Dienstag, 30. Januar 2007

Eliten

Kürzlich gab es auf SWR 2 wieder eine Sendung ("Wissen"), das sich mit dem Thema der "Elitenbildung" auseinandersetzt (Transkript, Stream | Podcast). In Deutschland scheint diese Diskussion schon seit einigen Jahren geführt zu werden, in Österreich ist die Brisanz wohl im Endeffekt dieselbe, nur wird meinem Gefühl nach weniger darüber gesprochen.

In der aktuellen Sendung prallen zwei gegensätzliche Meinungen aufeinander: einerseits Maximilan Ardelt, der Kuratoriumsvorsitzender der Bayerischen Eliteakademie in München ist:
"Wir haben Eliten, ob Sie das wollen oder nicht. Eliten sind halt Gestalter des Wandels, wenn Sie das mal akzeptieren als Definition: die wenigen, die halt besser sind, sei es auf der Leistungsseite, sei es als Machteliten, die da Macht haben eben, die sind immer da. Insofern ist es nicht die Frage, ob wir sie brauchen oder nicht brauchen, diese eins, zwei Prozent in der Bevölkerung: die sind da – so! Das Problem setzt eigentlich nicht ran, ob wir sie brauchen oder nicht brauchen, sondern, was die tun."
Meiner Ansicht nach ist dies eine richtige Feststellung und sollte sich auch in der (Aus)bildung entsprechend manifestieren. Es bleibt jedoch die Frage offen, ob "Ethik-Ausbildung" der vielleicht Kooperation mit Vorständen deutscher Unternehmer vermittelt wird, dem entspricht, was sich die Gesellschaft erwarten würde. Wollen wir (auch hier könnte man auf entsprechende Kritik Lissmanns verweisen) wieder nur "high potentials" (wie ja Neudeutsch diese Jungen Talente von denen sich die Industrie soviel erwartet genannt werden) ausbilden und auf ihre Positionen vorbereiten, sodass sie möglichst uniform in die entsprecheden "Schuhe" passen, oder wollen wir sie bilden (so unmodern dies zur Zeit zu sein scheint).

Wobei sich in diesem Zusammenhang gleich die nächste und aus meiner Sicht eigentlich wichtigere Frage stellt: wie definiert sich eigentlich die Elite? Und ich fürchte, dass wir hier wieder aus dem Moment der Ausbildung kommen: also diejenigen die stromlinienförmig dasjenige machen, was man heute machen muss, MBA zum Beispiel, dürfen sich "Elite" nennen (vermutlich weil sie genau das machen, was "wir" uns erwarten und wir mit keinerlei Überraschungen zu rechnen haben).

Diejenigen, die sich vielleicht weniger für Optimierung der human resources (d.h. Entlassungen) zum Wohle der Wirtschaft (d.h. zur Steigerung des shareholder values) interessieren, sondern möglicherweise eher ganzheitliche gesellschaftliche Entwicklungen im Auge haben und daher vielleicht Philosophie oder Soziologie studiert haben sind nach zeitgemässer Logik vielleicht Intellektuelle, eher gescheiterte Existenzen, vermutlich aber keine Eliten.

Vielleicht habe ich aber sogar mit meiner etwas düsteren Vermutung zu kurz gegriffen, denn auf der anderen Seite (im SWR 2 Bericht) steht Michael Hartmann, Professor für Soziologie an der TU Darmstadt, der seit Jahren untersucht, wer eigentlich in die sogenannten "elitären Zirkel" einlass findet:
"[...] dass in den Chefetagen deutscher Großunternehmen Bürgerkinder praktisch unter sich sind, also wir haben es jetzt für das Jahr 2005 noch mal untersucht - wieder die hundert größten deutschen Unternehmen. Und es hat sich seit 1970 fast nichts verändert: also der Anteil der Kinder aus den unteren 96 Prozent der Bevölkerung, also die ganzen Mittelschichten, Arbeiterschaft und so - ist von 16,1 auf 15,1 ein bisschen gesunken. Das einzige was sich ein bisschen deutlicher geändert hat: Der Anteil der Großbürgerkinder, also wo die Väter selbst schon Vorstandsvorsitzende waren oder Spitzenbeamte oder ähnliches, ist von 45 Prozent auf 50 Prozent gestiegen, das heißt: Es wird noch ein bisschen exklusiver. Ganz im Gegensatz zu den Ansprüchen, die man nach außen hin vertritt, ist es praktisch so, dass da Bürgerkinder unter sich sitzen."
Im Herbst 2005 hat Hartmann in einer SWR 2 Aula Sendung diesen Sachverhalt noch länger und deutlicher diskutiert.

Es würde mich wirklich interessieren, wie wir uns in Österreich dieser Problematik stellen?!

Sonntag, 21. Januar 2007

"Youth Bulge", oder Gründe für Terrorismus und (Bürger)krieg

Hört man sich tagtäglich "Experten" an, die ihre Ansicht zu Krieg und Frieden, Terrorismus und Gewaltausbrüchen, sowie anderen Weltpolitischen Themen an, so hört man doch zumeist die selben Dinge. Vielleicht unterschiedliche Nuancen. Sehr selten aber habe ich das Gefühl hier etwas "originelles" (wenn dieser Begriff in diesem Kontext gestattet ist) zu hören. Einen wirklich neuen Gesichtpunkt zu bekommen.

Gunnar Heinsohn, Professor an der Uni Bremen, diskutiert in der SWR2 Aula vom 6. Jänner (Transkript) unter dem Titel "Jung, aggressiv und engagiert - Die Macht der Söhne und der Terrorismus" ein Phänomen, das Youth Bulge genannt wird. Im wesentlichen stellt dies die Demographische Besonderheit von Ländern wie dem Irak und Afghanistan dar: es gibt eine sehr große Anzahl von jungen Männern zwischen etwa 15 und 35, also dem "kampffähigen" Alter. Nun ist dies ein durchaus bekanntes Phänomen; eigentlich interessant wird es, weil er es anhand vieler historischer Beispiele geradezu als Voraussetzung für Gewaltausbrüche (Bürgerkrieg, Terrorismus, Kriege), und vielleicht gar als Notwendigkeit darstellt. Dies sind provokante aber wie sich meiner Ansicht nach zeigt, bedenkenswerte Thesen.

Er stellt also die Frage, warum dieser "youth bulge" (v.a. bei jungen Männern) ein so fundamentales Problem in dieser Hinsicht darstellt:
"Warum führt das zu Konflikten? Weil sich gehobene Positionen nicht so schnell vermehren lassen wie Nahrung, Lesebücher oder Impfstoffe. Die drei oder vier Söhne einer Familie haben durchaus genug zu essen. Sie lernen rechnen und schreiben, tragen ein Hemd auf dem Leib und sind medizinisch passabel versorgt. "
An dieser Stelle ein weiterer interessanter Ansatz: es sind nicht die ausgehungerten "Massen" die gewaltbereit sind und größere blutige Konflikte anzetteln würden, bzw. sich dazu verführen lassen, denn diese würden eher nur das Interesse haben sich mit dem Nötigsten zu versorgen; es sind gerade die große Anzahl an passabel "genährten" "überzähligen" Brüdern, jungen Männern, Söhnen. Sie sind die "überzähligen"; die in der Gesellschaft nicht mehr die Chancen finden, die sie sich erwarten würden, aber gleichzeitig nicht direkt ums überleben kämpfen müssen.
"Einer von dreien [Brüdern], vielleicht auch einmal zwei von vieren kommen dann unter. Die Überzähligen aber gehen fast immer dieselben sechs Wege. Erstens: Den Weg der Auswanderung beziehungsweise der unblutigen Kolonisation. [...] Zweitens: Der Weg in die Kriminalität. [...] Drittens: Der Weg zum Putsch. Er ist das Mittel der Wahl für junge Männer, die in der Armee ihre Chance suchen, dann aber in den Beförderungsstau geraten. Viertens: Der Weg zum Bürgerkrieg oder in die Revolution. Hierbei werden hohe Anteile der jungen Männer von begabten Anführern armeeartig organisiert. Fünftens: Der Weg in den Völkermord oder die Vertreibung. Minderheiten werden beseitigt, um ihre Positionen einnehmen zu können. Sechstens: Der Weg in den grenzüberschreitenden Krieg"
Nun bin ich mir nicht sicher, ob sich diese These in allen Punkten haltbar ist, in den Beitrag bringt Heinsohn aber eine beeindruckende Anzahl von historischen Beispielen, wo zu einer Zeit, in der dieser Youth Bulge vorhanden war, in den entsprechenden Gesellschaften diese Gewaltphänomene aufgetreten sind und auftreten (bspw. im Irak, in Afghanistan), aber auch Länder in denen es trotz ähnlicher politischer Situation dann doch erstaunlich "ruhig" bleibt, wie bspw. im Libanon heute, in Lateinamerika oder Nordafrika. Bspw. ist die Geburtenrate in Algerien von etwa 7 Kindern proFrau in den 60er und 70er Jahren auf etwa drei Kinder 2000 sowie unter 2 Kinder 2006 gefallen. Laut seiner These fehlt damit diesen Ländern in den darauffolgenden Jahrzehnten die entsprechend notwendige Menge an jungen und gewaltbereiten Männern.

Auf der anderen Seite haben deutsche Frauen um 1900-1915 etwa sechs Kinder aufgezogen, um dann 1920- "mit Gewalt nach ihren Chancen zu suchen".

Er zitiert Bouthoul, der in den 70er Jahren ebendiese Fragen aufgeworfen hat und nach etwas wie einem "Kriegsindex" sucht, also einer Verhältniszahl eben dieser Jungen Männer, die quasi einen gewaltsamen Konflikt geradezu unausweichlich werden lassen könnten. Diese Zahl als einer der bestimmenden Faktoren für Kriegshandlungen.

Ich muss zugeben, dass diese Argumentationslinie mir zunächst überzogen und unglaubwürdig geklungen hat, je länger ich den Argumenten zugehört habe umso nachdenklicher hat mich dieser Bericht jedoch gemacht. Vielleicht ist dieser "youth bulge" nicht der Faktor, aber ein viel wesentlicherer Faktor als es uns bisher bewusst war. Auch hier kommt wieder das Menschliche Problem zu tragen, dass wir nicht in der Lage sind, exponentielle Entwicklungen zu denken: Dies wird bewusst, als Heinsohn analysiert, wieviele "Kämpfer" den Deutschen und Amerikanischen Truppen in Afghanistan (oder im Irak) jährlich "nachwachsen", einfach aus der massiven Kinderzahl die dort nach wie vor geboren wird. Dies übt einen Druck aus, der vermutlich auch mit High-Tech Kriegsführung kaum zu bewältigen ist, wie ja der praktisch verlorene Krieg der Amerikaner im Irak schon jetzt zeigt.

Zum Abschluss...

Es freut mich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mein Blog zu lesen. Natürlich sind viele Dinge, die ich hier diskutiere aus einem subjektiven Blickwinkel geschrieben. Vielleicht teilen Sie einige Ansichten auch nicht: Es würde mich jedenfalls freuen, Kommentare zu lesen...

Noch ein Zitat zum Schluß:

"Ich verhielt mich so, als wartete ein Heer von Zwergen nur darauf, meine Einsicht in das Tagesproblem, zur Urteilsfindung von Gesellschaft und Politik zu übersetzen. Und nun stellt sich heraus: Dieses Heer gibt es nicht.

Ganz im Gegenteil erweist sich das kulturelle Getriebe als selbstimmunisierend gegen Kritik und Widerlegung. Es ist dem Lernen feind und wehrt sich in kollektiver Geschlossenheit gegen Umdeutung und Innovation.", Rupert Riedl, Evolution und Erkenntnis, Piper (1985)

:-)