Donnerstag, 15. Februar 2007

Offline

Über das eigenartige Verhalten vernetzter Zeitgenossen...

Ich nehme gerade an einer Konferenz teil. Was ich hier beobachte ist allerdings keineswegs ein Spezifikum dieser Veranstaltung, sondern vielmehr ein typisches Merkmal derartiger Veranstaltung dieser Tage.

War es bis vor kurzem noch üblich zu Konferenzen oder Sitzungen zu gehen um eben an diesen aktiv teilzunehmen oder zuzuhören oder vielleicht auch zu schlafen, so steht heute bei diesen Aktivitäten dank WLAN im Prinzip immer Internet zur Verfügung. Nun leidet heute wohl jeder "Wissensarbeiter" v.a. an zwei Dingen: erstens an zu wenig Zeit und zweitens an einer Lawine an Emails, die ihm vor allem Zeit rauben. Was liegt also näher, langweilige Teile derartiger Veranstaltungen mit dem Beantworten von Emails zu verbringen bzw. mit dem Schreiben von Blogs (wie ich das jetzt tue), dem Surfen im Netz usw.

Nun ist hier vielleicht zunächst nichts einzuwenden. Warum soll man wertvolle Lebenszeit mit langweiligen Vorträgen verschwenden, wenn man wichtigeres in dieser Zeit machen kann. Allerdings wird dann doch die Abgrenzung schwierig: Jetzt arbeitet man schon so schön an einem Email, oder liest eine interessante Webseite, aber ein neuer Vortrag beginnt, oder ein neues Thema im Meetig wird angesprochen. Was ist jetzt interessanter? Weiter online bleiben oder konzentriert zuhören bzw. mitdiskutieren?

Ich meine, dass wir hier in einer Übergangs-Situation sind. Denn es kann eigentlich niemanden die Absurdität der Situation entgehen: wir reisen tausende von Kilometern um in einem Konferenzsaal Emails zu lesen, bzw. werden gezwungen Stunden in langweiligen Sitzungen zu verbringen, die wir dann wenigstens mit alltäglicher Arbeit nützlich zu gestalten versuchen.

Dies wird vermutlich immer weniger konstruktiv und produktiv. Aber was ist die Lösung? Kürzere, fokussiertere Meetings? Wie soll man diese wieder organisieren? Bei der nototischen Zeitknappheit aller Beteiligter, die von einem Meeting zum nächsten hetzend kaum noch zu erreichen sind? Also machen wir vielleicht eher das gegenteil: wenn wir schon mal ein Meeting zusammenbringen, dann aber alles hineinpacken was möglich ist, und wenn es 6 Stunden dauert.

Mir erscheint der momentane Zustand aber wenig wünschenswert. Auf der einen Seite halten wir heilige Rituale (wie Konferenzen und Meetings) aufrecht, und zwar in derselben Weise, wie sie seit Jahrzehnten gehandhabt wurden (nun muss ich anmerken, dass es neuere Formen bspw. von Konferenzen gibt, Stichwort Barcamp, aber das ist nicht wirklich das Thema hier), auf der anderen Seite stehlen wir damit dem Großteil der Teilnehmer ihre Zeit. Dafür geben wir ihnen aber auf der anderen Seite (bspw. durch das zur-Verfügung stellen von WLAN, bzw. durch das nicht-abschalten von Mobiltelefonen (eine Unart die extra diskutiert werden sollte)) die Motivation sich auszuklinken.

Aber was ist Ursache und was ist Wirkung: Ein Kollege hat mir kürzlich erklärt, wie er mit der Mailflut fertig wird: er wirft einfach die meisten weg (unglesen, wie ich annehme). "Es funktionert!", bekräftigt er. Und ich möchte nicht wiedersprechen.

Die grundlegendere Frage ist doch eine andere: Macht uns diese neue Art zu arbeiten tatsächlich produktiver? Ich vermute ja, aber um wieviel? Ist es die dauernde Belästigung wert? Eines erscheint jedenfalls klar: die Aufmerksamkeitsspanne der Gesellschaft scheint dramatisch zu sinken, und ich spreche hier nicht nur von Fernseh-geschädigten Teenagern. Mein Arbeitstag ist heute so strukturiert, dass es mir kaum mehr möglich ist fokussiert einen halben Tag oder ganzen Tag, geschweige denn länger, an einer Sache fokussiert zu arbeiten, bspw. zu programmieren oder an einem Kapitel eines Buches zu schreiben.

Das ist unproduktiv und frustrierend. Nun wird die "Hoffnung" wenigstens in entfernten Regionen der Welt vom Netz verschont zu bleiben auch nicht mehr erfüllt. Andererseits: die selbst-gewählte Abstinenz für eine oder mehrere Wochen (schon ausprobiert) fühlt sich dann auch mehr wie eine Zeitbombe an. Geht man dann nach einer oder zwei Wochen wieder online, wird man von hundernten, wenn nicht tausenden Emails geradezu erdrückt. Nun ist es zwar verlockend, aber in der Praxis doch nicht machbar einfach alles zu löschen. Vereinzelt gibt es dann doch wichtige Informationen die man sonst verlieren würde.

Was ist tun? Auf der einen Seite wollen wir vermutlich die neuen Möglichkeiten nicht verlieren. Auf der anderen Seite belasten sie uns teilweise mehr als sie nützen. Ich überlege mittlerweile mein Mobiltelefon wieder abzumelden; es gibt kaum noch gute Gründe es zu behalten. Email abzumelden schießt aber vermutlich über das Ziel hinaus, zumal eben fast die gesamte wesentliche nicht-persönliche Kommunikation über dieses Medium läuft.

Ich denke aber, es könnte hier mittelfristig zu Umwälzungen kommen: schon heute lesen "wichtige" Personen ihre Emails nicht mehr, das wäre auf das Aufkommen bezogen auch gar nicht mehr möglich. Es könnte in die Richtung gehen, dass es kleinere Netzwerke geben wird, etwa wie "Friends" Listen in Instant Messaging Lösungen, die direkten Austausch erlauben, die aber auch die Möglichkeit bieten werden, sich offline zu schalten. Und offline bedeutet auch wirklich offline. D.h. es werden keine Nachrichten angenommen.

Das würde zwar der Idee der elektronischen Post widersprechen, hätte aber wenigstens den Vorteil, dass offline auch wirklich offline ist.

(nun, man wird ja noch träumen dürfen *g*).

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)