makroskopischen" Welt manifestieren, kann man diese wieder mit makroskopischen Begriffen (Welle, Teilchen) bezeichnen, aber erst dann!

Also als ersten Schritt sollte man meiner Meinung nach keine Formulierungen der Art verwenden wie "Welle-Teilchen Dualismus" oder "Quanten sind Wellen oder Teilchen, je nach Art des Experimentes", das sind sie nicht. Sie sind etwas anderes, etwas für das wir vielleicht keine Bilder erzeugen können die uns aus der Alltagserfahrung zugänglich sind. Allerdings können Quanten-Systeme in verschiedenen Experimenten Effekte zeigen, die man als klassisches Wellen- oder Teilchen beschreiben kann.

D.h. Quanten können Effekte zeigen, die wir klassisch begreifen können (in diese Richtung funktioniert es) aber aus diesen Effekten darf nicht auf die "Beschaffenheit" der Quanten geschlossen werden (die andere Richtung ist also verboten).

Oder etwas polemisch formuliert: "Ein Quant ist Teilchen und Welle" macht etwa so viel Sinn wie "Ziegelsteine können als Mauer oder Garage auftreten". Man vermischt Begriffe aus verschiedenen Welten. Ziegelsteine können unter bestimmten Voraussetzungen ein Objekt formen, das wir als Garage bezeichnen, aber die Garage erklärt wenig über die Natur der Ziegelsteine, sie kann auch betoniert werden oder aus einem Blechkontainer!

Auch in anderer Hisicht wird begrifflich manchmal geschludert: z.B. wird im Spektrum der Wissenschaft 7/07 folgendes geschrieben:

"... das Verhalten eines Objektes [kann] davon abhängen, was wir darüber herauszufinden versuchen"
Dies ist sicherlich inhaltlich nicht falsch, aber dennoch irreführend, denn es kännte der Eindruck entstehen, die Messung an sich oder gar der menschliche Beobachter würde das Verhalten eines Objektes beeinflussen. "Wir" sind in der Tat recht irrelevant, relevant ist es wie "wir" oder irgendein anderes System mit dem Objekt interagieren. Ob dies mit menschlichem Wissensgewinn verbunden ist dabei wohl völlig egal.

Und dies leitet auch gleich zum zweiten Aspekt über:

Zweitens: "Was wird eigentlich Beschrieben?"

Können wir überhaupt, wenn wir von Quantentheorie sprechen, von der selben "Kategorie" von Theorie sprechen verglichen mit den "alten" Theorien? Mir fällt jetzt kein besseres Wort als "Kategorie" dafür ein: heute wird es doch zumeist so gesehen, dass die Welt der Quanten zwar nicht mit den Gesetzen der Mechanik beschrieben werden kann, aber immerhin, wir haben es doch noch mit Teilchen zu tun, die sich halt anders verhalten und anders beschrieben werden müssen. Aber es sind doch immer noch "Teilchen" die interagieren.

Oben habe ich auf die Problematik der Begriffsbildung verwiesen und hier scheint sie sich auf einer weiteren Ebene zu rächen. Wir verwenden Teilchen und haben damit eine bestimmte Art von "Operationen" im Sinn, die wir beschreiben können. Eben "Teilchen", also Atome, Moleküle, Elektronen usw. die irgenwie aufeinander aufbauen, miteinander interagieren, sich zu größeren Systemen zusammensetzen usw.

Vielleicht ist dies aber eine ganz falsche Art die Quantetheorie zu betrachten. Ich stelle hier natürlich nicht die Quantentheorie an sich in Frage, sondern die Betrachtung derselben, also was wir denken, das beschrieben wird. Viele der "seltsamen" Phänomene, der Experimente, man denke an Wellengleichungen, veschränkte Systeme usw. sind vielleicht nur darum seltsam, weil wir sie unter dem Begriff der Teilchen betrachten.

Natürlich ist es seltsam, wenn "Teilchen" über eine "spukhafte Fernwirkung" miteinander verbunden sind.

Vielleicht ist es aber nicht mehr seltsam, wenn man den Begriff des Teilchens einfach fallen lässt. Damit beschreibt die Quantenphysik nicht mehr Teilchen und deren Interaktion, sondern systemisches Verhalten, indem Teilchen auf unterster Ebene keine Rolle mehr spielen. Quantensysteme können (siehe auch oben) sich unter manchen Voraussetzungen wie Teilchen verhalten, aber das könnte nicht der onotologische Kern der Theorie sein.

Vor einigen Monaten gab es einen Beitrag im Deutschlandradio, wo ein Mitarbeiter aus dem Forschungsteam um Prof. Zeilinger interviewt wurde. Und eine Aussage war sinngemäß, dass neue Experimente tatsächlich an zwei Eckpunkten bisherigen physikalischen (und philosophischen) Verständnisses rütteln: am Prinzip der Lokalität und des Realismus.

Unter Lokalität versteht man vereinfacht gesagt, dass zwei Objekte, die weit voneinander entfernt sind einander nicht beeinflussen können. Unter Realismus wird üblicherweise verstanden, dass Objekte Eigenschaften haben, die diese konstituieren, und zwar unabhängig davon ob "wir" hinsehen, messen oder nicht.

Diese Forschungsarbeiten scheinen nun darauf hinzuweisen, dass ein Objekt nicht durch unabhängige Eigenschaften konstituiert zu sein, sondern diese zu einem gewissen Maß davon abhängen, wie es mit anderen "Objekten" interagiert. Wobei hier vielleicht sogar der Objektbegriff fragwürdig wird und möglicherweise besser durch einen systemischen Begriff ausgetauscht werden sollte.

Nach meinem Verständnis könnte man in der Interpretation der "Quantentheorie" vielleicht in der Hinsicht weiterkommen, dass man sich diese nicht als eine Theorie die das Verhalten von Teilchen vorstellt, sondern als eine die in erster Linie Interaktionen zwischen Systemen beschreibt. In dieser hat spielt das "Verhalten eines einzelnen Teilchens" um in der alten Terminologie zu bleiben, auch keine besondere Rolle, sondern das gesamte System, in das dieses "Teilchen" integriert ist. Dazu gehören auch Messsysteme und ggfs. auch menschliche Beobachter.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)